horus: Wie hast du dein Interesse für Jura entdeckt?
Pamela Pabst: Als ich 11 Jahre alt war, war ich mit meiner Mutter bei einem Rechtsanwalt. Seit ich 2 Jahre alt war, erhielten meine Eltern Post in einer Mahnsache und Besuch vom Gerichtsvollzieher, weil ich angeblich etwas bestellt und nicht bezahlt haben sollte. Als ich nun bei diesem Rechtsanwalt war und mit anhörte, wie er ein Schreiben diktierte und mich als seine „Mandantin“ bezeichnete, war ich von dieser Art zu reden und diesen Worten völlig hin und weg und wollte auch so reden können.
Später spielte ich dann mit meiner Cousine auf dem Dachboden Rechtsanwaltskanzlei, weil wir „Liebling Kreuzberg“ im Fernsehen gesehen hatten, und 1994 war ich das erste Mal in einer Strafsache beim Amtsgericht zum Zuhören. Ab da war es endgültig um mich geschehen.
Ist Dir das Studium leicht gefallen? Welche Bereiche fandest Du damals besonders spannend?
Das Studium ist mir leicht gefallen, da ich immer hundert Prozent dahinter gestanden habe, was ich da gemacht habe, auch wenn mir trotzdem die Dinge nicht einfach zugefallen sind. Ich war gut, aber ein Genie war ich nun auch nicht. Besonders hat mich natürlich immer das Strafrecht interessiert, aber eigentlich wollte ich immer einen möglichst breiten Wissensstand haben und nicht einzelne Bereiche ausblenden, außer vielleicht das Wertpapierrecht.
Wieso hat Dich ursprünglich der Richterberuf interessiert?
Ich wollte immer unbedingt ins Gericht. Die Förmlichkeiten der Hauptverhandlung, wie man redet, wann man aufsteht, dass man eine Robe trägt, dass die Gebäude aussehen wie Königsschlösser, das hat mich immer fasziniert. Ich wollte Richterin werden, um einen krisensicheren Job zu haben; dies wäre im Strafrecht auch als Staatsanwältin möglich gewesen, aber ich hatte damals seit Schulzeiten eine Vorlesephobie. Und als Staatsanwältin muss man ja die Anklageschrift vorlesen.
Warum bist du dann schließlich Rechtsanwältin geworden?
Ich bin Rechtsanwältin geworden, weil mich die Justiz, bei der ich mich beworben hatte, nicht genommen hat. Mein Examen war okay, aber entsprach nicht den damals überzogenen Vorstellungen, die heute übrigens nicht mehr gelten. Ich wollte darüber hinaus in Berlin bleiben.
Wie hat sich dein Interesse für Strafrecht entwickelt?
So mit 3 oder 4 Jahren war der Verkehrspolizist in den Hörspielen immer mein Held. Polizei hat mich schon immer interessiert. Dies entwickelte sich dann über die Jahre Richtung Kripo, und gern wäre ich auch Polizistin geworden, wenn ich hätte sehen können. Seit meinem ersten Besuch in einer Strafgerichtsverhandlung mit 15 Jahren war ich regelmäßig im Gericht und habe auch Teile meines Referendariats in der Abteilung für Tötungsdelikte bei der Staatsanwaltschaft und in der Untersuchungshaftanstalt gemacht. Seit letztem Jahr gibt es auch einen Krimi von mir.
Wie kommt man als blinde Anwältin an Mandanten? Gibt es bei ihnen Vorbehalte?
Meine Mandanten kommen über Mund-zu-Mund-Propaganda. Die meisten kommen aus der JVA oder über andere Kriminelle. Inwieweit sie sich gegenseitig erzählen, dass ich blind bin, weiß ich gar nicht. Sie kommen, weil ich einen guten Ruf habe: Dass ich fleißig bin, meinen Job gerne mache und ehrlich zu den Leuten bin.
Wie ist die Reaktion bei Gericht, wenn Du dort auftauchst?
In Berlin kennt man mich, und meine Blindheit ist kein Thema. Ich bin als fachlich kompetent und zuverlässig bekannt. Wenn ich außerhalb von Berlin verteidige, fragen die Richter manchmal, ob sie irgendetwas beachten sollen etc. Aber es hat noch niemand meine Tätigkeit in Frage gestellt.
Wie organisierst Du Deine Arbeitsassistenz?
Ich habe 48 Stunden Arbeitsplatzassistenz in der Woche, die auch mit mir reisen und ggf. übernachten muss. Ich habe im Büro vier Personen, die das abdecken. Diese arbeiten zum Teil zeitlich überlappend, so dass sie in dieser Zeit normale Angestellte sind, die ich selbst bezahlem und in den Zeiten, wo jeder exklusiv da ist, ist es reine Assistenz.
Wie bereitest du dich auf Deine Termine und die gerichtlichen Hauptverhandlungen vor?
Gutachten scannen wir bzw. bekommen diese schon als pdf. Die Ermittlungsakten selbst bekommen wir in der Regel in Papierform, die Mitarbeiterinnen kopieren diese für mich. Da wir es aufgrund des Arbeitsanfalles nicht mehr schaffen, diese gemeinsam zu lesen, liest mein Partner, selbst sehend und Fachanwalt für Strafrecht, diese bzw. liest mir Teile davon vor, wenn es auf den Wortlaut ankommt. Ich fertige mir dann Aktenauszüge, insbesondere Zusammenfassungen, und gehe damit in die Hauptverhandlung. Ich verzichte weitgehend auf wortwörtliche Vorhalte. In der Hauptverhandlung selbst hatte ich früher ein Notizgerät mit Braillezeile dabei, inzwischen mache ich alles aus dem Kopf, auch das Plädoyer. In langen Verhandlungen über viele Tage schreib ich mir später im Büro noch Dinge auf, insbesondere Widersprüche innerhalb der Aussagen. Fotos lass ich mir von meinem Partner beschreiben, Videos schauen wir gemeinsam an, sofern wir sie aufbekommen 😉. Bestimmte Beweismittel schauen wir uns gegebenenfalls an, indem wir uns so ein Teil irgendwo besorgen, z.B. Schreckschusspistole, Schlagstock etc.
Was war bisher dein aufregendster Fall?
Jeder, der Strafrecht liebt, wartet auf seinen ersten Mörder. Auf meinen hab‘ ich 17 Jahre gewartet, und letztes Jahr am 03.06.2024 war es endlich soweit, wobei auch Fälle spannend sein können, wenn sie für Außenstehende nicht spektakulär sind.
Kannst du von deinen Honoraren leben?
Das geht auf jeden Fall. Man muss aber auch fleißig sein, um das als selbstständige Person alles zu schaffen. Wochenendarbeit ist Pflicht.
Du bist das Vorbild für die ARD-Serie „Die Heiland - Wir sind Anwalt“. Wie kam es dazu, und wie gestaltete sich Eure Zusammenarbeit?
Nachdem ich 2007 mit meiner Rechtsanwaltstätigkeit begonnen hatte, gab es diverse Zeitungsartikel über mich, u.a. einen Artikel 2012 in der Zeitung „Die Zeit“. Aufgrund dieses Artikels meldete sich die Literaturagentur einer Schriftstellerin, die darauf spezialisiert ist, mit Menschen gemeinsam Bücher über deren Leben, Beruf oder sonstige spannende Dinge aus deren Leben zu schreiben. Nachdem 2014 die Biographie „Ich sehe das, was Ihr nicht seht“ erschienen war, interessierte sich der RBB, der auch damals Liebling Kreuzberg verantwortet hatte, dafür, daraus eine Serie zu machen.
Ich bekomme von der Produktion die Drehbücher und muss sie daraufhin überarbeiten, ob sie juristisch und in blindenspezifischer Hinsicht so funktionieren. Ich coache darüber hinaus bei Bedarf die Schauspieler, insbesondere die Darstellerin der Romy Heiland, ihre Arbeitsplatzassistenz, aber auch z.B. Schauspieler, die Richter spielen sollen. Jeder Regisseur muss auch einen Tag mit mir mitgehen.
Würdest Du anderen Blinden oder Sehbehinderten den Job als Anwalt oder Anwältin empfehlen? Worauf müssten Sie besonders achten?
Grundsätzlich kann man als blinde oder sehbehinderte Person den Beruf Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin gut ausüben. Einem muss aber klar sein, dass es ohne fremde Hilfe nicht geht. Man darf kein Typ sein, der sich ständig selbst was beweisen will. Und man muss es gewöhnt sein, sich in der Welt der Sehenden zu bewegen: Oberkörper schaukeln, Kopf kreisen etc., na was wir blinden Kinder halt gern gemacht haben, geht dann auf gar keinen Fall mehr.
Liebe Pamela, vielen Dank für diesen Einblick in deine Biografie und deine Tätigkeit.
Das Interview führte Uwe Boysen.
Mehr von Pamela Pabst …
… erfahren Sie auf ihrer Webseite https://www.pamelapabst.de/doc02a.php bzw. in ihren Büchern, z. B.:
Pabst, Pamela; Seul, Shirley Michaela: Ich sehe das, was ihr nicht seht. Eine blinde Strafverteidigerin geht ihren Weg. Berlin, Hanser, 2014. Vorhanden in der Deutschen Blinden-Bibliothek (DBB), Hörbuch-Buchnummer 751331 (310 Minuten, gelesen von Sophie Wendt), Braille-Buchnummer 13896901 (2 Bände, reformierte Kurzschrift).
Bild: Pamela Pabst trägt ihre Berufskleidung, die schwarze Robe, und lächelt. Sie hat ihr graues Haar zurückgebunden, Ponyfransen fallen über ihre Stirn. Foto: privat