Von Monika Häusler

Mein ganzes Leben hindurch verband und verbindet mich eine große Liebe zu Tieren. Rückschauend - ich bin 65 Jahre alt - kann ich sagen: Vor allem IHNEN galt mein künstlerisches Schaffen. Im Folgenden möchte ich über meine Kindheit berichten, die viele intensive Begegnungen mit Tieren und erste Gestaltungsanregungen für mich bereithielt; über verschiedene Materialien und Arbeitstechniken, die ich im Laufe des Lebens kennen lernte und entwickelte; über mein Bestreben, Detailgenauigkeit und Formgebung weiterzuentwickeln; und schließlich über die Ausstellungen meiner Arbeiten, die mir in verschiedenen Zusammenhängen ermöglicht wurden.

Schon als Kind freute ich mich über jede Begegnung mit einem lebendigen Tier - freilich, sofern keine Gefahr bestand: Ein Marienkäfer, der zart über die Hand krabbelte, ein Maikäfer, der sich mit kräftigen Beinchen an den Fingern festkrallte, der Gesang der Vögel, deren Namen ich oft nicht kannte, eine maunzende oder schnurrende Katze, die sich streicheln ließ, ein stürmischer oder vorsichtig schnuppernder Hund, ein flaumiges Hühnerküken, das sich in meine Hand schmiegte oder sich an meinem Finger festkrallte und darauf stand wie auf einem Ästchen, der Klang von Pferdehufen ... Immer war da die Sehnsucht, noch mehr über diese Tiere zu erfahren, wie sie sich anfühlen, wie sie aussehen, was strahlen sie aus? So entstand der Wunsch, in Form auszudrücken, was ich wahrnahm.

Ich modellierte Hunde, Katzen oder Pferde aus Knete (Plastilin) und fragte immer wieder meine Eltern und meine ältere sehende Schwester: "Erkennt man, dass das ein Hund ist? - Was ist das Typische an einem Katzenkopf?" - "Papa, kannst Du mir eine Ziege formen? Die stupsen immer so wild, wenn ich sie streicheln möchte!" Er hat mir mehrere modelliert, mit kräftigem Rückgrat und zierlichen Hörnern und Beinchen - ein großer Ansporn für mich. Ja, so schön wollte ich auch formen können! Kurz gesagt: Im Gestalten von Tieren rang ich darum, ihre jeweils ureigene Gestalt und damit auch ihr Wesen in mich aufzunehmen, so dass ich ein Tier immer differenzierter in verschiedenen Stellungen darstellen konnte.

Beispielsweise faszinierte mich die Geschmeidigkeit und Gelenkigkeit einer Katze: Schulterblätter und Wirbelsäule sind deutlich unter dem bisweilen dichten Fell zu spüren - mehr noch für die Hand als für das distanziert wahrnehmende Auge, wie mir sehende Menschen bestätigten. Als ich zum ersten Mal den Huf eines Pferdes betasten durfte - eine freundliche Reiterin hatte dazu extra ihr Pferd angehalten -, war ich tief beeindruckt von der Eigenart dieser Form und wollte nun wissen, wie ein Pferd in den verschiedenen Gangarten seine Hufe setzt und wie es dabei jeweils Körper, Hals und Kopf hält.

Zu meiner großen Freude schenkten mir meine Eltern viele naturgetreue Spielzeugtiere: Trabende oder springende Pferdchen, eine Katze, die laufen und miauen konnte, einen großen Schwan mit aufgestellten Flügeln, der in der Badewanne schwimmen durfte - er existiert heute noch!

Mit der Zeit lernte ich haltbarere Materialien kennen wie zum Beispiel Fimo, welches im Gegensatz zur vergänglichen Knete im Backofen hart wird. Aus Aluminiumfolie formte ich unzählige Enten und Schwäne. In einer Kunst-AG während und nach meiner Schulzeit an der Blindenstudienanstalt in Marburg arbeitete ich mit Cernit, einer wunderbar geschmeidigen Modelliermasse, deren nicht-lufttrocknende Variante ebenfalls erst durch Hitze aushärtet (Backofen oder kochendes Wasser); anschließend kann man sie mit Schleifpapier herrlich glätten. Ich entwickelte die Technik, "Skelette" aus Draht zu formen, um grazilen Tierdarstellungen Stabilität zu geben, beispielsweise das Skelett einer Katze, die mit erhobenem Schwanz im Lauf anhält und die rechte Vorderpfote angehoben lässt. Auch mit Ton, Holz und Speckstein sammelte ich Erfahrungen, wobei ich die beiden letzteren behutsam mit Raspeln, Feilen und abschließend wieder mit Schleifpapier bearbeitete. Sogar ein Fischchen aus Bernstein gelang mir mit feinsten Raspeln und Feilen; es hat eine geschwungene Schwanzflosse, Rücken-, Seitenflossen und Kiemen sowie sein leicht geöffnetes Mäulchen sind zu fühlen. Überglücklich war ich, als ich mit Schlämmkreide seine Oberfläche herrlich polieren konnte, bis sie sich so glatt anfühlte wie die "Perlen" meiner Bernsteinketten.

Nach dem Abitur habe ich an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg einige Semester Kunsterziehung auf Lehramt studiert, führte dies jedoch nicht zu Ende - die Kunst sollte mein Hobby bleiben und nicht durch den anstrengenden Lehrerberuf ins Abseits geraten. Und doch erhielt ich während der Studienzeit wertvolle Anregungen; die wichtigste war wohl der Ansporn, nicht nur naturalistisch und detailreich zu gestalten, sondern mich darauf einzulassen, "das Wesentliche" z. B. einer Tiergruppe herauszuarbeiten.

"Formen Sie doch mal ein stelzendes Geschnäbel!" Diese lebhafte Aufforderung eines Kunstprofessors öffnete für mich einen neuen Zugang: Während eines stillen Spaziergangs lauschte ich dem mir vertrauten geliebten Gesang einer Amsel. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, spürte ich in meinen geistigen Händen eine verzweigte, pflanzenähnliche Skulptur, deren jede einzelne Form einem bestimmten Amselruf entsprach: längliche oder runde Hohlformen entsprachen weich "geflöteten" Rufen, furchig raue Strukturen entstanden durch gepresste, schroffe Töne, und das lebhafte hohe Zwitschern und Keckern jeweils am Gesangsstrophenende ergab in meiner Vorstellung feine "Ästchen" aus gedrehten, bisweilen spitz zulaufenden Formen. Wie von selbst waren plötzlich gehörter Klang und äußere Form innig miteinander verwoben. Ich bin noch heute zutiefst dankbar für dieses Erlebnis und habe den Amselgesang wie auch den Gesang anderer Vögel in Form umgesetzt mit Cernit und mithilfe der Stützdrahttechnik. Das Wesentliche von Etwas herauszuarbeiten, ohne dabei kühl zu abstrahieren, sondern im Gegenteil eine tiefe Verbundenheit zu fühlen, ist mir auf diese Weise sehr nahegekommen.

Ausstellen konnte ich meine Arbeiten u. a. während des Studiums, 1988 und '92 in einer Marburger Volksbankfiliale sowie mehrfach auf der SightCity, einer Hilfsmittelmesse in Frankfurt am Main. Ich bin dankbar für all diese Möglichkeiten, waren sie mir doch stets Ansporn und Anregung.

Als blinder Mensch bin ich bisweilen an Grenzen gestoßen. Jedoch hat das fehlende Augenlicht mir nahezu keine Grenzen gesetzt, wenn es darum ging, mit meinen Händen dem Form zu geben, was mich im Innersten bewegt - eine zutiefst kostbare Erfahrung.

Ich bin nun im Rentenalter angekommen, habe daher mehr Muße und Zeit für künstlerische Aktivitäten und bin gespannt, wohin die "Reise" noch geht. 

Zur Autorin

Monika Häusler arbeitete als Textübertragerin zur Umsetzung von Materialien in Blindenschrift im Medienzentrum der blista in Marburg.

Bild: Monika Häusler hat hellbraunes schulterlanges Haar. Sie blickt freundlich in die Kamera und hält in der linken offenen Hand ein kleines modelliertes Häschen. Foto: privat

Bild: Auf dunkler Unterlage sitzt das modellierte, fast weiße Häschen, aufgenommen von schräg vorne links nach hinten rechts. Es schaut mit erhobenem Kopf aufmerksam an der Kamera vorbei, so dass man seine leicht nach hinten gestellten Ohren, den geduckten Körper und sein hochgestelltes Schwänzchen sieht. Foto: privat

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