Von Thorsten Wolf
1.300 Kilometer war die Strecke lang, die drei sehgeschädigte Tandem-Fahrer mit ihren sehenden Begleitern im August 2024 bewältigten. Startpunkt war in Berlin vor der französischen Botschaft am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Als Fahrrad-Demo angemeldet, rollte die Gruppe am 6. August los. Ihr Ziel: Paris, und zwar pünktlich zur Eröffnungsfeier der Paralympics. Als Schirmherr der Tour konnte der französische Botschafter in Deutschland, François Delattre, gewonnen werden. Ein Tandem, das von einem blinden und einem sehenden Menschen gemeinsam gefahren wird, ist ein Paradebeispiel gelungener Inklusion – es geht nicht ohne den anderen voran. So nanntenco- sich die Mitglieder des Berliner Blinden- und Sehbehindertensportvereins zurecht „Botschafter der Inklusion“.
18 Tage nach ihrem Start wurde die Gruppe dann unter dem Arc de Triomphe durch den stellvertretenden Pariser Bürgermeister und den deutschen Botschafter in Paris empfangen. „Die Ankunft war überwältigend“, erinnert sich Thorsten Wolf. „Einmal, weil wir es tatsächlich geschafft haben, aber auch, weil wir so eine große Aufmerksamkeit bekommen haben. Wir waren sprachlos.“ Mit Botschafter Stephan Steinlein ging es dann durch den Pariser Stadtverkehr in dessen Residenz. Verglichen mit Berlin war Paris ein Paradies für Radfahrende. „Das Hupen und Drängeln der Autofahrer in Berlin und der rücksichtsvolle Umgang in Paris - dazwischen liegen wirklich Welten.“, berichtet Wolf.
„Wir wollten Spaß haben und zeigen, dass man als blinder Mensch lange Strecken aus eigener Kraft zurücklegen kann“, fasst Tandem-Fahrer Thorsten Wolf die Motivation der Gruppe zusammen, „und wir wollen anderen Sehbehinderten Mut machen.“ Schließlich verlieren die meisten Sehbehinderten ihre Sehfähigkeit erst im Laufe des Lebens. Dann stehen sie vor der Frage, was nun? Wer vorher gerne Rad gefahren ist, wird feststellen, dass das allein nicht mehr geht. Hier ist Tandemfahren eine gute Lösung. „Mit Tandem und Pilot kann man weiterhin Rad fahren, kann etwas erleben, seine Möglichkeiten ausprobieren und neue Leute kennenlernen“, so Wolf. Und er ergänzt: „Wir wollen die Leute von der Couch holen. Wenn dann jemand nach einer Fahrt sagt, jetzt geht es mir ein bisschen besser, dann ist das ein Riesenschritt.“
Auf der Strecke durch Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie die Niederlande und Belgien schlossen sich den Inklusionsbotschaftern zeitweise auch andere Tandemgruppen und einzelne Radfahrer an. Ihre Tour fand große Aufmerksamkeit. Unterwegs gab es zahlreiche offizielle Empfänge, beispielsweise in Braunschweig durch die Sportreferentin und in Hannover durch den Oberbürgermeister Belit Onay sowie durch Hans-Werner Lange, Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV). Die Fahrer wurden häufig interviewt und konnten so viele Menschen und die breite Öffentlichkeit für ihr Thema sensibilisieren. Über die letzten 40 Kilometer nach Paris berichtete am 26. August das „heute journal“ des ZDF.
Vor allem aber waren es die zahlreichen spontanen Begegnungen, die den Fahrern im Gedächtnis bleiben werden. Interessierte Passanten und Radfahrer*innen mit und ohne Seheinschränkung ermutigten sie, ihre Mission des inklusiven Miteinanders und des gemeinsamen Freizeitsports bekannter und erlebbar zu machen. Eine Radfahrerin aus einer Pariser Tandemgruppe für sehbehinderte Menschen kam am Ankunftstag auf die Gruppe zu und hatte großes Interesse am gemeinsamen Austausch.
Am 28. August, dem Eröffnungstag der Paralympics, fuhren die Inklusionsbotschafter mit ihren drei Tandems rund 40 Kilometer nach Coupvray östlich von Paris, dem Geburtsort von Louis Braille. Dort besuchten sie das Museum Maison Natale de Louis Braille und besichtigten den Sinnesgarten am Geburtshaus. Anschließend stand noch ein Besuch des Pantheons in Paris auf dem Programm, wo Louis Braille anlässlich seines hundertsten Todestages 1952 beigesetzt worden war.
Was bleibt von der tour d‘inclusion? Zunächst einmal, jeden einzelnen dieser 1.300 Kilometer erstrampelt zu haben. Darüber hinaus war den drei Co-Piloten Jürgen Pansin, Thorsten Wolf, Bernd Glauke und ihren Piloten Michael Zeidler, Uli Pebler, Harald Belz der Gedanke des friedlichen Miteinanders, des olympischen und paralympischen Wettstreits ein großes Anliegen. Deshalb gehörten das ehemalige Olympische Dorf Elstal, Gedenkorte der Schlacht bei Waterloo sowie der historische Standort des Wagens von Compiègne, in dem der Erste Weltkrieg beendet wurde, mit zu den Stationen der Tour. Der Erfolg und die neuen Kontakte, die die Gruppe schließen konnte, waren die Anstrengung der langen Fahrt inklusiv Sonnenbrand und Muskelkater auf alle Fälle wert.
Bild: Vor dem Arc de Triomphe stehen (v. l. n. r.) Tandemteam Jürgen Pansin und Michael Zeidler, der stellvertretende Bürgermeister von Paris Arnaud Ngatcha, Tandemteam Thorsten Wolf und Ulrich Pebler, der deutsche Botschafter in Paris Stephan Steinlein, Tandemteam Bernd Glauke und Harald Belz. Weit in der Hintergrundmitte ragt die Spitze des Eiffelturms hervor. Foto (c) Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Paris.