Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Regelung der Barrierefreiheitsanforderungen für private Wirtschaftsakteure im Bereich von Produkten und digitalen Dienstleistungen ab dem 28. Juni 2025
24. Oktober 2023
In Deutschland leben über 10 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Insoweit ist auch die Barrierefreiheit von Produkten und digitalen Dienstleistungen im Rahmen der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft erforderlich.
Bisher gibt es in der EU für privatwirtschaftliche Akteure keine Standards für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher. Dagegen ist für den öffentlichen Bereich die Gewährleistung der Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen bereits durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2102 in §§ 11ff Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) geregelt.
I. Anwendungsbereich
Für privatwirtschaftliche Akteure werden nunmehr einheitliche Standards für bestimmte barrierefreie Produkte und Dienstleistungen verpflichtend, die für einen Verbraucher erbracht werden. Dies erfolgt durch die Umsetzung der dazu vorliegenden EU-Richtlinie 2019/882 mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG vom 16. Juli 2021) zum 28. Juni 2025. Das ausschließlich für den privatwirtschaftlichen Sektor geltende BFSG soll sicherstellen, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung zugänglich sind. Das BFSG regelt insoweit die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, die den Zugang zu Informationen ermöglichen und zur Kommunikation dienen.
Produkte die nach § 2 Nr. 1 BFSG in den Anwendungsbereich des BFSG fallen sind u. a. Computer / PCs, Notebooks und Smartphones.
Unter Dienstleistungen im elektronischen Rechtsverkehr - unabhängig vom Gegenstand der Dienstleistung - fallen gem. § 2 Nr. 3 BFSG Telefon- und Messengerdienste, auf Mobilgeräten angebotenen Dienstleistungen - inkl. Apps -, E-Books, Personenbeförderungsdienste im Luft-, Schienen- und Schiffsverkehr (hier u. a. Websites für Reiseinformationen und elektronische Fahrkarten und elektronische Bankdienstleistungen sowie der elektronische Geschäftsverkehr und damit auch der gesamte Online-Handel.
Reine Websites zur Präsentation oder Blogs, auf denen Produkte oder entsprechende Dienstleistungen nicht gegen Entgelt erworben bzw. gebucht werden können, sind vom Anwendungsbereich des BFSG nicht erfasst.
II. Regelungen zur barrierefreien Ausgestaltung
Wie Produkte und Dienstleistungen konkret barrierefrei zu gestalten bzw. zu erbringen sind, regelt nach § 3 Abs. 1 S. 3 BFSG die Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem BFSG (BSFGV) vom 15. Juni 2022.
Hersteller von Produkten und Erbringer von Dienstleistungen sind verpflichtet, ihre Leistungen so auszugestalten, dass das Produkt oder die Dienstleistung für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar ist (vgl. § 3 Abs. 1 BSFG).
III. Zeitpunkt des Inkrafttretens des BSFG, Übergangsvorschriften und Ausnahmen
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt grundsätzlich für Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 erbracht bzw. für Produkte die nach diesem Datum in den Verkehr gebracht werden.
Ausnahmen bzw. Übergangsvorschriften sind u.a. in § 16 BFSG und § 17 BSFG und § 38 Abs. 1 BFSG geregelt.
Ausschließlich im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen findet das BFSG keine Anwendung auf Kleinstunternehmen (vgl. § 2 Ziffer 17 BFSG).
III. Ausgestaltung der Barrierefreiheitsanforderungen
1. öffentlicher Bereich
Im Bereich des öffentlichen Sektors ist die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) zu beachten.
2. privatwirtschaftlicher Bereich
Entsprechend § 3 Abs. 2 BFSGV wird die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit auf ihrer Website eine Auflistung der wichtigsten zu beachtenden Standards und Konformitätstabellen veröffentlichen. Zusätzliche branchenspezifische Anforderungen für einzelne Produktgruppen und entsprechende Dienstleistungen werden in der BFSGV aufgeführt. Zudem wird die Norm EN 301549 für den privatwirtschaftlichen Bereich im Rahmen der Barrierefreiheit zu beachten sein.
Bereits vor der Einführung der gesetzlichen Regelungen haben sich Standards bzw. Prinzipien, wie die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1 von 2018), für eine barrierefreie Ausgestaltung digitaler Produkte und Dienstleistungen entwickelt und etabliert, die dann auch Grundlage für die EN 301 549 waren. In den WCAG werden vier Prinzipien für die Barrierefreiheit berücksichtigt. Dazu zählen Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Diese Kriterien werden in den WCAG in unterschiedliche Konformitätsstufen (von A (Grundlegende Zugänglichkeit) bis AAA (Höchste Zugänglichkeit) eingeteilt.
Es gibt diverse technische Möglichkeiten / Programme, die eine Überprüfung der Barrierefreiheit einer Website oder App ermöglichen.
3. Informationspflichten
a. Produkte
Die privaten Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, entsprechende Unterlagen und Angaben im Rahmen einer EU-Konformitätserklärung einzureichen. Ein Produkt ist vor dem Inverkehrbringen mit einem CE-Kennzeichen zu versehen (vgl. § 3 Abs. 1 Ziffer 4 i.V.m. § 19 BFSG).
b. Erbringung von Dienstleistungen
Erbringer von Dienstleistungen haben nach § 3 BFSG in Verbindung mit der Anlage 3 zum BFSG in barrierefreier Form über die Dienstleistung und auch darüber zu informieren, wie die Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt und wer die zuständige Marktüberwachungsbehörde ist („Erklärung zur Barrierefreiheit“).
IV. Marktüberwachungsregeln
Die sich aus dem BFSG ergebenden Verpflichtungen für die Wirtschaftsakteure werden überwacht. Die Ausgestaltung der Überwachung liegt bei den Bundesländern.
V. Rechte des Verbrauchers
Gemäß § 32 BFSG hat jeder Verbraucher bei etwaigen Verstößen die Möglichkeit, bei der Marktüberwachungsbehörde ein Verwaltungsverfahrens einzuleiten. Der Verbraucher kann einen nach § 15 Abs. 3 BGG anerkannten Verband oder eine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) mit der Einleitung eines Verfahrens zur Durchführung von Maßnahmen nach § 32 Abs. 1 S. 1 BFSG beauftragen.
Ein betroffener Verbraucher kann zudem bei der zuständigen Schlichtungsstelle ein entsprechendes Schlichtungsverfahren einleiten (vgl. § 34 BFSG i. V. m. § 16 BGG).
Fazit
Trotz der langen Übergangsfristen für die Beachtung der Regelungen des BFSG ist eine rechtzeitige Prüfung vorzunehmen, ob und welche digitalen Dienstleistungen und Produkte nach dem 28. Juni 2025 barrierefrei angeboten werden müssen. Unabhängig davon, ob eine Verpflichtung zur barrierefreien Zurverfügungstellung der Angebote besteht, sollte immer daran gedacht werden, dass mit barrierefreien Produkten und Dienstleistungen mehr Nutzer und Kunden erreicht werden.
Die Presseerklärung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes finden Sie auf der Seite des DPWV im Original.