Seminar „Nicht sehend – nicht blind“ der IG „Sehbehinderte“ im DVBS 2024
Am Seminar nahmen zwölf Mitglieder teil. Neben einigen „Wiederholungstätern“ fanden auch Neu-Mitglieder den Weg zu uns. Diese Mischung macht das Seminar immer wieder interessant. Nach einem gemeinsamen Kennenlernen und Einführung ins Seminar begann nach dem Abendessen am Donnerstagabend die Arbeit in den Workshops. Wie in jedem Jahr wurden zwei parallel stattfindende Workshops angeboten.
Jens Walker: Workshop 1: Veränderungsprozesse im beruflichen Alltag – besondere Herausforderungen für blinde und sehbehinderte Menschen“
Workshop 1 wurde von Regina Deckert und Dörte Severin geleitet. Er befasste sich mit den Arbeitsbereichen und Handlungsfeldern, in denen Veränderungsprozesse besonderen Einfluss auf das berufliche Handeln von Menschen nehmen, die von Blindheit und Sehbehinderung betroffen sind. Mit besonderem Fokus auf den beruflichen Alltag der Teilnehmenden wurden u.a. folgende Veränderungsprozesse als wichtig identifiziert:
- Veränderungen durch die zunehmende und sich stetig erweiternde Digitalisierung,
- veränderte Kommunikation durch sich verändernde Kommunikationswege (u.a. durch Videokonferenzen, Homeoffice, …),
- zunehmende Arbeitsverdichtung (z.B. durch Arbeitsumfang, sich erweiternde Arbeitsbereiche, zunehmende Aufgabenvielfalt, …),
- Veränderungen des beruflichen Handelns,
- kompetenter Umgang mit einer erheblichen Verschlechterung des Sehens unter den Bedingungen wachsender Anforderungen am Arbeitsplatz und die Kommunikation dieses (sich verändernden) Sehens mit den Menschen des beruflichen Umfelds.
Die thematischen Inhalte wurden von den Teilnehmenden priorisiert und im weiteren Seminarverlauf methodisch differenziert bearbeitet. Anhand von Fallbeispielen, Erfahrungsberichten, Darstellungen und Rollenspielen wurden erleichternde Arbeitsweisen, mögliche Ausgleichsmaßnahmen, unterstützende Hilfen (z. B. technische Hilfsmittel, Arbeitsassistenz, Strukturierung, usw.) in der Gruppe, in Kleingruppen und auch einzeln bearbeitet. Sehr hilfreich waren der Erfahrungsaustausch und zielgerichtete Gespräche. Dabei wurde festgestellt, dass u.a. die Corona-Pandemie die Digitalisierung beschleunigt hat und dadurch für viele Berufe das Arbeiten im Homeoffice möglich wurde. Das Pro und Contra bzw. die Vor- und Nachteile von Digitalisierung wurden im Hinblick auf Anwendungen und den damit verbundenen Erleichterungen bzw. Erschwernissen besprochen, z. B. bei Videokonferenzen, der Ausstattung des Heimarbeitsplatzes mit Hilfsmitteln oder der Art und dem Umfang des Homeoffice. Aber auch damit verbundene Veränderungen der Kommunikationsprozesse und der persönlichen Kontakte wurden thematisiert.
Bei der Vielzahl der Einzelthemen wurde offensichtlich, dass sich für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit Veränderungsprozesse oft sehr ambivalent zeigen und ihnen ein erhöhtes Maß an Anpassungsbereitschaft und Flexibilität abverlangen. Eine wichtige Erkenntnis war in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklungen zwar positive Arbeitserleichterungen mit sich bringen können, diese Vorteile jedoch für sehbehinderte oder blinde Menschen häufig nicht unmittelbar zugänglich oder nutzbar sind.
Die gute inhaltliche und methodische Vorbereitung der Themenbereiche durch die Referentinnen erleichterte den Teilnehmenden den Zugang. Anschauliche Beispiele aus der Praxis verdeutlichten die Veränderungsprozesse. Zielführende Hinweise der Referentinnen und aus der Gruppe ermöglichten oft einen anderen Blick auf herausfordernde Situationen und Prozesse. Dadurch konnten Lösungsansätze und - strategien oder auch Handlungsoptionen und -alternativen erarbeitet werden. Das gute, offene und vertrauensvolle Miteinander innerhalb der Gruppe hat diese Arbeit zudem sehr stark unterstützt und gezeigt, dass Selbsthilfe wirkungsvoll ist.
Das Thema Umgang mit Veränderungen des eigenen Sehens – gemeint ist damit fast immer die Verschlechterung des Sehens –, wurde sehr eindrücklich unter dem Aspekt der Authentizität besprochen. Hier wurde vor allem deutlich, dass Authentizität kein starrer Begriff ist, sondern dass authentisches Verhalten durchaus von äußeren Einflüssen beeinflusst wird, wie z.B. dem sozialen oder beruflichen Umfeld. Auch die Frage, inwieweit Authentizität hilfreich oder hinderlich ist, war sehr interessant und lehrreich.
Claudia Hild: Workshop 2: „Effektiver Einsatz des iPads für sehbehinderte Arbeitnehmende“
Dieser Workshop, der von Simon Janatzek geleitet wurde, bot eine tiefgehende und praxisnahe Einführung in die Nutzung von iPads, speziell angepasst auf die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderungen. Die Veranstaltung fand in einer kleinen Gruppe von fünf Teilnehmenden statt, was eine intensive Betreuung und den individuellen Austausch ermöglichte. Durch das offene Format konnten Teilnehmende aktiv Fragen stellen und eigene Erfahrungen einbringen, was den Workshop stark bereicherte.
Inhaltlich lag der Fokus auf der Anpassung des iPads an die jeweiligen Sehbedürfnisse der Nutzer und Nutzerinnen. Mithilfe von Funktionen wie VoiceOver und Zoom sowie der Nutzung externer Tastaturen wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sehbehinderte Berufstätige ihre Produktivität steigern können. Ein Highlight des Workshops war die Einführung in den Einsatz künstlicher Intelligenz, insbesondere durch die App ChatGPT, die Simon Janatzek durch praktische Anwendungen vorstellte. ChatGPT bot den Teilnehmenden eine besonders benutzerfreundliche Oberfläche, die durch die klare, textbasierte Struktur leicht navigierbar war und sich somit als hilfreiches Werkzeug für Menschen mit Sehbehinderungen erwies. Es zeigte sich jedoch, dass die Genauigkeit der Ausgaben, wie beispielsweise bei Wegebeschreibungen, noch verbesserungswürdig ist.
Die Arbeit mit den gängigen Büro-Apps wie Word, Outlook und PowerPoint auf dem iPad erwies sich für viele als herausfordernd. Die Teilnehmenden bemerkten, dass einige Menüs tiefer verschachtelt und Tastenkombinationen nicht immer verfügbar waren, was die Effizienz beeinträchtigte. Besonders Word auf dem iPad bot im Vergleich zur Desktop-Version erhebliche Einschränkungen, was die Nutzung von Tastenkombinationen und Kontextmenüs betraf. Im Gegensatz dazu wurde die App Pages aufgrund ihrer intuitiveren Struktur und größeren Symbole von den sehbehinderten Teilnehmenden als benutzerfreundlicher wahrgenommen.
Neben den technischen Inhalten bot der Workshop auch Raum für den Austausch von Erfahrungen und die Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten der eingesetzten Technologien. Diese offene Atmosphäre trug wesentlich dazu bei, dass sich die Teilnehmenden wohlfühlten und voneinander lernen konnten. Der praxisorientierte Ansatz, der durch individuelle Anpassungen und die Nutzung von Apps wie Seeing AI und OneStepReader ergänzt wurde, zeigte eindrucksvoll, wie das iPad als Hilfsmittel im beruflichen Alltag produktiv eingesetzt werden kann.
Insgesamt bot der Workshop eine gelungene Mischung aus technischen Schulungen, praktischen Übungen und Erfahrungsaustausch in einer unterstützenden und offenen Lernumgebung. Die Teilnehmenden konnten wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die sie direkt in ihren Arbeitsalltag integrieren können.
Anmerkung: Für diesen Bericht habe ich das im Workshop Erlernte angewendet – er wurde mithilfe von ChatGPT erstellt.
Abschluss
Am Sonntagmorgen kam die Gesamtgruppe nochmals zu einem Abschlusstreffen zusammen. Die Teilnehmenden präsentierten die Inhalte und Ergebnisse ihrer Workshops. Darüber hinaus tauschte sich die Gruppe zu weiteren Themen und Entwicklungen aus, die für sehbehinderte Arbeitnehmende wichtig sind.
Das Wochenende zeigte wieder, wie bedeutsam und lehrreich ein regelmäßiges Fortbilden kombiniert mit einem offenen Erfahrungsaustausch in einem geschützten Raum für Menschen mit (Seh-)Behinderung ist. Dies gilt sowohl für die Workshops als auch für die Gespräche im großen Plenum und außerhalb der Seminarzeiten bei gemeinsamen Spaziergängen und anderen Unternehmungen.