Von Nina Odenius
Im Frühjahr 2020 klingelte mein Telefon. Es war die Zeit des ersten Corona-Lockdown. In meiner Ausbildung zur Journalistin war ich gerade dabei, einen Artikel zu schreiben über die Auswirkungen der Corona-Pandemie für blinde und sehbehinderte Menschen. Im Zuge dieses Artikels telefonierte ich mit Klaus Hahn, dem damaligen DBSV-Präsidenten. Wir unterhielten uns lange über die neue Situation und die Herausforderungen, vor die uns die Corona-Pandemie und der Lockdown stellten. Am Ende des Telefonats fragte mich Klaus Hahn: „Kennst Du eigentlich den Hörspielpreis der Kriegsblinden für Radiokunst?“ „Nein, den kenne ich nicht“, antwortete ich und war zugegebenermaßen etwas überrascht. Klaus Hahn erzählte mir, dass der DBSV vor kurzem erst die Trägerschaft des Hörspielpreises vom Bund der Kriegsblinden übernommen hatte. Der zweite Träger des Hörspielpreises ist die Film- und Medienstiftung NRW. Ob ich nicht Lust hätte, in der Jury dieses Preises mitzuwirken? Na klar.
Neugier und netzwerken
Hörspiele haben in meiner Kindheit schon eine wichtige Rolle gespielt und eine solche Juryarbeit ist bestimmt interessant, dachte ich mir. Vor allem kann man dadurch viele neue Kontakte knüpfen. Ich freute mich auf die neue Aufgabe.
Zum Jahreswechsel 2020/21 bekam ich dann über 20 Hörspiele zugesendet, die bis zur Sitzung im Mai gehört werden wollten. Dazu gehörten Hörspiele aus den verschiedensten Genres. Durch die Hörspiele konnte ich in ganz verschiedene, mir teilweise unbekannte Welten eintauchen.
Meine erste Jurysitzung fand im Mai 2021 wegen Corona online statt. Der Jury gehören im Regelfall sieben Teilnehmer*innen mit Seheinschränkung und sieben Teilnehmer*innen ohne Seheinschränkung an. Die sehenden Teilnehmer*innen sind meist Journalist*innen, Kulturwissenschaftler*innen oder Vertreter*innen aus anderen kulturellen Bereichen. In den 1950er Jahren war der Hörspielpreis unter anderem ins Leben gerufen worden, um durch den Krieg erblindete Menschen sichtbar zu machen und ihnen durch die Juryarbeit gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Für mich war die Juryarbeit eine ganz neue Erfahrung, und es machte mir Spaß, während der Jurysitzung über die so ganz unterschiedlichen Stücke zu diskutieren.
In den Folgejahren führten uns die Jurysitzungen in verschiedene Medienhäuser. Online war nun vorbei und ab 2022 konnte man wieder in Präsenz tagen. Im Frühjahr 2022 ging es zum RBB nach Berlin und dieses Jahr zum WDR nach Köln.
Die Jury im Wandel
In diesem Jahr vollzog sich ein Wandel in unserer Jury. Einige Jurymitglieder gingen neue Wege und andere kamen hinzu. Die Jury verjüngte sich enorm. Ein weiteres Novum ist, dass die Jurymitglieder mit Seheinschränkung nun auch beruflich mit Hörspielen zu tun haben. So auch Martin Weigert. Der 36-Jährige aus Nürnberg war dieses Jahr zum ersten Mal dabei. Er ist gelernter Musikpädagoge und Audio Engineer. Seit anderthalb Jahren arbeitet er beim Blindenhilfsmittelhersteller Inventivio und ist dort für das Sounddesign und die Präsentation des Tactonom Reader sowie die Entwicklung von Lerninhalten verantwortlich. „Ich habe vom Hörspielpreis eher zufällig erfahren“, berichtet Martin Weigert. „Bei einer Hilfsmittelvorstellung kamen wir durch Zufall über den Hörspielpreis ins Gespräch, und man fragte mich, ob ich mit meiner Expertise nicht Lust hätte, in der Jury mitzuwirken.“ Auch Martin ist Hörspielfan. Das Radiohörspiel hat er für sich als neues Genre entdeckt.
Offen für Neues
Martin war sehr gespannt auf seine erste Jurysitzung dieses Jahr in Köln. „Ich freute mich darauf, die anderen Jurymitglieder zu treffen. Das Klima in der Jury war angenehm und herzlich“, erzählt er. „Die Diskussion während der Sitzung habe ich als intensiv und niveauvoll empfunden. Die Argumente wurden sachlich ausgetauscht und der Umgang untereinander war respektvoll.“
Die Preisverleihung
Das Highlight der Juryarbeit ist natürlich in jedem Jahr die Preisverleihung, die im Funkhaus Köln des Deutschlandradios stattfand. In diesem Jahr gehörte zu den Nominierten das Hörspiel „Mixing memory and desire“ von Werner Fritsch, das sich mit dessen Kindheit in den 1960er Jahren in der katholisch geprägten Oberpfalz befasst. Außerdem war das Hörspiel „K.I.T.A. – das Menschenmögliche“ von Antje Vauh und Carina Pesch nominiert, das die Möglichkeiten und Schrecken von künstlicher Intelligenz in der Kindererziehung aufzeigt. Der Preisträger, das Hörspiel „Entgrenzgänger II“ von Robert Schoen, entführt uns auf eine Reise in den Nordkaukasus, genauer gesagt in die russische Stadt Tscherkessk, wo der Ukrainekrieg so nah und zugleich doch so fern ist.
„Ich habe die Preisverleihung als sehr lebendige Veranstaltung empfunden“, erzählt Martin Weigert. „Ich bin mit den Nominierten und dem Preisträger ins Gespräch gekommen und fand es interessant, die Autor*innen einmal live zu erleben. Auch kam ich mit einigen Hörspielsprecher*innen ins Gespräch. Das persönliche Gespräch über die Hörspiele fasziniert mich am meisten.“
Das Netzwerken zahlt sich auch hier aus. Denn bei der Preisverleihung sind nicht nur die Nominierten Autor*innen zugegen, sondern auch viele Medienvertreter*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen.
Wünsche für die Zukunft
Martin und mir werden in den kommenden Jahren noch einige Jurysitzungen und Preisverleihungen bevorstehen. Wir freuen uns auf die nächsten Jahre und sind gespannt, wie sich das Medium Hörspiel weiterentwickeln wird. Wir würden uns wünschen, dass der Hörspielpreis der Kriegsblinden - Preis für Radiokunst noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhält und sein Bekanntheitsgrad dadurch gesteigert wird. „Ich fände es schön, wenn in Zukunft zu den Preisverleihungen nicht nur die nominierten Autor*innen eingeladen würden, sondern auch verstärkt die Sprecher*innen“, sagt Martin Weigert. „Die Sprecher*innen sind es, die dem Hörspiel eine Stimme verleihen und Leben einhauchen. Diese Stimme sollte zukünftig mehr gehört werden.“
Falls Sie noch mehr über den Hörspielpreis der Kriegsblinden erfahren und in die Hörspiele reinhören möchten, besuchen Sie die Internetseite www.hoerspielpreis.info.
Bilder: Jury-Mitglieder Martin Weigert (li) und Nina Odenius (re): Martin Weigert hat kurzes schwarzes Haar und trägt eine schmale getönte Brille. Nina Odenius hat schulterlanges blondes Haar, sie lächelt. Fotos: privat