Von Johanna Hüttich und Daniel Balzer
Der Pferdesport hat an der Carl-Strehl-Schule, dem grundständigen Gymnasium der blista, eine lange Tradition. Bereits Ende der siebziger Jahre entwickelten sich erste Angebote für Schülerinnen und Schüler, den Kontakt zum Partner Pferd zu erleben und reiterlich aktiv zu sein. Seinerzeit zuerst in Kooperation mit einem zugewandten Reitbetrieb, bevor in den achtziger Jahren der Entschluss fiel, das Reitangebot auszuweiten und weiter sehbehindertenpädagogisch zu professionalisieren.
Seither haben sich die Möglichkeiten für die Lernenden sukzessive erweitert und der Pferdesport hat sich zu einem festen Sportangebot etabliert. Die Carl-Strehl-Schule verfügt daher aktuell neben dem Lehrpersonal der typischen Unterrichtsfächer auch über drei vierbeinige Lehrmeister, die den Schülerinnen und Schülern neugierig und aufgeschlossen im Schulalltag gegenübertreten.
Das pädagogische Reitsportangebot verfolgt einen inklusiven Ansatz, der den Schülerinnen und Schülern – ganz gleich, ob mit oder ohne Sehbeeinträchtigung oder reiterliche Vorerfahrungen – vielfältige Lernprozesse mit den vierbeinigen Lernbegleitern ermöglicht und zugleich einen körperlichen und mentalen Ausgleich zu anderen schulischen Anforderungen bietet.
Die Angebote im Reitstall starten im zweiten Halbjahr der fünften Klasse mit dem verbindlichen Sportunterricht am Pferd, bei dem die Kinder bereits in der ersten Stunde die Pferde Paul, Pedro und Henry kennenlernen. Sie entwickeln häufig schnell ein Gefühl der Verbundenheit, indem sie die Pferde im natürlichen Verhalten in der Gruppe beobachten und so die verschiedenen Charaktereigenschaften der Tiere entdecken. Schnell entsteht der Wunsch, mit den imposanten und kräftigen Lebewesen näher in Kontakt zu kommen. Doch wie nimmt man nun Kontakt zu einem Pferd auf? Welche Signale werden benötigt, um gegenseitiges Verständnis aufzubauen? Woran werden Bedürfnisse des vierbeinigen Freundes offenkundig?
Die Kinder lernen zunächst spielerisch, die nonverbalen Signale der Tiere wahrzunehmen und selbst offen auf sie zuzugehen. Dabei spielen insbesondere auch akustische Signale wie Schnauben, Bewegungsgeräusche oder auch Wiehern eine zentrale Rolle.
Besonders beim Führen – später auch beim Reiten – der Pferde spielt die eigene Körperhaltung eine wichtige Rolle. Eine klare Körpersprache des Menschen ist entscheidend für die Kommunikation und bildet die Grundlage für die nachfolgenden Aktivitäten.
Diese Aktivitäten beinhalten Übungen zur Pferdepflege, das erste Aufsteigen, sowie Balance- und Koordinationsaufgaben und verschiedene Spiele. Die Kinder sollen lernen, sich auf dem Pferderücken wohlzufühlen und einen stabilen Grundsitz zu entwickeln. Die Fortschritte, die sich dabei im Verlauf der Unterrichtswochen und -monate beobachten lassen, sind mitunter riesig und die Freude am Umgang mit dem vierbeinigen Partner lässt die Zeit im Stall häufig wie im Fluge vergehen.
Den Abschluss der fünften Klasse an der Carl-Strehl-Schule können die Kinder gemeinsam mit den Pferden auf einem idyllischen Hofgut unweit von Marburg genießen. Hier leben sie vier Tage lang Tür an Tür mit ihren vierbeinigen Freunden, lernen, wie man die Pferde versorgt, vertiefen ihre reiterlichen Fähigkeiten und erleben unvergessliche Aktivitäten wie eine Reiterstaffel, Ausritte oder das Baden mit den Pferden.
Pädagogisch gesehen können die Kinder dabei ihr Selbstvertrauen im Umgang mit den Pferden stärken und Verantwortungsbewusstsein üben. Sie verbessern ihre motorischen Fähigkeiten und erleben ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Denn Aufgaben wie die Versorgung der Pferde oder die Zubereitung des Abendessens werden im Team übernommen, wobei sich die Kinder gegenseitig unterstützen, um alles rechtzeitig fertigzustellen.
Nach Abschluss des Projekts haben die Kinder weiterhin die Möglichkeit, Zeit im schulischen Reitstall zu verbringen, ihre erlernten Fähigkeiten zu festigen und den sicheren Umgang mit den Pferden weiter auszubauen.
Ab der siebten Klasse können interessierte Schülerinnen und Schüler an einer Reit-AG teilnehmen und so den Kontakt zu den Pferden auch in der Mittelstufe aufrechterhalten. In der Oberstufe gibt es mit dem Wahlpflichtsportkurs „Reiten“ sogar die Möglichkeit, Punkte für das Abitur zu sammeln.
Das Reitsportkonzept der Carl-Strehl-Schule verbindet somit über die gesamte Schulzeit in Marburg praxisnahe, tiergestützte Aktivitäten mit dem Lernalltag und ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, ihre motorischen, emotionalen und sozialen Kompetenzen zu stärken. Durch die Verbundenheit mit den Pferden lernen sie, sich realistische Ziele zu setzen, regelmäßig Verantwortung zu übernehmen und Begeisterung zu entwickeln.
Zum Autorenteam
Johanna Hüttich ist Lehrkraft für Sport und Biologie und unterrichtet Reiten an der Carl-Strehl-Schule. Daniel Balzer ist Lehrkraft für Deutsch und Wirtschaftslehre und koordiniert das Reiten als Schulsport an der Carl-Strehl-Schule.
Bild: Drei blista-Schülerinnen mit Pferd im Reitstall: Während ein Mädchen reitet, führt auf einer Seite eine Schülerin das Pferd an der Leine, auf der anderen Seite begleitet eine Schülerin mit Reithelm die Reiterin. Co-Lehrkraft Lea Köhler läuft neben dem Mädchen-Trio mit und hält beide Daumen nach oben. Foto: blista