horus NR: 3 / 2012 - Blindheit und Gesundheit

Inhaltsverzeichnis

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  • Schwerpunkt: Blindheit und Gesundheit

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    "Bleiben Sie gesund, sonst wird es teuer", dieser durchaus ironische Spruch kam mir wieder ins Gedächtnis, als ich die Beiträge dieser horus-Ausgabe durchsah; ironisch oder vielleicht auch zweischneidig deshalb, weil durchaus zu fragen ist, was denn hier "teuer" bedeutet. Mehrere unserer Artikel beschäftigen sich dabei mit den psychischen Kosten, die entstehen, wenn man nicht auf den eigenen Körper hört, Signale in den Wind schlägt oder seine Kräfte überschätzt (vgl. etwa die Ausführungen von Glofke-Schulz). Aufgezeigt wird aber auch, wie man sich fit halten oder machen kann.

    Wichtig erscheint mir weiter der Beitrag zum Thema Krankenhaus und Reha von Büchner, denn viele von uns dürften wenigstens einmal im Leben mit diesen besonderen Einrichtungen Kontakt gehabt haben, Institutionen, die blinde und sehbehinderte Menschen vor besondere Herausforderungen stellen und die Gefahr einer doppelten Entmündigung mit sich bringen. Zum einen ist da die Entmündigung jedes Patienten, der Gefahr läuft, als bloßes Objekt behandelt zu werden. Zum anderen haben wir es zusätzlich mit der Gefahr der Entmündigung zu tun, die sich speziell auf blinde und sehbehinderte Menschen bezieht, denen man entweder zu wenig, um nicht zu sagen gar nichts zutraut oder denen aus Unkenntnis die notwendigen Hilfeleistungen versagt werden. Hier dürfte ein erhebliches Schulungspotenzial liegen, das seiner Befriedigung harrt. Umso erfreulicher ist es, dass auf Seiten der Rehabilitations- einrichtung der blista hier erste Ansätze zur Abhilfe gemacht worden sind (vgl. den Beitrag von Brunkhorst und Röder). Vielleicht liegt hier ja auch ein neues Berufsfeld für blinde und sehbehinderte Menschen in Krankenhaus und Rehaeinrichtungen als Berater oder Beraterin. Denken wir einmal gemeinsam darüber nach, wie das zu bewerkstelligen wäre.

    Bis dahin gute Gesundheit!

    Ihr und Euer

    Uwe Boysen


    In eigener Sache

    In eigener Sache

    Herzlich willkommen im Vorstand, Ursula Weber!

    In der DVBS-Mitgliederversammlung im Mai wurde nicht nur Uwe Boysen als erster Vorsitzen der bestätigt, auch ein neues Mitglied wurde in das Vorstandsteam gewählt: Ursula Weber aus Dresden wird die Vorstandsriege für die kommenden vier Jahre neben Andrea Katemann und Uwe Bruchmüller als dritte Beisitzerin ergänzen. Darüber hinaus hat Ursula Weber die Leitung der Bezirksgruppe Sachsen übernommen.

    Rückblick auf die Sight City 2012

    Nur eine Woche nach der Vorstandswahl wurde es ernst für Ursula Weber: Der erste Einsatz für den DVBS auf der Hilfsmittelmesse Sight City in Frankfurt am Main stand an. Ursula Weber, Andrea Katemann, Uwe Bruchmüller und Hanna Hagenauer unterstützten das Messe-Team der Geschäftsstelle, informierten die Standbesucher über die Angebote des DVBS, verteilten Broschüren und CDs und führten Gespräche mit Interessenten und Vereinsmitgliedern. Am DVBS-Stand fanden zudem an allen drei Messetagen Expertengespräche statt. Musiker Michael Kuhlmann stellte ein Programm zur Notenübertragung vor, Dr. Heinz Willi Bach hielt nicht nur einen Vortrag im Sight-City-Forum, sondern informierte auch am Stand über die Ergebnisse seiner Arbeitsmarktstudie, und die e-dig.de-Experten der Geschäftsstelle, Sabine Hahn und Andreas Wohnig, präsentierten die Möglichkeiten der digitalen Literaturplattform.

    Inklusive Bildungswelt

    Ende Juli fand in Chemnitz der 35. VBS-Kongress für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik unter dem Motto "Vielfalt & Qualität" statt. Die inklusive Schule - Modelle aus Deutschland und dem europäischen Ausland wurden präsentiert und diskutiert, Möglichkeiten der Berufsorien- tierung für blinde und sehbehinderte Menschen erläutert und zahlreiche Workshops für die Teilnehmer angeboten. Auch in der nächsten horus-Ausgabe dreht sich alles um die inklusive Bildungswelt. Haben auch Sie Ihre Erfahrungen in Schule und Berufsalltag gemacht? Wir sind gespannt auf Ihre Berichte und Tipps. Ihre Beiträge können Sie wie gewohnt per E-Mail an die horus-Redaktion schicken: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Redaktionsschluss ist der 4. Oktober 2012.


    Schwerpunkt: Blindheit und Gesundheit

    Gegen die biologische Uhr - das "blinde" Anrennen im Sportstudio

    Keine Zeit für Fitness?

    Per Mobiltelefon regele ich meine Heimfahrt, derweil ich den Weg an der Lahn entlang eile. Bis zur Haustür sind es noch 120 Minuten. 60 davon werde ich auf der Trainingsfläche des Sportstudios verbringen, 20 weitere in der Umkleidekabine. 80 Minuten für die Fitness, dreimal die Woche, zweimal an einem Werktag. Zwei mal heißt das, den Bürotag nach zehn Stunden zu beenden. Die 80 Minuten stehle ich also eher der Familie, denke ich, nicht meinem Arbeitgeber. Doch meine Frau überredete mich dereinst, es mit Kraft-Ausdauertraining zu versuchen und das hat sie jetzt davon. Unsere Kinder sind in einem Alter, in dem sie auf die Frage "Wollen wir was spielen?" fragen, "Papa, seit wann trinkst du schon nachmittags?"

    "Zeitoptimiertes Training" nennen die Sportwissenschaftler das, was nun vor mir liegt. Zeit ist der limitierende Faktor zumindest in meinem Leben und also gilt es, die 180 Minuten Training wöchentlich möglichst effizient zu gestalten. Sie reichen aus, was mich immer wieder fasziniert. Ja, es sind drei Stunden Schwitzen, sechsmal Umziehen, dreimal Duschen, aber es ist gut investierte Zeit. Wer nach Gründen sucht, sie nicht zu haben, der wird welche finden. Doch nach zehn Jahren der eher sporadischen sportlichen Aktivitäten und dem Zehren von der Substanz aus bewegungsintensiveren Zeiten kam zumindest ich mit Mitte 40 nicht um die Erkenntnis herum, dass es so nicht weitergehen kann. Zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr baut der Körper 70 Prozent seiner Muskelmasse ab. Mit dem Fitnesstraining von heute entscheide ich über meine Lebensqualität von morgen selbst mit.

    Derweil feiert mein "innerer Schweinehund" weiter fröhliche Urständ in geselligen Raucherkneipen, vor dem Grillrost, bei Entgegennahme des fünften Bechers Kaffee oder bei übermäßig langen Wachphasen. Zum Sport muss ich mich selten überwinden. Als Gesundheitsfanatiker gar mit missionarischem Eifer bin ich jedoch eine krasse Fehlbesetzung.

    Was tun, um blind fit zu bleiben?

    Als ich die Tür öffne, schlägt mir zunächst die typische Geräuschkulisse eines Bistros entgegen. Das Essen hier ist gut und überreichlich und bei der Lektüre der Speisekarte deutet höchstens ein gewisser Mangel an Fett und der ein oder andere Fitness-Drink darauf hin, dass man sich eigentlich an einer Stätte der Ertüchtigung befindet. Rechts und links wird Squash gespielt und an den Wänden wird Sportswear angeboten. Die Atmosphäre hier ist familiär. Von der Theke aus werde ich begrüßt, "Hi Micha, alles gut?" Sie akzeptie ren, dass ich hier blind trainiere. Sie hatten Zeit sich daran zu gewöhnen, denn anfangs kam ich nie allein. Meine Frau trainierte mit, und ich fand mich zunehmend allein zurecht. Hätten sie Bedenken wegen meiner Behinderung gehabt, wir hätten darüber geredet, aber wenn ich sie nicht hätte zerstreuen können, wäre ich woanders hingegangen. Schließlich ist das hier Freizeit.

    Als Fuß-, später als Goalballer gab es zwei Übungsformen, die ich überhaupt nicht ausstehen konnte: Dauerläufe (wenn Gott gewollt hat, dass wir joggen, warum schenkte er uns dann Fahrräder?) und Krafttraining (wem darf ich denn hier zwecks Testosteron-Abbau mal auf's Maul hauen?). Davon abgesehen braucht man fürs Rennen, Radfahren, Schwimmen, Gewichtestemmen etc. Begleitung und/oder besonders blindengerechte Umstände. Das Herumlaufen zwischen herkömmlichen Kraftmaschinen z.B. ist nicht ungefährlich, wenn man nichts sieht und womöglich nicht weiß, wo genau man sich befindet. Schließlich werden hier Gewichte bewegt - und das kann schmerzhaft werden.

    Inzwischen bieten gute Sportstudios eine Kombination von Ausdauer- und Krafttraining an und offerieren überdies weitere Gruppentrainingsformen mit hippen Bezeichnungen wie "Steeling", "Body Step" oder "Spinning". Bei letzterem handelt es sich um eine Art Fahrradergometertraining mit Musik und ständigen Takt- und Widerstandswechseln - hechel, keuch... Man braucht verständige Übungsleiter und auch dann noch eine Weile, bis man blind mitmachen kann. Es empfiehlt sich, nach Kursen Ausschau zu halten, die spärlich besucht sind. Dann haben die Trainer eher einmal Zeit für Erklärungen zu dem, was man nun einmal nicht einfach nachmachen kann.

    Nicht zuletzt um die Trainingsgeräte besser auszulasten, werden heute teilweise Trainingszirkel angeboten. In ihnen sind die Maschinen rund um eine Wassersäule hinter Glas gruppiert. Wenn Luft in die Säule geblasen wird, das Wasser also blubbert, beginnt das Training. Ruht das Wasser still, wird zum nächsten Gerät gewechselt. Zumindest bei den Zirkeln der Firma "Milon" kann ein akustisches Signal eingeschaltet werden - ein Gongschlag zum Training, ein Bellen für den Gerätewechsel.

    In der obligatorischen Einweisung stellt der Trainer die Geräte richtig ein, passt sie also der Größe und der Leistungsfähig keit des Trainierenden an. Die Daten werden im Computer gespeichert und bei künftigen Trainingseinheiten per Chipkarte, die man in die Geräte steckt, wie der abgerufen. Im Falle der "Milon"-Zirkel kann man die Widerstände selbst verstellen. Auf Touchscreens wurde verzichtet. Außerdem arbeiten die Geräte mit Motoren an Stelle der herkömmlichen Gewichte und bergen deshalb ein geringeres Verletzungsrisiko für Blinde und Sehbehinderte.

    Was soll ich denn in einer "Mukkibude"?

    In der Umkleidekabine treffe ich auf ein gemischtes Völkchen Gleichgesinnter. Vorbei sind die Zeiten, in denen muskelbepackte Body Builder die Szene beherrschten. Sie kommen vor, aber wie mir scheint, immer seltener. Dann sind da die optisch meist leicht zu identifizierenden Abnehmsportler. Den meisten hier geht es aber wie mir vor allem darum, sich fit zu halten. Für alle birgt das Sportstudio vielfältige Trainings- und Bewegungsmöglichkeiten, welche der Entspannung (Sauna, Solarium, [Sport-] Fernsehen, W-Lan...) und es sorgt für das leibliche Wohl. Die Apfelsaftschorle, die ich mir am Automaten an der Theke in eine Trinkflasche zapfe, ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das Weizen, für das nachher in der Sauna oder an der ande ren Seite der Theke vielleicht noch Zeit ist, nicht. Das wichtigste für mich ist aber, diesen Sport kann ich alleine tun. Ich bin außer zur Einstellung des mit Touchscreen bewährten "Cross-Trainers", die Bewegung ist der beim Ski-Langlauf in der Paralleltechnik nicht unähnlich, zum Aufwärmen auf keinerlei Hilfe angewiesen. Auf geht's…

    Wie läuft das blinde Training im Sportstudio?

    Die Trainingsfläche im ersten Stock kann man sich wie eine recht große Turnhalle voller Geräte vorstellen. Die von mir genutzte hat einige Besonderheiten. Zum einen sind die Squash-Courts im Erdgeschoss nach oben hin offen, zum zweiten gibt es drei Badmintonfelder an den Rändern, und zum dritten hängen dort, wo sich die Sportler länger an einem Gerät aufhalten - also im Ausdauer-Bereich - Fernseher, auf denen verschiedene Programme laufen. An den meisten Geräten in die sem "Cardio-Bereich" finden sich ähnlich wie in Flugzeugen und früher in den ICE-Zügen Konsolen, in die man einen Kopfhörer einstecken und den Ton der Fernsehprogramme oder verschiedene Radiosender hören kann, derweil man sich quält. Mitunter ist es relativ laut hier, was die Orientierung ebenso wenig erleichtert, wie die vielen scheinbar wahllos auf die Fläche gekippten "Folterinstrumente". Ein Trainer fängt mich üblicherweise am Empfangstresen ab, bringt mich zu einem freien Cross-Trainer und programmiert mein Aufwärmprogramm. Seit ich die Logik der Geräteaufstellung zumindest erahne und spätestens, seit eine Trainerin spontan mit mir ein kleines Orientierungstraining durchführte, komme ich von hier aus allein zurecht, freilich mit Blindenstock. Ich taste mich zum Papiertuchspen der, befeuchte eines der Tücher, kehre zum Cross-Trainer zurück, wische die Griffe ab, gehe zum Trainingszirkel, werfe unterwegs das Papiertuch in einen Mülleimer, schalte nötigenfalls das akustische Signal ein und melde mich per Chipkarte beim Zirkel an. Inzwischen gibt es hiervon zwei, einen für Kraft-Ausdauer-Training und einen für reines Krafttraining, zwischen denen ich brav den Anweisungen der Trainer folgend im 6-Wochen-Rhythmus hin und her pendele. Inzwischen ist das alles Routine…

    Ganz billig ist diese Form der Ertüchtigung nicht. Fällig wird ein Monatsbeitrag von 60 bis 90 Euro, eine Aufnahmegebühr und mitunter ein halbjährlicher Servicezuschlag, wie man hört. Es gibt auch Billig-Varianten von Fitness-Centern, doch diese sind blind kaum nutzbar. Außerdem braucht man für zeitoptimiertes Training das entsprechende Know-how und die entsprechende Ausstattung. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Mit besagten drei Wochenstunden kommt man nur aus, wenn man a) kontinuierlich trainiert, b) das Training laufend intensiviert und c) abhängig von den Trainingszielen die Übungsformen wechselt. Kraft, Ausdauer und Koordination sind heute wesentlich weniger überlebenswichtig als früher. Im 19. Jahrhundert, meint der Sportwissenschaftler Andreas Bredenkamp, ging der Mensch täglich 20 Kilometer zu Fuß. Heute sind es noch 700 bis 1.200 Meter. Es gibt also einiges zu kompensieren. Irgendwie bekomme ich die drei Trainingstermine zumeist in meinen nicht unbedingt faden Berufs- und Privatalltag gequetscht. Nur feste Termine kann ich leider nicht machen. Es geht nicht mehr um Wettkämpfe. Das kommt mir bis heute manchmal seltsam vor. Aber es geht durch aus um Leistungsfähigkeit, persönliches Wohlbefinden, aktive Freizeitgestaltung, selbstbestimmtes Handeln.


    Mit ein paar Tricks wird das Wohnzimmer zum Fitness-Studio

    Ein schnelles Tennismatch auf der Spielkonsole, ein kurzes Aerobic-Programm vor dem Fernseher oder die Fahrradtour im Wohnzimmer auf dem Ergometer - wer sich in den eigenen vier Wänden sportlich betätigen will, hat eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Doch nur die wenigsten können problemlos auch von blinden oder sehbehinderten Menschen ausgeübt werden. Die Ergometer-Einstellung über ein Touchscreen-Display vorzunehmen ist ebenso schwierig bis unmöglich wie den Übungen der vorturnenden Trainerin auf einer DVD zu folgen.

    Viele Blinde und Sehbehinderte, die sportlich aktiv sein möchten, schließen sich daher einem Verein an oder suchen sich einen sehenden Partner, um Sport treiben zu können. Blindenfußball, Goalball, Joggen oder Tandemfahren sind dann möglich. Doch nicht jeder hat diese Möglichkeiten in seiner unmittelbaren Umgebung und sucht nach Alternativen, etwas für Figur und Gesundheit zu tun. Auch wenn das Nachturnen des Fitnessprogramms auf der DVD nicht möglich ist, kann das heimische Wohnzimmer mit ein paar Tricks zum Fitness-Studio werden. Guido Mayer, stellvertretender Leiter der Koordinationsstelle für medizinisch-therapeutische Berufe für Blinde und Sehbehinderte im DBSV, gibt im Gespräch mit der horus-Redaktion Tipps, wie blinde und sehbehinderte Menschen Fitnessübungen zu Hause ausführen können - ohne großen finanziellen Aufwand.

    Bevor das Training in den eigenen vier Wänden jedoch beginnen kann, sollte vorab bei einem Arztbesuch geklärt werden, ob eventuelle Beschwerden vorliegen, die den sportlichen Übungen im Weg stehen könnten. "Wenn man es richtig machen will, sollte zum Beispiel geklärt werden, ob Probleme mit der Bandscheibe bestehen. In diesem Fall gäbe es dann Übungen, die verboten sind", erklärt Guido Mayer.

    Gibt es von medizinischer Seite aus grünes Licht für ein Trainingsprogramm zu Hause, sind Blinde und Sehbehinderte gut beraten, sich vom Arzt einen Termin zur Krankengymnastik verordnen zu lassen. "Gemeinsam mit dem Physiotherapeuten wird besprochen, welche Körperregionen trainiert werden sollen", so Mayer. Ein großer Vorteil, den ein Termin beim Physiotherapeuten mit sich bringt, ist, dass der Klient die Übungen gemeinsam mit dem Therapeuten durchführt und dieser korrigierend eingreifen kann, sofern dies erforderlich ist. Hat der Klient die einzelnen Übungen verinnerlicht, kann er sie zu Hause allein ausführen. "Ziel einer physiotherapeutischen Behandlung ist es immer, den Patienten zum selbstständigen Trainieren anzuleiten, sodass er in seinem Rhythmus Übungen ausführen kann", erklärt Guido Mayer. Nach einer Zeit des eigenständigen Trainings ist es jedoch sehr empfehlenswert, eine weitere Einheit gemeinsam mit dem Therapeuten einzuplanen. Dieser kann dann feststellen, wo sich eventuelle Fehler in der Ausführung eingeschlichen haben und diese umgehend korrigieren. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, weitere Übungen in das Programm aufzunehmen oder Übungen zu streichen.

    Ob Training im Verein, Sport im Freien, die Einheit im Fitness-Studio - oder eben die Übungen fürs heimische Wohnzimmer: Sie alle haben eine (fiese) Gemeinsamkeit. Der innere Schweinehund lauert überall und will überlistet werden. "Dem Körper und der Gesundheit zuliebe sollte man sich ein Zeitfenster für sportliche Betätigung freihalten", so Mayer. Zwei bis drei Mal pro Woche sollte Bewegung zum festen Bestandteil des Tagesablaufs werden, auch, wenn man sich für ein Trainingsprogramm für zu Hause entscheidet. "Beliebte Ausreden, keine Zeit zu haben oder den mühsamen Weg zur Trainingsstätte nicht allein bewältigen zu können, kommen nicht in Frage, wenn man sich für ein Fitnessprogramm zu Hause entschieden hat", stellt der Masseur fest, "ein paar Minuten sind immer drin."

    Für ein kleines Fitnessprogramm in den eigenen vier Wänden können neben dem eigenen Körper auch Hilfsmittel zum Einsatz kommen - Theraband, Pezzibälle und kleine Hanteln kommen in Frage. Das Theraband aus Gummi wird in acht verschiedenen Stärken angeboten, der Widerstand reicht von sehr gering bis extra-stark. Mit diversen Übungen, die gegen den Widerstand des Bandes ausgeführt werden, können viele Muskelgruppen trainiert werden. Dabei sollte stets darauf geachtet werden, die Übungen langsam auszuführen. Im Folgenden werden einige Übungen für Schulter-, Arm- und Beinmuskulatur vorgestellt. Für die Kräftigung des Schultergürtels machen Sie einen Ausfallschritt nach vorne und stellen Sie sich mit dem vorderen Bein auf die Mitte des Therabandes. Je ein Ende nehmen Sie in eine Hand. Mit aufrechtem Rücken stehen und beide Hände gleichzeitig waagerecht seitlich neben dem Körper nach oben strecken. Dabei die Ellbogen nie höher als die Schultern ziehen. Die Übung wird 15 bis 20 Mal wiederholt. Für eine Übung zur Kräftigung der Schulter- und Armmuskulatur setzen Sie sich im vorderen Bereich einer Stuhlsitzfläche mittig auf das Theraband. Dabei die Enden wieder mit den Händen fassen. Der Rücken ist aufrecht, der Blick geradeaus gerichtet und der Nacken langgezogen. Jetzt strecken Sie beide Arme seitlich des Körpers in Richtung Decke und senken Sie sie anschließend so weit, bis die Oberarme horizontal zum Boden sind. Die Übung 15 bis 20 Mal wiederholen. Zum Schluss noch eine Übung für die Muskulatur des vorderen Oberschenkels: Legen Sie sich auf den Boden und stellen Sie beide Knie auf. Jetzt nehmen Sie die Enden des Bandes in beide Hände und stellen Sie einen Fuß mit der Spitze auf die Mitte des Therabandes. Die Arme bleiben seitlich neben dem Körper ausgestreckt auf dem Boden, während der Unterschenkel mit dem Fuß im Band nach vorne oben gestreckt wird. Nach 15 bis 20 Wiederholungen die Seite wechseln. Der Anschaffungspreis für ein Theraband liegt bei rund zehn Euro.

    Der Pezziball ist der Klassiker unter den Gymnastikbällen und mit einem Durchmesser von 45 bis 80 Zentimetern auch zum Sitzen geeignet. Auf und mit ihm lassen sich zahlreiche Übungen für Bauch, Beine, Po und Rücken ausführen. Beispielsweise kann man sich bei Liegestützen mit den Beinen auf dem Ball abstützen oder ihn beim Kniebeugen vor sich halten. Da gerade bei Übungen, die auf dem Ball sitzend oder liegend ausgeführt werden, das Gleichgewicht gefordert wird, bedarf es einiger Zeit der Gewöhnung an die wacklige "Unterlage". Mit ein wenig Vorsicht lässt sich ein unerwünschtes Wegrollen des Balles verhindern. Auch für Übungen mit dem Pezziball finden Sie hier einige Beispiele. Um Bauch- und Gesäßmuskulatur zu trainieren, legen Sie sich auf den Rücken und legen Sie die angewinkelten Beine auf den Ball. Die Arme bleiben neben dem Körper liegen. Jetzt bewegen Sie mit den gebeugten Knien den Ball langsam nach rechts, halten diese Position für einen Moment, rollen ihn zurück in die Mitte und bewegen ihn nach links, um auch in dieser Position kurz zu verharren. Danach die Übung achtmal wiederholen. Achten Sie darauf, dass der Rücken auf dem Boden bleibt. Nicht nur das Gleichgewicht, auch die Rückenmuskulatur trainieren Sie mit der folgenden Übung: Legen Sie sich bäuchlings auf den Ball, stützen Sie sich mit den Armen vor dem Ball ab und strecken Sie die Beine aus (die Fußspitzen dürfen den Boden berühren). Nun werden der linke Arm und das rechte Bein gleichzeitig vom Boden abgehoben und gerade ausgestreckt. Diese Position wird einige Sekunden lang gehalten, dann sind Arm und Bein der Gegenseite an der Reihe. Wer sich anfangs unsicher ist, kann eine zweite Person bitten, den Pezziball zu halten, damit man sich an das wacklige Gefühl gewöhnen kann. Pezzibälle gibt es ab ca. 15 Euro (je nach Durchmesser).

    Der große Vorteil der kleinen Hilfsmittel: Sie sind leicht und nehmen nur wenig Platz weg. Ein Theraband kann problemlos in einer Schublade verstaut werden und ist im Handumdrehen "versteckt". Wird der Pezziball nicht gebraucht, kann er in einem anderen Zimmer gelagert werden - bei Bedarf lässt er sich leicht wieder zurückrollen. Größere Fitnessgeräte zählen nicht gerade zur Kategorie optisches Highlight, und ein Crosstrainer passt nur im seltensten Fall zur Wohnungseinrichtung. "Das ist ein Grund, weshalb die für viel Geld angeschafften Geräte häufig in einem nicht oft benutzten Raum abgestellt werden und langsam verstauben", so die Einschätzung von Guido Mayer.

    Für das Sportprogramm zu Hause kommen für blinde und sehbehinderte Menschen durchaus auch Ergometer infrage, allerdings mit Einschränkungen: Kann der Widerstand manuell eingestellt werden, sind solche Geräte kein Hindernis. Die Trainingszeit kann dann auch mit einem Wecker eingestellt werden. Komplizierter gestaltet sich die Bedienung, wenn die einzelnen Programme über Tasten am Gerät eingestellt werden müssen. In diesem Fall können sich Blinde die Bedienung erleichtern, indem sie kleine Etiketten mit Punktschrift auf den einzelnen Tasten anbringen.

    Wer seinem Körper etwas Gutes tun möchte, aber auf ein schweißtreibendes Sportprogramm gut verzichten kann, hat die Möglichkeit, verschiedene Entspannungstechniken auszuprobieren, rät Guido Mayer. Progressive Muskelrelaxation kann im Sitzen oder Liegen ausgeführt werden und ist auch für Blinde und Sehbehinderte leicht zu erlernen, da die einzelnen Übungen durch die Stimme, nicht durch Abschauen, vermittelt werden. Bei dieser Entspannungstechnik werden einzelne Muskeln für eine kurze Zeit lang angespannt, um sie dann bewusst für längere Zeit zu entspannen. Ein Beispiel für den linken Unterschenkel: "Ziehen Sie den linken Fuß Richtung Schienbein, anspannen - halten - loslassen und nachspüren." Dann ist der rechte Fuß an der Reihe. Auf diese Weise können alle Muskeln von Kopf bis Fuß angespannt und entspannt werden. Autogenes Training bietet sich ebenfalls zur Entspannung an. Auch blinde und sehbehinderte Menschen können etwa in einem Volkshochschulkurs die Technik erlernen und das Gelernte anschließend selbstständig zu Hause umsetzen.

    Ob Fitness oder Entspan nung: Auch wenn Blinde und Sehbehinderte keine Möglichkeit haben, in einem Studio oder im Verein zu trainieren, müssen sie nicht auf sportliche Betätigung verzichten, sondern können ihr ganz individuelles Fitnessprogramm mit oder ohne Hilfsmittel selbstständig zu Hause ausführen.

    Das Gespräch führte Christina Muth.

    Zur Person

    Guido Mayer ist stellvertretender Leiter der Koordinationsstelle für medizinisch-therapeutische Berufe für Blinde und Sehbehinderte im DBSV. Der blinde Masseur und medizinische Bademeister lebt und arbeitet in Hamburg.


    Zukünftige Stations-, Gruppen- und Wohnbereichsleiteri/innen der Kliniken Marburg und Gießen fest im Sattel

    Was geschieht, wenn ein blinder oder sehbehinderter Mensch zum Patienten wird und ins Krankenhaus muss? Trifft er auf Krankenschwestern und -pfleger, die gelernt haben, auf die Belange Sehbehinderter oder Blinder einzugehen und die ihn gekonnt und sicher begleiten, um ihn in den Alltagssituationen eines Krankenhauses angemessen unterstützen zu können?

    Weil die Pflege insbesondere von sehbehinderten Menschen aufgrund des demografischen Wandels stärker in den Mittelpunkt rückt, hat das Universitätsklinikum in Gießen und Marburg reagiert und das Thema "Sicheres Verhalten im Umgang mit Menschen mit Handicap" in den Weiterbildungskurs zur pflegerischen "Stations-, Gruppen- und Wohnbereichsleitung" aufgenommen. Inzwischen fand eine erste Veranstaltung zu diesem Thema statt, an der 23 Krankenschwestern und -pfleger teilnahmen. Die vierstündige Veranstaltung wurde von "BIKE", der "Betrieblichen Einrichtung für Bildung, Information, Kommunikation und Entwicklungsunterstützung" am Universitätsklinikum Gießen und Marburg organisiert und von einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter der Rehabilitationseinrichtung für blinde und sehbehinderte (RES) der blista durchgeführt.

    Wer sicheres Verhalten im Umgang mit Menschen mit Handicap zeigen will, muss informiert sein und über Erfahrung verfügen. Diese beiden Elemente wurden in der Fortbildung theoretisch und praktisch vermittelt. Sprachregelungen, Begriffsklärungen und das Infragestellen von Blindheitsmythen wurden thematisiert. Ausführlich eingegangen wurde auf unterschiedliche Voraussetzungen, die blinde und sehbehinderte Patienten mitbringen und die dazu führen, dass sie mehr oder weniger Hilfe brauchen. Dazu zählen z.B. Ursache und Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung sowie rehabilitative Vorerfahrungen.

    Hinweise auf Besonderheiten bei der Interaktion, wie den weitgehenden Wegfall der nonverbalen Kommunikation, wurden gegeben und es wurde betont, wie wichtig es ist, den sehbehinderten Patienten nach seinem Hilfebedarf zu fragen, statt davon auszugehen, dass er allein schon wegen seiner Behinderung unselbstständig ist.

    Im praktischen Teil standen Simulationserfahrungen unter der Augenbinde im Mittelpunkt. Anhand von konkreten Alltagssituationen wurden Schwierigkeiten, die sich beispielsweise beim gemeinsamen Passieren von Treppen und Türen, beim Einschenken von heißem Kaffee oder beim Bestreichen eines Brötchens ergeben können, nachvollziehbar. Dabei ist das Uhrenprinzip bei der Anordnung und dem Auffinden von Gegenständen auf dem Frühstückstablett sehr hilfreich.

    Mithilfe spezieller Techniken wurden den Teilnehmern Problemlösungsstrategien vermittelt, die anschließend im Wechsel paarweise erprobt wurden, sodass jeder Teilnehmer praktische Erfahrung unter der Augenbinde sammeln konnte. Außerdem wurden diverse Hilfsmittel, Alltagshilfen und adaptierte Spiele demonstriert. Auch wurden Markierungsmöglichkeiten zum sicheren Auffinden der Zimmertür, zum Erkennen und Unterscheiden von Hygieneartikeln sowie das Dosieren von Zahnpasta demonstriert.

    Die Mischung aus Praxis und Theorie entsprach den Informationsbedürfnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die durchweg zufrieden waren mit der Fortbildung. Gute Aussichten also für sehbehinderte und blinde Menschen, wenn sie in den Unikliniken Gießen und Marburg stationär behandelt werden müssen.


    "Ich will eine Klinik, die mich will": Erfahrungen in einer Rehaklinik

    Ende 2011 konnte ich die Anzeichen nicht mehr ignorieren. Ich war zunehmend extrem kurzatmig, nach 50 Metern musste ich stehenbleiben, um Atem zu schöpfen. Ich nickte in Sitzungen, Vorlesungen, ja sogar im Kabarett einfach ein, und mein Körper war so aufgeschwemmt, dass mir meine Schuhe kaum noch passten. Ich schob die diversen Symptome allein auf mein Übergewicht und wollte nicht erkennen, dass es vielleicht doch sinnvoll wäre, mal zum Arzt zu gehen - zumal mich viele Freunde und Bekannte schon auf meinen angeschlagen wirkenden Zustand ansprachen. Der aufgesuchte Lungenfacharzt nahm verschiedene Untersuchungen vor und schickte mich sofort, am 22. Dezember, in die Notaufnahme der hiesigen Universitätsklinik. Da ich aufgrund einer erheblichen Wirbelsäulenverkrümmung, die bereits im Jugendalter operativ behandelt wurde, ohnehin über ein geringfügiges Lungenvolumen verfügte, war mit der Luftknappheit bei körperlicher Belastung nicht zu scherzen. Ich durchlief nun alle möglichen Abteilungen, um der Ursache meiner Beschwerden auf den Grund zu gehen. Schon beim Lungenarzt wurde festgestellt, dass ich unter einer extrem starken Art der Schlafapnoe leide, einer Unterversorgung des Hirns mit Sauerstoff während des Schlafes. Durch diesen Mangel war mein Organismus nachts quasi ständig in Alarmbereitschaft, und es gab keine Tiefschlafphasen, weil ich ständig in einem leichten, nicht erholsamen Schlafmodus feststeckte. Unter der Schlafapnoe litt ich anscheinend schon seit Jahren, da mein Körper mit den erschreckend niedrigen Sauerstoffsättigungswerten erstaunlich gut zurechtkam, nur erholsamen Schlaf konnte er nicht finden.

    Im Rahmen des vierwöchigen Klinikaufenthalts stellte sich zudem heraus, dass ich an einer bislang unentdeckten Nierenfunktionsstörung leide, die durch eine Entzündung der Nierenkörperchen hervorgerufen wurde. Das war der Grund für das viele Wasser, das sich in meinem Körper ansammelte und mir das Atmen und die Bewegungsfähigkeit schwer machte. Natürlich tat das Übergewicht, das ich mit mir herumschleppte, sein Übriges dazu. Mithilfe von Medikamenten konnten die ersten Symptome schnell beseitigt werden, und noch in der Klinik erhielt ich, nach dem ich mehrere Nächte im Schlaflabor verbracht hatte, eine Art Beatmungsmaschine, die mich während des Schlafs durch erhöhte Druckzufuhr mit Raumluft und somit genügend Sauerstoff versorgt.

    Als die Ursachen gefunden waren und sich der Klinikaufenthalt allmählich dem Ende näherte, empfahlen mir meine behandelnden Ärzte eine sogenannte "Anschlussheilbehandlung" (AHB) in einer Rehaklinik durchzuführen, um mich wieder auf Vordermann zu bringen und die Nierenerkrankung sowie die Schlafapnoe weiter zu behandeln. Ich war froh über diese Möglichkeit, zudem wurde ich nach nahezu vierwöchigem Aufenthalt im Krankenhaus langsam unruhig. Zwar hatte ich mich im Universitätsklinikum bemüht, mich ab einem bestimmten Zeitpunkt im dortigen Fitnessraum mit einer Trainerin langsam an körperliche Betätigungen heranzuwagen. Dennoch bestand der Alltag im Krankenhaus hauptsächlich darin, im Vierbettzimmer zu liegen, die Mahlzeiten abzuwarten, Untersuchungen über sich ergehen zu lassen und vor sich hinzudösen. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt schon, dass sich etwas in meinem Leben ändern müsste, nach dem ich aus dem Krankenhaus entlassen würde. "Ernährungsumstellung" und "mehr Bewegung" hießen die Damoklesschwerter, die mir die behandeln den Ärzte für die Zukunft in Aussicht stellten. Doch zunächst ging es darum, mich gesundheitlich und konditionell wieder auf die Beine zu bekommen.

    Während meines Klinikaufenthalts stellte sich für mich die Frage der Mobilität innerhalb des Krankenhauses nicht, da ich ohnehin zu jeder Untersuchung gebracht wurde. Durch die Mitarbeiter wurde ich unterstützt, wobei ich die meisten Dinge eigenständig tun konnte, mein Bewegungsradius hielt sich gesundheitsbedingt in engen Grenzen. Doch in einer Reha-Einrichtung würde das anders sein. Dort war man auch Patient, auch krank, aber Sinn und Zweck einer Reha-Maßnahme soll ja eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation sein - mithilfe von Fitnesstraining, Anwendungen, Therapieprogrammen. Ich hatte zwar schon viele Erfahrungen als Patient im Krankenhaus, jedoch lag das lange zurück, und damals verfügte ich noch über einen geringen Sehrest. Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mich im Reha-Betrieb einer Klinik zurecht finden würde, die Betreuung in solchen Kliniken ist nicht so flächendeckend wie in Krankenhäusern, wo die Patienten noch akut erkrankt sind und mehr pflegerische Unterstützung brauchen. Würde ich mich dort zurechtfinden?

    Die Sozialarbeiterin der Uni-Klinik, die solche AHB-Aufenthalte (Reha-Aufenthalte) plant und sich um die Genehmigung durch die Krankenkassen kümmert, besuchte mich, um mit mir meine Bedürfnisse für einen solchen Aufenthalt zu besprechen. Sie wies mich auch darauf hin, dass ich als Blinder einen Anspruch auf eine Assistenz während des Reha-Aufenthalts hätte. Sie riet mir dringend dazu, mich um eine solche Assistenz zu bemühen, weil sie sich nicht vorstellen könne, wie es ohne Unterstützung klappen sollte. Unterdessen schrieb die Sozialarbeiterin mehrere Kliniken an, schilderte meinen Fall, erwähnte auch meine Blindheit und fragte nach freien Plätzen. Ich dachte ebenfalls über die Assistenzfrage nach, fragte meine Eltern und Bekannte, aber niemand konnte sich drei, vier Wochen - so lange war die AHB vorgesehen - loseisen. Und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Meinung, dass ich keine permanente Assistenz dabeihaben wollte. Ich hielt mich für fit und mobil genug, mich in einer Reha-Klinik zurechtzufin den, zumal mir meine Assistenz, wenn es jemand aus meiner Familie gewesen wäre, bei den Anwendungen ohnehin kaum Hilfestellung hätte sein können. Die Sozialarbeiterin riet mir dringend, doch noch mal über eine Assistenz nachzudenken, zumal sie von einer Auseinandersetzung mit der Sachbearbeiterin meiner Krankenkasse berichtete. Als die Sozialarbeiterin den Assistenzbedarf beim Telefonat mit der Kasse erwähnte, lehnte die Sachbearbeiterin dies unter dem Hinweis ab, dass die Reha-Klinik selbst für meine Unterstützung zu sorgen habe, das gehöre zu ihren Aufgaben. Ich einigte mich mit der Sozialarbeiterin darauf, dass - sobald ich wusste, welche Klinik mich aufnehmen würde - ich mich mit der Klinik in Verbindung setzen und meine Situation besprechen wollte. Wenn überhaupt Assistenz nötig wäre, dann würde ich diese mit Sicherheit nur in den ersten Tagen brauchen, um mich mit den Abläufen, den Wegen, den alltäglichen therapeutischen Anwendungen vertraut zu machen. Eine mehrwöchige Dauerassistenz wollte ich keinesfalls, weil ich dann vonseiten der Mitarbeiter der Reha- Klinik wenig oder kaum Unterstützung erhalten würde - mit Verweis auf die vorhandene Assistenz. Ich erhoffte mir so einen eigenständigeren Reha-Alltag.

    Doch zunächst musste ich eine Einrichtung finden, die mich überhaupt aufnahm. Mehrere Kliniken, auch die von meinen Ärzten bevorzugte Fachklinik im Sauerland, lehnten mich ab oder meldeten sich gar nicht zurück. Ob diese Ablehnung etwas mit meiner Blindheit und der damit befürchteten Mehrarbeit für die Reha-Kliniken zu tun hat, wusste ich nicht. Die Sachbearbeiterin meiner Krankenkasse riet der Sozialarbeiterin, bei erneuten Anfragen meine Blindheit nicht zu erwähnen, um Absagen zu vermeiden. Der Sozialarbeiterin und mir war klar, dass dies nicht der richtige Weg sein konnte, im Zweifel würde ich nämlich am Ende als der "Gelackmeierte" dastehen, wenn Kliniken sich verschaukelt fühlten. Ich wollte eine Klinik, die mich wollte. Eine Klinik wollte mich. Die Aufnahme galt aber nur für den Fall, dass meine Krankenkasse bereit wäre, aufgrund meiner Blindheit einen Pflegezuschlag in Höhe von 700 Euro zu zahlen. Das lehnte die Kasse natürlich ab, und so wurde ich erstmal nach Hause entlassen, bis eine kostengünstigere Klinik gefunden war.

    Zwei Tage später meldete die Sozialarbeiterin Vollzug. Eine Klinik aus Bad Wildungen hatte sich gemeldet und war bereit, mich aufzunehmen. Wenig später rief mich eine Mitarbeiterin der Reha-Klinik an, und ich besprach mit ihr meine Situation. Ich wies auf Dinge hin, die mir - als blindem Patienten - wichtig waren: Unterstützung beim Essensbuffet oder Begleitung in den ersten Tagen etc. Die Dame war äußerst hilfsbereit und wollte mir zunächst ein Zimmer direkt in der Nähe des Schwesternzimmers geben (Pflegebedürftige waren in diesem Bereich ebenfalls untergebracht). "So müssen Sie nicht in den Speisesaal gehen und bekommen Ihr Essen aufs Zimmer." Dieses mit Sicherheit nett gemeinte Angebot lehnte ich jedoch ab, weil es meiner Meinung nach nicht nötig war, so ein spezielles Zim mer zu beziehen. Wir unterhielten uns noch ein wenig und als ich auflegte, hatte ich ein gutes Gefühl.

    Als es eine Woche später dann in Richtung Bad Wildungen ging, grübelte ich auf der gesamten Taxifahrt, wie der Aufenthalt sich wohl gestalten würde. Nach dem Eintreffen in der Klinik stellte ich erleichtert fest, dass sich die Klinik in der kurzen Zeit einige Gedanken über meine Person gemacht hatte. Mein Zimmer, das ich für die nächsten Wochen beziehen sollte, war nicht etwa mitten in einem der verwinkelten, langen Flure (die Klinik war früher ein herrschaftliches Grandhotel), sondern direkt das erste Zimmer im ersten Stock, nach dem man aus dem Aufzug kam. Mein fester Sitzplatz im Speisesaal war am ersten Tisch auf der linken Seite nach der Eingangstür. Vielleicht war es Zufall, vielleicht nicht. Jedenfalls konnte ich mir die wichtigsten Wege recht schnell einprägen, zumal direkt nach meiner Ankunft eine junge Frau, die in der Klinik ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte, mit mir zwei-, dreimal die wichtigsten Wege innerhalb der Klinik ablief und mir die Räume erläuterte. Sie hatte zwar keine Erfahrung, wie sie Blinden Wege beschreiben sollte, aber da ich wusste, welche markanten Punkte ich zu erfragen hatte, funktionierte unser Gespann. Nach zwei, drei Tagen benötigte ich auch keine Begleitung mehr im Haus, um meine Strecken zum Fahrradtraining, zur Stationsärztin, zum Schwesternzimmer oder zum Speisesaal zu absolvieren. Im Speisesaal gab es morgens und abends Buffet, das Mittagessen wurde allen Patienten am Platz serviert. Ich einigte mich mit den Mitarbeitern der Küche darauf, dass sie mir einen bereits zusammengestellten Teller auf meinen Platz stellten. Das hatte für mich zwar zur Konsequenz, dass ich mir nicht ständig alle angebotenen Dinge besorgen konnte, allerdings hatte es den unschlagbaren Vorteil, dass ich so immer genau die Menge an Frühstück oder Abendessen bekam, die der Diätplan vorsah (1500 Kalorien). Das machte es mir leichter, auch wenn mir meine Tischgenossen ab und zu noch etwas vom Buffet mitbrachten, weil sie das einsame Frühstücksbrötchen doch als zu kärglich betrachteten.

    Die reine Orientierung innerhalb der Klinik ging also relativ problemlos, immer war jemand da, den ich fragen konnte. Recht schnell kannte ich mich gut aus und brachte manche Mitarbeiter und Mitpatienten zum Staunen, wie ich mich in einem so großen Haus ohne Hilfe zurechtfand. Ich vermute, dass dieses Staunen nichts mit meiner Mobilität zu tun hatte, sondern darin begründet war, dass die meisten keine Vorstellung davon hatten, was als Blinder oder Sehbehinderter möglich ist.

    Das Wichtigste im Alltag meiner Rehaklinik war der wöchentliche Therapieplan, der jedem Patienten in sein eigenes Postfach gelegt wurde. Mit den Mitarbeitern der Rezeption verständigte ich mich darauf, dass sie meinen Therapieplan behielten und ihn mir, wenn etwas Ruhe eingekehrt war, auf mein mitgebrachtes Diktiergerät aufsprachen. So wusste ich immer genau, wann und wo ich zu welcher Anwendung zu erscheinen hatte. Bei den verordneten Anwendungen handelte es sich um therapeutische Aktivitäten: Trainieren auf dem Fahrradergometer mitsamt Blutdruck- und Herzfrequenzmessung, Atemgymnastik, um das Lungenvolumen zu steigern, Hockergymnastik, Wirbelsäulentraining oder Feldenkraiseinheiten zur Muskelan- und -entspannung. Bei den meisten Einheiten saß die Anleiterin neben mir, um mir die Übungen, falls ich ihre mündlichen Erklärungen nicht verstand, noch einmal speziell zu zeigen. Manchmal halfen mir auch andere Patienten und erklärten mir nochmal die Bewegungsabläufe. Bei der Einführung in den Fitnessraum kam eine zweite Anleiterin zufällig dazu und nahm mich zur Seite, um mir in Ruhe die Geräte zu erklären und mir die einfachen Übungen zu zeigen. So konnte ich jederzeit eigenständig in den Fitnessraum gehen - lediglich beim Programmieren des Laufbands benötigte ich Unterstützung. Neben diesen Trainingseinheiten bestand mein Tagesprogramm aus regelmäßigen Vorträgen zu verschiedenen Erkrankungen, intensiver und individueller Ernährungsberatung und Massagen sowie Inhalationen für mein eingeschränktes und angegriffenes Lungenvolumen.

    In den gesamten vier Wochen meines Reha-Aufenthalts hatte ich das Gefühl, ernst genommen und unterstützt zu werden. Ich war froh, die meisten Dinge eigenständig tun zu können, froh darüber, mich so gut überall zurechtgefunden zu haben und so ein normaler Teil des Reha-Betriebes sein zu können. Ich habe es im Nachhinein nicht bereut, auf eine Assistenz verzichtet zu haben, wobei ich jedem raten würde, genau für sich abzuwägen, ob man es lieber mit oder ohne Assistenz versuchen möchte. Ausflüge in den Kurort Bad Wildungen habe ich nicht unternommen, das habe ich mir trotz meiner ordentlichen Orientierung und Mobilität nicht zugetraut - allerdings waren es im Februar ohnehin erhebliche Minusgrade, sodass ein Spaziergang an der frischen Luft nicht die verlockendste Alternative war. Als mich jedoch meine Lebensgefährtin, die ebenfalls blind ist, besuchte, haben wir einen Ausflug in ein nahegelegenes thailändisches Restaurant gewagt. Meine Mutter hatte sich per google maps und google streetview den Hin- und Rückweg am heimischen saarländischen PC intensiv angeschaut und mir den Weg ausführlich erklärt.

    Die eigentlich spannende Frage, ob ich mich nach der Reha weiterhin um Ernährungsumstellung und mehr Bewegung kümmere, kann ich mittlerweile auch halbwegs positiv beantworten. Zwar werde ich wohl keine sportliche Gazelle mehr, aber immerhin habe ich seit vergangenem Dezember annähernd 15 Kilo verloren, kann mich wieder beschwerdefrei bewegen, und mein Schlaf ist dank der Beatmungsmaschine endlich erholsam. Mein ständiger Begleiter vergangener Jahre beim Aufwachen, die fiesen Kopfschmerzen, ist verschwunden. Nur den Weg in ein Fitnessstudio, den habe ich noch nicht gefunden, aber ich werde Michael Herbst mal fragen…


    Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband fordert barrierefreie Beipackzettel bis Ende 2014

    Auch blinde und sehbehinderte Menschen haben das Recht, die Packungsbeilagen von Arzneimitteln zu lesen. Seit zwei Jahren gibt es eine Internet-Plattform, mit der die Pharmaunternehmen diese Gebrauchsinformationen barrierefrei zur Verfügung stellen können. Das Problem: Sie tun es nicht.

    Kürzlich präsentierten der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und die Rote Liste Service GmbH gemeinsam das Projekt Patienten-Info-Service (www.patienteninfo-service.de). Die Internet-Plattform stellt Arzneimittelinformationen in vier Formaten zur Verfügung, beispielsweise im Großdruck oder als Hörbuch.

    Die Pharmaunternehmen können damit einer gesetzlichen Pflicht nachkommen. Sie sind seit sieben Jahren dazu verpflichtet, dass "die Packungsbeilage auf Ersuchen von Patientenorganisationen bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, in Formaten verfügbar ist, die für blinde und sehbehinderte Personen geeignet sind" (§11 AMG Abs. 3c).

    Zu den Unternehmen, die den Service nutzen, gehören Dr. Falk Pharma, Jans sen-Cilag, Novartis, Pfizer und Roche, die jeweils einen hohen Prozentsatz ihrer Gebrauchsinformationen barrierefrei eingestellt haben. Insgesamt beteiligt sich aber nur ein Bruchteil der Hersteller, nämlich gerade mal 20 von 350 in Deutschland ansässigen Unternehmen. DBSV-Präsidentin Renate Reymann fordert deshalb, dass der Gesetzgeber den Druck erhöht: "Wir drängen seit dem Jahr 2005 darauf, dass den Pharmaunternehmen im Arzneimittelgesetz eine Frist gesetzt wird - schließlich können Informationen auf Beipackzetteln lebenswichtig sein!"

    Im Rahmen der Beratungen zur letzten Novelle des Arzneimittelgesetzes hat der DBSV als Stichtag für die Umsetzung den 31. Dezember 2014 vorgeschlagen. Der Forderung nach Setzung einer Frist wurde jedoch erneut nicht entsprochen.


    Rosige Zeiten für Berufe des Gesundheitswesens

    Die beruflichen Chancen blinder und sehbehinderter Menschen in den Therapieberufen erfahren durch den Fachkräftemangel im stetig wachsenden Gesundheitsmarkt weiteren Auftrieb.

    Indizien dafür sind die nach wie vor guten bis sehr guten Vermittlungsergebnisse und ein für das Bundesland Rheinland-Pfalz aktuell erhobenes, wissenschaftlich fundiertes Branchenmonitoring, speziell für den Gesundheitsmarkt. Diese Studie belegt, dass im Fachgebiet Physiotherapie ein aktueller Fachkräftemangel vorherrscht und sich dieser ohne gegensteuernde Maßnahmen bis zum Jahr 2020 signifikant steigern wird. Etwas moderater, aber spürbar und anwachsend gilt dies auch für die Podologie. Für andere Bundesländer liegen nur Vermutungen bzw. Prognosen vor. Jedoch lässt sich ein vergleichbares Bild postulieren. Hieraus ergibt sich für das BFW Mainz eine Steigerung von Chancen, die bei uns ausgebildeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer langfristig im ersten Arbeitsmarkt zu platzieren. In der Massage gibt es einen Fachkräfteüberschuss. Dennoch vermelden die Arbeitge ber, dass es Stellenbesetzungsprobleme gibt. Dies liegt in erster Linie daran, dass beim allgemeinen Bewerberpotenzial Defizite im Bereich der Schlüssel-, aber auch der Fachkompetenzen vorliegen.

    Es gilt, die oben beschriebenen Chancen weiterhin zu nutzen und auszubauen. Dies bedarf gewisser Voraussetzungen: Blinde und sehbehinderte Menschen sind für ihre späteren Aufgaben im Beruf sehr gut ausgebildet und vorbereitet, d. h., sie sind beschäftigungsfähig. Beschäftigungsfähigkeit (auch Employability, Arbeitsmarktfähigkeit) beschreibt die Befähigung von Menschen zur dauerhaften Teilhabe am Arbeits- und Berufsleben. Beschäftigungsfähigkeit bedeutet, nicht nur in fachlicher Hinsicht gut aufgestellt zu sein; auch Schlüsselkompetenzen, wie z. B. Sozialkompetenz (Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Einfühlungsvermögen u. a.), Methodenkompetenz (Analysefähigkeit, Kreativität, Lernbereitschaft, Denken in Zusammenhängen u.a.), Selbstkompetenz (Leistungsbereitschaft, Engagement, Motivation, Zuverlässigkeit, Mobilität, Selbstständigkeit, Belastbarkeit u.a.) sowie Gesundheitskompetenz sind wichtig, um nachhaltig einen attraktiven Arbeitsplatz zu besetzen. Denn: Kein Arbeitgeber wird einen blinden oder sehbehinderten Menschen nur aufgrund seiner Behinderung einstellen. Er wird es wie bei anderen Arbeitnehmern nur wegen seiner Leistungsvoraussetzungen tun.

    Hieraus ergibt sich, dass blinde und sehbehinderte Menschen im Hinblick auf ihre Beschäftigungsfähigkeit möglichst besser aufgestellt sein müssen als ihre nicht behinderten Mitbewerber.

    Einen Arbeitsplatz zu finden ist gut, ihn zu behalten noch besser. Dafür gilt es, sich fit zu halten und sich weiter zu qualifizieren. Stichworte: Lebenslanges Lernen, Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Gerade in Berufen des Gesundheitswe sens sind Fort- und Weiterbildung unerlässlich und Garant dafür, im Beruf bestehen zu können bzw. sich für höhere Aufgaben anzubieten. Letzteres ist meist auch mit Einkommensverbesserungen verbunden.

    Die Ausbildungseinrichtungen sind in diesem Kontext nicht mehr nur für die Qualifizierung zuständig. Sie tragen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Verantwortung dafür, dass die Vermittlung von Beschäftigungsfähigkeit und die Integration in Arbeit gelingen. Dafür müssen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität stimmen und diese müssen ständig an sich verändernde Rahmenbedingungen und inhaltliche Anforderungen angepasst werden. Hervorragend ausgebildete und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, geeignete Räumlichkeiten und Ausstattungen, wirkungsvolle Konzepte und Instrumente sowie eine Lern- und Lebensatmosphäre sind unerlässlich für eine erfolgreiche Arbeit. Ebenso wichtig ist es, die Anforderungen und die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt im Blick zu behalten sowie berufspolitische Entwicklungen zu begleiten und auf gesetzliche Rahmenbedingungen zu reagieren.

    Richten wir den Blick auf den Arbeitsmarkt. Die im BFW Mainz angebotenen Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen sind in einem weiter wachsenden Gesundheitsmarkt platziert und entsprechen der demografischen Entwicklung und den Anforderungen an ein modernes Gesundheitswesen und dem steigenden Bedarf an verschiedenen Therapieberufen. Neben den lange etablierten Ausbildungen zum Masseur und medizinischen Bademeister und zum Physiotherapeuten sowie der Weiterqualifizierung vom Masseur und medizinischen Bademeister zum Physiotherapeut, ist vor allem auch die Podologie zu nennen. Die Podologie ist als jüngster, gesetzlich anerkannter und geregelter, medizini scher Fachberuf ebenfalls ein Beruf mit Zukunft. Ein Beruf, der eine hohe Akzeptanz bei Ärzten, Kliniken und Patienten besitzt und der ebenfalls beste Möglichkeiten für eine Selbstständigkeit bietet. Die Ausbildung zur Podologin/zum Podologen, die auch für sehbehinderte Menschen unter bestimmten Voraussetzungen geeignet ist, ist ein Beispiel dafür, Arbeitsmarktchancen für Sehbehinderte nutzbar zu machen.

    Ebenfalls qualifiziert das Berufsförderungswerk Mainz neben den Berufsförderungswerken Düren und Halle und dem Berufsbildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg blinde und sehbehinderte Frauen zu Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU), einer neunmonatigen Fortbildung. Einsatzgebiete sind gynäkologische Facharztpraxen und Fachabteilungen in Kliniken.

    Die berufs- und gesundheitspolitischen Diskussionen sind zurzeit neben dem Fachkräftemangel geprägt von der im Rahmen des Bologna-Prozesses auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Verpflichtung zur Akademisierung der dreijährigen Gesundheitsfachberufe. Ziel dieser sogenannten Bologna-Erklärung war, dass Studienabschlüsse im europäischen Ausland gleichwertige Anerkennung finden, um eine positive Auswirkung auf die Mobilität der BewerberInnen und auf die internationale Zusammenarbeit zu erzielen. Diese Internationalisierung betrifft den Beruf Physiotherapie besonders stark. Auch wenn die Ausbildung zum Physiotherapeuten deutschlandweit als sehr hochwertig anzusehen ist, sind deutsche PhysiotherapeutenInnen mit Berufsfachschulabschluss international selten anerkannt. Auf diese Tatsache reagierten die Bundesländer und Physiotherapieschulen nicht einheitlich.

    Es wurden unterschiedliche Formen der Akademisierung im Bereich der Physiotherapie geschaffen, um einem international kompatiblen Hochschulsystem gerecht zu werden. So besteht die Möglichkeit, Physiotherapie in Vollzeit oder berufsbegleitend zu studieren. In diesen Studiengängen werden bisher die individuellen behinderungsbedingten Bedürfnisse von Studierenden nicht berücksichtigt, was dazu führt, dass blinde und sehbehinderte PhysiotherapeutenInnen aus dem Prozess der Internationalisierung ausgegrenzt und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt werden.

    Es kann noch nicht gesagt werden, mit welchem Tempo die Akademisierungstendenzen im Bereich der Physiotherapie voranschreiten und sich gegebenenfalls in Richtung einer verbindlichen grundständigen Akademisierung entwickeln. Eine Zunahme von akademischen Weiterbildungs angeboten ist jedenfalls wahrnehmbar, mit steigender Tendenz.

    Hier hat sich das BFW Mainz entschieden, keine Abwarteposition einzunehmen, sondern den Weg der Akademisierung zusätzlich anzubieten, vor allem seinen blinden und sehbehinderten PhysiotherapeutenInnen. In Kooperation mit der Fachhochschule Nordhessen der Diploma Europäische Hochschulen wurde 2011 das Studienzentrum Mainz mit dem Studiengang Bachelor of Arts (B.A.) Medizinalfachberufe gegründet. Im Wintersemester 2011/2012 begannen 22 Studierende, im Sommersemester 2012 10 Studierende ihr Erstsemester. Dieses Studium ist für Berufstätige in der Branche der Medizinalfachberufe genauso geeignet wie für Angehende. Voraussetzung ist eine Fachhochschulzugangsberechtigung.

    Auch hier sind wir neben den schon beschriebenen Gründen für die Akademisierung wieder beim Thema Beschäftigungsfähigkeit. Belastbarkeit und Einsetzbarkeit können mit zunehmendem Alter auch bedingt durch Erkrankungen abnehmen und die Beschäftigungsfähigkeit im praktischen Bereich herabsetzen. Die Möglichkeit, weniger körperlich belastbare Aufgabenbereiche in der Physiotherapie zu übernehmen, z. B. Ausbildungstätigkeiten, ist bei entsprechender Eignung deutschlandweit gegeben. Durch die Akademisierung bekommen die Aufgabenbereiche in der Ausbildung zunehmend eine wissenschaftliche Ausrichtung, in der Behandlungstechniken nicht nur erklärt, sondern auch durch wissenschaftliche Studien unterstützt und evaluiert werden. Auch für die Besetzung von Leitungspositionen stellen große Unternehmen bevorzugt studierte Therapeuten ein.

    Zum Autor

    Hans-Dieter Herter, 49, war seit seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in verschiedenen Führungsfunktionen in Krankenhaus, Kliniken und in der beruflichen Rehabilitation tätig. Seit 2008 ist er Geschäftsführer der Berufsförderungs werk Mainz Zentrum für Physikalische Therapie gemeinnützige GmbH.


    Selbstverteidigung mit dem weißen Stock

    Lockere Atmosphäre, gespickt mit einer Portion Konzentration und einer Menge Spaß: Acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten im DVBS-Seminar die Grundlagen des Qi Gong und Möglichkeiten, sich im Notfall mit dem Blindenlangstock zu verteidigen. Vom 15. bis 17. Juni fand die Veranstaltung in Marburg statt. Ort des "Geschehens" war die Gymnastikhalle der blista.

    Ein Wechsel aus Dynamik und Entspannung - nach diesem Grundmuster richtete Seminarleiter Ingo Gebler das Wochenende aus. "Wichtig ist, immer im Wechsel zu arbeiten, das Bedürfnis, sich bewegen zu wollen, kommt von ganz allein", so Gebler. Am Freitagabend standen nach einem ersten Kennenlernen der Gruppe überwiegend Entspannungsübungen und die Vorbereitung auf erste Lektionen im Qi Gong auf dem Programm. Mit allgemeinen Übungen zum Warmwerden wurde der Workshop am nächsten Morgen fortgesetzt. Dabei kamen auch diverse Hilfsmittel zum Einsatz: Die Teilnehmer massierten sich selbst mit dem Thai-Chi-Stab oder lernten, ihren Körper durch sanftes Abklopfen mit dem weichen Qi-Gong-Stab wahrzunehmen. Erste Schritte zur Selbstverteidigung folgten: Schon mit der Körperhaltung und einem lauten "Stop" kann im Falle eines Falles ein Angreifer abgewehrt werden.

    Am Samstag wurden dann zunächst die verschiedenen Stocktypen aus dem Thai Chi gezeigt, bevor sich die Gruppe selbst mit Stöcken ausrüstete, um verschiedene Übungen zu absolvieren. Bevor die Stöcke zum Einsatz kamen, erläuterte Ingo Gebler die unterschiedlichen Varianten, einen Stock einzusetzen. "Ich muss mir die Frage stellen: Will ich mich nur verteidigen, oder muss ich mich aktiv wehren?", beschrieb Gebler die Ausgangssituation. Aus dem Thai Chi stammen die Stöcke, die Gebler den Seminarteilnehmern präsentierte: Kurzstock und Langstock. Durch vorsichtiges Herantasten machte sich die Gruppe mit den Stöcken vertraut, schätzte Umfang, Gewicht und Länge ein - Voraussetzung für die nächste anstehende Lektion, Angreifer durch geschickte Hebelbewegungen des Stocks abzuwehren. Eine Verteidigungsmöglichkeit, bei der auch ein Blindenstock zum Einsatz kommen kann. "Ihr solltet den Blindenstock nicht nur als Stock zum Gehen kennen, sondern auch als Stock, mit dem man stechen kann - habt ihr wahrscheinlich noch nicht so oft gemacht", erklärt Ingo Gebler den Teilnehmern und erntet ein Lachen. Nach dem die Übungsstöcke durch die Hände gewandert sind und auch ein paar Mal vor dem Körper geschwungen wurden, beginnt die eigentliche Übung.

    Der Reihe nach erklärt Gebler jedem einzelnen Teilnehmer, wie der (Blin den-)Stock geschickt als Hebel eingesetzt werden kann: Fasst ein Angreifer die freie Hand des Blinden, kann dieser den Stock mit der anderen Hand über das Handgelenk des Angreifers legen und sich mit einer Drehung des Stocks aus dem Griff befreien. Während Ingo Gebler den Angreifer mimt, werden die Teilnehmer mit jedem Durchgang sicherer und wenden den Hebelgriff nach einiger Übung mühelos an. In Zweierteams wird anschließend im Rollenspiel Angriff und Verteidigung nachgestellt. Bisweilen geben sich vor allem die Herren der Schöpfung ein wenig übermütig: "Sven, komm her, du bist jetzt verloren!", fordert Klaus, der Älteste in der Runde, den jüngeren Sven heraus.

    Von fließenden Bewegungen und lockerer Stimmung war am ersten Seminartag deutlich weniger zu erkennen, wie Geblers Ehefrau Barbara, die während des Seminars assistierte, erklärt: "Es hat sich eine richtige Dynamik entwickelt: Gestern waren die Teilnehmer noch teilweise sehr steif, aber heute ging ein Ruck durch die Gruppe. Besonders auffällig ist das bei den etwas zurückhaltenden jungen Frauen zu sehen, die heute aufrecht dastehen und große Selbstsicherheit ausstrahlen."

    Zu erfahren, dass der Blindenstock im Falle eines Falles auch zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann, war für die Teilnehmer durchweg eine neue Erkenntnis. "Zum Glück habe ich mich noch nie verteidigen müssen, aber es kann ja immer mal zu einer solchen Situation kommen", sagt Teilnehmerin Melanie. Zur Teilnahme am Seminar habe sie sich entschlossen, "weil mich beide Themen sehr interessiert haben: langsame Bewegungen abwechselnd mit schnellen Bewegungen zur Verteidigung." Auch Klaus hat die Mischung von Entspannung und Bewegung motiviert, sich anzumelden: "Ich hatte schon von Qi Gong gehört und jetzt die Gelegenheit ergriffen, es selbst einmal auszuprobie ren. Zum einen möchte ich Entspannungstechniken lernen, zum anderen Methoden kennenlernen, die auch zur Verteidigung eingesetzt werden können."

    Zu wahren Action-Szenen kam es im Verlauf des Seminarwochenendes, als Dummypuppe "Mr. Wong" die Schläge der Teilnehmer einstecken musste.

    In seiner Trainingsmethode greift Ingo Gebler - selbst blind - auf eine Vielzahl von anschaulichen Wortbildern zurück, um die einzelnen Übungen zu vermit teln. "Gerade beim Tai Chi lernen die Kursteilnehmer durch Abgucken, mit blinden Schülern muss man neue Wege finden", so Ingo Gebler über sein Trainingskonzept. Mit den ausgestreckten Armen Wolken zerteilen oder die Hände wie eine Suppenschüssel halten - Umschreibungen, die sehende, sehbehinderte und blinde Menschen gleichermaßen verstehen können. Gebler gibt auch Kurse für sehende Tai Chi- und Qi Gong-Lehrer. So haben auch blinde und sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, an "normalen" Kursangeboten in Kampfkunstschulen oder auch an den Volkshochschulen teilzunehmen.

    Keiner der acht Teilnehmer hat sich übrigens bisher gegen Angreifer wehren müssen oder ist Opfer eines Übergriffs geworden - umso wichtiger sind die neu gewonnenen Erfahrungen, die mehr Selbstvertrauen und Sicherheit im Alltag bieten können.

    Was ist Qi Gong?

    Qi Gong stellt den aktiven Teil chinesischer Heilkunst dar, den Weg des Übens, des eigenen Bemühens um Gesunderhaltung und Heilung. Das Wort Qi kann mit dem Begriff Lebenskraft umschrieben werden, "Gong" bedeutet "beharrliches Üben". Die ausgewählten Übungen des Qi Gong Yang Sheng beinhalten sanfte, fließende Bewegungen, die erfahrungsgemäß zu guter Entspannung, gesteigerter Mobilität und Lockerung der Gelenke und Muskulatur führen beziehungsweise ganz allgemein durch Vorstellungskraft und Bewegung das geistige und körperliche Wohlbefinden fördern.


    "Ich bin bereit!": Meine persönlichen Erfahrungen mit medizinischen Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte

    Eine freundliche, wenn auch etwas blecherne Frauenstimme verkündet: "Hallo, guten Tag! Ich bin bereit!" Wenn ich ein Mann wäre, würde mich dieser Umstand in Entzücken versetzen. Doch momentan spiegelt diese Frauenstimme meinen Gefühlszustand wider, denn ich bin bereit, auf die sprechende Waage zu steigen und mein Gewicht ermitteln zu lassen. Ich steige auf die Waage, die mir mit teilt: "65,2 Kilogramm." Normalerweise sollte ich mich mit diesem Ergebnis zufrieden geben, doch spaßeshalber klettere ich erneut auf die Waage und höre erstaunt: "65,9 Kilogramm." Da ich zwischen den beiden Wiegeeinheiten keine Tafel Schokolade verschlungen habe, bin ich doch ein wenig verblüfft. Jetzt muss ich es aber wirklich wissen und aller guten Dinge sind doch sowieso immer drei, also wiederhole ich das Ganze. Doch das lässt wiederum die Waage nicht mit sich machen. Mit einem freundlichen "Auf Wiedersehen!" verabschiedet sie mich, ohne mir mein Gewicht zu nennen. Doch ich gebe nicht auf und erfahre nun, dass ich diesmal 65,7 Kilogramm "leicht" bin. Ich beschließe, großzügig abzurunden und 65 Kilogramm zu wiegen.

    Diese heitere Begebenheit sollte jedoch nicht vergessen lassen, dass sprechende medizinische Geräte für blinde und sehbehinderte Menschen überlebenswichtig sein können. Sprechende Fieberthermometer, Blutdruckmesser sowie Blutzuckermessgeräte sind unverzichtbare Hilfsmittel.

    Neben speziellen Hilfsmitteln gibt es allerlei Kniffe, die ich auf einem blista-Seminar zum Thema "Hausapotheke" kennengelernt habe. So gibt es beispielsweise spezielle Pflaster für Körperteile, die häufig verletzt werden, wie etwa Knie- und Fingerpflaster. Man muss die Pflaster daher nicht zurechtschneiden, weil sie schon die richtige Form und Größe haben.

    In der Apotheke oder im Blindenhilfsmittelversand sind Tablettentrenner, mit deren Hilfe kleine Tabletten leichter halbiert werden können, sowie Tablettenboxen, in die man seine tägliche Pillenration einsortieren kann, erhältlich. Für Sehbehinderte mit gesundheits- oder schusseligkeitsbedingten Gedächtnisschwierigkeiten gibt es Pillenboxen mit Erinnerungsfunktion.

    Der Aufdruck in Blindenschrift auf den Medikamentenverpackungen, für den die Blindenorganisationen in ganz Europa lange kämpfen mussten, ist eine sehr große Hilfe.

    Bedauerlicherweise unterliegt auch die Herstellung von Blindenhilfsmitteln den Gesetzen des Marktes. Ein, wie ich finde, sehr sinn volles Hilfsmittel, der Tropfenzähler, welcher mit Klicklauten anzeigte, wie viel Medikamentenflüssigkeit herausgetropft ist, wird leider nicht mehr hergestellt. Man kann sich aber damit behelfen, die Tropfen in einen leeren Joghurtbecher gleiten zu lassen, so dass man hören kann, wenn ein Tropfen auf den Becherboden aufprallt.

    Als mein Lebensgefährte von seinem Arzt ein sprechendes Blutdruckmessgerät verordnet bekam, wurde mir erst bewusst, wie viele Bezugsquellen es für sprechende medizinische Hilfsmittel gibt. Neben speziellen Hilfsmittelanbietern für Blinde und Sehbehinderte vertreiben auch Onlineshops sowie Versandhäuser für medizinischen Bedarf sprechende Blutdruckmesser. Auch in Apotheken können diese Geräte bestellt werden. Deren Funktionen ähneln sich. Sie sagen alle den systolischen und den diastolischen Wert sowie den Puls an. Einige sind in der Lage, Werte zu speichern. Für Sehbehinderte gibt es Blutdruckmesser mit extragroßem Bildschirm. Manche messen den Blutdruck am Handgelenk, andere am Oberarm, wobei Ärzte eher dazu raten, den Blutdruck am Oberarm zu messen. Die Preisspanne ist sehr hoch, so dass es sich lohnt, sich bei mehreren Anbietern gründlich umzuschauen und die einzelnen Modelle sorgfältig miteinander zu vergleichen.


    Der biometrische Striptease

    Die Werbung schafft unsere Schönheitsideale. Die taktil erfassbare Variante der Traumfrau findet sich im Kinderzimmer eines Grundschulmädchens. "Barbie", das sind zwei Brüste mit einem halbverhungerten Menschen dran, der zu zwei Dritteln aus Beinen zu bestehen scheint. Klopftest - der Kopf ist doch hohl, oder? Was tut man nicht alles, um das Gewicht zu senken. Tangiert mich nicht, ich bin keine Frau. Aber da ist Ken, Barbies Partner. Jetzt wird's ernst. Breite Schultern, schmale Hüften, volles Haar, Muskeln allüberall, Waschbrettbauch. So ganz anders als ich.

    Die Werbung verrät uns auch, wie wir schön werden. Doch die Botschaften und meine Ernährungsgewohnheiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Außerdem, wer wird sich denn kirre machen lassen. Man muss sich befreien vom Diktat des mainstream. Das ist anstrengend... Schweißtreibend... Wo bin ich...? Ach ja, Fitnessstudio...

    Das kann doch nicht sein! Halb tot steige ich von der Foltermaschine, und das Display behauptet allen Ernstes, ich hätte gerade mal 270 Kalorien verbrannt. Ein Weißbier hat 400. Die armen Sportkameraden, die hier schwitzend abnehmen möchten. So wird das doch nichts. Wird es doch, meint der Trainer, denn sie steigern auf Dauer ihren Stoffwechsel und formen zudem leichtes Fett in schwere Muskeln um. Dann sehen sie auf jeden Fall besser aus.

    Es interessiert mich eigentlich nicht, ich bin schließlich wegen der Fitness hier, aber ich lerne trotzdem, dass sich mein Kalorienbedarf nach der Benedict-Harris-Formel Täglicher Kaloriengrundbedarf = 66,47 + (13,7 × Körpergewicht [kg]) + (5 × Körpergröße [cm]) - (6,8 × Alter) berechnen lässt. Wohl gemerkt, der Grundbedarf. Wenn man nicht nur im Bett liegt, darf man diese Zahl schon einmal mit 1,2 multiplizieren, wenn man sich ab und zu bewegt, mit 1,375, bei regelmäßigem Sport (dreimal die Woche) mit 1,55 usw.

    Wie war das doch gleich mit dem Idealgewicht? Erinnern Sie sich noch an den Broca-Index (Idealgewicht = Körpergröße [cm] - 100 minus 10 Prozent bei Männern oder 15 Prozent bei Frauen), der 1 m hohe Menschen im Idealfall leichter als Luft haben will? Oder kennen Sie den Bodymass Index Gewicht [kg] / Körpergröße [m] zum Quadrat), der niemals unter 18 und über 25 liegen sollte? Das ist die pure Diskriminierung auf Grund der Körpergröße: Während meine 1,72 m hohe Gattin sich 74 kg leisten kann, dürfen meine 189 cm nicht mehr als 89 kg wiegen. Ideal wären in meinem Alter knapp 79 kg, sagt mir die Zauberwaage im Sportstudio. Ein Gewicht, bei dem mir die Leute auf der Straße Brot zuwerfen würden, damit ich nicht verhungere, sagt der Trainer.

    Offenbar haben nicht nur Menschen, sondern auch Formeln Schönheitsfehler. Nun sind Mathematiker nichts weiter als Maschinen, die Kaffee in Theoreme verwandeln, wie Paul Erdös, einer von ihnen, sagte. Jene Formelakrobaten, die sich im Dienste der Medizin mit Körpermaßen und -relationen beschäftigen, nennt man Biometriker. Ob der Ponderal-Index, der die Körpergröße hoch drei nimmt, nicht fairer als der Bodymass Index ist, frage ich einen. Der verteidigt sich: Für die meisten Menschen hört die Bereitschaft zur mathematischen Betätigung vor der dritten Potenz auf.

    Besagte Zauberwaage fragt mich nach Alter und Größe und reißt mir dann metaphorisch gesprochen die Kleider vom Leib. Aus der elektrischen Impedanz meiner Beine schließt sie auf meinen Körperfettanteil. Sollte sie nicht weiter oben suchen? Scheinbar geht es hier nicht mehr um Formeln. Die Waage misst und schaut den Wert in einer statistischen Tabelle nach. So muss es wohl sein. Mit einem Kasten Bier in den Händen betrete ich sie erneut und - siehe da - mein Körperfettanteil steigt, noch bevor ich mich um den Inhalt der Flaschen kümmern kann. Quod erat demonstrandum.

    Jetzt fängt die Waage wieder an zu rechnen: Meine fettfreie Masse ist schnell ermittelt: Gewicht x (100 - Gewicht des Körperfettes) /100. Auf diese Formel wäre wahrscheinlich sogar ich gekommen. Auf die für den "Fett freie-Masse-Index" - sie sei Ihnen hier erspart - sicher nicht. Schließlich schaut die Waage wie der in eine statistische Tabelle und streichelt meine Seele: Mein "metabolisches Alter", meine körperliche Konstitution bis hierher und der daraus abzuleitende Stoffwechsel also, liegt weit unter meinem tatsächlichen Alter. Gaaanz zufällig lasse ich den Zettel, den mir die Zauberwaage schenkt, später auf dem Küchentisch liegen, dort wo meine Frau gewöhnlich sitzt.

    Auch mit dem Maßband treiben Biometriker Bemerkenswertes: Sie teilen z.B. die Körpergröße durch den Bauchumfang und erklären einen für "undick", wenn der Wert unter 0,5 liegt. Ein gewisser Herr Bernhardt, Neuropathologe seines Zeichens, ermittelte das Normalgewicht, indem er die Körpergröße mit dem mittleren Brustumfang (beides in cm) multiplizierte und das Ergebnis durch 240 teilte. Ach Barbie, Du hast es gut...


    Neue Studie des Deutschen Studentenwerks: Studieren mit nicht-sichtbarer Beeinträchtigung ist Tabu-Thema an deutschen Hochschulen

    Wie aus einer Anfang Juni in Berlin vorgestellten Untersuchung des Deutschen Studentenwerks (DSW) hervorgeht, ist bei 94 Prozent der Studierenden mit Behinderung und chronischer Krankheit ihre gesundheitliche Beeinträchtigung nicht auf Anhieb erkennbar. Die Mehrzahl der beeinträchtigten Studierenden bleibt unerkannt, wenn sie es will. Das gilt vor allen Dingen für die Studieren den mit psychischen und chronisch-somatischen Erkrankungen sowie jene mit Legasthenie oder anderen Teilleistungsstörungen.

    Wie die DSW-Studie "beeinträchtigt studieren" zeigt, verzichten Studierende mit nicht-sichtbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen oft auf erforderliche Nachteilsausgleiche im Studium oder bei Prüfungen, obwohl sie ihnen rechtlich zustünden. Viele glauben, nicht anspruchsberechtigt zu sein, wollen nicht, dass ihre Behinderung oder chronische Krankheit bekannt wird, oder lehnen eine "Sonderbehandlung" ab. Aus den selben Gründen verzichten viele von ihnen auch auf Beratung.

    "Studierende, denen man ihre Beeinträchtigungen nicht ansieht, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen", kommentiert DSW-Präsident Prof. Dr. Dieter Timmermann. "Mit einer nicht-sichtbaren Behinderung oder chronischen Krankheit zu studieren, scheint ein Tabu zu sein an deutschen Hochschulen." Timmermann fordert einen Ausbau der Beratungsstellen von Hochschulen und Studentenwerken, eine Flexibilisierung der Studien- und Prüfungsordnungen sowie eine stärkere Sensibilisierung aller Beschäftigten an Hochschulen und Studentenwerken. "Es geht darum, allen Studierenden mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerecht zu werden. Studierende mit nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen müssen besser erreicht und individuell unterstützt werden. Sie müssen ermutigt werden, Beratungsangebote und rechtliche Kompensationsmöglichkeiten besser zu nutzen", so Timmermann.

    Mehr als 15.000 behinderte und chronisch kranke Studierende von 160 Hochschulen in Deutschland beteiligten sich im Sommer 2011 an der Online-Befragung "beeinträchtigt studieren" des Deutschen Studentenwerks. Sie wurde wissenschaftlich durchgeführt vom Institut für Höhere Studien Wien und finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Es ist die erste bundesweite Befragung von Studierenden mit Behinderung und chronischen Krankheiten, die acht Prozent der Studierenden ausmachen.

    Die Studie zum Download (628 Seiten, 6,5 MB):www.studentenwerke.de/pdf/Beeintraechtigt_ Studieren_Datenerhebung_01062012.pdf

    Barrierefreie Fassung der Studie: www.best-umfrage.de


    Zeitenwende - Vom Leben nach der blista: Finanzbeamte, einmal anders beleuchtet

    Wahnsinn, wie schnell doch die Zeit vergeht. Nun bin ich schon seit Anfang August 2011 in der Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt (FH). Diese Ausbildung wird in Form eines dualen Studiums durchgeführt und bundesweit von den Finanzverwaltungen der jeweiligen Bundesländer angeboten. Dabei ist die dreijährige Ausbildung abwechselnd in einen Praxisteil an einem örtlichen Finanzamt und eine Hochschulphase aufgeteilt. Als Nordhesse bewarb ich mich heimatnah innerhalb der hessischen Finanzverwaltung beim Finanzamt in Eschwege. Die Hochschulphase findet für alle hessischen Finanzämter im beschaulichen Rotenburg an der Fulda statt. Dort an der "Hessischen Hochschule für Finanzen und Rechtspflege" werden den Auszubildenden alle buchhalterischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Inhalte über das umfangreiche, komplexe, aber dadurch auch ziemlich interessante und abwechslungsreiche Steuersystem der Bundesrepublik von Grund auf vermittelt. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt wird man dann in den Finanzämtern beispielsweise als Betriebsprüfer oder als Sachbearbeiter in verschiedenen steuerlichen Bereichen eingesetzt. Ein recht attraktiver Aspekt dieser Ausbildung ist auch, dass man von Beginn an in einem Beamtenverhältnis steht, zunächst auf Widerruf, dann auf Probe und, wenn alles glatt läuft, letztlich auf Lebenszeit.

    Die Ausbildung beginnt immer Anfang August. Die Bewerbung sollte optimalerweise ein Jahr früher erfolgen. Nach einer kurzen Einführungsphase im Finanzamt geht es dann direkt in die erste theoretische Hochschulphase, die im Dezember mit einer Zwischenprüfung endet. Es gab also für mich keinen großen Bruch: Dem Lernen für das Abitur folgte fast nahtlos das Pauken an der Hochschule für die Zwischenprüfung. Das war aber kein Problem für mich, da ich zu diesem Zeitpunkt in Folge der Abiturnachwirkung noch recht fit war, was Arbeitsorganisation und Umsetzung persönlicher Lernstrategien anging. In Rotenburg wurde jedenfalls gleich voll in die Thematik eingestiegen. Zu den Inhalten der Ausbildung gehören Fächer wie Einkommensteuer und Abgabenordnung, aber auch juristische Themen wie Bürgerliches Recht oder Öffentliches Recht.

    Die Fachhochschule in Rotenburg an der Fulda ist ein kompaktes Gebäude, in dem neben den Lehrsälen, der Mensa oder der Bibliothek auch die Wohnräume von uns, den Anwärtern, untergebracht sind. Jeder Anwärter hat in dem 13-stöckigen Gebäude ein gut ausgestattetes Einzelzimmer mit Bett, Schreibtisch, eigenem Bad und Kleider schrank. Die Einteilung der Zimmer ist in unserem Fall so erfolgt, dass die Anwärter des selben Finanzamts nebeneinander wohnen, was gerade in der Anfangsphase, in der man Kontakte zu anderen Studenten aufzubauen versucht, von Vorteil ist.

    25 bis 28 Anwärter bilden eine Studiengruppe. Die Lehrsäle sind sehr gut ausgestattet. Die Dozenten kommen hauptsächlich aus der Praxis und hatten teilweise bereits leitende Funktionen in der Finanzverwaltung inne. Der Unterricht findet von Montag bis Freitag von 7:50 Uhr bis 13:10 Uhr statt, also ähnlich wie in der Schule. Allerdings bleibt es nicht aus, nachmittags den Unterricht nachzuarbeiten und auch selbststän dig in diverse Lehrbücher oder Gesetzestexte zu schauen, denn während der Unterrichtszeit wird so gut wie nichts wiederholt. Trotzdem bleibt am Nachmittag noch genug Zeit, um beispielsweise sportlichen Aktivitäten nachzugehen. Dafür gibt es mit der an das Gebäude angegliederten Sporthalle, dem Bolzplatz im Außenbereich, der Kegelbahn oder der hochschuleigenen Schwimmhalle genügend Möglichkeiten. Auch für Fußballfans ist in der Cafeteria gesorgt, dort werden bedeutende Spiele auf Großbildleinwand übertragen. Da in dem Hochschulkomplex um die 550 Studenten Platz finden, herrscht bei solchen Übertragungen durchaus Public-Viewing-Atmosphäre. Aber natürlich darf bei so vielen Freizeitmöglichkeiten das Lernen definitiv nicht zu kurz kommen. Denn der Zeitraum von August bis Ende Dezember ist nicht sehr lang, und der Stoff ist doch recht komprimiert. Das Bestehen der Zwischenprüfung ist Voraussetzung dafür, weiter an der Ausbildung teilnehmen zu können. Sie darf einmal wiederholt werden. Davor gibt es im Herbst Übungsklausuren, die die Prüfungssituation simulieren sollen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Lernintensität dem Abituraufwand gleicht, teilweise sogar übertrifft. Man darf sich davon allerdings nicht abschrecken lassen. Es ist auf jeden Fall zu schaffen.

    Auf meine Sehbehinderung wird sowohl im Finanzamt als auch an der Hochschule viel Rücksicht genommen. Dozenten und Kollegen verhalten sich sehr kooperativ. Ein großer Vorteil ist dabei das Intranet der Hochschule, auf dessen Plattform Lehrmaterialien eingestellt werden, sodass das für Sehbehinderte mühsame Abschreiben oder Kopieren von Skripten teilweise entfällt. Mir kommt zudem die über schaubare Größe der Lehrsäle zugute, da Tafel und Leinwand nicht allzu weit entfernt sind. Außerdem ist ein fester Sitzplatz garantiert - netterweise für mich in der ersten Reihe. Als zusätzliche Erleichterung benutze ich einen Camcorder und einen TFT-Monitor, um mir beispielsweise aufgelegte Overheadfolien heranzoomen zu können. Man darf sich keinesfalls für seine Sehschwäche genieren und sollte offen mit ihr umgehen und die nötigen Hilfsmittel einsetzen, ansonsten kann man dem hohen Unterrichtstempo gleich von Anfang an nicht folgen.

    Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass in Rotenburg eine entspannte Lernatmosphäre herrscht und der Unterricht sehr strukturiert abläuft. Gerade für Personen mit Sehschwierigkeiten wie mich ist ein solches Umfeld ideal.

    Derzeit bin ich in der Praxisphase im Finanzamt Eschwege eingesetzt, wo ich mit einer Vergrößerungssoftware arbeite. Bestimmt werde ich bei der Bearbeitung von Steuerfällen nicht die Geschwindigkeit an den Tag legen können wie meine Kollegen, doch darauf wird entsprechend Rücksicht genommen.

    Apropos Sehbehinderung: Ich sehe um die 16 Prozent. Auf kurze Distanz sehe ich noch recht gut, d.h. ich kann z.B. Gesetzestexte in Schriftgröße 9-10 noch ohne Hilfsmittel lesen. Darunter wird es anstre gend. Im Lehrsaal sitze ich fünf bis sechs Meter von der Tafel entfernt. Schreibt der Dozent ausreichend groß, kann ich es noch von der Tafel ablesen. Bei Overheadprojektionen geht es nicht mehr, da benötige ich eine Kamera. Bei Klausuren bekomme ich eine Zeitverlängerung. Im Finanzamt komme ich bis jetzt nur mit einer Vergrößerungssoftware aus. Da man aber auch noch handschriftliche Akten zu bearbeiten hat, ist bei einer stärkeren Sehbehinderung sicher ein Bildschirmlesegerät sinnvoll. Das Arbeitstempo wäre dann vermutlich verlangsamt. Aber ich denke, dass sich auch Abiturienten mit einer stärkeren Sehbehinderung bewerben können, spätestens beim Einstellungstest werden die zuständigen Personen entscheiden, ob ein angemessenes Arbeiten möglich ist.

    Ich kann diese Ausbildung jedem empfehlen, der bereit ist, sich in ein formales Themengebiet - das deutsche Steuerrecht - einzuarbeiten. Interessant ist dieser Beruf auch deshalb, weil sich die Rechtslage jederzeit ändern kann und Veränderungen ja dem Alltagstrott bekanntlich entgegenwirken und geistig rege halten.

    Mehr Infos zu Ausbil dung auch im mittleren Dienst gibt es hier: www.hmdf.hessen.de/www.studienzentrum-rotenburg.hessen.de


    "Wir leben mit viel Hörschrott"

    Der blinde Klangforscher Wolfgang Fasser im Interview

    Mit "Im Garten der Klänge" ist in dissem Sommer in vielen Kinos ein Dokumentarfilm über den blinden Klangforscher Wolfgang Fasser zu sehen. Im Zentrum des Dokumentarfilms von Nicola Bellucci steht Wolfgang Fasser, der in der Toskana schwerstbehinderte Kinder mit Klängen, Stimmen und Aufnahmen therapiert. An den Solothurner Filmtagen wurde der Film mit dem Prix de Soleure ausgezeichnet. Der Verleih bietet auch eine Version mit Audiodeskription an. In Marburg zeigte der DVBS den Film in Kooperation mit dem Cineplex am 16. August

    Das Interview führte Katrin Hafner, Redaktionsleiterin "Zürcher Schulblatt".

    Katrin Hafner: Als blinder Mensch und Klangforscher sind Sie Experte des Akustischen. Wie tönt unsere Welt heute?

    Wolfgang Fasser: Unglaublich vielfältig. Zum einen besteht sie aus unzähligen akustischen Nischen, lokalen Soundkulturen. Gleichzeitig gibt es heute so etwas wie den globalisierten Sound. Bahnhöfe tönen überall ähnlich. Denken Sie nur an die Stimme, die in der Schweiz Züge ankündet. Das ist uniform geworden. Bis vor Kurzem war es am einen Tag noch der Herr Meier und am nächsten die Frau Müller. Stimmgesichter. Jetzt ist es einfach die Bahnhofsstimme. Es findet eine akustische Homogenisierung statt.

    Hafner: Welches konkrete Geräusch dominiert unseren Alltag? Das klingelnde Handy?

    Fasser: Überhaupt all das Gepiepse der technischen Geräte im öffentlichen Raum. Das ist sehr typisch für unsere Zeit. Das dominanteste Geräusch aber ist ein relativ unspezifisches: das Hintergrundgeräusch. Ein permanentes Rauschen. Das ist der Pegel unserer Zivilisation. Ein akustischer Smog, der sehr verbreitet ist, bis weit auf das Land und über alle Kontinente hinweg. Wenn man das Mikrofon gegen den Himmel richtet, merkt man, welche Autobahn da oben ist. Es sind nicht nur die Fahrzeuge am Boden, es sind auch die dauernd hoch über uns zirkulierenden Flieger.

    Hafner: Laut Bundesamt für Umwelt ist in der Schweiz jeder sechste Mensch schädlichem Lärm ausgesetzt. Was macht der Lärm mit uns?

    Fasser: Nehmen wir die Vögel: Sie singen in Städten in höheren Tonlagen als auf dem Land, damit sie durch den Geräuschpegel kom men. Und wir Menschen reden lauter. Im Zug fällt das auf, aber auch auf der Straße. Lehrer sind häufiger heiser, weil sie die Stimme strapazieren. Und die Hörprobleme nehmen zu.

    Hafner: Man sagt, Lärm mache krank.

    Fasser: So würde ich das nicht sagen. Es gibt aber Studien, die eindeutig zeigen, dass Lärm die Gesundheit belasten kann und beispielsweise mitverantwortlich ist für Herzinfarkte. Bestimmt schlägt Lärm auf das Gemüt. Wir brauchen die Stille. Sind wir dauernd lauten Geräuschen ausgesetzt, die wir mit der Zeit nicht mal mehr als störend wahrnehmen, beginnen wir darunter zu leiden. Lärm macht verletzlich.

    Hafner: Nun können wir aber nicht alle aufs Land ziehen.

    Fasser: Nein. Doch es gibt lobenswerte Initiativen: Flüsterbeläge, die Straßenlärm schlucken, Trams, die leiser fahren.

    Hafner: Was kann der Einzelne tun, um besser mit dem Lärm zu leben?

    Fasser: Sich bewusster mit der akustischen Welt auseinandersetzen. Mal innehalten und sich auf ein Geräusch konzentrieren, auf eine Stimme. Stimme ist Mimik, ist ein Gesicht, ein Spiegel der Seele. Wir reden schon lange über die optische Aufwertung von Quartieren, kümmern uns um die Begrünung von Städten, setzen auf Design. Klangdesign aber ist kein Thema. Im Gegenteil: Unser Alltag spielt sich stark optisch ab, wir brauchen das Gehör weniger, ja, wir deinvestieren in dieses Sinnesorgan, schalten den Kanal innerlich ab. Selbst die Kommunikation ist visuell geworden, wir mailen, schicken SMS. Wenn wir unterwegs sind, schauen wir auf das Display des Handys. Wir könnten unsere Wahrnehmungskultur bewusst wieder vom Optischen hin zum Akustischen verschieben.

    Hafner: Was ist schlecht an der optischen Wahrnehmungskultur?

    Fasser: Die akustische Welt beeinflusst uns, ob wir wollen oder nicht. Töne haben eine Wirkung auf unser Innenleben, das ist bekannt aus der Musikforschung. Durch das Ausrichten aufs Optische und den gleichzeitig steigenden Lärmpegel gewöhnen wir uns ans Weghören. Das finde ich das Dramatischste: Dass wir uns aneignen, taub zu werden.

    Hafner: Wieso konzentrieren wir uns mehr auf das Sehen als auf das Hören?

    Fasser: Wir glauben ans Visuelle. Das Bild gilt als Garant für die Realität. Die technische Entwicklung setzt auch aufs Bild - zum Beispiel in der Medizin. Schauen geht eben schnell. Hören ist ein langsamer Prozess. Es ist selbst physiologisch betrachtet ein Vorgang, der mehr nach innen geht. Man muss sich Zeit nehmen. Heute, da alles immer schneller gehen muss, bleibt kaum Raum für die Pflege der auditiven Kultur.

    Hafner: Sie glauben, uns entgeht etwas, wenn wir Dinge überhören?

    Fasser: Ja, ein Teil an Beziehung. Bild und Ton sind verschiedene Welten. Das meine ich wertfrei. Es sind Stereo-Wahrnehmungsorgane. Wenn wir üben, beide zu öffnen, entdecken wir mehr vom Leben. Das Lauschen ist heilsam - bei behinderten Menschen genauso wie bei gestressten oder deprimierten Leuten.

    Hafner: Als Musiktherapeut behandeln Sie auch schwerstbehinderte Kinder. Inwiefern helfen Klänge?

    Fasser: Akustische Hörereignisse fördern auditive Grundfähigkeiten, und das ist zentral für die psychosoziale Entwicklung. Konkret muss man herausfinden, auf welchen Ton oder welche Musik ein Kind reagiert. Das kann die Wiedergabe eines Vogelrufs sein oder ein archaisches Instrument wie Gong, Trommel oder Regenrohr. Oft lasse ich die Kinder Töne fühlen. Sie liegen auf dem Gehäuse eines Saiteninstruments und spüren physisch die Schwingungen. Einige wer den dann ruhig, andere beginnen aktiv zu werden, den Blick zu richten, Töne zu imitieren. Das ist der Anfang.

    Hafner: Mit 22 erblindeten Sie infolge einer Erbkrankheit. Was entgeht Ihnen ohne Augenlicht?

    Fasser: Ich empfinde mich nicht als blind. Denn ich höre. Ich schaffe mir Hörbilder: Mit dem Mikrofon gehe ich in die Natur, höre zu, wie ein Bächlein tröpfelt, plätschert, sprenkelt, belausche die Vögel und den Wind. Das ergibt fantastische Klangpostkarten, die ich immer wie der anschaue.

    Hafner: Ist die unsichtbare Welt die schönere als die visuelle?

    Fasser: Nein, die bei den sind komplementär.

    Hafner: Sie leben teils in der Toskana, teils in Zürich. Was hat sich hier in den letzten Jahren verändert?

    Fasser: Es hat noch mehr Autos, der Lärmpegel ist dichter, homogener geworden und bis tiefer in die Nacht wahrnehmbar. Mir fallen die vielen Baustellen auf. Das ist verrückt: Alles verändert sich, doch die Baustellen tönen noch wie vor zwanzig Jahren. Wir leben mit viel Hörschrott. Es gibt nicht viele Hörenswürdigkeiten.

    Wolfgang Fasser (55) wuchs in Glarus und Zürich auf. Er arbeitet als Musiktherapeut in der Toskana mit schwerstbehinderten Kindern und als Dozent und Supervisor in der Schweiz.


    Die Angst vor dem Erblinden oder: Herr Tur-Tur, der Scheinriese

    Vielleicht kennen Sie die Geschichte von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer? Auf ihrer langen Reise mit Emma, der Lokomotive, kamen sie einmal in eine Wüste. Sie sahen in der Ferne einen unglaublich großen Riesen und waren sehr erschrocken. Aber sie nahmen ihren ganzen Mut zusammen und fuhren mit Emma auf den Riesen zu. Und je näher sie ihm kamen, desto kleiner wurde er. Als sie ihn erreichten, war er nicht größer als sie selber. Es war Herr Tur-Tur, der Scheinriese, der sich sehr freute, dass jemand die Angst überwunden hatte und ihn besuchen kam.

    So ähnlich verhält es sich mit der Angst, z. B. der Angst vorm Erblinden. Seit etwa vier Jahren erlebte ich eine dramatische Sehverschlechterung von 60 Prozent auf ca. 2 Prozent. Ich kann nichts mehr lesen, Gesichter von Menschen nicht mehr erkennen, weiß nicht, was in Schaufenstern liegt und welche U-Bahn als nächstes kommt. In diesen Jahren habe ich viele Phasen der Realitätsbewältigung durchlaufen. In den Phasen der Verzweiflung ist das Erblinden wie der sehr beängstigende Riese. Immer wieder, wenn ich lerne, mit einem neuen Sehverlust in Frieden zu kommen, wird der Riese kleiner. Es ist eine Gratwanderung, einerseits zu versuchen, den Krankheitsver lauf aufzuhalten, andererseits den Ist-Zustand anzunehmen. Es ist am Anfang sehr schwer, nicht immer auf das zu schauen, was ich nicht mehr kann, sondern auf das, was mir noch möglich ist. Und ich stelle fest, dass mir jetzt, wo mein Sehen einen Zustand erreicht hat, der mir vor einem Jahr als Horrortrip erschienen wäre, die Welt so schön erscheint wie nie zuvor. Jeder Baum, der sich gegen den Winterhimmel abzeichnet, ist ein einmaliges Kunstwerk.

    Aber wie kann ich mit all den schwierigen Gefühlen zurechtkommen, die einen bedrohlichen Krankheitsverlauf begleiten? Auf diesem Weg gibt es weder Abkürzungen noch Umwege, das heißt, dass ich meine Gefühle von Trauer, Verzweiflung, Angst, Wut oder Depression annehmen muss. Aber ich muss nicht in diesen Gefühlen baden, muss mich nicht von ihnen vollkommen überfluten lassen.

    Wenn ich sehr traurig bin, stelle ich mir vor, mein Schmerz ist ein Baby, das ich in den Armen wiege, ihm meine ganze Liebe und Aufmerksamkeit zuwende. Beruhigt sich das Gefühl mit der Zeit, versiegen die Tränen und ich spüre wieder meinen Atem. Ich bemerke, dass es mir jetzt in diesem Moment gar nicht so schlecht geht.

    Der vietnamesische Meditationslehrer Thich Nhat Hanh sagt: "Deine Verabredung mit dem Leben ist in diesem Augen blick." Das hört sich banal an, ist aber bei genauem Hinspüren eine wunderbare Sache: Ich sitze hier am PC mit meiner Vergrößerungs- und Sprachsoftware, ich kann meinen Atem spüren. Ich habe keine Schmerzen, ich bin satt, trinke in Ruhe einen Tee, bin ganz präsent in diesem Augenblick. Wenn ich mir Sorgen mache über die Zukunft, bin ich nur in Gedanken, aber nicht in Verbindung mit dem Leben. Leid entsteht immer dann, wenn ich die Tatsachen anders haben möchte, als sie sind. Alles, was ich früher konnte und jetzt nicht mehr kann, ist wie ein kleiner Tod im Leben. Das gilt natürlich nicht nur für Sehverlust, sondern auch für jede andere Krankheit, die mit körperlichen oder seelischen Einschränkungen einhergeht. Diese Tode bewusst zu erleben und doch weiterzugehen und immer wie der Freude zu spüren, ist eine große Herausforderung, aber sie wird mit großem persönlichem Wachstum belohnt.

    "Ehre deinen Weg in die Dunkelheit, ehre das Sterben. Das neue Leben hält Versprechen bereit, die dem alten unvorstellbar waren."

    Aus meiner persönlichen und sehr aktuellen Erfahrung sind verschiedene Dinge nötig, um mit einer Krisensituation wie dem Umgang mit dem Verlust der Sehkraft oder anderer Körperfunktionen auf positive Weise umgehen zu können. Das Annehmen von schwierigen Gefühlen, das realistische Anschauen meiner Behinderung und sich kundig machen über Hilfsmittel und Unterstützung, Pflegen von Freundschaften, Knüpfen von Netzwerken, therapeutische Hilfe suchen, etwas finden, was mich beglückt - bei mir ist es das Gitarre spielen und Singen und Anleiten von Chantgruppen, wandern. Die Herausforderungen in dieser Situation sind vielfältig, das Wichtigste scheint mir im Moment die Selbstliebe zu sein. Wenn ich mich z.B. nicht mehr im Spiegel erkennen kann, muss ich mich schön fühlen, sonst bin ich dauernd unsicher. Es ist nicht einfach, von den anderen gesehen zu werden, aber weder mich selbst noch die anderen zu sehen. Aber hier hilft nur der Satz "wenn mir egal ist, was die anderen denken, wird das Leben leicht."

    Ich bin gezwungen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, Oberflächlichkeiten haben immer weniger Bedeutung, nicht mehr, wie Dinge oder Menschen aussehen, sondern wie sie sind. Was fasziniert mich an anderen Menschen? Es ist das Herzliche, das Offene, Fachkompetenz in Verbindung mit einem offenen Herzen und ohne dogmatische Überstülpungen. Ich bin in den vergangenen Jahren oft gefragt worden, was ich nicht sehen wolle, was ich verdrängen würde. Es ist diese mechanistische Bewertung, dass heil ist, der keinerlei physische Einschränkungen hat. Aber gibt es jemanden, auf den das wirklich zutrifft? Ist heil sein nicht eher, mit mir - wie immer ich auch bin - in Frieden zu sein?

    Das Erblinden ist für die meisten Menschen mit so viel Angst oder Grauen besetzt, weil damit die Vorstellung verbunden ist, dass ich abhängig von anderen werde, dass ich ständig um Hilfe bitten muss. Es ist mit dem Gefühl verbunden, dass das Leben ganz eng und eingeschränkt wird. Und der spirituelle Weg, mit solchen realen Einschränkungen umzugehen - und das gilt ja auch für jede andere Behinderung - kann für mich nur darin bestehen, innerlich weit zu werden. Das heißt konkret, mich als Teil eines großen Ganzen zu begreifen. Als ein Knoten in einem weiten Netzwerk. Wenn Freundinnen mit mir einkaufen gehen oder mein Büro organisieren oder mit mir eine Gruppe zusammen leiten, dann ist es, als ob die Egogrenzen sich auflösen, jeder steuert seinen Beitrag zum gemeinsamen Energiefeld bei. Dazu ist natürlich notwendig, dass ich ganz konkret und gezielt um Hilfe bitten kann - je konkreter, desto einfacher für die anderen - und dass ich auch meine Fähigkeiten und Ressourcen gut kenne.

    Aufgaben können fast immer so verteilt werden, dass alle Spaß dabei haben. Und die wichtigste Aufgabe ist, mich selbst immer wieder mit den inneren Augen der Liebe anzuschauen. Natürlich hat sich mein Leben in den vergangenen vier Jahren vollkommen verändert, ich war Sehlehrerin, jetzt arbeite ich als Therapeutin, singe mit Menschen, gebe Massagen und Klangbehandlungen mit Klangschalen und Monochord. Aber ich bin doch trotzdem dieselbe geblieben. Das ist nur möglich, wenn ich keinen Widerstand leiste, weil ich das Geschenk bekommen habe, so flexibel und lebensfroh zu sein, dass ich mich immer wieder wandeln darf.

    Eckart Tolle schreibt: "Ganz gleich, wie lang deine Reise zu sein scheint, es gibt nie mehr als dies: einen Schritt, einen Atemzug, einen Augenblick - JETZT!" So ist es also auch mit Herrn Tur-Tur, dem Scheinriesen: Wenn ich Schritt für Schritt auf ihn - das Grauen, die Angst - zugehe und mir dabei meines Atems und meiner Gefühle bewusst bin und mich immer wieder entspanne, werde ich die Angst verlieren und bei mir selbst, bei Freundschaft und einem liebevollen Herzen ankommen.

    Zur Autorin

    Die Heilpraktikerin und Diplom-Sozialpädagogin Gisela Wesche-Nielsen, 1954 geboren, lebt in München. Aufgrund einer Augenerkrankung ist sie stark sehbehindert. Sie gibt Einzelstunden und Telefoncoaching. E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Webseite: www.wesche-nielsen.de.


    Laudation für Karsten Warnke anlässlich seines Ausscheidens aus dem DVBS-Vorstand

    gehalten bei der Mitgliederversammlung des DVBS am 19. Mai 2012

    Er ist 59, 1,86 Meter groß, Augenfarbe Hellblau, ein Albino, Hamburger seit seiner Geburt und inzwischen mit zwölf Jahren im DVBS-Vorstand nach mir das längstgediente aktuelle Mitglied dieses Gremiums.

    Nun mag er nicht mehr alle sechs bis acht Wochen nach Marburg reisen, sich mit Haushaltsplänen des DVBS herumschlagen, Personalgespräche in der Geschäftsstelle führen, wenn es einmal finanziell eng wird oder den übrigen Vorstandskollegen die Feinheiten des BIK-Projekts mit seinen vielen Verästelungen erläutern.

    Ich finde das schade - schade, weil ich Karsten als einen integren, nachdenklichen, aber auch spontanen Menschen erlebt habe und all diese Eigenschaften an ihm extrem schätze. Das gilt auch für seine Analysefähigkeit, was zwischenmenschliche Schwingungen angeht, die mir gelegentlich entgehen. Wir werden aber auch seine Kompetenz im IT-Bereich sicherlich vermissen, mit der er uns häufig aus kniffligen Situationen geholfen hat.

    Schauen wir aber einmal zurück in Karstens Berufskarriere. Nach der Handelsschule in Hamburg arbeitete er zunächst als Versicherungskaufmann, entschloss sich dann aber zum Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in der größten deutschen Hansestadt und errang sein Diplom schließlich in Bremen mit einer Arbeit über … Hier muss der Laudator eine Lücke einräumen, die er bis zur Mitgliederversammlung nicht zu schließen vermochte; denn der Titel der Arbeit war so schnell nicht herauszu bekommen. Es folgte eine Periode der Arbeitslosigkeit, die Karsten, im Gegensatz zu manch anderem, nicht vergessen hat und die sein Engagement auch für diesen Personenkreis gut zu erklären vermag. Dann begann Karsten seine EDV-Karriere bei der Deutschen Bundespost, wie sie damals noch hieß und war dort für die Einrichtung von Arbeitsplätzen für blinde und sehbehinderte Menschen zuständig. In diesem Zusammenhang nahm er seine ehrenamtliche Arbeit im deutschen Blinden- und Sehbehindertenwesen auf. Er wurde Leiter des Fachausschusses für Informationstechnik, den er bis 1999 zu einem der bestorganisierten Fachausschüsse entwickelte. Bei der Arbeitsausschusssitzung des DVBS im Jahre 1997 in Bad Berleburg hielt er einen für mich wegweisenden Vortrag, in dem er die Möglichkeiten der Informationstechnik für blinde und sehbehinderte Menschen darstellte und die Verbände aufforderte, sich diesen Aspekt im Zusammenhang mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze für unseren Personenkreis zu eigen zu machen. Zu jener Zeit hatten wir in Hamburg einen kleinen Arbeitskreis Multimedia, genannt "Mum", gegründet, der diese Fragen unter Karstens tatkräftiger Unterstützung weiter verfolgte. Wir formulierten sogar ein Telekommunikationszugangsgesetz als Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz, das aber - natürlich - zunächst keine Chancen im politischen Betrieb der deutschen Hauptstadt hatte.

    In Kenntnis all dieser Aktivitäten Karsten Warnkes empfand ich es als glückliche Fügung, dass er sich 2000 bereitfand, für den Vorstand zu kandidieren. Von da an wurde unsere Zusammenarbeit naturgemäß noch enger. Karstens Wirken lässt sich aber nicht bloß auf die Belange der EDV reduzieren. So war es in den zwölf Jahren seiner Vorstandstätigkeit stets auch sein Anliegen, die Situation sehbehinderter Mitglieder zu verbessern und den blinden Vorstandsmitgliedern diesen ihren blinden Fleck immer wieder vor Augen zu halten, mit mal größerem, mal weniger großem Erfolg.

    Eine Zeit lang war Karsten auch Verfechter einer Art von Zusammenschluss der deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbände zu einer schlagkräftigeren Organisation. Diese Idee hat er nach meiner Wahrnehmung weitgehend aufgegeben, wenngleich er wie ich auch nach wie vor keine Berührungsängste mit dem großen Bruder in Berlin hat.

    Als Otto Hauck 2004 nach 25 Jahren den Vorsitz des DVBS abgab und ich in seine Fußstapfen treten sollte, habe ich mich sehr gefreut, Karsten als zweiten Mann an meiner Seite zu wissen. Diese Freude hat acht Jahre angehalten. Sie weicht jetzt einer gewissen Ernüchterung, weil der große Blonde mich nun nicht mehr auf der Rückfahrt nach einer neunstündigen Vorstandssitzung zu einem Bier in den Speisewagen des ICE begleiten wird, bevor sich unsere Wege in Hannover trennen.

    Mir bleiben aber neben diesen DVBS-Erinnerungen an Karsten auch diejenigen an fröhliche private Feste in dem von ihm so geliebten Haus in Hamburg-Langenhorn mit seiner fast immer fröhlichen Ehefrau Olga und ihren bei den Kindern Thom und Marieke, in deren Erziehung die Eltern viel investiert haben, und zwar viel mehr als Geld. Sie haben etwas getan, was Karsten auch immer wie der in unseren Diskussionen ausgezeichnet hat: Sie haben zugehört und nachgedacht und dann gemeinsam mit den Betroffenen entschieden. Diese Kompetenz der beiden werde ich auch in Zukunft gern in Anspruch nehmen, sei es im Privaten wie im DVBS-lichen; denn sie ist mir etwas wert.

    Karsten wird der Selbsthilfe, die ihn und die er mitgeprägt hat, Gott sei Dank nicht verloren gehen. Wir hoffen, ab Juli 2012 unter seiner Ägide ein neues Projekt in Anlehnung an die BIK-Reihe starten zu können. Und auch in Ham burg wird Karsten sowohl in der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe wie absehbar auch im Blinden- und Sehbehindertenverein weiter an hervorgehobener Stelle mitmachen.

    Lieber Karsten, dafür, aber auch für Deine Hobbys, Deine Hühner und sonstigen Vögel, Deinen Garten, Deine Familie und Deine Freunde wünsche ich Dir viel Zeit und Kraft und vor allem, dass Du rechtzeitig merkst, wenn Du Dir wieder einmal zu viel zumutest und Deinen enormen Arbeitseifer dann etwas zügelst.


    Dr. Johannes-Jürgen Meister zum 75. Geburtstag

    75 ist doch heute kein hohes Alter mehr, könnte unser Jubilar sagen, wenn man ihn nach den Potenzialen der älteren Generation befragt. Und damit hätte er höchstwahrschein lich Recht: Denn Menschen altern heute dank ihrer besseren Ernährung und der Fortschritte unserer Medizin deutlich verträglicher als noch vor 100 oder auch vor 50 Jahren. Ebenso stellen sie größere Ansprüche an sich, aber auch an ihre Lebensqualität und ihre Umwelt. Das tut auch Johannes-Jürgen Meister. Immer wieder fordert er uns mit seinen Thesen zur Bedeutung einer älter werdenden Gesellschaft beharrlich heraus und nicht immer ist er mit unseren Antworten zufrieden. Alles andere wäre aber auch erstaunlich; denn der kritische Blick eines Sozialwissenschaftlers auf die Gesellschaft kann bei seinen Beobachtungsobjekten nicht nur Freudenstürme auslösen.

    Aber Johannes-Jürgen Meister war ja nicht immer in dieser Rolle. Bevor er sich umfassend für den DVBS engagierte - was er nun schon seit mehr als 20 Jahren tut -, lag der Schwerpunkt seines Interesses auf der Bildungsforschung. Auch in diesem Zusammenhang beschäftigte er sich bereits mit Fragen, die uns als Selbsthilfeorganisation betreffen, nämlich damit, wie behinderte Studierende ihr Studium erfolgreich bewältigen. Dabei brach Dr. Meister früh eine Lanze für die inzwischen ja fast flächendeckend eingeführte Ausbildung zum Bachelor und Master, weil sie - so seine These - auch behinderten Studierenden eine flexiblere Gestaltung ihres Studiums ermögliche. Ob sich dieser Befund heute noch aufrechterhalten lässt, würde sicherlich eine Diskussion mit dem Jubilar lohnen.

    Was zeichnet Johannes-Jürgen Meister nun besonders aus? Sicherlich einmal seine Beharrlichkeit, wenn es um von ihm für richtig erkannte Positionen geht; weiter aber auch sein großes Engagement, wenn es gilt, behinderten Menschen hilfreich zur Seite zu stehen; und schließlich seine unermüdliche Arbeit für die Gruppe Ruhestand unseres Vereins. Ohne ihn als Motor wären die jährlichen, jeweils eine Woche füllenden Seminare, aber auch weitere Veranstaltungen der Gruppe, nicht das, was sie heute sind, nämlich ein Markenzeichen unserer Arbeit für Menschen im dritten Lebensabschnitt. Immerhin findet das Seminar der Gruppe 2012 zum 25. Mal statt, und die meisten dieser Seminare hat Dr. Meister maßgeblich betreut und geleitet.

    Seit etlichen Jahren ist er Mitglied des Trägervereins der Deutschen Blindenstudienanstalt. Durch seine Augenerkrankung ist er erst im Erwachsenenalter über einen längeren Zeitraum hinweg erblindet. So musste er mitten im Berufsleben völlig selbständig auf Blindentechniken umstellen. Er hat daher keine "Blistaner-Biografie".

    Der frühe Tod seiner Frau ließ ihn erleben, was er einmal so formulierte: "Wenn man seinen Lebenspartner verliert, ist es, wie wenn man noch einmal erblindet". Durch diese Erfahrung konnte er sich gut vorstellen, wie es älteren Menschen ergehen muss, die Sehkraft, Partner oder gar beides verlieren. Vielleicht trug sein eigenes Schicksal dazu bei, dass er sich so intensiv für ältere Menschen einsetzt.

    Lieber Johannes, der Vorstand des DVBS und ich ganz persönlich wünschen Dir noch viele Jahre Gesundheit, Lebensfreude und Schaffenskraft und begrüßen Deine Beiträge zur Zukunft unserer Selbsthilfe.

    Mit allen guten Wünschen,

    Heinz Willi


    Gelebte Integration auf der Judomatte: Blinde, sehbehinderte und sehende Jugendliche kämpfen um den Bärenpokal im Judo

    Am Samstag, den 16. Juni, fand in Dillenburg der schon legendäre Bärenpokal des Herborner Judovereins Yama Arashi statt. Die zwölf Starter der beiden kooperierenden Vereine - Sportfreunde Blau-Gelb Marburg und SSG Blista Marburg - verzeichneten eine sehr erfolgreiche Turnierteilnahme. Für die sehgeschädigten Jugendlichen war dies eine ganz neue Erfahrung und Herausforderung. Zwar haben sie schon mehrere Turniere bestritten, waren aber noch nie gegen Nichtbehinderte, Gleichaltrige und Sportler aus der gleichen Gewichtsklasse angetreten. Auch für die 14-jährige blinde Tabea Müller war der Wettkampf in Dillenburg eine völlig neue Erfahrung. Normalerweise wird sie bei Turnieren von einem Kampfrichter auf die richtige Position begleitet. An diesem Samstag jedoch stand sie zu Beginn des Kampfes zwei Meter von ihrer Gegnerin entfernt und musste sich Orientierung verschaffen und zunächst durch Hören herausfinden, wo die Gegnerin steht. Nach anfänglichem Zögern beider Kämpferinnen schaffte Tabea es jedoch und gewann ihren ersten Kampf mit einer vollen Punktlandung - im Judo auch "Ippon" genannt. Nicht nur der Chef-Trainer der sehgeschädigten Judoka aus Marburg, Markus Zaumbrecher, sondern alle Zuschauer in der Halle jubelten und freuten sich mit und für Tabea.

    Nach dem Turnier stand fest: Der Bärenpokal kann für die Marburger Sportler, egal ob sehbehindert oder nicht, als voller Erfolg gewertet werden. Auch wenn der ein oder andere Kampf für die Marburger nicht immer gut ausging, sammelten die Sportler dennoch eine Menge Erfahrungen und konnten einige Medaillen mit auf den Heimweg nehmen. Einige Jugendliche hatten das besondere Glück, dass sie gleich in zwei verschiedenen Altersgruppen starten durften. Dies gab ihnen die Möglichkeit, mehrmals zu kämpfen und entsprechend auch mehr Medaillen "abzuräumen".

    Für die Veranstalter und Kampfrichter des Herborner Bärenpokals war die erstmalige Teilnahme sehgeschädigter Sportlerinnen und Sportler ebenfalls eine neue Erfahrung. Es hätte für die Organisation nicht besser laufen können: Alle, sowohl Trainer, Sportler, Verbandsvertreter des HBRS (Hessischer Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband e.V.), des HJV (Hessischer Judo-Verband) sowie die Kampfrichter, waren mit dem Turnierausgang sehr zufrieden. Die Marburger Jugendlichen erkämpften beim Bärenpokal insgesamt zwei erste Plätze, fünf zweite und sieben dritte Plätze.


    Schadensersatz wegen erlittener Diskriminierung aufgrund einer Behinderung (Teil 1)

    Erfahrungsbericht von Rechtsanwalt Dr. Michael Richter

    Heute schreibe ich in meiner Eigenschaft als zugelassener Rechtsanwalt und dies deshalb, weil die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) mangels fehlender Vertretungsbefugnis für solche Fälle leider in der Regel nicht durch die rbm gGmbH erfolgen kann. Gleichwohl wurden an die rbm natürlich Anliegen herangetragen, die gerade die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen einer behinderungsspezifischen Diskriminierung betrafen. In Fällen von grundsätzlicher Bedeutung hat der DVBS sich dann auch nicht gescheut - über seinen Rechtshilfefonds, - das Kostenrisiko, z. B. in Form der Übernahmeder anfallenden Gerichtskosten, für seine Mitglieder zu reduzieren. Verstärkt kam es in den letzten zwei Jahren zu solchen Gerichtsverfahren, die die Umsetzung des Diskriminierungsverbotes nach § 7 des 2006 in Kraft getretenen AGG wegen einer Behinderung betrafen. Über die Ergebnisse dieser Verfahren, die teils überraschende, teils enttäuschende, aber auch teilweise richtungsweisende Ergebnisse brachten, werde ich in zwei Artikeln berichten. In diesem Artikel wird es um Benachteiligungen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen gehen, im nächsten Artikel um Verfahren wegen Diskriminierungen beim Abschluss eines Versicherungsvertrags.

    Um noch einmal den rechtlichen Rahmen in Erinnerung zu rufen, verweise ich auf die bereits sehr detaillierten Ausführungen in dem Artikel der rbm "Schutz vor Diskriminierung - Arbeits-Recht Teil 2" (Horus Heft 3, 2010).

    Fast ausnahmslos ging es bei den übernommenen Verfahren um solche, die im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren für eine Stelle bei öffentlichen Arbeitgebern standen. In diesen Fällen gibt es im Wesentlichen drei Voraussetzungen:

    1. Der Betroffene hat Indizien zu beweisen, die das Vorliegen einer Diskriminierung wegen z. B. einer Behinderung im Bewerbungsverfahren im Sinne von § 22 AGG glaubhaft machen. Häufigstes Indiz in den vertretenen Fällen war eindeutig die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch, zu dem Arbeitgeber der öffentlichen Hand jedoch bei vorhandener Eignung gemäß § 82 SGB IX verpflichtet sind. Zu beachten ist der sehr niedrige "Darlegungsmaßstab", denn in der Regel sind bei Ansprüchen auf Schadensersatz die anspruchsbegründenden Tatsachen vom Kläger zu beweisen. Hier hingegen reicht eine Glaubhaftmachung durch vorgelegte Indizien. Gelingt die Glaubhaftmachung, trifft den Arbeitgeber die volle Beweislast, um die Indizien bezüglich einer Diskriminierung zu entkräften.

    2. Die vorbenannte "Einladungspflicht" besteht nur dann nicht, wenn der schwerbehinderte Bewerber offensichtlich für die ausgeschriebene Stelle ungeeignet ist. Ausschlaggebend für die Bewertung der "Geeignetheit" ist wiederum ausschließlich der Ausschreibungstext und hier die "harten Voraussetzungen", die unabdingbar vom Bewerber zu erfüllen sind. Wenn also im Ausschreibungstext formuliert wird: "Von unseren Bewerbern erwarten wir mindestens … und darüberhinaus sind … erwünscht", dann kann nur ein schwerbehinderter Bewerber eine Diskriminierung geltend machen, der die Mindestvoraussetzungen erfüllt, egal wie es um seine erwünschten Fähigkeiten bestellt ist, denn er ist im Sinne von § 82 SGB IX nicht offensichtlich ungeeignet und dementsprechend zum Vorstellungsgespräch einzuladen (vgl. BVerwG Urt. v. 03.03.2011, AZ: 5 C 16/10; BAG Urt. v. 07.04.2011, AZ: 8 AZR 679/09 oder BAG Urt. v. 17.08.2010, AZ: 9 AZR 839/08; vgl. auch Reus/Mühlhausen, NZS [Neue Zeitschrift für Sozialrecht] 2012, 534, dort insbesondere zur Frage einer kurzfristigen Verhinderung des Bewerbers). Die Geltendmachung von Verfahrensfehlern (z. B. fehlende Einbeziehung der Schwerbehindertenvertretung, Bgründungspflicht für eine Ablehnung, etc.) hat sich als wenig erfolgversprechend herausgestellt. Grund hierfür ist die "großzügige Rechtsprechung", die dem öffentlichen Arbeitgeber sehr viel Zeit einräumt, versäumte Pflichten nachzuholen und damit Verstöße gegen das einschlägige Verfahrensrecht bis zum Ende des Bewerbungsverfahrens als heilbar einstuft (vgl. Landesarbeitsgericht Köln Urt. v. 29.01.2009, AZ: 7 SA 980/08) oder diese Pflicht sogar für viele öffentliche Arbeitgeber nach Erfüllung der Beschäftigungsquote ganz ausschließt (vgl. BAG Urt. v. 15.02.2005, AZ: 9 AZR 635/09). Folgende Ausführungen in diesem Sinne machte das Arbeitsgericht Bonn in einem Fall, die dann durch das Landesarbeitsgericht in Köln auch prompt bestätigt wurden:

    "Die Unterrichtungspflicht aller ,Beteiligten" macht nur dann Sinn, wenn zuvor auch andere an dem Auswahlverfahren beteiligt wurden. Dies ist der Hinweis darauf, dass die Begründungspflicht nur den Arbeitgeber trifft, der bereits nach § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX zu einer Erörterung verpflichtet ist. Dies sind aber nur Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht nicht erfüllen. Daher ist der Satz 9 des § 81 Abs. 1 SGB IX im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Satz 7 zu verstehen. Die Begründungspflicht wird daher ausdrücklich deswegen festgelegt, damit die zuvor nach § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX an der Erörterung Beteiligten das Ergebnis der Entscheidung des Arbeitgebers und dessen Begründung erfahren. Die Mitteilung der Entscheidung und der Gründe der Entscheidung ist sozusagen der Abschluss des gesamten Erörterungsverfahrens nach § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX.

    Ist der Arbeitgeber bereits wegen der Erfüllung der Beschäftigungsquote nicht zu einer Erörterung mit der Schwerbehindertenvertretung verpflichtet, können ihn auch nicht die zusätzlichen Verpflichtungen des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX treffen."

    3. Im Übrigen muss es sich im Rahmen der Geltendmachung eines Verstoßes gesteigerter Pflichten im Bewerbungsverfahren um einen öffentlichen Arbeitgeber handeln. Dies sind alle Bundesbehörden, Landesbehörden, Gebietskörperschaften und Kommunen sowie alle Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Diese Eigen schaft trifft jedoch längst nicht auf alle "vermeintlich" öffentlichen Arbeitgeber zu, denn hier weicht die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung z. B. von derjenigen der Verwaltungsgerichtsbarkeit deutlich ab. So führte ein Arbeitsgericht in Berlin aus (und wurde vom Landesarbeitsgericht bestätigt):

    "Bei der Beklagten handelt es sich aufgrund ihrer privatrechtlichen Organisationsform als gGmbH nicht um einen öffentlichen Arbeit ge ber i.S. d. § 82 SGB IX. Für die Frage, ob ein Arbeitgeber öffentlich i. S. d. § 82 SGB IX ist, ist grundsätzlich entscheidend, in welcher Rechtsform er organisiert ist. Dies ergibt sich bereits aus der Legaldefinition des öffentlichen Arbeitgebers in § 71 Abs. 3 SGB IX. Alle hier genann ten Rechtspersonen sind solche des öffentlichen Rechts."

    Diese Ausführungen waren umso erstaunlicher, als es sich um eine gemeinhin anerkannte Forschungseinrichtung handelte, die sich zu 75 Prozent im Eigentum des Landes Berlin und zu 25 Prozent im Eigen tum des Bundes befindet.

    Im Ergebnis enden die allermeisten Schadensersatzklagen wegen Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch - sofern die o. g. Voraussetzungen erfüllt sind - mit einem Vergleich. Die Schadensersatzhöhe variiert dabei zwischen einem oder zwei Bruttomonatsgehältern, abhängig von z. B. dem Umstand, ob es sich um eine befristete oder eine unbefristete Stelle handelt. Wer jetzt allerdings eine große Einnahmequelle ohne ernsthaftes Interesse an einer Arbeitsstelle wittert und für sich über den Beruf des "Bewerbers" nachdenkt, der sei gewarnt! Die vorbenannte Art der Klagen ist bei den Arbeitsgerichten in der Regel nicht beliebt und die Rechtslage wird bei den hauptamtlichen Richtern in der Arbeitsgerichtsbarkeit eher als zu weitgehend empfunden. Diese Einschätzung teile ich zwar nicht, denn bei dem "Einladungserfordernis für öffentliche Arbeitgeber" handelt es sich nach meiner Ansicht um eine sog. angemessene Vorkehrung, um die berufliche Teilhabe behinderter Menschen im Sinne von Art. 5 i.V.m. Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention zu gewährleisten. Aber es hat sich gezeigt, dass das ernsthafte Interesse durch den jeweiligen Kläger doch eindeutig zu belegen ist und deshalb auch Gegenstand fast jeder Verhandlung war. Lag bei den Klägern allerdings ein solches ernsthaftes Interesse für die Stelle bei einem eindeutig öffentlichen Arbeitgeber vor und wurden Sie trotz nachgewiesener Eignung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, dann lassen Sie uns dem Gesetzgeberwillen Geltung verschaffen.

    Ihr Dr. Michael Richter


    Neue Titel der Kohlhammer-Reihe "Kompass Recht" erschienen

    In der beliebten und bewährten Reihe "Kompass Recht" aus dem Kohlhammer-Verlag sind neue Titel erschienen. Darunter ist auch der Band "Zivilprozessrecht I: Erkenntnisverfahren" aus der Feder des DVBS-Vorsitzenden Uwe Boysen. Der Leser des neuen Bandes bekommt einen Überblick über den Ablauf von Zivilverfahren nach der Zivilprozessordnung.

    Der einzigartigen Kooperation zwischen dem Stuttgarter Kohlhammer-Verlag und dem DVBS ist es zu verdanken, dass allen Bänden der Fachbuchreihe "Kompass Recht" eine CD-ROM beiliegt, die neben ergänzendem Arbeitsmaterial auch eine Hörfassung des jeweiligen Werkes im MP3-DAISY-Format enthält. Herausgegeben von Prof. Dr. Dieter Krimphove, ist die voraussichtlich 30-bändige Reihe um zwölf neue Werke angewachsen. Die Neuerscheinungen sind: Steuerrecht III: Bilanzsteuerrecht, Familienrecht, Strafrecht I: Grundlagen und allgemeiner Teil, Zivilprozessrecht I: Erkenntnisverfahren, BGB III: Kreditsicherungsrecht, Transportrecht, Versicherungsvertragsrecht, Patentrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Urheber- und Designrecht, Werberecht sowie Medizin- und Gesundheitsrecht. Weitere Titel sind in Vorbereitung, darunter Strafrecht II, Vereinsrecht und Zivilprozessrecht II.

    Alle vorliegenden Bände der Reihe können in der DVBS-Geschäftsstelle bei Birgit Stolz bestellt werden (Tel.: 06421 94888-17, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).


    Hörtipp: Unterwegs auf Pferd und Kamel: gesundes Reiten

    Reitfans wissen: Ohne Mensch und Tier als Partner zu sehen, läuft nichts. Wenn es um den Pferdesport geht, stehen meist das Training und die Leistung des Tieres im Vordergrund. Doch Fitness, Flexibilität und Koordinationsfähigkeit der "zweibeinigen Partner" sind ebenso wichtig. Mit "Fit fürs Pferd" liegt jetzt ein alltagstauglicher Ratgeber für Reiter vor. Hier werden Falltraining, Gymnastik, Ausdauerübungen, Tipps zu Regeneration und Ernährung geboten - Themen, um den menschlichen Faktor gesund zu erhalten, damit das Mitschwingen in der Bewegung mit dem Pferd Freude bringt.

    Die Autorin geht sowohl auf Grundlagen ein als auch auf die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen wie Kinder, Frauen und Senioren. Sie beantwortet Fragen wie "Ist Reiten Sport?" oder "Wie gefährlich ist Reiten?". Und noch aus einem anderen Grund ist das Buch wichtig: Schließlich haben "auch die Pferde es nicht verdient, sich mit bewegungsarmen, ungeschickten, ungeschmeidigen Reitern auseinandersetzen zu müssen", wie Ausbildungsleiter Jochen Künneke schreibt.

    Heipertz-Hengs, Christine: Fit fürs Pferd: Gesundheit - Leistung - Sicherheit: Das Trainingsbuch für Reiter. Cadmos Pferdebücher, 2002. 3 Stunden 12 Minuten. Bestellnummer 16775, 24,25 €.

    "Kamele sind anders", so lautet der Titel eines zweiten Buches, das Einblick in den Umgang mit einem Reittier gibt. Durch ihre Genügsamkeit und Verträglichkeit haben Kamele mittlerweile immer mehr Fans auch in Deutschland gewonnen. Für den therapeutischen Einsatz sind sie ebenso wie Pferde geeignet: Während der Umgang mit Pferden die Entwicklung von Klarheit, Dominanz und Gradlinigkeit in der Kommunikation fördert, sind es bei Kamelen eher Ruhe, Gelassenheit und Muskelentspannung. Und da Kamele sich zum Aufsteigen ablegen, können auch schwere und hinfällige Patienten relativ problemlos aufsitzen, berichtet die Autorin.

    Die friedlichen Trampeltiere leben in Herden ohne erkämpfte hierarchische Strukturen, wie es etwa unter Pferden oder Hunden üblich ist. Herdenmitglieder folgen freiwillig den alten, erfahrenen Tieren - durch die Wüste hin zu Futter und Wasser. Dies hat Auswirkungen auf das Verhältnis zum Menschen: Nur wenn Haltungsbedingungen und Vorerfahrungen stimmen, hören Kamele auf einen Menschen und vertrauen ihm wie einem erfahrenen Artgenossen.

    Gabriele Heidicke stellt vor allem Psyche und Sozialverhalten der Kamele vor, ihre artgerechte Haltung und Ausbildung. Der Einsatz als Reittier und in der Therapie sowie Tipps zum Kauf runden das Buch ab. Auch auf die Gefahr hin, dass Ihre Tochter demnächst kein Pony, sondern ein Kamel haben möchte: Dieses DAISY-Buch ist für Tierliebhaber ein Must-Have.

    Heidicke, Gabriele: Kamele sind anders: Trampeltiere in Mitteleuropa: Sozialver halten - Haltungsproblematik - Reiten und Therapie. Hohenwasleben: Westarp Wissenschaften, 2011. 4 Stunden. Bestellnummer 16809, 30 €.

    Bestelladresse

    Die beiden vorgestellten DAISY-CDs sind beim DVBS-Textservice erhältlich. Es gelten die üblichen Bedingungen: Textservice des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS), Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


    Buchtipps aus der blista

    Auch unsere Buchtipps befassen sich fast ausschließlich mit dem Thema Gesundheit und seinen diversen Facetten. Ein spannender Thriller rundet das Angebot ab.

    Schwarz, Aljoscha A.; Ronald Schweppe: Die Bier-Apotheke

    Köln: vgs, 1998, Bestell-Nr.: 4001, reformierte Kurzschrift, 1 Bd., 168 S., 21,50 €

    Hier erfahren Sie (fast) alles, was Sie schon immer über Bier wissen wollten. Die Autoren führen Sie durch die Geschichte des Bieres, erklären, wie Bier entsteht, welch große Vielfalt an wertvollen Inhaltsstoffen es bietet, informieren darüber, welche Biere es gibt und wie sie sich unterschei den. Sie erklären, warum Bier so gesund ist und welche positiven Wirkungen es auf Körper, Seele und Geist hat. Eine Pflichtlektüre für jeden Bierliebhaber und alle, die es bisher noch nicht waren, aber bald werden möchten.

    Hilgers, Arnold; Inge Hoffmann: Melatonin - die Pille für Gesundheit und ewige Jugend?

    München: Mosaik-Verlag, 1996, Bestell-Nr.: 3887, reformierte Kurzschrift, 1 Bd., 136 S., 21,50 €

    Zahlreiche Wissenschaftler preisen das zu nächtlicher Stunde von der Zirbeldrüse ausgeschüttete Hormon als Wunderdroge. Ob zur Stärkung des Immunsystems, als Schlafmittel oder Schutzfaktor gegen Viren, schädliche freie Radikale oder krebserregende Gifte - und als Elixier gegen das Altern. Die renommierten Autoren geben eine kritische Betrachtung über Nutzen und Risiken von Melatonin.

    Jones, Frank: Mit Rotwein gegen Herzinfarkt

    Köln: vgs, 1996, Bestell-Nr.: 3925, reformierte Kurzschrift, 2 Bde., 270 S., 43,00 €

    Was steckt im Rotwein, das angeblich das Risiko des Herztodes beim Weintrinker um 60 Prozent gegenüber dem eines Abstinenzlers senken soll? Welche Weine in welcher Dosis dienen der Gesundheit besonders, beugen Arteriosklerose, Schlaganfall und anderen schweren Krankheiten vor? Der Autor gibt einen Überblick über Traubensorten sowie Anbaugebiete und deren Weine, die dem Herzen besonders guttun.

    Mersmann, Susanne: 100 Fragen zur Sonne

    München: Mosaik-Verlag, 1993, Bestell-Nr.: 3669, reformierte Kurzschrift, 1 Bd., 136 S., 21,50 €

    Dieses Buch beantwortet präzise und leicht verständlich die wichtigsten Fragen zum Thema Sonne. Die hundert Fragen sind in fünf Kapitel unterteilt: Mensch und Sonne, Gefahren der Sonne, Sonnenschutz, Klima und Sonne sowie künstliches Sonnenlicht. Die Autorin ist Journalistin, wissenschaftlich beraten wurde sie von der Universitäts-Hautklinik Hamburg und dem Bundesamt für Strahlenschutz in Neuherberg.

    Asher, Jay: Tote Mädchen lügen nicht

    München: cbt-Verlag, 2009, Bestell-Nr.: 4649, reformierte Kurzschrift, 2 Bde., 348 S., 43,00 €

    Als Clay Jensen aus der Schule nach Hause kommt, findet er ein Päckchen mit 13 Kassetten vor. Er legt die erste in einen alten Kassettenrekorder, drückt auf "Play" - und hört die Stimme von Hannah Baker. Hannah, seine ehemalige Mitschülerin, für die er heimlich schwärmte und die sich vor zwei Wochen umgebracht hat. Mit ihrer Stimme im Ohr wandert Clay durch die Nacht, und was er hört, lässt ihm den Atem stocken. Dreizehn Gründe sind es, die zu ihrem Selbstmord geführt haben, dreizehn Personen, die ihren Anteil daran haben. Und Clay ist einer davon...

    Ihre Bestellung richten Sie bitte an: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Postfach 1160, 35001 Mar burg, Tel.: 06421 606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).


    "Woche des Sehens" findet vom 8. bis 15. Oktober statt

    Die "Woche des Sehens" findet - in diesem Jahr bereits zum elften Mal - von Montag, den 8. bis Montag, den 15. Oktober statt. Unter dem Motto: "Wir sehen uns!" machen die sieben Tägerorganisationen durch eine Vielzahl von Aktionen bundesweit auf die Bedeutung von gutem Sehvermögen, auf die Ursachen vermeidbarer Erblindung sowie auf die Situation sehbehinderter und blinder Menschen in Deutschland und in den sogenannten Entwicklungsländern aufmerksam.

    Machen Sie mit, wir unterstützen Sie! Wenn Sie sich als DVBS-Fach- oder -Bezirksgruppe für die Kampagne interessieren und sich daran beteiligen möchten: Die Koordinatorinnen der Woche des Sehens begleiten Ihre Aktion. Auf Anfrage erhalten Sie kostenloses Informations- und Aktionsmaterial, Unterstützung bei der Suche nach Veranstaltungspartnern sowie bei der Finanzierung Ihrer Veranstaltung.

    Information und Kontakt: www.woche-des-sehens.de, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


    "Marburger Beiträge zum Blinden(un)wesen" - die große Revue jetzt auf CD

    "Willkommen, bienvenue, welcome", so hieß es gleich zu Beginn der großen Revue, die am 18. Mai 2012 als Begleitprogramm zu den DVBS-Selbsthilfetagen im Technologie- und Tagungszentrum Marburg (TTZ) stattfand, und die nun als DAISY-CD erhältlich ist.

    Wer unsere Zeitschrift kennt, weiß, dass sie früher den Hauptsachtitel "Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen" trug, und so kann man sich vorstellen, woher der Revuetitel stammt. Wer dabei war, weiß, dass kein Auge trocken blieb, und wer die CD hört, dem wird es genauso gehen, wenn z. B. der blinde Karl versucht, Spargel zu essen, oder wenn Schul- und Heimgeschichten aus alten Tagen vorgetragen werden, die Erinnerungen an die blista früherer Zeiten wachwerden lassen. Die zahlreichen Anekdoten sind umrahmt von musikalischen Einlagen, außerdem hören Sie ein Quiz zum Blindenwesen. Gestaltet wurde die Revue vom DVBS-Bezirk Hessen unter der bewährten Leitung der langjährigen Vorsitzenden Anette Bach und unter musikalischer Redaktion des Autors dieser Meldung.

    Die CD ist erhältlich beim DVBS-Textservice für fünf Euro und ist ein echtes Schmankerl sowohl für alle, die beim Live-Programm nicht dabei sein konnten, als auch für jene, die gerne was zu lachen haben. Bestellungen sind per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder telefonisch unter der Nummer 06421 94 888 22 möglich.


    Paralympics im Internetradio verfolgen

    Vom 29. August bis 9. September finden die Paralympics in London statt. Rund 150 deutsche Athleten werden an den Start gehen. Zwei barrierefreie Radiosender berichten nicht nur, welche Ergebnisse die Sportlerinnen und Sportler erzielen, sondern liefern auch Hintergrundberichte und Unterhaltsames vom Rande der Spiele. Radio 4 Health (R4H) berichtet täglich im Internet unter www.r4h.de. Zudem gibt es bei "Slang Radio" im "Sport treff" Berichte über die Paralympics. Die Sendung ist dienstags um 20 Uhr (Wiederholung mittwochs, 14 Uhr) auf der Internetseite www.slangradio.de.


    Fortbildungsangebot für Microsoft Office 2010

    Für blinde und sehbehinderte Menschen, die den Umstieg auf Microsoft Office 2010 erlernen möchten, hat Bildung ohne Barrieren ein Angebot vom 4. bis 7. November 2012 im Aura-Hotel Saulgrub. Der Teilnehmerbeitrag beläuft sich Auf 654 Euro, inkl. Unterkunft mit Vollpension. Anmeldeschluss ist der 5. Oktober. Das Anmeldeformular erhalten sie unter www.bildung-ohne-barrieren.de/angebote/seminaranmeldung.html. Diese Fortbildung wird vom Integrationsamt Karlsruhe für schwerbehinderte/gleichgestellte berufstätige Personen anerkannt, die die Inhalte für ihren Beruf benötigen und durch die Teilnahme an dieser Veranstaltung ihre Eingliederung ins Erwerbsleben sichern und ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch erhalten.


    Einladung zum Schnupperstudium: "Studieren mit Behinderung/chronischer Krankheit" an der TU Dortmund

    Das Dortmunder Zentrum Behinderung und Studium (DoBuS) der Technischen Universität Dortmund veranstaltet vom 13. bis 15. November 2012 das dreitägige Schnupperstudium "Studieren mit Behinderung/chronischer Krankheit". Die Veranstaltung richtet sich an alle behinderten und chronisch kranken Studieninteressierten, die an einem Studium in Dortmund interessiert sind. Das Angebot ist für die Teilnehmenden kostenfrei. Themen des Schnupperstudiums werden sein: Unterstützungsangebote für behinderte und chronisch kranke Studierende an der TU Dortmund, Leben und Studieren mit persönlicher Assistenz, Finanzierung von technischen und personellen Hilfen im Studium, Rechtsansprüche und Nachteilsausgleiche im Studium, Literaturbeschaffung - Nutzung der Universitätsbibliothek, Besuch einer Vorlesung, Erfahrungsaustausch mit behinderten/chronisch kranken Studierenden. Das Schnupperstudium wird in rollstuhlzugänglichen Räumlichkeiten auf dem Campus der TU Dortmund stattfinden. Die Universität ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Dortmunder Hauptbahnhof aus barrierefrei zu erreichen. Bei Bedarf erfolgt die Übersetzung der Veranstaltung in DGS. Anmeldeschluss ist am 26. Oktober 2012. Informationen und Anmeldung: www.dobus.tu-dortmund.de/cms/de/home/Veranstaltungen/Schnupper-Uni_2012/index.html>


    Excel-Kurs für Fortgeschrittene

    Der Veranstalter Bildung ohne Barrieren (BOB) bietet vom 7. bis 13. Oktober ein Seminar zum Thema Excel für Fortgeschrittene im Aura-Hotel Saulgrub an. Teilnehmer, die bereits mit dem Tabellenkalkulationsprogramm arbeiten und ihre Kenntnisse vertiefen möchten, können sich noch bis 15. September anmelden. Teilnahmevoraussetzungen für das Seminar sind Tastaturbeherrschung, Windows-Grundkenntnisse und - wenn notwendig - der Umgang mit der Braillezeile. Anmeldungen und weitere Informationen: BOB, Tele fon: 07844 915102, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.bildung-ohne-barrieren.de


    Fünfwöchiges Kurssystem zum Erlernen der Braillevoll- und kurzschrift

    Die bisherigen Kursteilnehmer teilen immer wieder mit, dass sie sehr froh sind, am Kurssystem teilgenommen zu haben, und dadurch wie der viel selbstständiger geworden sind. Die Brailleschrift ist also kein Relikt, sondern eine Chance. Zum 11. Mal haben auch 2013 blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, wieder selbstständig schreiben und lesen zu lernen. Hier die Termine des 5-wöchigen Kurssystems, das von Ursula Bamberg, Horst Schuldt und Lydia Barkhau durchgeführt wird.

    Punktschriftkurs-Termine:

    20.01. - 25.01.2013 Punktschrift Vollschrift

    24.02. - 01.03.2013 Punktschrift Kurzschrift Teil 1

    14.04. - 19.04.2013 Punktschrift Kurzschrift Teil 2

    06.10. - 11.10.2013 Punktschrift Kurzschrift Teil 3

    24.11. - 29.11.2013 Punktschrift Kurzschrift Teil 4

    mit zertifiziertem Abschluss

    Natürlich kann auch nur die Vollschrift erlernt werden. Für Berufstätige wird ein Förderantrag beim Integrationsamt gestellt. Bei Teilnehmern aus den Bundesländern Niedersachsen und Thüringen erhalten diese vom Veranstalter Unterlagen für den Hilfefonds für Blinde ihres Landes zur Kostenübernahme. Um möglichst baldige Anmeldungen wird gebeten: Lydia Barkhau (Tel.: 038203 62993 (abends) oder am Tag 038203 62029 bzw. unter der E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder über Aurahotel Ostseeperlen" Boltenhagen, Tel.: 038825 3700, E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


    Erlernen des 10-Finger-Schreibens auf der PC-Tastatur als Voraussetzung zum Bedienen eines PC "Windows mit JAWS" ohne Maus

    Der Blinden- und Sehbehindertenver ein Mecklenburg-Vorpommern e.V. führt auch 2013 wieder einen dreiteiligen Kurs zum Erlernen des 10-Fingerschreibens auf der PC-Tastatur durch.

    Termine:

    20.01. - 23.01.2013 Kursteil 1

    24.02. - 27.02.2013 Kursteil 2

    07.10. - 10.10.2013 Kursteil 3 mit Zertifikatsabschluss

    Außerdem werden die PC-Kurse für Windows mit JAWS für Einsteiger und fortgeschrittene Anwender mit Hasan Karahasan im Aura-Hotel "Ostseeperlen" Boltenhagen durchgeführt.

    Termine:

    03.03. - 88.03.2013 PC-Kurs Windows mit JAWS für Einsteiger, Pauschalpreis: 262,50 € (gefördert)

    08.03. - 12.03.2013 PC-Kurs Internet mit JAWS für Einsteiger, Pauschalpreis: 210,00 € (gefördert)

    25.11. - 30.11.2013 PC-Kurs Windows mit JAWS für Einsteiger bzw. fortgeschrittene Anwender, Pauschalpreis: 262,50 € (gefördert)

    30.11. - 04.12.2013 PC-Kurs Internet mit JAWS für Einsteiger bzw. fortgeschrittene PC-Nutzer, Pauschalpreis: 210,00 € (gefördert)

    Der Pauschalpreis enthält Unterkunft und Vollpension. Bitte jetzt schon anmelden und sich einen Platz sichern! Weitere Fragen beantworten Lydia Barkhau (Tel.: 038203 62993 (abends) oder am Tag 038203 62029 bzw. unter der E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder über Aura Hotel "Ostseeperlen" Boltenhagen, Tel.: 038825 3700, E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


    Erstes Digitalradio für blinde und sehbehinderte Menschen

    Am 6. Juni 2012, dem offiziellen Sehbehindertentag, stellte der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund e.V. (BBSB) in München den ersten Digitalradio-Empfänger vor, der auch von blinden und sehbehinderten Menschen bedient werden kann. Im Beisein von Thomas Kreuzer, bayerischer Medienminister und Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, fand die Vorstellung des "dRadio 110" der Firma Terratec Electronic GmbH (Nettetal) statt. Die Bayern Digital Radio GmbH (BDR) und das Elektronikunternehmen haben in enger Zusammenarbeit mit dem BBSB und der Interessengemeinschaft Sehgeschädigter Computerbenutzer e.V. (ISCB) das erste barrierefreie Radio entwickelt.

    Dr. Stefan Insam, Stellvertretender Landesvorsitzender des BBSB: "Das Digitalradio-Gerät entspricht in hohem Maße den Vorstellungen des Universal Design. Wir haben hier ein handelsübliches Gerät, das Informationen hörbar macht und das dadurch von Menschen, die blind sind oder nur wenig sehen können, gut bedient werden kann." Rudi Ullrich, Präsidiumsmitglied des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. (DBSV): "Digitale Medien sind auch für blinde und sehbehinderte Menschen unverzichtbar, um ihr Recht auf Meinungsbildung und gesellschaftliche Teilhabe wahrnehmen zu können. Dafür sind barrierefrei bedienbare Endgeräte, wie Radio- und Fernsehgeräte, Smartphones und Computer unerlässlich."

    In einer rund halbjährigen Entwicklungszeit wurde das "NOXON dRadio 110" um die barrierefreien Features für Blinde und Sehbehinderte ergänzt. Es enthält fühlbare Bedientasten sowie ein einrastendes Drehrad für die Senderwahl. Eine Text-To-Speech-Funktion gewährleistet, dass die DAB+-Sender sprachlich wiedergegeben werden. Weiteres Kernstück ist eine audiovisuelle Bedienungsanleitung. Sie erklärt Schritt für Schritt die Inbetriebnahme und Funktionalitäten. Alle notwendigen Features wurden gemeinsam mit dem BBSB getestet und den speziellen Anforderungen angepasst.

    Die kostenlose Erweiterung der Text-To-Speech-Funk tion kann jeder Besitzer des bisherigen "NOXON dRadio 100" als Software über die USBStelle updaten. Die Entwickler sichern zu, im Rahmen der Zusammenarbeit den Bedürfnissen der Blinden und Sehgeschädigten weiter entgegenzukommen und mit ihnen gemeinsam zusätzliche und passgenaue Features zu entwickeln. Mit dem erreichten Know-how will die Terratec Electronic GmbH auch weitere Geräte der NOXON-Produktgruppe auf die speziellen Funktionalitäten anpassen und somit einem noch breiteren Publikum von Radiohörern den Genuss digitalen Hörens ermöglichen.

    Auch der Hörfunk unterstützt die technische Entwicklung. Dr. Chris Weck, Deutschlandradio: "Das neue Digitalradio für Sehbehinderte ist eine wirklich gute Antwort auf viele unserer Höreranfragen. Denn die gesamte Medienwelt einschließlich Fernsehen und Hörfunk entwickelt sich hin zu visuellen Bedienkonzepten. Smartphones, Smart TV mit Zugang zu Mediatheken und programmbegleitenden Datendiensten sind für Sehbehinderte ein echtes Problem. Selbst Radiohören über den digitalen Satelliten oder das digitale Kabel ist ohne Fernseher kaum mehr möglich. Hörfunk ist aber gerade das Medium, das grundsätzlich ohne visuelle Elemente auskommen kann. Deutschlandradio möchte daher ganz bewusst seinen sehr aufmerksamen, sehbehinderten Hörern das Radiohören so einfach wie möglich machen."

    Das DAB+ Radio ist mit den neuen Features im Handel erhältlich.


    "Ich möchte nicht ins Altersheim": Rat und Hilfe bei Sehverlust im Alter

    "Mein Augenarzt hat mir gesagt, dass er mir nicht mehr helfen kann, damit muss ich mich jetzt abfinden." Diesen Satz höre ich sehr häufig bei meiner Beratungsarbeit für Menschen mit Sehverlust im Alter. Aus rein medizinischer Sicht mag dieser Satz stimmen, für die betroffenen Menschen jedoch ist er erst einmal schockierend, denn bisher ließ sich die nachlassende Sehfähigkeit mit einer neuen Brille beheben. Das soll nun nicht mehr möglich sein? Was wird denn nun auf mich zukommen? Werde ich langfristig nicht mehr lesen können? Werde ich weiterhin selbstständig leben können? Das sind einige der Fragen, die sich die betroffenen Seniorinnen und Senioren stellen. Auch für die Angehörigen entstehen viele Unklarheiten.

    Wenn die Augen von einer altersbedingten Erkrankung, wie der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), einem Glaukom (grünen Star) oder von einer diabetischen Retinopathie, um nur die häufigsten Erkrankungen zu nennen, betroffen sind, lässt sich das durch eine neue Brille nicht mehr "heilen". Dennoch ist es möglich, sein Leben weiterhin zu meistern. Es bedarf aber der richtigen Beratung und Unterstützung und der Verwendung spezieller Hilfsmittel.

    Das ist den Betroffenen aber meist nicht bekannt. Deshalb gilt es im ersten Schritt, den Kontakt zu den Experten der "Low Vision-Beratung und Sehhilfen-Anpassung" herzustellen. Dank der richtigen Lupe, einem Bildschirmlesegerät oder einem Vorlesesystem wie der die Tageszeitung lesen zu können, ist nicht selten ein echtes Aha-Erlebnis, das Mut macht.

    Ist dieser erste Schritt getan, stellt sich die Frage, wie der Alltag mit Hilfsmitteln und Unterstützungsleistungen so gestaltet werden kann, dass zum Beispiel das selbstständige Kochen, Einkaufen, Spazierengehen oder Telefonieren weiterhin möglich ist oder wieder möglich wird.

    Frau C. ist 82 Jahre alt und seit ein paar Jahren an AMD erkrankt. Bisher ist sie trotz der Sehbeeinträchtigung gut zurechtgekommen, aber in der letzten Zeit hat sie den Eindruck, dass ihre Sehfähigkeit doch noch etwas mehr nachgelassen hat. Vor allem bei der Bedienung des Herdes und der Waschmaschine merkt sie, dass sie nicht mehr richtig erkennen kann, welche Temperatur, beziehungsweise welches Waschprogramm sie eingestellt hat. Das belastet sie, denn ihren Haushalt hat sie bis jetzt ohne Hilfe gemeistert. Nun hat sie Angst, dass ihr das bald nicht mehr möglich sein wird. Bei einem ersten Gespräch, das in der Wohnung von Frau C. stattfindet, schildert sie mir ihre Ängste und Sorgen und wo sie die meisten Einschränkungen erfährt. Nachdem wir uns ausführlich über die unterschiedlichen Lebensbereiche und die jeweiligen Herausforderungen und Unterstützungswünsche unterhalten haben, schauen wir uns gemeinsam die Küche an und ich zeige ihr, wie sie ihren Herd und ihre Waschmaschine mit kleinen Punkten markieren kann, damit sie weiß, auf welcher Stufe der Herd eingestellt ist und ob das Waschprogramm auf 60 Grad steht. Da Frau C. noch etwas sehen kann, empfindet sie die roten, dicken Markierungspunkte als sehr hilfreich und ist erleichtert. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die optimale Ausleuchtung der Wohnung. Hier für zeige ich ihr unterschiedliche Energiesparlampen, die eine hohe Kelvin-Zahl haben. Dies bedeutet, dass das Licht dem Tageslicht sehr ähnlich ist und somit ein eingeschränktes Sehvermögen viel besser genutzt werden kann. Nach dem fast zweistündigen Gespräch ist Frau C. erleichtert. Sie schöpft neuen Mut, dass es ihr gelingen wird, auch weiterhin ihre Haushaltsgeräte bedienen zu können. Sie will es auf jeden Fall ausprobieren. Wir vereinbaren, dass ich in zwei Wochen wiederkomme.

    Frau G. hat zunehmend Schwierigkeiten, die Farben ihrer Kleidungsstücke zu erkennen. Gerade die hellen und die dunklen Farben kann sie immer schlechter unterscheiden. Das erlebt sie als sehr frustrierend, denn sie legt großen Wert darauf, gut gekleidet zu sein. Die anfängliche feuchte Makuladegeneration wurde durch Lucentis-Spritzen zum Stillstand gebracht. Doch wie der Verlauf der Krankheit weiterhin sein wird, kann niemand sagen. Diese Unsicherheit kann Frau G. an manchen Tagen nicht gut ertragen. Sie erkundigt sich bei mir, wie man Kleidungsstücke besser unterscheiden kann. Ich zeige ihr Wäsche-Markierknöpfe, die unterschiedliche Formen haben. In die helle Kleidung kann man die Knöpfe mit den Zacken nähen und in die dunklere Kleidung die Knöpfe mit den Kreisen. Eine weitere Möglichkeit ist der sogenannte "Pen-Friend". Ein elektronischer Stift, mit dessen Hilfe man kleine Aufkleber besprechen kann und diese dann an die Kleidung anbringt. Anschließend gleitet man mit dem Pen-Friend über den Aufkleber und er gibt das Aufgesprochene wieder. Also zum Beispiel: "Dies ist meine hellgraue Hose, die ich mir vor drei Jahren gekauft habe. Die passt gut zu meiner blauen Bluse." Die Aufkleber sind waschbar und können direkt an der Kleidung angebracht werden. Der "Pen-Friend" gefällt Frau G. sehr gut. Nachdem sie sich einen besorgt hat, treffen wir uns erneut, damit ich sie in den Umgang mit dem Pen-Friend einweisen kann. Die ersten Kleidungsstücke markieren wir gemeinsam und nach einer Weile beherrscht sie die Handhabung schon sehr gut. Neben den waschbaren Aufklebern gibt es auch normale Aufkleber, mit denen sie weitere Gegenstände, wie zum Beispiel ihre Medikamente, CDs, Bücher oder ähnliches kennzeichnen kann.

    Frau F. ist 93 Jahre alt und seit mehr als 30 Jahren verwitwet. Sie lebt alleine in ihrer Wohnung und ist darüber sehr glücklich. Sie kennt ihre Wohnung in- und auswendig und auch in ihrem näheren Umfeld findet sie sich gut zurecht. Das einzige, was ihr in letzter Zeit sehr schwer fällt, ist die Post zu lesen. Das empfindet sie als große Einschränkung. Sie möchte auch weiterhin ihren Schriftverkehr selbstständig regeln und Rechnungen bezahlen können.

    Über die Augenärztin bekam sie Kontakt zu uns. Anfangs ist Frau F. sehr zurückhaltend, denn ihre größte Sorge ist, dass wir den Umzug in ein Altenheim veranlassen könnten, was sie auf keinen Fall möchte. In einem ersten Telefongespräch kann ich ihr diese Sorge nehmen. Im Rahmen eines Hausbesuches besprechen wir dann die Möglichkeiten, um ihr den Alltag etwas zu erleichtern. Als erstes besorge ich ihr Kontaktadressen von "Essen auf Rädern". Im Moment kocht sie zwar noch selbst, hat jetzt aber für die Zukunft eine Nummer, wenn das selbstständige Kochen mal nicht mehr gehen sollte oder wenn sie einfach mal ein paar Tage nicht kochen möchte.

    Darüberhinaus überlegen wir, den Kontakt zu einer ehrenamtlichen Person herzustellen, die bei Bedarf vorbeikommt, um mit ihr die Post zu bearbeiten. Diese Idee findet Frau F. gut. Es gibt ihr Sicherheit, dass sie sich an jemanden wenden kann, wenn sie Hilfe braucht. Ihr ist dabei aber wichtig, dass sie das selbst entscheiden kann, auch wenn sie langsam akzeptiert, dass sie Hilfe benötigt, um ihren Alltag weiterhin in ihren vier Wänden zu meistern.

    Die Beratung bei Sehverlust im Alter ist also sehr vielfältig. Jede Augenerkrankung und jede Lebenssituation ist anders. Manche benötigen ganz konkrete Unterstützungsleistungen, andere wissen noch gar nicht genau, wo sie Unterstützung gebrauchen könnten und ob sie überhaupt Unterstützung annehmen möchten. Viele wollen auch nicht auffallen und behalten ihre Sorgen für sich. Sie merken oft erst im Gespräch, dass es Entlastung bringt, die Befürchtungen und Anliegen mit einer Person besprechen zu können, die auch fachliche Kompetenzen mitbringt und weiterhelfen kann. So höre ich nicht selten am Ende meines Besuches die Aussage: "Ach, Ihre Beratung hat mir jetzt doch weitergeholfen und gut getan."

    Kontakt

    blista-Seniorenberatung, Biegenstraße 20 ½, 35037 Marburg Telefon: 06421-606 505, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

    Das Projekt wird aus Mitteln der Deutschen Fernsehlotterie gefördert.

    Dorothee Suin de Boutemard ist Seniorenberaterin in der Rehabilitationseinrichtung (RES) der blista.


    Sind SGB IX, BGG und Arbeitsschutzgesetze ausreichend, um barrierefreie IT-Gestaltung im Sinne eines inklusiven Ansatzes umsetzen zu können?

    Dieser Frage ging Referent Klaus Buhmann während eines Workshops im Rahmen der Fachtagung "Barrierefreie IT am Arbeitsplatz" im Februar 2012 in Hamburg nach. Die Besucher der Tagung, die im Rahmen des Projektes "BIK@work - barrierefrei informieren und kommunizieren am Arbeitsplatz" stattfand, hatten die Möglichkeit, an einem von acht Workshops teilzunehmen.

    1994 wurde das Benachteiligungsverbot ins Grundgesetz aufgenommen. Damit begann ein entscheidender Paradigmenwechsel in der deutschen Behindertenpolitik. Von der Fürsorge, Vevormundung und Ausgrenzung begann ein Wandel hin zu Selbstbestimmung, Gleichbehandlung und Chancengleichheit.

    Die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 als Bundesgesetz vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde, stellt den aktuellen Stand dieses Paradigmenwechsels dar. Grundsätze dieses Gesetzes sind unter anderem die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen sowie seiner Unabhängigkeit, die Nichtdiskriminierung, die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, die Chancengleichheit und die Zugänglichkeit.

    Im Folgenden soll diskutiert werden, ob die anderen Gesetze, die sich mit der Behindertenpolitik hinsichtlich Beschäftigung und Arbeitsplatzgestaltung befassen, diesem hohen Anspruch an Inklusion entsprechen oder ob Handlungsbedarf besteht.

    Als relevante Gesetze hierzu sind zu nennen:

    • Das Rehabilitationsangleichungsgesetz SGB IX von 2001 und
    • das Behindertengleichstellungsgesetz BGG von 2002.

    Interessant ist es, sich die Behindertenbegriffe im SGB IX und im BGG näher anzusehen. Beide Gesetze verwenden denselben Wortlaut für die Definition von Behinderung:

    Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teil habe am Leben in der Gesell schaft beeinträchtigt ist.

    Diese Definition stammt ursprünglich aus dem medizinischen Bereich. Behinderung musste abgegrenzt werden gegenüber "typisch", "gesund" und "krank". Beschrieben werden die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Sie stellt also nur eine Defizitbetrachtung dar. Für einen Nachteilsausgleich mag diese Defizitbetrachtung im SGB IX ausreichend sein. Für barrierefreie Arbeitsstätten und Arbeitsplätze ist es jedoch zwingend, dass sie entsprechend der Fähigkeiten und Fertigkeiten gestaltet werden.

    Betrachten wir die Begriffe "behindertengerecht" und "barrierefrei". Auch hier helfen uns das SGB IX und das BGG weiter.

    Unter anderem haben schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 81 SGB IX gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätte. Für die sicherheitstechnische und ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze bedeutet dies aber, dass die geltenden Arbeitsschutzbestimmungen den besonderen Bedürfnissen behinderter Menschen nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen.

    Nicht behinderte Mitarbeiter können davon ausgehen, dass ihre Arbeitsplätze ihren persönlichen Bedürfnissen und Ansprüchen an Arbeitssicherheit und Ergonomie entsprechen; behinderte Mitarbeiter müssen individuell diese Gestaltung bei ihrem Arbeitgeber einfordern. Dieser bekommt dann für die nachträgliche Anpassung Zuschüsse von Integrations- oder Arbeitsämtern.

    Die Tatsache, dass es dieses Paragrafen im SGB IX überhaupt bedarf, heißt, dass in unserer heutigen Arbeitswelt Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Sinne der UN-BRK noch lange nicht gegeben ist.

    Im Gegensatz dazu steht der Anspruch an Barrierefrei heit im BGG: Die Definition von "Barrierefreiheit" in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes ist Ausdruck des Paradigmenwechsels und eines neuen Denkens: Die besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen stellen keine Besonderheit mehr dar, sondern werden wie alle anderen menschlichen Bedürfnisse behandelt. (Dass hier in der Definition noch von "behinderten Menschen" die Rede ist, war eine erforderliche Konzession an ein weltweit erstmaliges Gesetzesvorhaben).

    Für die berufliche Tätigkeit bedeutet dies: Wenn ich in den dritten Stock gelange, muss auch der Kollege mit dem starken Asthma problemlos dorthin kommen. Wenn ich am PC arbeite, muss auch die blinde Kollegin am PC arbeiten können, und wenn ich den Brandalarm höre, muss auch der gehörlose Kollege mitbekom men, dass er schnellstens das Gebäude verlassen muss.

    Dieser Ansatz entspricht meiner Auffassung nach in vollem Umfang der Forderung nach umfassender Teilhabe, Chancengleichheit und Zugänglichkeit gemäß UN-BRK. Er bedeutet aber, dass nicht wie beim SGB IX nachträglich eine Anpassung erfolgt, sondern präventiv bei Neubauten und großen Umbauten die Bedürfnisse behinderter Menschen mit berücksichtigt werden. Das vermeidet in großem Umfang nachträgliche teure Umbau- und Anpassungsarbeiten. Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter kommt es nur auf ihre Fähigkeiten und Qualifikationen an.

    Wenden wir diese Grundlagen hier im Rahmen dieses Forums auf IT-Arbeitsplätze an. Als relevante Verordnungen sind hier die Bildschirmarbeitsverordnung und die Arbeitsstättenverordnung zu nennen. Betrachtet man § 4 Abs. 3 der Bildschirmarbeitsverordnung näher, so stellt man fest, dass hier das gleiche Gestaltungsprinzip angewendet wird wie im § 81 des SGB IX. Erst werden die Arbeitsplätze herkömmlich gestaltet, und erst, wenn Menschen mit Behinderungen daran tätig werden sollen, werden teure Anpassungsmaßnahmen vorgenommen. Nicht selten entstehen dabei Insellösungen, die eine gleichberechtigte Mitarbeit nicht zulassen. Dass die Bildschirmarbeitsverordnung diesen neuen Ansatz der UN-BRK noch nicht verfolgt, ist nach vollziehbar. Sie entstand bereits 1996 und auch die letzte Überarbeitung 2008 erfolgte vor der Verabschiedung der UN-BRK.

    Bei der Arbeitsstättenverordnung hört jedoch jegliches Verständnis auf. Bei der Beschlussfassung des BGG 2002 war es der erklärte Wille des Bundesrates, dass bei der Novellierung der Arbeitsstättenverordnung die Barrierefreiheit im Sinne des BGG berücksichtigt wird. Der Verordnungsgeber hat aber mit der Formulierung, dass nur dann barrierefrei gebaut werden muss, wenn Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden, nur auf das SGB IX und nicht auf das BGG zurückgegriffen. Diese Formulierung steht in krassem Widerspruch zum Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes und hat nichts, aber auch gar nichts mit Inklusion zu tun, wie sie die UN-BRK fordert. Der Begriff Barrierefrei heit im § 3 a der Arbeitsstättenverordnung ist schlichtweg Etikettenschwindel. Es ist nichts anderes als die nachträgliche, rehabilitative, teure Anpassung von Arbeitsplätzen, wenn ein behinderter Mitarbeiter beschäftigt werden soll.

    Ich fasse zusammen: 1. Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention genügt die medizinische Sichtweise der "Behinderung" nicht. Erforderlich ist ein ganzheitlicher Ansatz, der gesundheitliche Einschränkungen und Fähigkeiten berücksichtigt. 2. Für die Neugestaltung von Arbeitsstät ten, Arbeitsplätzen und Arbeitsmitteln sind konsequent die Gestaltungsprinzipien der Barrierefreiheit anzuwenden. Die Anpassung im Bestand sollte nach SGB IX erfolgen, aber nicht auf schwerbehinderte Menschen beschränkt sein. 3. Zur Berücksichtigung von Maßnahmen im Bestand ist zu diskutieren, ob bei der anstehenden Überarbeitung der Arbeitsstättenverordnung die Punkte 4 und 5 aus dem § 81 (4) des SGB IX in die Arbeitsstättenverordnung übernommen werden sollten.

    Zum Autor

    Klaus Buhmann war bis Ende 2011 Leiter des Sachgebiets "Barrierefreie Arbeitsgestaltung" des Dachverbandes Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV).


    "Ein akustischer Rundgang durch Marburg"

    DVBS und Autorin Kristina Lieschke präsentierten "Marburger Berühmtheiten" in einer Version für Blinde und Sehbehinderte

    Im vergangenen Jahr stellte die Marburger Autorin und Stadtführerin Kristina Lieschke ihr Büchlein "Marburger Berühmtheiten" vor. Dieses gedruckte Buch eignet sich hervorragend zum Blättern und Schmökern während eines Stadtrundgangs - doch blinde und sehbehinderte Menschen hatten bislang keine Möglichkeit, Wissenswertes über die porträtierten berühmten Menschen zu erfahren. Der selbst blinde Geschäftsführer des DVBS, Michael Herbst, regte daraufhin an, eine Version des Buches zu produzieren, die auch von Blinden und Sehbehinderten gelesen werden kann. "Das müssen wir in einer Hörversion produzieren", lautete Herbsts Reaktion, nachdem er von der Veröffentlichung erfahren hatte. Autorin Kristina Lieschke zeigte sich begeistert von der Idee. "Es ist schön, wenn noch eine Zielgruppe erreicht werden kann", erklärte sie.

    Als aus dem Textservice des DVBS die Nachricht kam, das Hörbuch könne produziert werden und die Leserin sei auch schon gefunden, "da war ich baff", so Michael Herbst. Die Autorin selbst entpuppte sich als Leserin und hat insgesamt rund zwölf Stunden in der Sprecherkabine verbracht. Zunächst sei es etwas ungewohnt für sie gewesen, "der Wand etwas vorlesen zu müssen", so Lieschke. Aus 50 gedruckten Seiten ist die Hörversion mit einer Länge von einer Stunde und 35 Minuten geworden. Diese enthält neben dem Text auch ergänzende Anmerkungen der Autorin, um die im Buch abgedruckten Fotos näher zu beschreiben. "Die Hörversion ist ein akustischer Rundgang durch Marburg", sagte DVBS-Geschäftsführer Michael Herbst.

    Wilhelm Gerike, EDV-Assistent in der DVBS-Geschäftsstelle, erklärte, wie blinde und sehbehinderte Nutzer das DAISY-Format abspielen und "lesen" können. "Der große Vorteil ist, dass man bei DAISYCDs auf die verschiedenen Ebenen eines Dokuments zugreifen und von Ebene zu Ebene springen kann", so Wilhelm Gerike über die Vorzüge dieser Technik. Für die "Marburger Berühmtheiten" bedeutet das, der DAISY-Nutzer kann auf der Ebene der Seiten zahlen navigieren oder hat die Wahl, von Berühmtheit zu Berühmtheit zu "blättern".

    Schöne Geschenkidee für ehemalige Marburger und Besucher

    Das Buch ist nicht nur für Marburger interessant, es ist auch ein schönes Geschenk oder Mitbringsel für blinde und sehbehinderte Menschen, die zu Besuch in der Stadt sind oder einmal in Mar burg gewohnt haben und jetzt Besuch aus der alten Heimat bekommen. Dass die Idee einer Version zum Hören bei der Zielgruppe gut ankommt, konnte der DVBS bei der Mitgliederver sammlung im Mai feststellen: "Von den 100 anwesenden blinden und sehbehinderten Mitgliedern haben 20 ein Exemplar gekauft", sagte Herbst. Viele der Mitglieder, die alle zwei Jahre zur Versammlung nach Marburg kommen, haben ihre Schulzeit an der blista verbracht und haben so ein Stück Erinnerung zum Anhören an ihre Zeit in Marburg.

    Das Set, bestehend aus DAISY-CD und gedrucktem Buch, ist zum Preis von 6,50 Euro beim DVBS erhältlich. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


    Tag der Sehbehinderten in Essen

    Zum elften Mal fand in diesem Jahr am 2. Juni der Tag der Sehbehinderten in Essen statt. Rund 450 Besucherinnen und Besucher kamen ins Haus der Technik, um sich bei Selbsthilfegruppen, Hilfsmittelfirmen, Augenoptikern und in Vortragsveranstaltungen zum Thema Sehbehinderung zu informieren. Auch ein Team der DVBS-Bezirksgruppe Westfalen-Ruhrgebiet war wieder mit einem Info-Stand vertreten und konnte vielen Interessierten mit Informationen und Ratschlägen weiterhelfen. Insgesamt war die Besucherzahl des diesjährigen Sehbehindertentages zwar rückläufig, die Veranstalter waren aber dennoch zufrieden. "Es konnten viele intensive Gespräche geführt werden, und es gab viel Zeit, auf die Fragen und Wünsche einzelner einzugehen", so Christa Wollenweber-Noot vom Organisationsteam.

    Hintergrund: Der Essener Tag der Sehbehinderten wird jährlich vom Essener Arbeitskreis Vergrößernde Sehhilfen unter Leitung von Dr. Barbara Schaperdoth-Gerlings (Sehbehinderten-Ambulanz Universitäts-Augenklinik Essen) durchgeführt. Die DVBS-Bezirksgruppe Westfalen-Ruhrgebiet beteiligt sich regelmäßig an der Veranstaltung.


    100 Tage e-dig und mehr: Die Gewinner stehen fest!

    e-dig.de hat in den ersten 100 Tagen online einen guten Eindruck hinterlassen: Blinde und Sehbehinderte haben die Plattform für barrierefreie Literatur auf Herz und Nieren getestet. Hier lässt sich seit dem 15. März 2012 im Buchbestand des "Textservice" stöbern. Außerdem bietet die "Literaturbörse" Mitgliedern weitere Optionen. Unter den registrierten e-dig-Mitgliedern der ersten hundert Tage wurden nun drei DAISY-Buchpreise ausgelost. DVBS-Glücksfee Christina Muth zog drei Gewinnerinnen. Jede wird per E-Mail benachrichtigt und kann sich aus dem Bestand des DVBS-Textservice ein Buch eigener Wahl aussuchen. Herzlichen Glückwunsch!

    In den nächsten Monaten wird sich der DVBS vor allem bemühen, die Möglichkeiten für die "Literaturbörse" zu verbessern. Zur Zeit kön nen dort nur Texte getauscht werden, deren Autorschaft bei den eingetragenen Mitgliedern selbst liegt oder deren Urheberrechte abgelaufen sind.

    Der Textservice freut sich, dass e-dig.de auch nach dem Online-Gang stabil und nutzerfreundlich läuft. Zudem wurden viele Menschen angesprochen, die bisher keinen Kontakt zur Blindenselbsthilfe des DVBS hatten. e-dig.de hat sich zum Ziel gesetzt, Hürden abzubauen und Blinden und Sehbehinderten den Zugang zu barrierefreier Literatur zu erleichtern.


    Protokoll der Mitgliederversammlung auf "Intern"

    Alle DVBS-Mitglieder, die nicht zur Versammlung nach Marburg kommen konnten, haben dennoch Gelegenheit, im Detail zu erfahren, was während der Mitgliederversammlung besprochen wurde: Das Protokoll der Versammlung wird auf der nächsten Ausgabe des Vereinsmagazins "Intern" enthalten sein.


    Terminvorschau

    28. bis 30. September 2012 - Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender in Hannover

    6. bis 13. Oktober 2012 - "Altern und Blindheit" Seminar der Gruppe Ruhestand in Bad Meinberg

    18. bis 21. Oktober 2012 - "Präsentieren vor größeren und kleineren Gruppen" Fortbildungsseminar der Fachgruppe Wirtschaft in Herrenberg

    23. November 2012 - "DVBS hautnah" Interessierte Vereinsmitglieder werden in Marburg in Strukturen und Arbeit der Selbsthilfeorganisation eingeführt. Sie erfahren, welche Unterstützung ihnen in der ehrenamtlichen Arbeit für den DVBS zur Verfügung steht und wie sie sich einbringen können.

    24. November 2012 DVBS-Arbeitsausschuss in Marburg

    Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php


    Erfolgreiche Absolventen bestehen ihre Prüfungen

    Herzlichen Glückwunsch an alle Absolventen, die in den vergangenen Wochen ihre Prüfungen an der Carl-Strehl-Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt bestanden und allen Grund zum Feiern haben!

    Gymnasium: Am 8. Juni 2012 bestanden die Reifeprüfung: Ruth Arbenz, Tom Baumeister, Nagesh Beltramini, Susanne Eder, Alex Haar, Julia Haarmann, Ann-Kathrin Hesse, Christoph Kaercher, Isabel Kern, Kai Kortus, Simon Kretz, Manfred Mesch, Marc Aniello Milano, Merag Mir, Mert Özdemir, Hauke Quent, Latova Reitzner und Shari-Jaqueline Schirdewan.

    Berufl. Gymnasium - FR Wirtschaft: Am 8. Juni 2012 bestanden die Reifeprüfung: Sandra Beck, Oktav Dogrukök, Andreas Göller, Johannes Hefler, Judith Kühn, Saadettin Mete, Rhonda Molz, Elias Müller, Ali Can Pektas, Alessa Pfannkuch, Eveline Seidel, Bernhard Stadelmeier und Michael Traum.

    Mit der Abschlussprüfung erlangten am 8. Juni 2012 die Fachhochschulreife an der Fachoberschule - FR Sozialwesen: Henrike Bergermann, Julian Casabianchi, Matthias Höfeld, Julia Mimzeck, Nicole Opalke, Sabrina Prüll, Marc Rathke, Noemi Ristau, Ivy Trippold und Kadrive Uvar.

    Mit der Abschlussprüfung erlangten am 8. Juni 2012 die Fachhochschulreife an der Fachoberschule - FR Wirtschaft: Anne Becker, Florian Kaufmann, Nazli Özpelit, Julia Rode, Lisa Rothermel und Sarah Schacht.

    Mit der Abschlussprüfung wurden am 8. Juni 2012 Kaufmännische Assistenten für Fremdsprachensekretariate: Judith Bartkowski, Anita Budimlic, Alexander Scherrer und Christin Wunder.

    Mit der Abschlussprüfung wurden am 8. Juni 2012 Kaufmännische Assistenten für Informationsverarbeitung: Richard Ben Feißt, Stefanie Kahn, Janneke Langenfurt, Agnieszka Ottawa und Kim-Christian Sterkel.

    Am 20. Juni 2012 erlangte den schulischen Teil der Fachhochschulreife: Meike Grossert.

    Insgesamt sieben IT-Auszubildende haben ihre Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer erfolgreich abgelegt. Fachinformatikerin/Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung: Saskia Bader, Viktor Kratz, Maximilian Potthoff, Carsten Noatzke

    Informatikkauffrau/Informatikkaufmann: Christopher Asche, Niklas Leonhardt, Moritz Wolfart


    Ein neues Schulgebäude für die blista

    Haus wird nach Stifterin "Hilde Klar" benannt

    In den vergangenen Jahren ist das Interesse von blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schülern aus dem gesamten Bundesgebiet am Besuch der Carl-Strehl-Schule stetig gestiegen. Mit 330 Schülerinnen und Schülern hat der Zuspruch in diesem Schuljahr einen bisherigen Höchststand erreicht. "Dabei ist der eindeutige Trend festzustellen, dass viele Schüler erst zur Sekundarstufe II nach Marburg kommen, um hier die gymnasiale Oberstufe oder die Fachoberschulen zu besuchen. Dieser Herausforderung mussten wir uns stellen und dem gestiegenen Raumbedarf und den technischen Notwendigkeiten für eine qualifizierte Ausbildung Rechnung tragen", sagt blista-Direktor Claus Duncker. "Da das bisherige Kursgebäude, eines der ältesten auf dem Campus, ohnehin dringend sanierungsbedürftig war und auch nicht mehr den Ansprüchen von Barrierefreiheit genügte, haben wir uns für einen Neubau entschieden", ergänzt Arno Kraußmann, der gemeinsam mit Duncker den zweiköpfigen hauptamtlichen blista-Vorstand bildet und für Bau und Finanzen zuständig ist.

    Finanziell gefördert wurde der Bau des knapp 2,5 Millionen Euro teuren Gebäudes durch die Stiftung Deutsche Blindenstudienanstalt, die sich dank eines namhaften Vermächtnisses des Ehepaares Hilde und Dr. Rudolf Klar für den Bau engagieren konnte. Ohne dieses Vermächtnis der Eheleute Klar hätte die Stiftung nicht über die Mittel verfügt, sich so intensiv zu engagieren, so Kraußmann. Deshalb habe der Vorstand der blista beschlossen, dass das neue Gebäude im Gedenken und in Dankbarkeit "Hilde-Klar-Haus" heißen soll. Denn Frau Klar sei es gewesen, die nach dem Tode ihres Mannes, der in Marburg studierte und lange Jahre als Augenarzt in Koblenz tätig war, die endgültige Zuwendung zugunsten der Arbeit der blista verfügte.

    Das neue Oberstufengebäude wurde im Rahmen des Sommerfestes in einer kleinen Feierstunde offiziell an die Schulgemeinde übergeben. Die Gäste, darunter Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel, konnten sich bei der Begehung einen ersten Eindruck über die Raumaufteilung und Funktionalität verschaffen. Es soll während der Sommerferien endgültig fertiggestellt und ausgestattet werden, sodass der Umzug der Jahrgangsstufen 12 und 13 zum Schuljahresbeginn vonstattengehen kann.

    Auch Notar Dr. Johannes Adams, der mit der Familie Klar freundschaftlich verbunden war, und der Testamentsvollstrecker Rüdiger Mohrs zeigten sich beeindruckt und unterstrichen, dass das Ehepaar Klar sicher sehr glücklich über den Umgang mit seinem Vermächtnis gewesen wäre.


    "RehaFair" - EDV-Ausstellung 2012

    Namhafte Firmen zeigen auch in diesem Jahr wieder ihre neuesten Produkte in Marburg. Am Freitag, 9. November, findet von 9 bis 17 Uhr die EDV-Ausstellung "Reha Fair" an der blista statt. Der blista-Hilfsmittel-Shop ist an diesem Tag von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Für nähere Informationen und Kontakt: Tel. 06421 606-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


    Zukunft frühzeitig planen: blista lädt ein zu "Schnuppertagen für Schüler und Eltern"

    Donnerstag, 1. November 2012 und Freitag, 2. November 2012

    Wie geht es mit der Schule weiter, welche Ausbildung ist die richtige für mich? Nach der 5. Klasse aufs Gymnasium oder eher auf die Realschule? Nach der mittleren Reife das Abitur anstreben, auf eine Fachoberschule wechseln oder doch gleich eine Berufsausbildung? Zu Hause bleiben oder an ein Förderzentrum wie die blista in Marburg wechseln …? Weil dies für Eltern und Kinder oft keine einfachen Entscheidungen sind, tut es gut, sich Zeit zu nehmen. Die blista bietet ihren Schülerinnen und Schülern eine breite Auswahl an qualifizierten Bildungsabschlüssen.

    An der blista absolvieren Jahr für Jahr zwischen 50 und 60 Absolventen erfolgreich ihr Abitur, Fachabitur oder eine qualifizierte Berufsausbildung. Der Einstieg ist ab Klasse 5 nahezu jeder zeit möglich.

    blista-Schnuppertage im Überblick

    Mittwoch, 31.10.2012: ab 18 Uhr Willkommenstreff mit Imbiss

    Donnerstag, 01.11.2012: ab 8 Uhr Begrüßung, Kennenlernen der blista und Mitmachunterricht

    Freitag, 02.11.2012: 8 bis 15 Uhr: Fortsetzung des Programms, Abschluss runde und Verabschiedung

    Kontakt und Anmeldung

    Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung, Anmeldeschluss ist der 22. September 2012. E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Tel.: 06421 606-361, nach Ihrer Anmeldung versenden wir das endgültige Programm und einen Fragebogen. Neben den Kosten für die Fahrt und Unterkunft entstehen Ihnen keine weiteren Kosten.


    Impressum

    Herausgeber: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

    Redaktion: DVBS (Uwe Boysen, Michael Herbst, Andrea Katemann und Christina Muth) und blista (Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel)

    Koordination: Christina Muth, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-13, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de

    Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.

    Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.): Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)

    Erscheinungsweise: Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

    Jahresbezugspreis: 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 35 Euro für alle übrigen Ausgaben. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

    Bankkonten des DVBS: Sparkasse Marburg-Biedenkopf (BLZ 533 500 00), Konto 280 - Commerzbank AG Marburg (BLZ 533 400 24), Konto 3 922 945 - Postbank Frankfurt (BLZ 500 100 60), Konto 149 949 607

    Verlag: Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389, Jahrgang 74

    Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg

    Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg

    Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

    Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

    Titelbild: Blindheit und Gesundheit, Fotos: Christina Muth

    Nächste Ausgabe (horus 4/2012): Schwerpunktthema: Inklusive Bildungswelt: Erscheinungstermin: 26. November 2012, Anzeigenannahmeschluss: 26. Oktober 2012, Redaktionsschluss: 4. Oktober 2012


    Versuchs doch mal mit Gemütlichkeit: Gedanken zu Stressvorbeugung und Stressbewältigung

    Indem der in Mode gekommene Begriff "Stress" negativ besetzt ist, erzeugen wir allein durch unbedachten Wortgebrauch ein Gefühl unangenehmer innerer Anspannung und sind in Gefahr, uns unnötig in die Erschöpfung hineinzureden. Sinnvoll ist eine eng gefasste Definition: Stress entsteht, wenn wir uns einer (meist unangenehmen) Anforderung gegenübergestellt sehen, die wir mit Hilfe unserer Fähigkeiten und/oder geeigneter sozialer Unterstützung nicht bewältigen zu können glauben, so dass wir uns bedroht und überfordert fühlen. Akuter Stress ist nicht immer schädlich, sondern bringt eine gewisse Würze ins Leben, fördert Lernen und Entwicklung, sofern wir in der Bewältigung der Situation eine positive Herausforderung sehen können. Chronische Stressbelastung ohne ausreichende Ruhe- und Erholungsphasen kann jedoch unsere Gesundheit bedrohen.

    Als sehgeschädigte Menschen sind wir einer Vielzahl zusätzlicher Belastungen und Stressoren ausgesetzt. Daher ist gerade für uns eine gesundheitsfördernde Lebensweise besonders wichtig, um Stress vorzubeugen oder zu bewältigen. Kollektive Lösungsansätze sind ebenso notwendig wie individuelle Strategien eines gesundheitsfördernden Umgangs mit behinderungsbeding ten und sonstigen Belastungen.

    Was ist Stress?

    Hans Selye, der Begründer der psychologischen Stressforschung, verstand unter Stress jedwede Belastungen, Anstrengungen und Ärgernisse, denen ein Lebewesen täglich ausgesetzt ist. Diese weitgefasste Definition hat längst ihren Siegeszug in unsere Alltagssprache gehalten: Benutzen wir heute das Wort "Stress", meinen wir damit oft alles, was mit einer gewissen Anstrengung verbunden ist. Einen ganz normalen Arbeitstag, vielleicht sogar ein Treffen mit Freunden nennen wir stressig, ohne darüber nachzudenken, was wir damit eigentlich anrichten. Manchmal muss ein Satz wie: "Ich bin ja so im Stress" regelrecht als Statussymbol herhalten, unterstreichen wir damit doch unsere Wichtigkeit und Unersetzlichkeit.

    Welche Stressoren gibt es?

    Stressoren können von außen auf uns einwirken (grelles Licht, Lärm, Über- oder Unterforderung, inhumane Arbeitsbedingungen, mangelnde soziale Anerkennung und Unterstützung, Zeitdruck, Armut, fehlende Gestaltungsspielräume, Stigmatisierung etc.). Stressoren können ihren Ursprung auch in unserer Seele haben (Perfektionismus, negatives Selbstbild, Selbstabwertung, ungünstige Einstellungen, Erwartungshaltungen und Befürchtungen, Versagensängste etc.). Manchmal verzerren wir positive Herausforderungen zu negativen Stressbelastungen oder steigern diese durch den Einsatz stressverschärfender Denkstile. Als solche bezeichnen wir

    • selektives Wahrnehmen negativer Situationsaspekte (wenn wir jammern, dass es regnet, aber die nach langer Schwüle angenehm klare Luft nicht beachten)
    • selektives Verallgemeinern (wir beziehen einzelne negative Ereignisse und Erfahrungen auf unser gesamtes Leben à la "Alles Scheiße, Deine Emma!")
    • Personalisieren ("Das Wetter ist schlecht, weil ich meinen Teller nicht leergegessen habe")
    • Katastrophisieren ("Wenn ich nicht mehr sehen kann, werde ich den Rest meines Lebens hilflos herumsitzen").

    Ungünstig sind auch die Unfähigkeit zu delegie ren, Profilierungsstreben, generalisierte Hilflosigkeitserwartungen ("ich kann sowieso nichts machen") ebenso wie übertriebene Kontrollambitionen ("ich kann alles im Griff haben, wenn ich mich nur genug anstrenge") etc.

    Die akute Stressreaktion ist biologisch sinnvoll: Der Organismus bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor, rasches Reagieren wird möglich. Können wir danach zur Ruhe zurückfinden, gibt es kein Problem. Auf Dauer sind stressinduzierte Reaktionsmuster jedoch dadurch gefährlich, dass sie bei uns anders als bei unseren Vorfahren meist keine ausreichende natürliche Abreaktion finden. Bei chronischer Stressbelastung schaltet der Körper auf gefährlichen "Daueralarm": Im Gehirn werden Morphologie und Anzahl der Nervenzellen verändert: Im Hippocampus und präfrontalen Cortex verkümmern sie, in der für Emotionen zuständigen Amygdala vermehren sie sich. Spürbare Folgen sind die Einschränkung der emotionalen Erlebnisfähigkeit sowie kognitiver Funktionen wie Konzentration und Gedächtnis. Die Wahrnehmung wird eingeengt. Reizbarkeit, Traurigkeit, Angst, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht können in eine depressive Erkrankung und in den erschöpften Zusammenbruch münden.

    Erwischen Sie sich häufiger bei Verhaltensweisen wie schnellem und abgehacktem Sprechen, hastigem Herunterschlingen des Essens, bei Betäubungsverhalten (Essen, Alkohol, exzessivem Rauchen, Schmerzmittelkonsum), unkoordiniertem Arbeitsverhalten, mangelnder Planung, Multitasking, beim Verlieren und Verlegen von Gegenständen oder beim konfliktreichen Umgang mit anderen Menschen, so wird es höchste Zeit, über Veränderungen nachzudenken. Weitere Warnsignale sind sozialer Rückzug, Aktivismus oder Inaktivität, in der Freizeit Rückzug auf "low-effort-activities" (etwa sich vom Fernsehen berieseln lassen). Alarmsignale auf der körperlichen Ebene sind Überempfindlichkeit gegen Lärm, Übelkeit, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, Erschöpfung, Muskelschwäche, Verspannungen, Atemnot, Magen-Darm-Beschwerden oder Infektanfälligkeit. Ignorieren Sie diese Warnzeichen, wird sich Ihr Risiko für Bluthochdruck, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Hörsturz erheblich erhöhen!

    Sehschädigung und Stress

    Jede(r) von Sehschädigung bzw. fortschreitendem Sehverlust Betroffene kennt eine Vielzahl belastender Themen, Ereignisse und Alltagssituationen, die zu meistern sind und als überfordernder Stress erlebt werden können:

    • Beunruhigung durch erste Symptome
    • Schock der Diagnosemitteilung
    • begleitende Belastungsfaktoren des Sehverlusts wie Schmerzen, Krankenhausaufenthalte, Operationen, Nebenwirkungen von Medikamenten
    • ungünstige Reaktionen der Umgebung/Stigmatisierungsprozesse
    • Zukunftsängste
    • Trauer- bzw. Krisenver arbeitungsprozess
    • Dysfunktionale Bewältigungsversuche, z.B. Fixierung auf medizinische Forschung und Verharren auf bzw. Entwickeln von ungünstigen Werten
    • Alltagsbelastungen wie Mobilitätsprobleme, erhöhter Konzentrationsaufwand, Unfallrisiko, Leistungsdruck, Umweltbarrieren etc.

    Natürlich müssen wir uns davor hüten, die alleinige Verantwortung für die Prävention von Stressschäden uns selbst zuzuschieben. Unserer Gesellschaft kommt die Verantwortung zu, inklusive und gesundheitsfördernde Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen. Je mehr es gelingt, Barrieren (auch in den Köpfen!) abzubauen und zu einem gleichberechtigten Miteinander zu finden, desto entspannter können auch wir als Sehgeschädigte in dieser Gesellschaft unseren Platz finden und den Alltag meistern. Dennoch bleibt es in unserer Verantwortung als Individuen, für unser Leben und unse ren Umgang mit Stress sinnvolle Strategien zu entwickeln:

    Gesunde Lebensweise

    Gesund leben bedeutet, bestimmte Stressoren zu meiden sowie Körper, Geist und Seele so weit zu stärken, dass wir unvermeidliche Belastungen besser abfedern können. Hierzu gehören:

      • Entwicklung einer Haltung innerer Achtsamkeit
      • Schaffung einer beobachtenden inneren Instanz, die sich nicht völlig ins Geschehen involvieren lässt und aus einer gewissen Distanz eine andere Perspektive einnehmen kann
      • rechtzeitiges Erkennen von Stresssituationen und Frühwarnsignalen für Stressreaktionen
      • Entwicklung einer eher optimistischen und humorvollen Haltung zum Leben und den eigenen Möglichkeiten
      • Fähigkeit, über den Tellerrand der eigenen Betroffenheit zu schauen und das eigene Leben in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen
      • • Aufbau sinnstiftender Aktivitäten (Beruf, Familie, Ehrenamt, bürgerschaftliches Engagement etc.) und positiver, erreichbarer Lebensziele
      • Pflege befriedigender Freizeitaktivitäten, z. B. im musischen und kreativen Bereich
      • erfüllende Sozialkontakte
      • ehrlicher Umgang mit Konflikten
      • gesunde, ausgewogene Ernährung
      • maßvoller Umgang mit Genussgiften
      • Bewegung an der frischen Luft
      • Sport ohne übertriebenen Leistungsdruck
      • Entspannungsmethoden (Autogenes Training, Atemarbeit, Yoga etc.)
      • liebevolle Körperpflege (z.B. Zeit für ein warmes Bad)
      • regelmäßige Tagesstruktur
      • ausreichend Schlaf und sonstige Zeiten der Ruhe und Stille
      • Umgang mit Tieren
      • Training der Genussfähigkeit und der achtsamen sinnlichen Wahrnehmung

    Annahme der Behinderung

    Je mehr wir mit unserer Behinderung hadern, desto mehr Stress werden wir erleben: Vielleicht schämen wir uns, als behindert identifiziert zu werden. Gefühle von Zorn, Auflehnung, Depression oder Verzweiflung mögen uns Lebensfreude und Tatkraft rauben. Kurz: Es ist Stress erzeugend, sich auf Dauer gegen etwas aufzulehnen, das wir nicht ändern können. Lernen wir hingegen, uns mit unserem individuellen So-Sein als sehbehinderte oder blinde Menschen anzunehmen, haben wir gute Chancen, mit uns und unserer Behinderung in Frieden zu leben und unsere Wertestruktur konstruktiv weiterzuentwickeln. Behinderungsbedingten Stress können wir so natürlich nicht ganz aus der Welt schaffen, jedoch auf das unvermeidliche Minimum reduzieren.

    Umgang mit Stress

    Fragt man Menschen, wie sie mit Stress umgehen, erfährt man oft, dass die Hoffnung, der Stress werde schon von allein vergehen, die einzige bewusste Bewältigungsstrategie darstellt. Klassische Bewältigungsversuche, die zumindest auf Dauer nicht funktionieren, sind:

    • Passivität
    • Flucht in irreale Wunschfantasien
    • exzessiver Alkohol- oder Medikamentenkonsum
    • pausenloses Weiterwursteln
    • Ausleben von Gereiztheit und Aggressivität
    • übertriebene Schonung und Selbstmitleid
    • Verdrängung
    • zu viel des Guten (z.B. extremes Joggen)
    • übertriebene Beschäftigung mit der Gesundheit

    Handlungsorientierte Strategien

    Hierbei geht es um aktives, beobachtbares Verhalten, das geeignet ist, auf die Stress erzeugende Situation einzuwirken, das Problem zu lösen oder zu lindern. Das ist etwa der Fall, wenn Sie bei Ihrer Gemeinde erwirken, dass die Kreuzung, deren Überquerung Sie am meisten ängstigt, mit einer akustischen Signalanlage ausgestattet wird. Oder Sie sorgen für entspannte Mobilität, indem Sie sich einen Führhund anschaffen. Oder Sie lernen, um Hilfe zu bitten, wenn Sie diese benötigen. Lösungsorientierte Stressbewältigung sollte den Vorrang haben, denn sie packt das Problem bei der Wurzel und wirkt somit nachhaltig. Manchmal sind lösbare und unlösbare Probleme allerdings nicht leicht voneinander zu unterscheiden.

    Erholungsphasen

      Eine Stressbelastung kann am ehesten verkraftet werden, wenn es gelingt, zur Ruhe zurückzufinden. Daher ist es wichtig, Stressreaktionen bei sich wahrzunehmen und für Entspannung zu sorgen. Eine kurze Verschnaufpause, ein warmes Bad oder ein Saunabesuch können helfen. Manchmal mag es günstiger sein, beim Sport den Frust abzuarbeiten, sich ein gutes Essen zu gönnen oder sich anderweitig für eine überstandene Belastung zu belohnen.

    Mentales Stressmanagement

    Damit sind Strategien gemeint, die in Ihrem Kopf stattfinden, indem Sie Ihre gewohnten Einstellungen, Werte, Ziele und Denkmuster hinterfragen und nötigenfalls verändern: Überprüfen Sie, ob bzw. wann Sie stress verschärfende Denkstile verwenden. Wenn ja, stoppen Sie als ersten Schritt diese Gedanken. Fragen Sie sich, ob Sie die Situation auch anders interpretieren könnten. Ermutigen Sie sich, bislang für selbstverständlich gehaltene Normen und Werte in Frage zu stellen und nach geeigneten Alternativen zu suchen. Bei der inneren Auseinandersetzung mit unserer Behinderung ist das besonders wichtig und hilfreich. Hinterfragen Sie perfektionistische Leistungsansprüche oder übertriebene Kontrollambitionen, aber auch unbewusste Hilflosigkeitserwartungen. Entwickeln Sie realistische und sinnstiftende Lebensziele - sei es beruflich oder privat. Versuchen Sie, Schwierigkeiten nicht von vornherein als Bedrohung, sondern als positive Herausforderung zu sehen, an der sie wachsen können. Lernen Sie aber auch, Ihre persönlichen Grenzen liebevoll anzunehmen, statt sich ständig mit Menschen Ihrer Umgebung (noch dazu sehenden) zu vergleichen. Manchmal kann es einfach hilfreich sein, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen und an andere nicht so feste Erwartungen zu richten.

    Palliatives Stressmanagement

    Sie haben nun schon viele Möglichkeiten kennengelernt, wie Sie Stress vermeiden oder bewältigen können. Wundermittel sind das natürlich nicht. So wird es immer wieder Stresssituationen geben, denen Sie mit noch so erleuchteten Strategien nicht entrinnen können. Aber selbst dann sind Sie dem Strudel der Ereignisse nicht völlig hilflos ausgeliefert. Ihnen bleibt immer die Möglichkeit, in der jeweiligen Situation Dinge zu tun, die Spannungsgefühle reduzieren und den Effekt unkontrollierbarer Stressoren mildern können. Als besonders hilfreiche Methoden greife ich Entspannungstechniken und positive Selbstinstruktionen (stille Selbstgespräche) heraus. Entspannung: Stehen Sie mitten im Verkehrslärm an einer befahrenen Kreuzung und sind sich unsicher, wann Sie überqueren können, werden Sie kaum eine Matte ausrollen, sich auf den Boden legen und zu meditieren beginnen. Doch können Sie einzelne Elemente eines Entspannungsprogramms einsetzen, die - entsprechendes Vortraining vorausgesetzt - eine spürbare Entspannungsreaktion hervorrufen. Sind Sie etwa in der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson geübt, können Sie eine einzige Muskelgruppe (z.B. Gesäßmuskel) an- und entspannen und werden merken, wie sich die Entspannungsreaktion im Körper ausbreitet. Hilfreich sind auch Atemübungen. Positive Selbstinstruktionen: Sie können lernen, sich mit ermutigenden Worten gut zuzureden und zu beruhigen. Sätze wie: "Du schaffst das", "Du kannst das in aller Ruhe erledigen", "Atme erstmal tief durch, dann wird es leichter" oder Ähnliches können Sie durch manche unvermeidliche Stresssituation tragen. Manchmal hilft sogar schon, Ihre annehmende Haltung gegenüber belastenden Aspekten der Realität (z.B. des Lebens mit einer Behinderung) mit einem einfachen Satz zu bestätigen, etwa: "Ja, so ist es!"

    Fazit

    Natürlich können Sie sich gegen Stress nicht impfen lassen wie gegen Kinderlähmung. Keine noch so gute Strategie wird immer funktionieren - auch hier wäre Perfektionismus fehl am Platz. Dennoch können Sie eine Menge tun, um Ihre Lebensqualität zu verbessern und das Risiko von Stressfolgeschäden erheblich zu reduzieren.

    Zur Autorin

    Dr. Eva-Maria Glofke-Schulz ist Diplompsychologin und Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Rosenheim. Seit ihrer Geburt leidet sie an Retinitis Pigmentosa und ist aufgrund dieser Erkrankung erblindet. Einer ihrer Praxisschwerpunkte ist die Arbeit mit behinderten Menschen. Eva-Maria Glofke-Schulz engagiert sich zudem seit vielen Jahren in der Selbsthilfe. 2007 erschien im Psychosozial-Verlag ihr Buch "Löwin im Dschungel. Blinde und sehbehinderte Menschen zwischen Stigma und Selbstwerdung."


    horus 3/2012 "Blindheit und Gesundheit" mit Vorschau-Artikeln

    horus 3/2012, Jg. 74

    Bildbeschreibung Titelblatt

    Vorangestellt

    In eigener Sache

    • Herzlich willkommen im Vorstand, Ursula Weber!
    • Rückblick auf die Sight City 2012
    • Inklusive Bildungswelt

    Schwerpunkt: "Blindheit und Gesundheit"

    • Michael Herbst: Gegen die biologische Uhr - das "blinde" Anrennen im Sportstudio
    • Dr.phil. Eva-Maria Glofke-Schulz: "Versuch's doch mal mit Gemütlichkeit..." Gedanken zu Stressvorbeugung und Stressbewältigung
    • Mit ein paar Tricks wird das Wohnzimmer zum Fitness-Studio
    • Gabriele Brunkhorst und Klaus Röder: Zukünftige Stations-, Gruppen- und Wohnbereichsleiter/innen der Kliniken Marburg und Gießen fest im Sattel
    • Thorsten Bücher: "Ich will eine Klinik, die mich will": Erfahrungen in einer Rehaklinik
    • Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband fordert barrierefreie Beipackzettel bis Ende 2014
    • Hans-Dieter Herter: Rosige Zeiten für Berufe des Gesundheitswesens
    • Christina Muth: Selbstverteidigung mit dem weißen Stock
    • Isabella Brawata: "Ich bin bereit!": Meine persönlichen Erfahrungen mit medizinischen Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte
    • Michael Herbst: Der biometrische Striptease

    Bildung und Forschung

    • Neue Studie des Deutschen Studentenwerks: Studieren mit nicht-sichtbarere Beeinträchtigung ist Tabu-Thema an deutschen Hochschulen
    • Steffen Lind: Zeitenwende - vom Leben nach der blista: Finanzbeamte, einmal anders beleuchtet
    • "Wir leben mit viel Hörschrott": Der blinde Klangforscher Wolfgang Fasser im Interview

    Berichte und Schilderungen

    • Gisela Wesche-Nielsen: Die Angst vor dem Erblinden oder: Herr Tur-Tur, der Scheinriese
    • Uwe Boysen: Laudation für Karsten Warnke anlässlich seines Ausscheidens aus dem DVBS-Vorstand
    • Dr. Heinz Willi Bach: Dr. Johannes-Jürgen Meister zum 75. Geburtstag
    • Max Kunzmann: Gelebte Integration auf der Judomatte: Blinde, sehbehinderte und sehende Jugendliche kämpfen um den Bärenpokal im Judo

    Recht

    • Dr. Michael Richter: Schadensersatz wegen erlittener Diskriminierung aufgrund einer Behinderung (Teil I.)

    Bücher

    • Neue Titel der Kohlhammer-Reihe "Kompass Recht" erschienen
    • Sabine Hahn: Hörtipp: Unterwegs auf Pferd und Kamel - gesundes Reiten
    • Savo Ivanic: Buchtipps aus der blista

    Panorama

    • "Woche des Sehens" findet vom 8. bis 15. Oktober statt
    • Jochen Schäfer: "Marburger Beiträge zum Blinden(un)wesen" - die große Revue jetzt auf CD
    • Paralympics im Internetradio verfolgen
    • Fortbildungsangebot für Microsoft Office 2010
    • Einladung zum Schnupperstudium: "Studieren mit Behinderung/chronischer Krankheit" an der TU Dortmund
    • Excel-Kurs für Fortgeschrittene
    • Fünfwöchiges Kurssystem zum Erlernen der Braillevoll- und -kurzschrift
    • Erlernen des 10-Finger-Schreibens auf der PC-Tastatur als Voraussetzung zum Bedienen eines PCs "Windows mit JAWS" ohne Maus

    Barrierefreiheit und Mobilität

    • Erstes Digitalradio für blinde und sehbehinderte Menschen
    • Dorothee Suin de Boutemard: "Ich möchte nicht ins Altersheim": Rat und Hilfe bei Sehverlust im Alter
    • Klaus Buhmann: Sind SGB IX, BGG und Arbeitsschutzgesetze ausreichend, um barrierefreie IT-Gestaltung im Sinne eines inklusiven Ansatzes umsetzen zu können?

    Aus der Arbeit des DVBS

    • Christina Muth: "Ein akustischer Rundgang durch Marburg"
    • Tag der Sehbehinderten in Essen
    • Sabine Hahn: 100 Tage e-dig und mehr: Die Gewinner stehen fest"
    • Protokoll der Mitgliederversammlung auf "Intern"
    • Terminvorschau

    Aus der blista

    • Erfolgreiche Absolventen bestehen ihre Prüfungen
    • Rudi Ullrich: Ein neues Schulgebäude für die blista
    • "RehaFair" - EDV-Ausstellung 2012

    Kleinanzeigen

    Impressum