Von Christian Seuß

Einleitung

Seit Mai 2017 gehöre ich als blinder Mensch dem aus 50 Personen bestehenden Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks (BR) an. Auf Vorschlag der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter und chronisch kranker Menschen in Bayern e. V. (kurz: LAG Selbsthilfe Bayern) wurde ich in den Rundfunkrat berufen. Der Rundfunkrat besteht aus 34 Vertretern unterschiedlicher Verbände, aus zehn Abgeordneten des Landtags und aus sechs weiteren staatsnahen Funktionsträgern.

Der BR ist eine Anstalt des Öffentlichen Rechts; er ist einer von neun ARD-Sendern. Dazu gesellen sich das Deutschlandradio und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF).

In einigen anderen Rundfunkanstalten gibt es ebenfalls einen Vertreter behinderter Menschen.

Die Rundfunk- und Fernsehräte sind einerseits ein Kontrollorgan. Sie fassen andererseits grundlegende Beschlüsse zur Weiterentwicklung des Senders, wählen die Intendantin oder den Intendanten, sie berufen leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wachen darüber, dass der Sender seinem Programmauftrag nachkommt und die Vorgaben des jeweiligen Rundfunkgesetzes erfüllt.

Dazu gehören insbesondere

  • eine faktenbasierte Berichterstattung,
  • die klare Trennung zwischen Nachricht und Kommentar und
  • ein vielseitiges Bildungs-, Unterhaltungs- und Kulturprogramm.

Meine ersten Berührungspunkte mit Radio und Fernsehen

Seit meiner Kindheit habe ich Radio gehört und Fernsehen geschaut. Ich bin in eine Zeit hineingeboren worden, die man medial mit den heutigen Gegebenheiten kaum vergleichen kann.

Es gab medial nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinen im Vergleich zu heute wenigen Radio- und Fernsehprogrammen, den man meist auf UKW empfangen konnte, teilweise auch über Mittelwelle. Je nach Wohnort war es möglich, dass man das Programm nur eines Radiosenders empfangen konnte. Mit den privaten Radio- und Fernsehsendern in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erweiterte sich die Programmvielfalt. Mit neuen Ausspielwegen über Kabel, Satellit und digital wurde es möglich, unabhängig vom Wohnort eine große Zahl vorhandener Programme zu empfangen. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender erweiterten schrittweise ihr Angebot mit Klassik-, Info-, Kultur-, Sport- und Kinderkanälen. Dazu gesellte sich das Pay TV.

Einen neuen großen Schritt machte die mediale Versorgung durch das Internet. Seit gut zehn Jahren entwickelt sich das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender hin zur Trimedialität: Hörfunk, Fernsehen und digitale Medien.

Berufliches Engagement für die Teilhabe behinderter Menschen

Nach meinem Jura-Studium und der Referendarzeit bin ich 1989 beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund e. V. eingestiegen; Mein Ziel war und ist es, die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen zu verbessern.

Einen Schwerpunkt bildete in den 90er Jahren der unmittelbare Zugang blinder und sehbehinderter Menschen zu Kino- und Fernsehfilmen. Dies sollte mit Hilfe einer zusätzlichen Bild- und Szenenbeschreibung, kurz: Audiodeskription, geschehen. Im BIT-Zentrum des BBSB experimentierten wir zunächst und schafften es 1993, den Film "Eine unheilige Liebe" von Michael Verhoeven auf dem Münchner Filmfest zu präsentieren. Der Film wurde wenige Wochen später im ZDF als erster Fernsehfilm mit Audiodeskription im Deutschen Fernsehen gezeigt. Die zweite Tonspur wurde dafür verwendet.

In Gesprächen mit den Verantwortlichen des BR gelang es, dass im Bayerischen Fernsehen ab 1997 regelmäßig Filme mit Audiodeskription ausgestrahlt wurden.

Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit für die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe engagierte ich mich auch behinderungsübergreifend Als Vorstandsmitglied der LAG Selbsthilfe Bayern für eine verbesserte Teilhabe aller Menschen mit Behinderung. 2016 wurde erreicht, dass die gesellschaftliche Gruppe der Menschen mit Behinderung im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks einen Sitz erhielt und die LAG Selbsthilfe Bayern das Vorschlagsrecht bekommen hat.

Es war dann fast logische Folge, dass mich die LAG Selbsthilfe Bayern als Vertreter vorgeschlagen hat und ich in den Rundfunkrat berufen wurde.

Was macht eigentlich ein Rundfunkrat?

Bei meiner Einführungsveranstaltung mit dem damaligen Intendanten des BR, Ulrich Wilhelm, wurde Wert darauf gelegt, dass Rundfunkräte keine Lobbyisten für ihren Verband sind. Vielmehr sollen sie als Vertreter der Gemeinschaft aller Nutzerinnen und Nutzer wirken.

Die Rundfunkräte kommen sechsmal im Jahr im Plenum zusammen, dazu gibt es drei Ausschüsse, die sich mit verschiedenen Einzelfragen befassen und sich ebenfalls sechsmal im Jahr treffen. Diese sind

  • der Ausschuss für Grundsatzfragen und Medienpolitik (AGM),
  • der Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen (AWF) sowie
  • der Programmausschuss (PGA).

Besonders hat mich zunächst der PGA interessiert, der sich mit den trimedialen Programmen des BR befasst; also mit den Sendungen des Hörfunks, dem Fernsehprogramm und den Mediatheken und Audiotheken, mit Podcasts und digitalen Angeboten auch auf anderen social media-Angeboten wie TikTok, Instagram, Facebook etc.

Was mir im Rundfunkrat Freude macht

Es ist mir nach und nach gelungen, etliche Kolleginnen und Kollegen für das Thema barrierefreie Angebote des BR zu sensibilisieren und immer wieder darauf hinzuweisen. Es kommt nach sieben Jahren inzwischen häufiger vor, dass nicht nur ich, sondern andere Mitglieder des Gremiums die Bedeutung von Barrierefreiheit betonen und feststellen, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an den Angeboten des BR ein Menschenrecht ist.

Das gilt für die Audiodeskription genauso wie für Untertitel bei Dokumentationen und Filmen für hörgeschädigte Menschen, für den Einsatz der Deutschen Gebärdensprache für viele gehörlose Zuschauer gerade bei politischen Sendungen und Diskussionen.

Ein besonderes Defizit gibt es bei vielen Stellen noch für Informationen in "Leichter Sprache".

Als sportbegeisterter Mensch, der seit Jahrzehnten jeden Samstag die Sportsendung "Heute im Stadion" mit der Schlusskonferenz der Bundesligaspiele hört, habe ich mit Erfolg dafür geworben, dass die ARD die Sportrechte an den Hörfunk-Livestreams für die Spiele der 1. und 2. Bundesliga sowie der Deutschen Mannschaften in der Champions- und Euro-League erwirbt.

Ein weiteres Anliegen ist mir, dass das vielseitige Leben von Menschen mit Behinderung in den verschiedenen Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dargestellt wird. Hier habe ich gelernt, dass mehr Aufmerksamkeit erzielt wird, wenn diese Beiträge in allgemeinen Magazinen eingestreut werden.

Außerdem spreche ich mich bei passender Gelegenheit für die demokratischen Werte in unserer Gesellschaft sowie für Meinungsfreiheit und Toleranz aus.

Was mich ärgert, das ist der Umstand, dass ich häufig zu wenig Wertschätzung in der Bevölkerung für unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk wahrnehme.

Traurig ist auch, dass sich weite Kreise der Politik nicht mehr zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk - einem maßgeblichen Pfeiler der Demokratie - bekennen. Vielmehr wird gefordert, dass Programme mit niedrigen Quoten einzustellen sind. Notwendige Beitragserhöhungen und Reformen im Programm zugunsten digitaler Angebote für junge Menschen werden trotz hoher Inflationsraten von der Politik mehrheitlich abgelehnt.

Was ich in sieben Jahren gelernt habe:

Das vielfältige trimediale Programm des BR und der anderen Rundfunkanstalten, die ein vielseitiges und mit hoher Qualität produziertes Programm bieten und gemeinsam eine ARD-Mediathek und eine Audiothek installiert haben, ist seinen Rundfunkbeitrag absolut wert.

Schade, dass das von vielen Leuten nicht genauso gesehen wird.

Bild: 34 Mitglieder des BR-Rundfunkrats haben sich zum Gruppenfoto aufgestellt. Christian Seuß, LAG Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung, trägt eine dunkle Sonnenbrille (7. v. r.). Foto: Copyright @BR/Leah Ruprecht

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