Von Jochen Schäfer

Eine interessante Überschrift, bei der es sich bestimmt lohnt, weiterzulesen, oder? Wenn Sie öfter unsere Buchtipps aus der Braille-Druckerei lesen, sind Sie sicher neugierig, wie unser Alltag in der Braille-Druckerei aussieht, und genau darum geht’s in diesem Artikel.

Wie wird ein Buch zur Umsetzung in Braille ausgewählt?

Am meisten freuen wir uns über Vorschläge von Lesenden, damit wir die Titel auswählen können, die sie sich als Lektüre wünschen (dazu regen wir seit einiger Zeit am Ende unserer Braillebuchtipps an). Wir selbst wählen Bücher nach unterschiedlichen Kriterien aus:

  • Kinder und Jugendliche sollen immer mit aktuellen, vielfältigen und spannenden Werken zum Lesen angeregt werden. Meine Kolleg*innen stöbern daher immer mal in Bestsellerlisten, fragen ihre eigenen Kinder oder holen Erkundigungen bei Freunden und Bekannten ein.
  • Für Erwachsene möchten wir ein vielfältiges Programm aus unterschiedlichen Genres bieten. Das beinhaltet auch Werke, die breit diskutiert werden, wie beispielsweise der berühmte Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben, der bei Ihnen einige Jahre sehr beliebt war.
  • Bei der Umsetzung in Blindenschrift achten wir auf den Umfang des Werkes. Es soll schließlich noch durch Ihre Haustür passen. 

Wir sind Mitglied der Mediengemeinschaft für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen e.V. (MEDIBUS). Um Doppeldrucke im deutschsprachigen Raum zu vermeiden, muss vor dem Beginn einer Umsetzung geprüft werden, ob eine andere Druckerei das Buch bereits vorgemeldet hat. Ist dies nicht der Fall, kann es von uns übertragen werden. 

Was machen ´“Textübertrager*innen“?

Nachdem wir ein Buch zur Übertragung angemeldet haben, muss es für die Umsetzung mit der Software vorbereitet werden, die Texte in Blindenkurzschrift oder Vollschrift umsetzt. Das ist die Aufgabe der Textübertrager*innen. Wir verwenden, je nachdem, welches Buch gerade umgesetzt werden soll, entweder das Konvertierungsprogramm Rich Text File Converter (RTFC) oder das Hagener Blindenschriftübertragungsprogramm (HBS), und seit einigen Jahren auch die DAISY-Pipeline. Mit dem Programm RTFC kann man z. B. Bücher gut in „Teilkurzschrift“ umsetzen. Das ist sinnvoll, wenn das Werk für Personen übertragen wird, die Kurzschrift lernen und nach und nach alle Kürzungen kennenlernen sollen. 

Als Vorlage dienen zum einen Printbücher in Schwarzschrift, zum anderen – vor allem für die Pipeline – überwiegend E-Books. Letztere haben den Vorteil, dass keine Scannfehler bei der Übertragung auftauchen. Dafür kommen aber andere Vorlagenfehler, wie z.B. Grammatik- oder Tippfehler, durchaus häufig vor. 

Um eine gute Qualität zu bieten, müssen solche Fehler abweichend von der Vorlage beseitigt werden. Wir sind dabei sehr vorsichtig und kümmern uns nur um besonders auffällige Fehler, um die Vorlage möglichst so zu erhalten, wie sie ist. Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Vorlage. Viel wichtiger ist es, Trenn- und Kürzungsfehler zu beseitigen, die durch die Software verursacht werden. Außerdem müssen Formatierungen wie Überschriften, Aufzählungen und hervorgehobene Textstellen sinnvoll wiedergegeben werden, z.B. durch Kursivmarkierungen bzw. Basisschrift bei fremdsprachigen Einschüben. Unsere Textübertrager*innen beurteilen hier schnell und zugleich genau, was die Übertragungssoftware im nächsten Schritt wie umsetzen soll. Sie entscheiden also über ein „Layout“ eines Werkes. Unsere sehenden Übertragenden verfügen über sehr gute Blindenschriftkenntnisse, haben sich intensiv in die Kurzschrift eingearbeitet und können daher einschätzen, wo evtl. Leseprobleme auftreten könnten, und greifen gezielt ein. 

Unser Team besteht aus blinden, sehbehinderten und sehenden Textübertrager*innen und Korrektor*innen. Wir tauschen uns ständig über den Stand der Buchbearbeitung und wer welches Buch derzeit bearbeitet oder korrigiert aus. Eine blinde Kollegin koordiniert alles, damit niemand doppelte Arbeit macht und jede*r weiß, was gerade zu tun ist. 

Besonders intensiv sind wir auch mit Lehrerinnen und Lehrern im Austausch, wenn es um die Umsetzung von Schulbüchern geht. Sie haben inzwischen viel mehr Bilder, Tabellen und Schaukästen, als es noch vor 20 Jahren der Fall war. Da müssen wir bei der Umsetzung sehr sorgfältig sein und genau überlegen, wie jedes Bild beschrieben werden muss, vor allem dann, wenn ein Bild eng mit der Aufgabenstellung zusammenhängt. Wenn wir beispielsweise die Aufgabenstellung lesen „erzähle die Geschichte, die du auf den Bildern siehst“, müssen wir die Bilder so beschreiben, dass man damit etwas anfangen kann, wir dürfen aber keineswegs zu viel erklären, denn die „Geschichte“ soll die lernende Person erzählen. 

Die Korrektur der Blindenschrift 

Ist das Buch nun übertragen, wird sein Braille-Ausdruck zunächst korrigiert. Die Korrektor*innen lesen den Ausdruck im Ausnahmefall von Anfang bis zum Ende, um sicher zu gehen, alle vorhandenen Fehler zu erkennen. Sie achten besonders auf Kürzungs- und Trennfehler, die durch die Übertragungsprogramme entstehen. Bücher, bei denen sie sicher sein können, dass die Fehlerquote recht gering ist, werden überprüft, indem die ersten und letzten zehn Seiten eines jeden Bandes ganz gelesen und die anderen Seiten auf Formatierungs- und Trennfehler kontrolliert werden. So haben wir ein qualitativ hochwertiges, aber schnelles Übertragungs- und Korrekturverfahren, können mehr Bücher umsetzen und tragen zu einer sinnvollen Literaturversorgung bei. Die Korrektor*innen erstellen entweder eine Liste sämtlicher Fehler (Word-Datei) für die Person, die das Buch übertragen hat, oder korrigieren Fehler selbst. Das hängt u. a. vom Schwierigkeitsgrad des Buches ab, manchmal auch von den Fehlern, die auftreten. Schulbücher werden oft gemeinsam mit einer sehenden Assistenz gelesen und besprochen. Die Fehler korrigieren dann die Kolleg*innen, die das Buch übertragen haben. 

Kinder- und Jugendbücher für die ganze Familie

Wir übertragen häufig Kinder- und Jugendliteratur. Unser großer Schwerpunkt sind dabei Fantasy-Serien, die von Kindern und Jugendlichen besonders geschätzt werden. Wir wollen gerade dieser Altersstufe die derzeit aktuellste Unterhaltungsliteratur präsentieren, sodass sie mit ihren sehenden Freund*innen mithalten können. 

Aber auch blinde Angehörige sollen die Möglichkeit haben, ihren blinden/sehenden Kindern vorzulesen. Dies gilt übrigens nicht nur für Fantasyliteratur, sondern auch für speziell adaptierte Bilderbücher für Blinde und Sehende. Die blinde Kollegin, die unsere Arbeit koordiniert, hat selbst drei sehende Kinder und ist die Initiatorin dieses Bilderbuchprogramms. Vorlage sind gewöhnliche Schwarzschriftbücher. Wir versehen sie mit Bildbeschreibungen in Braille, so dass sie blinde Eltern mit ihren sehenden Kindern lesen können, während die Kinder sich die Bilder anschauen. Auch blinde Kinder können so mit ihren sehenden Eltern diese Bücher gemeinsam durchgehen. (Näheres hierzu siehe Wencke Gemril: Kinder und Beruf, eine Bilderbuchkombination, horus 3/2018). Diese inklusiven Kinderbücher sind bei blinden wie sehenden Kindern und Eltern und anderen Angehörigen gleichermaßen beliebt und erfreuen sich großer Nachfrage. Sie können auch gut in der Schule (Förder- oder Regelschule) benutzt werden. 

Schlussbemerkung

Sie haben nun einen größeren Einblick in unsere Arbeit bekommen. Zusätzlich zu unserem geschilderten Angebot werden wir ab 2025 in der glücklichen Lage sein, Ihnen weitere Formate präsentieren zu können – etwa unsere Braillebücher als Datei herunterzuladen –, worüber wir Sie im horus informieren werden. 

Bild: Ein typischer PC-Arbeitsplatz in der Braille-Druckerei: Jochen Schäfer arbeitet mit Braillezeile. Er hat kurzes dunkles Haar und trägt einen blauen Pulli. Foto: blista

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