Von Peter Beck

Na klar, für jede und jeden! Diesen Ausruf lege ich Annalena Knors in den Mund. Sie ist 36, hoch motiviert und eben Museumsberaterin.

Der Autor dieses Artikels verhehlt nicht sein leicht angespanntes Verhältnis zu Museen. Von geschäftigen Straßen geht es durch mächtige Portale in hallenähnliche Lobbys, es ist eher ruhig, es riecht nach Marmor (Unsinn: natürlich riecht Marmor nach gar nichts, es wird der Staub sein und die eingesperrte kühle Luft), also der Bau riecht alt und passt damit häufig zu den dargebotenen Exponaten. Die sind im Tempel der Musen oft hinter Glas, wo sie nicht nur vor übermäßigem Licht, sondern heutzutage durchaus auch vor Kartoffelbrei geschützt werden. Menschen, die schlecht sehen, entziehen sich diese Exponate so gründlich, als wären sie gar nicht da. Und wo sie doch da sind, werden Berührungsversuche durch Hinweisschilder und gestrenges Personal alsbald unterbunden.

Die Museumsberaterin Annalena Knors hat ein weitaus entspannteres Verhältnis zu Gebäuden und Ausstellungsstücken. Und das, obschon auch sie beides genauso wenig optisch erfasst wie der Autor.

Vom Exponat zum Inhalt

Rund 7.000 Museen gibt es in Deutschland, erzählt Annalena. Der Begriff "Museum" ist hierzulande nicht geschützt, so kann eigentlich alles gezeigt werden, was kulturell interessant sein mag: Currywurst, Kunst, aber auch Phänomene wie Arbeitsschutz, Auswanderung oder ethische Fragen können vermittelt werden. Und so beginnt Annalenas Zugang genau hier, bei den Inhalten, bei den Geschichten, die den Exponaten anhaften. Diese Geschichten müssen erzählt werden und dann können sich die Museumsbesucher über die Geschichten austauschen.

Liegt der Kopf der Nofretete (Gemahlin des ägyptischen Pharaos Echnaton, 1400 vor Christus) in einer Vitrine, dann müssen blinde Menschen einfach erst mal glauben, dass er da liegt, er entzieht sich der physischen Wahrnehmung. Es sei denn, er wird entpackt: Entweder durch eine Kopie, die angefasst werden darf, oder durch Beschreibung; wobei natürlich jeder Beschreibung eine Interpretation innewohnt. Aber die ist dann schon Teil der Geschichte, die die Nofretete umgibt. Die weggeschlossenen Ausstellungsgegenstände, sagt Annalena, sind gar nicht so häufig, Repliken zum Anfassen und Dinge zum Ausprobieren würden heute immer öfter dargeboten. Dass das so ist und immer öfter so wird, ist Teil ihrer Arbeit.

Wie kam's dazu

Nach dem Abitur an der blista machte Annalena Knors ein Praktikum am Marburger Schloss; sie studierte Kulturwissenschaften in Frankfurt (Oder) und Museumsmanagement in Berlin. Weiterbildungen in Mediation, themenzentrierter Interaktion, dem Leiten von Gruppen und systemisches Coaching runden ihre Fertigkeiten ab. Und das kann sie brauchen, denn: Museen sind spannende und verrückte Organisationen, sagt Annalena vergnügt. Es sind Vereine, Stiftungen, GmbHs, oft reichlich behördlich organisiert. Und damit da überhaupt was geht in Richtung positives Museumserlebnis, muss Vieles ineinandergreifen: Marketing, Finanzabteilung, Haustechnik; und auch die Museumspädagogen und Kuratoren müssen mitmachen. Also es ist ein Team gefragt, flexibel, je nachdem, was geplant wird. Und dieses Team hält Annalena Knors zusammen, dezent im Hintergrund. Schon klar, das Ziehen der Drähte will gekonnt sein. Das Aushandeln hat nichts von einem Basar: Gibst du mir dies, verzichte ich auf jenes. Das Ergebnis würde lückenhaft. Sie berät dabei immer aus der Besucherperspektive und im Sinne des Museumserlebnisses der Besucher. Die Zugänglichkeit hängt dabei von den Bedürfnissen der Zielgruppe ab. Stichworte sind Barrierefreiheit, Mehrsprachigkeit oder Familienfreundlichkeit. Bei Sehbehinderten gibt es beispielsweise die Frage nach Kontrasten, nach den Lichtverhältnissen im Foyer oder im Café oder der Ausstellung selbst. Und auch der Webauftritt darf nicht vergessen werden. Die Teams müssen verstehen, dass es diese unterschiedlichen Bedürfnisse gibt und welche Zielgruppe was braucht. Da sind dann schnell Unter-Teams nötig: Mit der Haustechnik wird über taktile Leitlinien gesprochen oder über eine zugängliche App. Kuratoren, Architekten und Designer sind später die Ansprechpartner, wenn es darum geht, die Ausstellung selbst zugänglich zu machen. So erstellt Annalena Audio-Beschreibungen meist nicht selbst, sondern sie sorgt dafür, dass sie erstellt werden. Dafür muss sie wissen, wer so etwas kann. Und dann bringt sie die Leute zusammen, die zusammengehören. Grundsätzlich kann Annalena Knors jedwedes Museum beraten.

Und so geht die Praxis

Mal gesetzt den Fall, die Sternwarte am Deutschen Museum in München organisiert einen Nachmittag für Menschen mit Sehbehinderung. Wie geht sie vor?

Entscheidend, sagt Annalena, ist nicht die Sehbehinderung, sondern was mich motiviert, zu einer solchen Veranstaltung zu gehen. Da gibt es diejenigen, die sich ohnehin für Astronomie interessieren und die möglichst viel fachlichen Input wünschen. Ebenso gibt es die anderen, die grundsätzlich Interesse am Lauf der Sterne aufbringen, aber deren Vorkenntnisse übersichtlich sind und die schnell aussteigen, wenn's zu komplex wird. Daher muss in Bezug auf die fachliche Tiefe zunächst die Zielgruppe - beispielsweise an einer astronomischen Einführung interessierte Erwachsene - definiert werden. Damit dann möglichst viele sehbehinderte Interessenten von der Veranstaltung profitieren, ist eine Sensibilisierung des Museumsteams für ihre Bedürfnisse in Sachen Barrierefreiheit extrem hilfreich. So rücken beispielsweise kontrastreiche Gestaltung, Schriftbild oder Lichtverhältnisse in den Fokus. Wichtig ist auch, dann in der Bewerbung zu kommunizieren, welche fachliche Tiefe angedacht ist und welche barrierefreien Zugänge angeboten werden.

Das Museumsteam wird bei all dem zu einem Schlüsselfaktor, denn es konzipiert diese Veranstaltung und führt sie mit seinen Mitteln durch.

Wie hältst du's mit dem Audioguide

Die Gerätchen sind praktisch, aber mit dem Audio im Ohr ist der Interessierte Mensch im Museum für einen Moment mit den spannenden Inhalten allein und kann sich nicht gleichzeitig dazu mit anderen austauschen. Wie steht Annalena Knors zum Audioguide? Da bemüht sie wieder die ägyptische Nofretete (irgendwie mag sie die). Die reine Information in der Vorbereitung über Ägypten, über Nofretete und ihre Zeit würde sie auch eher zu Hause hören. Vielleicht nicht einmal im Audioguide, sondern irgendeinen Podcast zum Thema, oder sie würde ein Buch lesen oder eine geeignete Dokumentation anhören. Aber: Wenn es um den Moment geht, die Beschreibung dieser Büste, vor der ich jetzt stehe, dann kann so etwas sehr berührend sein, sagt sie. Und sie sagt es überzeugt.

Kunst und Blindheit, geht das?

Als Museumsberaterin braucht Annalena Knors nicht den unbedingten Zugang zu Gemälden und Skulpturen an sich. Sie sei interessiert an Kultur und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, sagt sie. Sie will wissen: Warum sind die Dinge, wie sie sind? Nimmt man eine bestimmte Zeit und fragt, wer wird dargestellt und in welcher Weise oder mit welchem Material, so tun sich gesellschaftspolitische Zusammenhänge auf. Damit sich Inhalte vermitteln, sind beide wichtig: der Fragende und der Erzähler.

Annalena sagt, Wenn Figuren angefasst werden können, werden von Museen oft solche Objekte gewählt, die einfach zu ertasten sind. Aber taktil eingängig oder nicht: Es geht immer um die Aussage von etwas, der Inhalt mag durchaus etwas sein, was nicht im wörtlichen Sinn zu begreifen ist. Dies zu vermitteln, ist Aufgabe der Kuratoren. Denn sie müssen wissen, warum sie sich für dieses und nicht ein anderes Objekt entschieden haben, warum diese Skulptur vorhanden ist und jene fehlen darf.

Das blaue Quadrat

Wie geht Annalena Knors mit abstrakter Kunst um? Denn das Konkrete tritt hier praktisch völlig zurück. Auch der Sehende kann nicht eins zu eins übersetzen, was er sieht, sagt sie entspannt. Würde er es versuchen, wäre das eine Illusion, denn das blaue Quadrat ist nun mal abstrakt; es verrät nicht automatisch, was sein Schöpfer empfand oder ausdrücken wollte. Anders gesagt: Auch der visuelle Zugang sehender Menschen ist beim Betrachten des blauen Quadrats je verschieden. Und ein spannender Mehrwert kann sich dann im Dialog der Betrachtenden ergeben, einschließlich derer, die es beschrieben bekommen. Das Reizvolle ist auch hier die soziale Komponente.

Befähigen, besser zu entscheiden

Bisher hat Annalena Knors wenig Konkurrenz. Sie bewirbt sich auf Projektausschreibungen von Museen, oft aber ist es die Mund-zu-Mund-Propaganda zwischen den Häusern, die sie bekannt macht und ihr zu Aufträgen verhilft. Prekär sei die Arbeit allemal, wenn man die finanzielle Seite betrachtet.

Annalena sieht sich nicht nur als Anwältin blinder und sehbehinderter Besucher. Oft sei das zwar der erste Kontaktanlass, aber insgesamt vertrete sie die Bedürfnisse möglichst vieler Menschen, die einen intensiven Museumstag erleben möchten. Sie plant Events mit, aber auch Dauerausstellungen, und gelegentlich gibt es auch Neugründungen von Museen, bei denen sie ihre konzeptionellen Spuren hinterlässt. Am Ende sollen Museen in der Lage sein, selbstständig zu entscheiden, was geht und was nicht, und ihre getroffenen Entscheidungen dann transparent zu kommunizieren.

Bild: Annalena Knors ist im Portrait vor einem beigen Hintergrund fotografiert, während sie freundlich in die Kamera lächelt. Ihr braunes Haar ist kurz geschnitten. Zu einem hellbraunen Pullover trägt sie einen einzelnen bunten Ohrring. Foto: privat

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