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Heft 12 der Schriftenreihe: Urteile und Gerichtsbeschlüsse

Dr. Herbert Demmel und Karl Thomas Drerup

Stand: April 2006

1 Berufliche Eingliederung

2 Blindengeld

3 Hilfsmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung

4 Hilfsmittelversorgung im Rahmen des Sozialhilferechts

5 Hilfsmittelversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung

6 Hilfsmittel im Rahmen des Versorgungsrechts nach dem BVG

7 Kindergeld

8 Rehabilitation

9 Schöffenamt

10 Schule und Bildung

11 Schwerbehinderteneigenschaft – Statusfeststellungen

12 Unterhaltsrecht

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1.1 Arbeitsplatzassistenz - positives Urteil des VERWALTUNGSGERICHTS HALLE vom 29. 11. 2001

Nr: MWRE012160300

VG Halle (Saale) 4. Kammer Urteil vom 29. November 2001, Az: 4 A 496/99

SchwbG § 31 Abs 3 S 1 Nr 1 Buchst c, SchwbAV § 18 Abs 2 Nr 2, SchwbAV § 21 Abs 4, SchwbAV § 27, SGB 9 § 102 Abs 4, SchwbAV § 17 Abs 1a

Schwerbehinderter; Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz; zur Mittelverwendung

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen des Anspruchs gegen das Integrationsamt auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz bei wirtschaftlicher Selbstständigkeit aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (insbesondere zur Frage der Zumutbarkeit der Aufbringung eigener Mittel durch den schwerbehinderten Menschen).

Orientierungssatz

1. Der Kostenübernahmeanspruch nach SGB 9 § 102 Abs 4, SchwbAV § 17 Abs 1a besteht nur, soweit die Arbeitsplatzassistenz "notwendig" ist. Da es im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben um den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile geht, ist die Vorschrift so zu verstehen, dass der Kostenübernahmeanspruch sich auf den Umfang der Assistenztätigkeit beschränkt, der auf Grund der Behinderung des schwerbehinderten Menschen notwendig ist. Soweit die Assistenztätigkeit unabhängig von der Behinderung für die jeweilige Berufsausübung notwendig ist, etwa als Sprechstundenhilfe, besteht ein Kostenübernahmeanspruch nach SGB 9 § 102 Abs 4, SchwbAV § 17 Abs 1a nicht, denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Besserstellung der schwerbehinderten Menschen gegenüber Nichtbehinderten beabsichtigt hat.

2. Nach SchwbAV § 18 Abs 2 Nr 2 setzt die Leistung an einen Schwerbehinderten voraus, dass es ihm wegen des behinderungsbedingten Bedarfs nicht zuzumuten ist, die erforderlichen Mittel aufzubringen. In den übrigen Fällen sind seine Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen. Mit dieser Regelung, die im Jahre 1998 in die SchwbAV eingeführt wurde, wollte der Verordnungsgeber klarstellen, dass eine Kostenbeteiligung des Schwerbehinderten unzumutbar ist, wenn die Leistung wegen der Behinderung erforderlich ist.

3. Eine - im Rahmen der Ermessensentscheidung nach SchwbAV § 18 Abs 2 grundsätzlich mögliche -Ablehnung einer Leistung zum Ausgleich eines behinderungsbedingten Nachteils könnte etwa darauf gestützt werden, dass die Mittel bereits erschöpft sind oder, soweit entsprechende Mittel noch vorhanden sein sollten, dass die Gewährung einer Leistung an den Antragsteller zugunsten einer anderweitigen Mittelverwendung zurückgestellt wird.

Fundstellen

Behindertenrecht 2003, 195-197 (Leitsatz und Gründe)

1.2 Begriff des Arbeitsplatzes

Urteil des BVerwG zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben vom 14. November 2003

Nr: WBRE410010556

BVerwG 5. Senat Urteil vom 14. November 2003, Az: 5 C 13/02

SchwbG § 31 Abs 1, SchwbG § 7 Abs 1, SchwbG § 7 Abs 2 Nr 2, WRV Art 137

Geldleistungen für begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben an schwer behinderte Geistliche; Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertengesetzes

Leitsatz

Geldleistungen an Schwerbehinderte für technische Hilfen und zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten nach § 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und f SchwbG im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben setzen die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 7 SchwbG nicht voraus und können daher grundsätzlich auch Geistlichen öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG) bewilligt werden.

Fundstellen

KommunalPraxis BY 2004, 230-231 (Leitsatz)

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 29. März 2001 2 S 1565/00 Urteil vorgehend VG Stuttgart 25. Juni 1999 8 K 244/98 Urteil

Tatbestand

Die Klägerin ist wegen Blindheit schwer behindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie begehrt Leistungen im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben (§ 31 Abs. 3 SchwbG).

Seit 1981 ist die Klägerin Pfarrvikarin und Kirchenmusikerin bei der Evangelischen Landeskirche in W. (Beigeladene). Dabei handelt es sich seit 1992 um eine Vollbeschäftigung, bei der die Klägerin zu etwa 70 % theologische und zu 30 % musikalische Aufgaben erfüllt. Zu ihren Tätigkeiten gehört das Abhalten von Gottesdiensten, die Durchführung von Hausbesuchen, Beerdigungen sowie die Mitwirkung an anderen Veranstaltungen.

Mit Schreiben vom 18. November 1996 beantragte sie die Übernahme der Kosten für die technische Modernisierung ihrer bereits 1987 mit Mitteln des Beklagten geförderten blindengeeigneten PC-Anlage und legte hierzu einen Kostenvoranschlag in Höhe von rund 73 000 DM vor. Der Technische Dienst des Beklagten bestätigte aufgrund einer Arbeitsplatzbegehung, dass die in dem Kostenvoranschlag dargestellte Anlage notwendig sei, damit die Klägerin ihren Beruf weiterhin ausüben könne. Mit weiterem Schreiben vom 1. April 1997 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für die bereits durchgeführte Reparatur des Brailledruckers und legte hierzu eine Rechnung über 539 DM vor. Am 23. Juni 1997 beantragte sie die Übernahme der Kosten für die Teilnahme an einem Seminar zum Thema "Chorleitung".

Die Beklagte lehnte die Anträge ab, weil die Klägerin als Geistliche keinen "Arbeitsplatz" im Sinne des Schwerbehindertengesetzes innehabe; daher könnten auch keine Leistungen an sie erfolgen (Bescheid vom 15. September 1997).

Auf die nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1997) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über die Anträge der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (Urteil vom 14. Juni 1999). Die Klägerin gehöre zu den Schwerbehinderten im Sinne von § 1 SchwbG. Ein Leistungsausschluss sei nicht damit begründet, dass sie als Geistliche beschäftigt sei. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gehe es um die Eingliederung von Schwerbehinderten durch eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen. Diese Zielsetzung werde auch dort erreicht, wo Schwerbehinderte auf Stellen beschäftigt seien, die im Sinne des § 7 Abs. 2 SchwbG nicht als "Arbeitsplätze" gelten würden. Beschäftige etwa die Religionsgemeinschaft schwer behinderte Geistliche, so trage dies dem Schutz- und Integrationsanliegen des Schwerbehindertenrechts unbeschadet der Privilegierung solcher Arbeitgeber genauso Rechnung, wie dies bei bestehender Beschäftigungspflicht der Fall wäre. Gründe, die eine sachliche Differenzierung der beiden Sachverhalte zum Nachteil des Schwerbehinderten rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof hingegen hat auf die Berufung des Beklagten die Klage in entsprechender Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

Die von der Klägerin begehrte begleitende Hilfe nach § 31 Abs. 3 Nr. 1 SchwbG sei typischerweise arbeitsplatzgebunden. Konkrete technische Arbeitsmittel könnten nur dann in den Blick genommen werden, wenn es um die Ausgestaltung eines konkreten Arbeitsplatzes gehe. Erforderlich sei daher, dass der Betroffene auf einem Arbeitsplatz beschäftigt sei und dass dieser Arbeitsplatz von der Geltung des Schwerbehindertengesetzes umfasst sei. In § 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG sei jedoch geregelt, dass Stellen, auf denen Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften beschäftigt würden, nicht als "Arbeitsplätze" im Sinne des Schwerbehindertengesetzes gelten. Dies treffe für die Klägerin zu. Ihr Beschäftigungsverhältnis werde aufgrund ihrer Tätigkeit als Pfarrvikarin im Wesentlichen von ihrer Pflichtenstellung als Geistliche bestimmt. Soweit sie daneben Aufgaben im Rahmen der Kirchenmusik wahrnehme, nehme sie dies nicht von ihrem geistlichen Amt aus. Die verfassungsrechtlich begründete Sonderstellung der Kirchen, die durch die Trennung vom Staat, ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre im Bereich des Kirchenamtes bestehende Autonomie gekennzeichnet werde, sei der sachlich tragende Grund für die Nichtberücksichtigung der Geistlichen bei der Frage, ob sie auf einem "Arbeitsplatz" im Sinne des Schwerbehindertengesetzes beschäftigt seien.

Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 31 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a und f SchwbG. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beigeladene unterstützt die Auffassung der Klägerin.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Revision der Klägerin, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Es verstößt gegen Bundesrecht, dass das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben nach § 31 SchwbG mit der Begründung verneint hat, die von der Klägerin begehrte Hilfe setze die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertengesetzes voraus, was bei der Klägerin gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG nicht der Fall sei. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen und damit zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, in welchem der Beklagte verpflichtet worden ist, erneut über die Anträge der Klägerin zu entscheiden.

Als Schwerbehinderte gemäß § 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986, BGBl I S. 1421, 1550, zuletzt geändert durch Art. 20 des Gesetzes vom 20. Dezember 2000, BGBl I S. 1827) gehört die Klägerin zum geschützten Personenkreis des Gesetzes, dessen volle Bezeichnung bereits auf einen umfassenden Anwendungsbereich hindeutet.

Der geltend gemachte Förderungsanspruch der Klägerin beurteilt sich nach § 31 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und f SchwbG. Für die Anwendung dieser Vorschrift kommt es nicht darauf an, dass das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz im Wesentlichen von ihrer Pflichtenstellung als Geistliche bestimmt wird, so dass ihre Stelle nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG nicht als Arbeitsplatz gilt. Zur Umschreibung der Voraussetzungen der begehrten Hilfe verwenden § 31 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und f SchwbG nicht den Begriff des "Arbeitsplatzes", sondern - entsprechend den Worten "Arbeit, Beruf" in der Gesetzesüberschrift - den weiten Begriff des "Arbeits- und Berufslebens". Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 SchwbG obliegt der Hauptfürsorgestelle "die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben"; nach Abs. 3 Satz 1 dieser Bestimmung kann sie "im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen erbringen", und zwar "insbesondere" u.a. gemäß Nr. 1 "an Schwerbehinderte a) für technische Arbeitshilfen" sowie f) "zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten ...". Der Wortlaut der genannten Bestimmungen setzt das Vorliegen eines "Arbeitsplatzes" im Sinne des § 7 Abs. 1 SchwbG nicht voraus; den Einzelregelungen, insbesondere auch Nr. 1 Buchst. c (Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz), ist nicht zu entnehmen, dass das Vorliegen eines Arbeitsplatzes im Sinne des § 7 Abs. 1 SchwbG bzw. die Versorgung mit einem solchen generell rechtliche Voraussetzung oder Ziel einer Hilfe durch Geldleistungen wäre; in den Fällen gemäß Buchst. c liefe dies dem ausdrücklichen Hilfeziel der beruflichen Verselbständigung zuwider.

Auch in der Systematik der Bestimmung der "Aufgaben der Hauptfürsorgestelle" (§ 31 SchwbG) kommt eine Begrenzung der begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben auf die Versorgung Schwerbehinderter mit "Arbeitsplätzen" nicht zum Ausdruck. Soweit nach Abs. 2 Satz 2 dieser Bestimmung darauf hingewirkt werden soll, dass Schwerbehinderte auf "Arbeitsplätzen" beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können sowie befähigt werden, "sich am Arbeitsplatz ... zu behaupten", und soweit der durch Gesetz vom 29. September 2000 (BGBl I S. 1394) eingefügte § 31 Abs. 2 Satz 3 SchwbG die Zuständigkeit der Hauptfürsorgestelle auch für befristete Voll- und für Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse von mindestens 15 Stunden wöchentlich und damit gerade unabhängig von den nach § 7 Abs. 3 SchwbG engeren Voraussetzungen für einen Arbeitsplatz bestimmt, lässt dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluss zu, dass damit generell für alle in Abs. 3 unter Nr. 1 ausdrücklich genannten Formen der begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben vom Arbeitsplatzbegriff des § 7 SchwbG auszugehen wäre.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist Derartiges auch dem Urteil des Senats vom 8. März 1999 - BVerwG 5 C 5.98 - (Buchholz 436.61 § 7 SchwbG Nr. 4) betreffend Geldleistungen an Arbeitgeber zur behinderungsgerechten Einrichtung von Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte nicht zu entnehmen. Dieses Urteil befasst sich mit Blick auf Leistungen an Arbeitgeber gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SchwbG i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchwbAV "für die behinderungsgerechte Einrichtung von Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte" mit der Stellung von Personen, die als Organmitglieder juristischer Personen selbst Arbeitgeberfunktionen ausüben, enthält aber keine auf die Hilfen an Schwerbehinderte übertragbaren generellen Aussagen unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 SchwbG auch im Rahmen des § 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchwbG.

Die Tätigkeit der Klägerin als Pfarrvikarin und Kirchenmusikerin bei der Beigeladenen ist auch nicht von Verfassungs wegen von dem in § 31 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchwbG angesprochenen Rechtsbereich des "Arbeits- und Berufslebens" auszunehmen. Zwar ist für Geistlichenämter streitig, ob sie dem Schutzbereich des Art. 12 GG oder dem der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) zuzurechnen sind (zur dogmatischen Einordnung der Geistlichenberufe vgl. Scholz in: Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12, Rn. 157 - 159) und wird insbesondere für katholische Geistliche die Auffassung vertreten, auf diese sei das Schwerbehindertengesetz nicht anwendbar, denn es gebe keinen staatlich regulierbaren "Arbeitsmarkt" für katholische Geistliche und hier würden nicht "Stellen besetzt", sondern es werde "ein Sakrament gespendet" (vgl. Rüthers in Festschrift für Wilhelm Herschel, 1982, S. 351 ff. ). Nach dem gegebenen sozialen Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes, dessen § 1 Geistliche nicht vom personalen Anwendungsbereich des Gesetzes ausnimmt, ist für die Förderansprüche einzelner Schwerbehinderter indes vorrangig darauf abzustellen, dass eine Tätigkeit dem Arbeits- und Berufsleben zuzurechnen ist. Dies ergibt sich rechtlich daraus, dass § 7 Abs. 2 SchwbG Geistliche nur für den Begriff des Arbeitsplatzes ausnimmt, nicht aber für die Einordnung ihrer Tätigkeit in das Berufs- und Arbeitsleben. Jedenfalls für die Stelle der Klägerin bei der Beigeladenen sind rechtliche Zweifel daran, dass es sich um eine berufliche Tätigkeit und damit um eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Arbeits- und Berufslebens handelt, weder kirchlicherseits (von der Beigeladenen) vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine den Wortlaut einengende Auslegung des Begriffs des "Arbeits- und Berufslebens" gebietet auch nicht der verfassungsrechtliche Status der Religionsgesellschaften, der gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 und 5 WRV die kirchliche Ämterautonomie im Sinne einer Freistellung von staatlicher Einflussnahme auf die Besetzung und Ausgestaltung kirchlicher Ämter gewährleistet und - wie die Vorinstanz zutreffend feststellt - den tragenden Grund für die Freistellung der Kirchen von der Beschäftigungspflicht (§ 5 SchwbG) und der Ausgleichsabgabe (§ 11 SchwbG) für ihre geistlichen Ämter bildet. Einen unzulässigen staatlichen Eingriff in den innerkirchlichen Autonomiebereich durch die begehrte Förderung vermag der Senat nicht zu erkennen. Eine Hilfegewährung berührte nicht Bereiche, die staatlicher Beeinflussung - auch durch Hilfeleistungen - von vorneherein verschlossen wären. Eine Förderung unter Verstoß gegen innerkirchliches Recht oder dem kirchlichen Selbstverständnis zuwider vermag der Senat um so weniger zu erkennen, als die Beigeladene das Begehren der Klägerin befürwortet. Da es sich bei der Modernisierung der blindengeeigneten PC-Anlage der Klägerin und der Reparatur des Brailledruckers nach den Feststellungen des Beklagten um förderungsfähige technische Hilfen im Sinne des § 31 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a SchwbG und bei der Teilnahme an dem Seminar "Chorleitung" um eine Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne der Nr. 1 Buchst. f handelt und die Klägerin mit ihrer Tätigkeit "im Arbeits- und Berufsleben" steht, sind die gesetzlichen Voraussetzungen der Hilfegewährung gegeben.

Auch aus dem Wesen der Schwerbehindertenabgabe als einer Sonderabgabe, der die beigeladene Landeskirche für ihre Geistlichenstellen nicht unterliegt, folgt nicht, dass die Ausstattung des Arbeitsplatzes (im funktionalen Sinne) der Klägerin und die Förderung ihrer beruflichen Tätigkeit aus Mitteln der Ausgleichsabgabe unter abgaberechtlichen Gesichtspunkten wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unzulässig wäre. Die im Urteil zur Berufsausbildungsabgabe (BVerfGE 55, 274) verlangte gruppennützige Verwendung des Aufkommens einer Sonderabgabe im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen, die hier wegen der Ausnahme der Geistlichenstellen von der Ausgleichsabgabe zweifelhaft sein könnte, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes über die Pflichtplatzquote sowie über die Ausgestaltung und Verwendung der Ausgleichsabgabe (BVerfGE 57, 139) modifiziert: Diese Anforderungen beträfen "ersichtlich nur solche Abgaben, bei denen ... das Aufkommen zumindest primär zur Finanzierung vom Gesetz bestimmter Zwecke dient", was bei solchen Abgaben nicht uneingeschränkt gelte, "bei denen nicht die Finanzierung einer besonderen Aufgabe Anlass zu ihrer Einführung gab" (a.a.O. S. 167), sondern die Finanzierungsfunktion hinter anderen Funktionen zurücktrete. Dies sei bei der Ausgleichsabgabe der Fall, bei der es primär auf Antriebs- und Ausgleichsfunktion ankomme (a.a.O. S. 168 f.).

Die Frage, ob und inwieweit der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung über die Verwendung der ihm nur in begrenztem Ausmaß zur Verfügung stehenden Mittel auch berücksichtigen kann, in welchem Ausmaß die Beigeladene sich bei der Beschäftigung Schwerbehinderter auf Geistlichenstellen mit eigenen Mitteln an der Realisierung der Ziele des Schwerbehindertengesetzes beteiligt, hat der Senat nicht zu entscheiden.

1.3 Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbung eines Schwerbehinderten

Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.10.03

Nr: KARE600010593

ArbG Berlin 91. Kammer Urteil vom 10. Oktober 2003, Az: 91 Ca 17871/03

SGB 9 § 81 Abs 2 Nr 1 S 3, SGB 9 § 82 S 2, SGB 9 § 82 S 3

Bewerbung - Benachteiligung - Schwerbehinderung - öffentlicher Dienst

Leitsatz

Wird ein Schwerbehinderter entgegen § 82 Satz 2 SGB IX (Juris: SGB 9) auf seine Bewerbung auf eine von einem öffentlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräche geladen, obwohl ihm die fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle nicht offensichtlich fehlt, begründet dies die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung im Sinne von § 81 Abs 2 Ziffer 1 Satz 3 SGB IX.

Fundstellen

Weitere Fundstellen

EzA-SD 2004, Nr 19, 15 (Leitsatz 1)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
12.636,27 EUR (zwölftausendsechshundertsechsunddreißig 27/100)
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.7.2003 zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.636,27 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbung des Klägers.

Der 1956 geborene, schwer behinderte Kläger hat ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ist promoviert.

Seit 1991 arbeitet der Kläger bei der B A als Berater für Rehabilitanten und Schwerbehinderte. Der Kläger verfügt über berufskundliche Kenntnisse und hat eine Veröffentlichung zum Thema "Berufliche Eingliederung von Lernbehinderten - Handreichung für Lehrer, Eltern und Betreuer" herausgegeben. Aufgabe des Klägers war es Rehabilitanten und Schwerbehinderte, darunter seit Oktober 2001 auch verstärkt Erwachsene, bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Am 12.01.2003 schrieb die Beklagte eine Stelle als Berufskundlicher Berater aus. Bezüglich der Anforderungen der Stelle wird auf die eingereichte Kopie der Stellenausschreibung, Blatt 7 der Akte, Bezug genommen.

Die Bewerbung des Klägers auf diese Stelle vom 15.01.2003, in der er u. a. auf seine Schwerbehinderung hinwies, wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 02.04.2003, Blatt 8 der Akte, unter dem Hinweis, dass die Bewerbung des Klägers nicht in die engere Auswahl genommen worden sei, abgelehnt, ohne dass die Beklagte den Kläger zuvor zu einem Bewerbungsgespräch geladen hatte. Daraufhin machte der Kläger durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2003, Blatt 11 der Akte, wegen der Ablehnung seiner Stellenbewerbung einen Anspruch auf Entschädigung geltend.

Eingestellt für die ausgeschriebene Stelle wurden zwei ehemalige Personaldisponenten eines Personal-Dienstleistungsunternehmens.

Der Kläger hätte auf der ausgeschriebenen Stelle ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.212,09 Euro erzielt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass er gegenüber den tatsächlich genommenen Bewerbern der geeignetere Bewerber sei, da die Stelle förmlich auf seine Qualifikation zugeschnitten sei. Daher stehe ihm ein Schadensersatzanspruch nach § 81 Abs. 2 SGB IX zu.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung, deren Höhe im
Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz ab dem 24.07.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass dem Kläger die Eignung offensichtlich im Sinne von § 82 Satz 3 SGB IX fehle, da Zielgruppe der klägerischen Tätigkeit junge behinderte Menschen im Übergang von der Schule in den Beruf gewesen seien. Bei ihrer Klientel hingegen handele es sich in aller Regel um berufs- und lebenserfahrene Versicherte im fortgeschrittenen Lebensalter. Die Fach- und Sachkunde der gesuchten Berufskundlichen Berater bezögen sich daher im Gegensatz zu der des Klägers auf die Erwerbsmöglichkeiten von berufserfahrenen Versicherten unter in der betrieblichen Praxis tatsächlichen vorherrschenden Verhältnisse, ohne dass für die Ausübung dieser Erwerbsmöglichkeiten noch weitere, unterstützende Hilfen am potentiellen Arbeitsplatz erforderlich werden.

Gerade über diese Kenntnisse verfügten im Gegensatz zum Kläger die berücksichtigten Bewerber.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen dessen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nach § 81 Abs. 2 Ziffer 2 SGB IX.

1.1 Die Verletzung der Verpflichtung der Beklagten, den Kläger nach § 82 Satz 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, lässt eine Benachteiligung des Klägers nach § 81 Abs. 2 Ziffer 1 Satz 3 SGB IX vermuten.

Der Kläger hat im Rahmen seiner schriftlichen Bewerbung auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle auf seine Schwerbehinderung hingewiesen und ist von dieser entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden.

Entgegen der Ansicht der Beklagten war die Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX entbehrlich.

Danach ist die Einladung eines schwer behinderten Bewerbers entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Offensichtlich bedeutet unzweifelhaft. Damit ist die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch entbehrlich, wenn der Bewerber unter keinem Gesichtspunkt für die ausgeschriebene Stelle geeignet erscheint. Unstreitig zwischen den Parteien ist aber, dass der Kläger über einen in der Stellenausschreibung gefordertes Fachhochschulstudium verfügt, er Kenntnisse über das schulische und berufliche Bildungssystem hat, er über eine einwandfreie mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit verfügt, was von der Beklagten im Übrigen hätte im Bewerbungsgespräch überprüft werden können, und dass er berufskundliche und rechtliche Sachverhalte schriftlich darzulegen vermag, was der Kläger durch seine Veröffentlichung bewiesen hat und bestritten werden auch nicht selbständige Arbeitsweise und Teamfähigkeit des Klägers. Darüber hinaus verfügt der Kläger über umfassende Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Berufskunde. Als Berater für Rehabilitanten und Schwerbehinderte oblag es dem Kläger, den Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für seine Klientel zu beobachten und diese in Fragen der Berufswahl zu beraten, was zwangsläufig Kenntnisse der verschiedenen Berufsmöglichkeiten beinhaltet.

Diese berufskundlichen Kenntnisse werden von der Beklagten im Ergebnis auch nicht bestritten, jedoch meint diese, dass der Kläger aufgrund der von ihr behaupteten Spezialisierung auf die Berufsberatungstätigkeit für junge behinderte Menschen ungeeignet sei. Ob der Kläger schwerpunktmäßig junge behinderte Menschen bei der Integration ins Arbeitsleben unterstützt hat, kann dahingestellt bleiben, da die Beratung von Behinderten auch die Beratung von älteren Behinderten umfasst und eine Ausschließlichkeit auf die Vermittlung junger Menschen nicht zu erkennen ist. Genauso wenig ist zu erkennen, wie hierdurch die Kenntnisse des Klägers auf nur bestimmte Berufsfelder begrenzt sein können, da Leistungseinschränkungen aufgrund einer Behinderung derart vielgestaltig sein können, dass eine Einschränkung auf lediglich bestimmte Berufe ebenfalls nicht ersichtlich ist.

Verfügt der Kläger damit um weitreichende Kenntnisse und aufgrund seiner Tätigkeit auch praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Berufskunde, so ist er zumindest nicht unzweifelhaft und damit offensichtlich für die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle ungeeignet, so dass er nach § 82 Satz 2 SGB IX zu dem Bewerbungsgespräch hätte geladen werden müssen.

Dabei ist auch unerheblich, dass evtl. geeignetere Bewerbungen bei der Beklagten vorliegen, da die Notwendigkeit zur Einladung eines Bewerbungsgespräches des Schwerbehindertenbewerbers allein entfällt, wenn dieser offensichtlich nicht geeignet ist, ungeachtet seiner Eignung im Vergleich zu anderen Bewerbern.

Ist danach festzustellen, dass die Beklagte als öffentlicher Arbeitgeber gegen die Vorschrift des § 82 SGB IX verstoßen hat, so begründet nach Auffassung der Kammer allein der Verstoß gegen § 82 SGB IX die Annahme der Benachteiligung aufgrund der Behinderung nach § 81 Abs. 2 Ziffer 1 Satz 3 SGB IX. Dabei lässt sich die Kammer auch davon leiten, dass anderenfalls eine Verletzung der Verpflichtung aus § 82 SGB IX ohne

Konsequenzen für den Verpflichteten wäre, da diese nicht von den Bußgeldvorschriften des § 156 SGB IX erfasst wird.

1.2 Besteht danach die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung bei der Einstellung benachteiligt worden ist, so vermochte die hierfür nach § 81 Abs. 2 Ziffer 1 Satz 3 SGB IX darlegungs- und beweispflichtige Beklagte Tatsachen dafür, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen nicht darzulegen.

Soweit die Beklagte die Qualifikation des Klägers damit bestreitet, dass dieser primär mit der Eingliederung Jugendlicher zu tun gehabt habe, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte selbst führt aus, dass der Berufskundler die Rentendezernate über Erwerbsmöglichkeiten der Rentenantragsteller berät. Rentenantragsteller können aber nach § 43 SGB VI auch die Versicherten sein, die wegen ihrer Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dabei differenziert § 43 SGB VI nicht nach dem Alter der Antragsteller, so dass potentielle Antragsteller auch die, nach Behauptung der Beklagten, überwiegend vom Kläger betreute Klientel sein kann.

Vermochte die Beklagte nicht nachvollziehbar darzulegen, aufgrund welcher sachlichen Gründe sie die Bewerbung des Klägers nicht berücksichtigt hat,

so ist sie diesem gegenüber grundsätzlich zur Zahlung einer Entschädigung nach § 81 Abs. 2 Ziffer 2 und 3 SGB IX verpflichtet.

1.3 Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 81 Abs. 2 Ziffer 2 SGB IX, da die Beklagte auch nicht darzulegen vermochte, dass die beiden anstelle des Klägers genommenen Bewerber qualifizierter waren als dieser.

Die Beklagte trägt hierzu lediglich vor, dass die beiden eingestellten Mitbewerber des Klägers zuvor Personaldisponenten waren. Zwar mögen sie aufgrund dieser Tätigkeit berufskundliche Kenntnisse haben, jedoch ist nicht ersichtlich, dass diese umfassender als die des Klägers sind. Der Kläger verfügt aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit auch über Kenntnisse im Rentenrecht, wohingegen vollkommen offen ist, in wie weit derartige Kenntnisse die von der Beklagten bevorzugten Bewerber haben. Da mithin nicht zu erkennen ist, dass diese gegenüber dem Kläger qualifizierter waren, ist davon auszugehen, dass der Kläger, wäre seine Bewerbung berücksichtigt worden, diesen gegenüber bevorzugt Einzustellen gewesen wäre.

Bei der Höhe der Entschädigung nach § 81 Abs. 2 Ziffer 2 SGB IX für den Bestqualifizierten war von mindestens drei Monatsverdiensten auszugehen, da dieses die Höchstgrenze der Entschädigung nach § 81 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX für den weniger qualifizierten Bewerber darstellt. Da der Kläger sich jedoch aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus beworben hat und in Folge dessen ein weitergehender materieller Schaden ihm durch entgangenen Verdienst nicht entstanden ist, sah die Kammer sich auch nicht veranlasst, bei der Höhe der Entschädigung von dem Mindestsatz von drei Monatsgehältern nach oben abzuweichen.

2. Aufgrund ihres Unterliegens hat die Beklagte gem. § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Für den festzusetzenden Streitwert war die Höhe der zugesprochenen Entschädigung maßgeblich.

2.1 Optische Agnosie

Urteil des BSG vom 31. 1. 1995

Nr: KSRE044561518

BSG 1. Senat Urteil vom 31. Januar 1995, Az: 1 RS 1/93

BSHG § 24 Abs 1 S 2 Fassung: 1974-03-25, BSHG § 76 Abs 2a Nr 3 Fassung: 1993-06-23, BSHG § 67 Fassung: 1993-06-23, SGG § 162

Anspruch auf Blindheitshilfe nach dem Saarländischen Gesetz Nr 761 - Begriff der faktischen Blindheit- Revisibilität von länderrechtlichen Vorschriften

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Blindheitshilfe besteht auch dann, wenn Störungen des Sehvermögens, zB infolge einer Opticusschädigung, mit cerebralen visuellen Verarbeitungsstörungen in einer Weise zusammenwirken, daß die Störung des Sehvermögens in ihrem Schweregrad insgesamt einer Sehschärfenbeeinträchtigung iS von § 1 Abs 3 Nr 1 des Saarländischen Gesetzes Nr 761 gleichzuachten ist.

Orientierungssatz

1. Revisibel sind landesrechtliche Vorschriften dann, wenn sich ihr Geltungsbereich über den Bezirk eines LSG hinaus erstreckt. Das ist auch dann der Fall, wenn inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSG gelten und wenn diese Übereinstimmung nicht zufällig, sondern bewußt und gewollt ist (vgl zuletzt BSG vom 27.6.1974 - 8/2 RK 39/72 = BSGE 38, 21).

2. Zum Begriff der faktischen Blindheit.

Fundstellen

SozR 3-5910 § 76 Nr 2 (Leitsatz)

Fundstellen

  • SozR 3-5920 § 1 Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe)
  • RegNr 21893 (BSG-Intern)
Weitere Fundstellen

SozR 3-5910 § 76 Nr 2 (Leitsatz)

Diese Entscheidung wird zitiert von

  • BSG 26. Oktober 2004 B 7 SF 2/03 R Vergleiche
  • BSG 26. Oktober 2004 B 7 SF 2/03 R Anschluss

Verfahrensgang

  • vorgehend Sozialgericht für das Saarland 8. Oktober 1991 S 8 V 104/91
  • vorgehend Landessozialgericht für das Saarland 16. Juli 1992 L 2 V 40/91

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem saarländischen Gesetz Nr 761 über die Gewährung einer Blindheitshilfe idF vom 20. April 1982 (Amtsbl des Saarl 1982, 391) zu gewähren hat.

Die am 14. November 1982 geborene Klägerin erlitt am dritten Lebenstag aus unbekannter Ursache eine Hirnblutung, aus der eine körperlich-geistige Mehrfachbehinderung zurückgeblieben ist. Sie leidet an einer Microcephalie, einer gemischten (spastisch-athetotischen) Tetraparese und, was fraglich ist, an einem Anfallsleiden. Fraglich ist weiterhin, in welchem Maße die Klägerin an einer Opticusschädigung leidet. Jedenfalls fehlt es wegen der schweren Hirnschädigung an einer genügenden cerebralen visuellen Informationsverarbeitung.

Den am 28. Juni 1989 beim Beklagten gestellten Antrag auf Gewährung einer Blindheitshilfe lehnte dieser mit der Begründung ab, daß bei der Klägerin eine Bestimmung der Sehschärfe nicht möglich sei; es sei nicht nachgewiesen, daß eine Sehschärfe auf dem besseren Auge von nicht mehr als 1/50 bzw eine nicht nur vorübergehende Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliege, daß sie einer Einschränkung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten sei. Das bestehende hochgradig reduzierte Sehvermögen auf dem Boden einer ausgeprägten Opticusatrophie und die Einschränkung des Sehvermögens durch eine ungenügende cerebrale visuelle Informationsverarbeitung (visuelle Agnosie) stünden einer Blindheit nicht gleich (Bescheid vom 22. Januar 1991; Widerspruchsbescheid vom 9. April 1991).

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) für das Saarland stattgegeben (Urteil vom 8. Oktober 1991). Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Saarland vom 16. Juli 1992). Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe Blindheitshilfe zu, weil sie nach § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 als blind zu gelten habe. Bei ihr liege eine nicht nur vorübergehende Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vor, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach § 1 Abs 3 Nr 1 des Gesetzes Nr 761 gleichzuachten sei. Bei der Beurteilung der umstrittenen Frage, ob bei "visueller Agnosie" eine solche Gleichstellung geboten sei, müsse beachtet werden, daß es sich dabei nicht um ein typisches Krankheitsbild, sondern um einen Sammelbegriff handele, der eine Gleichstellung jedenfalls dann zulasse, wenn die visuelle Agnosie eine körperlich greifbare - nicht etwa seelische - Ursache habe und wenn das "Erkennen", nicht das "Benennen" eines Gegenstandes eingeschränkt bzw ausgeschlossen sei. Zwar stelle das Gesetz Nr 761 in § 1 Abs 3 Nr 1 - in Übereinstimmung mit § 24 Abs 1 Satz 2 Nr 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)- nicht mehr allein auf den Funktionsausfall ab, sondern darauf, daß der Funktionsausfall gerade wegen fehlender Sehschärfe (nicht aus anderen Gründen) eingetreten sei. Das erkläre sich aus der Entstehungsgeschichte des § 24 BSHG, dessen Abs 2 früher gelautet habe:

Diese an der Orientierungsblindheit ausgerichtete Gleichstellung sei zugunsten einer engeren Definition, die auf bestimmte, nachprüfbare Werte abstelle, aufgegeben worden. Dementsprechend sei die Rechtsprechung darum bemüht gewesen, nachprüfbare, morphologisch faßbare Ursachen für die eingeschränkte Sehfunktion zu finden, um sie vor allem von seelischen Ursachen abzugrenzen. Vor diesem Hintergrund sei auch das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 16. Februar 1990 zu sehen, wonach Blindheit iS des BSHG verneint worden sei bei verschiedenen Arten von cerebralen Verarbeitungsstörungen, bei denen das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden könne, obwohl die Sehfunktion selbst vorhanden sei. Diese Auffassung, die alle Fälle der visuellen Agnosie - ungeachtet ihrer Ursachen und ihrer Nachprüfbarkeit - nicht als Blindheit ansehe, könne jedoch nicht überzeugen. Mit Sinn und Zweck des Gesetzes, das einen Nachteilsausgleich schaffen solle, wäre es unvereinbar, wenn etwa nur Schäden, die das Sehorgan beträfen, zu einer Gleichstellung mit Blinden führen könnten, nicht aber sonstige hirnorganische Schäden, die das "Erkennen" verhinderten. Wenn es für die Gleichstellung mit einem Blinden maßgeblich sei, daß nachprüfbare, auf einem morphologischen Substrat beruhende Schäden die Sehfunktion beeinträchtigten, könnten jedenfalls Fälle, in denen körperliche Schäden zwar nicht unmittelbar das Sehorgan beträfen, aber das "Erkennen" störten oder verhinderten, vom Wirkungsbereich des § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 nicht ausgeschlossen werden. Im vorliegenden Fall sei die ungenügende cerebrale visuelle Informationsverarbeitung auf eine Microcephalie der Klägerin zurückzuführen und beruhe also auf einem morphologischen Substrat. Diese Störung führe dazu, daß die Klägerin Objekte nicht ausreichend wahrnehmen, also nicht "erkennen" könne, wofür vor allem auch spreche, daß die Augenbewegungen der Klägerin unkoordiniert und ziellos seien und daß der Klägerin eine Blickfixation bei Vorhalten von Objekten oder einer Lichtquelle nicht möglich sei. Die unausgereiften cerebralen Strukturen der Klägerin stellten - anders als bei rein psychogenen Ursachen einer visuellen Agnosie - eine körperliche Ursache der gutachtlich faßbaren Störung des Sehvermögens dar, wobei unzweifelhaft ein solcher Schweregrad erreicht werde, daß dieser der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach § 1 Abs 3 Nr 1 des Gesetzes Nr 761 gleichzuachten sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 1 Abs 3 des Gesetzes Nr 761. Die dort enthaltenen Gleichstellungstatbestände stellten ganz eindeutig auf die fehlende Sehschärfe ab, die nicht mehr als 1/50 auf dem besseren Auge betragen dürfe, sowie auf die erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung oder auf eine Kombination von beiden mit gleichem Schweregrad. Diese Konkretisierung auf bestimmte und insbesondere nachprüfbare Werte lasse keinen Raum für die vom LSG vertretene weitergehende Auslegung. Bei der Klägerin beruhe das reduzierte Sehvermögen in erster Linie auf einer cerebralen Schädigung, die eine - für die Gleichstellung zwingend erforderliche - Sehschärfenbestimmung jedoch nicht zulasse. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast könnten deshalb die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 Nrn 1 und 2 des Gesetzes Nr 761 nicht bejaht werden. Auch wenn bei der Klägerin ein morphologisches Korrelat - in Abgrenzung zu seelischen Ursachen - vorhanden sei, sei gleichwohl nicht nachgewiesen, daß die Einschränkung ihrer Sehschärfe dem im Gesetz geforderten Schweregrad entspreche. Eine Umkehr der Beweislast sei ebensowenig haltbar wie die Annahme, daß eine Beeinträchtigung der Sehschärfe im erforderlichen Ausmaß vorliege, obwohl diese nicht nachprüfbar sei.

Der Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 16. Juli 1992
und des Sozialgerichts für das Saarland vom 8. Oktober 1991 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, daß sie nach der Beurteilung des Privatdozenten Dr. med. T. und Dr. D. vom 8. Januar 1990 auch wegen des zweifellos festgestellten Gewebeschwundes im Sehnervenbereich als blind iS des Blindheitshilfegesetzes anzusehen sei. Wenn dieser Sachverständige ihre Blindheit auch mit ungenügender cerebraler visueller Informationsverarbeitung erklärt habe, so schließe dies nicht aus, daß ihr reduziertes Sehvermögen weitgehend schon auf dem Gewebeschwund im Sehnervenbereich beruhe und durch die Störung der Informationsverarbeitung in einem Blindheit begründenden Ausmaß verstärkt werde.

Die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt hat, führt aus, die Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA habe im Hinblick auf den Blindheitsbegriff im BSHG nach Anhörung von klinisch und wissenschaftlich erfahrenen Sachverständigen festgestellt, daß bei einer visuellen Agnosie eine grundsätzlich andere Störung als bei einer Blindheit vorliege. Die Feststellung von Blindheit setze voraus, daß die Störung des Sehvermögens mit augenärztlichen Untersuchungsmethoden aufgrund des morphologischen Befundes erklärbar sei. Diese Voraussetzung sei bei einer visuellen Agnosie nicht erfüllt. Bei dieser Krankheit, die den hirnorganisch bedingten Erkenntnisstörungen zugerechnet werde, könne das Wahrgenommene nicht mit dem optischen Erinnerungsvermögen identifiziert werden; der Kranke sehe jedoch und könne zB Hindernissen ausweichen oder Gegenstände gezielt anfassen; er kenne nur deren Bedeutung nicht. Eine vergleichbare Situation könne auch bei geistig Behinderten - ohne Einschränkung des Sehvermögens - vorliegen; es wäre aber verfehlt, geistig Behinderte deshalb als blind anzusehen. Im übrigen unterscheide auch die Weltgesundheitsorganisation die zentralen Störungen der Sehfunktion von "Blindheit" als Störung des Sehorgans. Im vorliegenden Fall sei zu vermuten, daß bei der Klägerin die Sehfunktion durch die beiderseitige Opticusschädigung aufs schwerste beeinträchtigt sei.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist in dem Sinne begründet, daß die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist. Die bisherigen Feststellungen des LSG lassen eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der Klägerin Blindheitshilfe nach § 1 des saarländischen Gesetzes Nr 761 zusteht, nicht zu.

Der Senat ist nicht bereits wegen Irrevisibilität dieser Regelung an der Prüfung gehindert, ob sie vom LSG richtig angewendet worden ist (§ 162 SGG). Denn revisibel sind landesrechtliche Vorschriften auch dann, wenn sich ihr Geltungsbereich über den Bezirk eines LSG hinaus erstreckt. Das ist auch dann der Fall, wenn - wie hier - inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener LSGe gelten und wenn diese Übereinstimmung nicht zufällig, sondern bewußt und gewollt ist (BSGE 13, 191; 38, 29; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, § 162 Rz 5). Insoweit hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß die hier anzuwendende Gleichstellungsregelung des § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 wortgleich den Regelungen anderer Bundesländer entspricht (zB in Nordrhein-Westfalen dem § 1 Abs 1 Satz 2 des Landesblindengeldgesetzes vom 16. Juni 1970, zuletzt geändert am 18. Mai 1982, GVNW 248; in Bayern dem Art 1 Abs 3 des Gesetzes über die Gewährung von Pflegegeld an Zivilblinde vom 25. Januar 1989, GVBl 21) und daß die genannte saarländische Vorschrift ihre jetzige Fassung ausdrücklich im Blick auf die Regelungen des BSHG erhalten hat. Denn in der amtlichen Begründung des saarländischen Landtages vom 28. Januar 1982 (Drucks 8/812) heißt es ausdrücklich, daß die vorgeschlagene Neufassung des § 1 der Anpassung an die in §§ 24 und 67 BSHG enthaltenen Bestimmungen dient und daß damit ua der Blindheitsbegriff an diese Vorschriften angeglichen wird.

Gem § 1 Abs 1 des saarländischen Gesetzes Nr 761 idF vom 20. April 1982 erhalten Blinde, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Saarland haben und das erste Lebensjahr vollendet haben, auf Antrag eine Blindheitshilfe. Gem § 1 Abs 3 gelten als Blinde iS dieses Gesetzes auch Personen,

1.

deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2.

bei denen durch Nr 1 nicht erfaßte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleichzuachten sind; hierbei ist als nicht nur vorübergehend ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten anzusehen.

Im vorliegenden Fall geht es nur um den Tatbestand der faktischen Blindheit in § 1 Abs 3 Nr 2 des saarländischen Gesetzes Nr 761. Denn die Klägerin ist nicht "blind" iS des Grundtatbestandes, weil sie ihr Augenlicht nicht vollständig verloren hat. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG, die auf den Gutachten der Sachverständigen Dr. med. T. und Dr. D. vom 8. Januar 1990 beruhen, ist die Klägerin noch zu Lichtscheinwahrnehmungen in der Lage. Darüber besteht kein Streit. Sie ist auch nicht faktisch blind iS des Abs 3 Nr 1, schon weil eine Bestimmung ihrer Sehschärfe nicht möglich ist und damit nicht festgestellt werden kann, ob die Sehschärfe auf dem besseren Auge weniger oder mehr als 1/50 beträgt. Die Feststellung, daß das Sehvermögen durch die beiderseitige ausgeprägte Opticusatrophie (Gewebeschwund im Sehnervenbereich) hochgradig reduziert ist, reicht insoweit nicht aus; denn nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast muß derjenige, der einen Anspruch geltend macht, sich die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zurechnen lassen (BSGE 6, 70, 72 ff; 30, 278, 281; 46, 193, 198).

Gleichwohl kann die Klägerin - wovon das LSG ausgegangen ist - als blind iS von § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 gelten. Diese Regelung enthält abweichend von Nr 1 keinen festen Maßstab für die Beeinträchtigung des Sehvermögens und setzt insbesondere nicht zwingend voraus, daß bei dem Betroffenen eine genau bestimmbare (meßbare) Einschränkung der Sehschärfe vorliegt. Entgegen der Meinung des Beklagten kann nämlich Blindheit iS dieses Tatbestandes nicht nur dann anerkannt werden, wenn die Beeinträchtigung des Sehvermögens ausschließlich oder praktisch ausschließlich auf einer Minderung der Sehschärfe oder Ausfällen des Gesichtsfeldes beruht. Vielmehr können auch sonstige Störungen des Sehvermögens zum Vorliegen der Voraussetzungen der Nr 2 beitragen. Dazu gehören zB auch Fälle, in denen eine Beeinträchtigung der Sehschärfe besteht, die das in Nr 1 genannte Ausmaß nicht erreicht oder deren Ausmaß nicht meßbar ist - sie sind durch Nr 1 nicht erfaßt - und in denen außerdem eine oder mehrere sonstige Störungen des Sehvermögens vorliegen. Sind in einem solchen Fall die Beeinträchtigungen zusammen so schwerwiegend, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleichzuachten sind, sind die Voraussetzungen der Nr 2 erfüllt (so auch Gottschick/Giese, Komm zum BSHG, 9. Aufl, 1985, § 24 Rz 5.2). Es kommt also nicht darauf an, ob die vorliegenden Störungen des Sehvermögens der Art nach der Beeinträchtigung der Sehschärfe iS der Nr 1 gleichzuachten sind; maßgeblich ist vielmehr, ob sie dem Schweregrad dieser Sehschärfenbeeinträchtigung entsprechen.

Diese Auslegung ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut und aus dem Sinn der Regelung, sondern wird insbesondere durch die Entstehungsgeschichte des § 24 Abs 1 Satz 2 BSHG idF des 3. Änderungsgesetzes vom 25. März 1974 (BGBl I 777) bestätigt, dem § 1 Abs 3 des Gesetzes Nr 761 ausdrücklich angeglichen worden ist. Die dort enthaltene Definition der praktisch Blinden war zuvor bereits mehrfach geändert worden, weil deren Abgrenzung von den hochgradig Sehschwachen problematisch war. In der ursprünglichen Fassung galt als blind, wer eine so geringe Sehschärfe hatte, daß er sich in einer ihm nicht vertrauten Umgebung ohne fremde Hilfe nicht zurechtfinden konnte (§ 24 Abs 3 BSHG idF vom 30. Juni 1961, BGBl I 815; Abs 2 idF des Gesetzes vom 31. August 1965, BGBl I 1027). Diese als "Orientierungsblindheit" bezeichnete Definition ist durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14. August 1969 (BGBl I 1153) aufgegeben und mit Wirkung vom 1. Oktober 1969 in § 24 Abs 1 Satz 2 wie folgt neu gefaßt worden:

"Satz 1 findet auch Anwendung auf Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge

1. nicht mehr als 1/50 beträgt oder

2. nicht mehr als 1/35 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 30 Grad oder weiter eingeschränkt ist, oder

3. nicht mehr als 1/20 beträgt, wenn das Gesichtsfeld dieses Auges bis auf 15 Grad oder weiter eingeschränkt ist."

Mit dieser Abkehr vom Begriff der Orientierungsblindheit sollten nunmehr durch Angabe bestimmter Werte Schwierigkeiten vermieden werden, die sich bei der Anwendung der bisherigen, wenig konkreten und daher nur schwer gleichmäßig anwendbaren Fassung ergeben hatten; vor allem waren die weite, über den ursprünglich geplanten Rahmen hinausgehende Auslegung und die Gefahr von Mißbräuchen beklagt worden (vgl auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 5/3495, S 11).

Diese - enge - Fassung wurde 1974 erneut geändert:

Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des BSHG vom 25. März 1974 (BGBl I 777) erhielt § 24 in Abs 1 Satz 2 mit Wirkung vom 1. April 1974 die hier maßgebliche (bis 27. Juni 1993 geltende) Fassung:

"Satz 1 findet auch Anwendung auf Personen,

1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2. bei denen durch Nr 1 nicht erfaßte, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, daß sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleichzuachten sind."

Diese Neuregelung wurde damit begründet, daß die im Jahre 1969 getroffene Regelung einer strikten Abstufung allein nach den Graden der Sehschärfe und des Gesichtsfeldes als unzulänglich erscheine: Es seien Personen von der Blindenhilfe ausgeschlossen worden, deren Sehbehinderung auf anderen Ursachen oder auf anderen Kombinationen von Ursachen beruhe, die im Ergebnis aber ebenso schwer betroffen seien wie die nach der bisherigen Regelung Begünstigten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 7/308, S 11). Diese Änderung erhielt eine nachträgliche Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das in seinem Beschluß vom 7. Mai 1974 den § 24 Abs 1 Satz 2 BSHG idF von 1969 als mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) insoweit als unvereinbar erklärte, als Personen, deren Sehvermögen trotz einer besseren Sehschärfe als 1/20 aufgrund anderer Ursachen (infolge extremer Einschränkung des Gesichtsfeldes) ebenso stark beeinträchtigt war wie das der begünstigten Personen, diesen nicht gleichgestellt wurden (BVerfGE 37, 154 f). Dort heißt es zu der inzwischen in Kraft getretenen Änderung des § 24 Abs 1 Satz 2 BSHG durch das Gesetz vom 25. März 1974, daß der Bundesgesetzgeber damit inzwischen selbst eine Regelung getroffen habe, "um Fälle von gleichem Schweregrad berücksichtigen zu können" (S 165). Diese Rechtslage hat sich seitdem nicht geändert. Zwar ist § 24 BSHG durch Art 7 Nr 9 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungspakts vom 23. Juni 1993 (BGBl I 944) mit Wirkung vom 27. Juni 1993 gestrichen worden; jedoch ist nunmehr mit der Einfügung des Abs 2a Nr 3 in § 76 BSHG eine praktisch gleichlautende Regelung getroffen.

Maßgebend für den Begriff der faktischen Blindheit im BSHG und dementsprechend auch im Gesetz Nr 761 ist danach - was der Beklagte verkennt - nicht mehr nur die Beeinträchtigung der Sehschärfe und die Einschränkung des Gesichtsfeldes; zu berücksichtigen sind vielmehr alle Störungen des Sehvermögens, soweit sie in ihrem Schweregrad einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 oder weniger gleichzuachten sind (Schellhorn/Jirasek/Seipp, Komm zum BSHG, 14. Aufl 1993, § 24 Rz 11). Die Beeinträchtigung der Sehkraft bzw des Sehvermögens wird nicht allein durch die Sehschärfe bestimmt (vgl BVerwGE 28, 213, 214 f). Es kommt also für die Anwendung der genannten Vorschriften lediglich darauf an, ob die vorhandenen Störungen des Sehvermögens bzw der Sehkraft insgesamt in ihrem Schweregrad - und nicht ihrer Art nach - der Sehschärfenbeeinträchtigung iS des § 1 Abs 3 Nr 1 des Gesetzes Nr 761 gleichzuachten sind. Hingegen ist es schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruht und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt ist. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind - entgegen der Ansicht des Beklagten - zu berücksichtigen. Allerdings ist - worauf auch das LSG zu Recht abgestellt hat - in Abgrenzung vor allem zu Störungen, die dem Bereich der seelisch/geistigen Behinderung zuzuordnen sind, zu differenzieren, ob das Seh"vermögen", dh das Sehen- bzw Erkennen-Können beeinträchtigt ist oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, in der also die Störung nicht das "Erkennen", sondern nur das "Benennen" betrifft (vgl Möllhoff, Zur gutachtlichen Beurteilung von "Seelenblindheit", MEDSACH 1990, 127 f, 128). Soweit derartige zentrale Verarbeitungsstörungen für visuelle Eindrücke, deren verschiedene Ausprägungen unter dem Oberbegriff der "visuellen Agnosie" subsumiert werden, nicht das "Sehen- bzw Erkennen-Können" stören, sondern nur zu (gnostischen) Ausfällen des "Benennens" führen, sind sie als solche der faktischen Blindheit iS von § 1 Abs 3 des Gesetzes Nr 761 nicht zuzuordnen. Insoweit folgt der erkennende Senat dem Rundschreiben des BMA vom 16. Februar 1990, wonach die Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA übereinstimmend die Auffassung vertreten hat, daß - abgesehen von der Rindenblindheit, bei der der Betroffene nicht sehen kann - die visuelle Agnosie nicht als Blindheit iS von § 67 und § 24 Abs 1 Satz 2 BSHG angesehen werden könne. Das schließt jedoch nicht aus, daß bei einem kombinierten Krankheitsbild die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 gleichwohl erfüllt sein können, wenn der Betroffene infolge des Zusammenwirkens der verschiedenen Störungen praktisch nicht sehen kann, wenn also zB Störungen des Sehvermögens (etwa durch eine Opticusschädigung) mit visuellen Verarbeitungsstörungen (als Teilursache) in einer Weise zusammenwirken, daß die Störung des Sehvermögens insgesamt in ihrem Schweregrad einer Sehschärfenbeeinträchtigung iS der Nr 1 gleichzuachten ist.

Ein solcher Fall könnte hier vorliegen. Bei der Klägerin handelt es sich nicht nur um eine ungenügende cerebrale visuelle Informationsverarbeitung (visuelle Agnosie). Der Beklagte ist vielmehr selbst aufgrund des eingeholten augenfachärztlichen Gutachtens vom 8. Januar 1990 davon ausgegangen, daß bei der Klägerin neben der visuellen Agnosie eine, wenn auch hinsichtlich der Sehschärfe nicht genau bestimmbare, jedoch hochgradige Reduktion des Sehvermögens aufgrund einer ausgeprägten Opticusatrophie vorliegt. Dabei könnte es sich um eine Störung des Sehvermögens - im Sinne einer Schädigung der tiefen Sehbahn - handeln, bei der zentrale Verarbeitungsstörungen noch keine Rolle spielen. Insoweit fehlt es aber an näheren Feststellungen zu der Frage, ob und inwieweit beide Leiden - jeweils isoliert oder ggf in ihrem Zusammenwirken - das Sehvermögen beeinträchtigen, insbesondere ob sie das Sehen- bzw "Erkennen-Können" ausschließen oder doch so weitgehend beeinträchtigen, daß sie in ihrem Schweregrad einer Beeinträchtigung der Sehschärfe von 1/50 oder weniger gleichzuachten sind. Vor allem ist unklar geblieben, ob es sich bei der bei der Klägerin diagnostizierten visuellen Agnosie um eine (isoliert zu beurteilende) Krankheit handelt, die - im Sinne des Rundschreibens des BMA vom 16. Februar 1990 - nicht das "Erkennen-Können", sondern nur das "Benennen-Können" beeinträchtigt, oder ob sie - ggf im Zusammenwirken mit der Opticusatrophie - das Sehvermögen in einer Weise beeinträchtigt, daß es in seinem Schweregrad der faktischen Blindheit iS des § 1 Abs 3 Nr 1 des Gesetzes Nr 761 gleichzuachten ist. Führen nämlich beide Leiden in ihrem Zusammenwirken dazu, daß die Klägerin Objekte nicht ausreichend wahrnehmen, also nicht "sehen" bzw "erkennen" kann, so kann faktische Blindheit iS des § 1 Abs 3 Nr 2 des Gesetzes Nr 761 vorliegen, falls die Störungen insgesamt die fachärztliche Wertung zulassen, daß sie einer Beeinträchtigung der Sehschärfe von 1/50 oder weniger gleichzuachten sind. In diesem Zusammenhang wird auch (erneut) zu prüfen sein, welche Bedeutung es für den Schweregrad der Sehstörung hat, daß der Klägerin nach den Feststellungen des LSG eine Blickfixation bei Vorhalten von Objekten oder einer Lichtquelle nicht möglich ist, weil ihre Augenbewegungen unkoordiniert und ziellos sind.

Das LSG wird daher zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine erneute augenfachärztliche Begutachtung zu veranlassen und über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.

2.2 Blindengeld - Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung nach dem Alter

Urteil des OBERVERWALTUNGSGERICHTS NRW vom 13. Dezember 2001


Nr: MWRE202010798

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 16. Senat

Urteil vom 13. Dezember 2001, Az: 16 A 4096/00

BSHG § 67, GG Art 2 Abs 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 14 Abs 1

Kürzung des Landesblindengeldes bei Erreichen der Altersgrenze

Leitsatz

Eine verfassungskonforme Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs von § 2 Abs 1 S 2 GHBG (BliGehörHiG NW) über die Festschreibung des Blindengeldes auf 925 DM auf nach der Vollendung des 60. Lebensjahres Erblindete oder gar nur solche, denen es gelungen ist, sich eine ausreichende Altersversorgung aus eigener Kraft zu sichern, ist durch das Grundgesetz, insbesondere Art 3 Abs 1 GG, nicht geboten.

Verfahrensgang

vorgehend VG Düsseldorf 4. Februar 2000 21 K 4069/98

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Beklagte bewilligte der am 17. November 1925 geborenen, 1976 vollständig erblindeten Klägerin mit Bescheid vom 19. August 1976 für die Zeit ab 1. Juni 1976 Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz. Von Juli 1997 an erhielt die Klägerin danach 1.063 DM monatlich. Mit Bescheid vom 9. Dezember 1997 setzte der Beklagte das Blindengeld auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose ab 1. Januar 1998 auf den nunmehr für Blinde ab dem vollendeten 60. Lebensjahr geltenden Satz von 925 DM fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 1998 zurück.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter anderem geltend gemacht: Der Gesetzgeber habe die Höhe des Blindengeldes für die über 60-jährigen Blinden gekürzt, obwohl diese im Alter steigende finanzielle Belastungen hätten. Der Bedarf am Vorlesen oder an Begleitung zum Beispiel, der während der Berufstätigkeit entweder in Verbindung mit der Arbeit teilweise abgedeckt werde oder auf Grund der zeitlichen Bindung durch den Beruf begrenzt sei, nehme im Alter zu. Die Entlastung von den beruflichen Anspannungen führe in der Regel zu einer neuen und sehr aktiven Lebensphase, häufig verbunden mit einem sozialen Engagement in Selbsthilfeorganisationen, das sich zu Gunsten der Allgemeinheit auswirke. Die Anknüpfung der Kürzung an die Vollendung des 60. Lebensjahres sei nicht nachvollziehbar; denn die allgemeine Altersgrenze liege beim 65. Lebensjahr. Berufstätige Blinde, die vor dem 65. Lebensjahr aus dem Arbeitsleben ausscheiden wollten, würden sowohl durch Rentenkürzungen als auch durch die Absenkung des Blindengeldes um monatlich 138 DM erheblich betroffen. Das Schreiben des Beklagten vom 24. Juni 1997 über die Erhöhung des Blindengeldes zum 1. Juli 1997 stelle im Übrigen einen begünstigenden Bescheid dar, der allenfalls nach § 47 SGB X, einer "lex specialis" zu § 48 SGB X, hätte widerrufen werden können, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift indes erfüllt seien.

Die Klägerin hat beantragt,

1.den Beklagten unter teilweiser entsprechender Aufhebung seines Bescheides vom 9. Dezember 1997 und seines Widerspruchsbescheides vom 26. März 1998 zu verpflichten, an sie vom 1. Januar 1998 an Blindengeld in der bis zum 31. Dezember 1997 geleisteten Höhe weiter zu gewähren,

2.an sie bis zur Rechtskraft auf Widerruf angemessene Vorschussleistungen mindestens in Höhe der Hälfte des Kürzungsbetrages von 138 DM, also 69 DM monatlich, nach § 42 SGB I zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Vorverfahren verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung vertritt die Klägerin den Standpunkt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, der nach altem Recht ergangene Bewilligungsbescheid habe wegen Wegfalls der Rechtsgrundlage kraft Gesetzes seine Wirksamkeit verloren. Der Bescheid habe vielmehr allenfalls nach § 47 SGB X widerrufen werden können. Im Übrigen trägt die Klägerin vor: Der Gesetzgeber habe die Situation derjenigen Blinden verkannt, die das 60. Lebensjahr überschritten, ihr Augenlicht aber schon in jüngeren Jahren verloren hätten. Hierbei handele es sich nicht um einzelne Personen, sondern um eine Gruppe, die mindestens 20 v.H. der betroffenen Altersgruppe ausmache. Auf sie treffe es nicht zu, wenn in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG darauf hingewiesen werde, dass der weitaus größte Teil der Blinden alterserblindet sei und - wie Gesunde - die Chance gehabt habe, sich eine eigene, angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften. Die Quote der Berufstätigen im erwerbsfähigen Alter liege bei den Blinden deutlich niedriger als bei der Bevölkerung allgemein. Blinde seien darüber hinaus zum größten Teil nur in niedrig qualifizierten und schlecht entlohnten Berufen tätig. Wenn das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten habe, der Interessenlage älterer Blinder habe der Gesetzgeber ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass er ihnen bei einer relativ hohen Einkommensgrenze einen sozialhilferechtlichen Anspruch auf Blindenhilfe einräume, so sei dabei übersehen worden, dass ein solcher Anspruch in aller Regel an der relativ niedrigen Vermögensschongrenze scheitere. Hinsichtlich der Personengruppe der vor dem 60. Lebensjahr, insbesondere in jüngeren Jahren Erblindeten liege nach allem eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dahin zu schließen sei, dass die Kürzung des Blindengeldes auf die ab Vollendung des 60. Lebensjahres Erblindeten beschränkt werde.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr für die Zeit nach dem 1. Januar 1998 ungekürztes Blindengeld nach dem Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der bewilligende Bescheid nach altem Recht sei als Dauerverwaltungsakt anzusehen. Es könne dahinstehen, ob dieser Bescheid allein wegen der geänderten rechtlichen Grundlage seine Wirksamkeit zum 31. Dezember 1997 verloren habe oder ob eine Anpassung durch Bescheid nach § 48 SGB X hätte erfolgen müssen. Da der Gesetzgeber der Behörde bei der Anwendung des § 48 Abs. 1 SGB X kein Ermessen eingeräumt habe, hätte der Bescheid vom 9. Dezember 1997 nicht anders als geschehen ergehen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 21 L 2223/98 VG Düsseldorf sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren Blindengeldes als es ihr in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten zugebilligt worden ist. Diese Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, so dass die beantragte Verpflichtung des Beklagten nicht ausgesprochen werden kann (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO) .

Die Klage hat insbesondere nicht schon deshalb Erfolg, weil der vorausgegangene Bewilligungsbescheid nach altem Recht nicht ordnungsgemäß aufgehoben worden ist. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 19. August 1976, der eine Blindengeldnachzahlung für die Zeit von Juni bis August 1976 und eine fortlaufende Bewilligung ab September 1976 geregelt hat, ist allerdings als ein Dauerverwaltungsakt für einen längeren Zeitraum als lediglich einen Monat einzuordnen. Wie sich aus der Mitteilung des Beklagten vom 24. Oktober 1979 ergibt, sind jedenfalls zunächst keine weiteren schriftlichen Bescheide ergangen. Allenfalls lassen sich die jeweiligen Zahlungen als konkludente Blindengeld(erhöhungs)bescheide verstehen. Ob auch das Schreiben des Beklagten vom 24. Juni 1997 über die Erhöhung des Blindengeldes zum 1. Juli 1997 - wie die Klägerin meint - als Verwaltungsakt und ggf. als Dauerverwaltungsakt zu qualifizieren ist, kann dahinstehen. Geht man von einem Dauerverwaltungsakt aus, so bedurfte die Aufhebung des Landesblindengeldgesetzes durch das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) vom 25. November 1997, GVBl. NRW S. 436, im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts im Einzelfall der Klägerin allerdings durchaus der Umsetzung durch einen Bescheid, weil es grundsätzlich keinen "Selbstvollzug des Gesetzes" gibt.

Vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, 31. Ergänzungslieferung August 2000, § 48 Rn. 9, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. Juli 1989 - 9 Rvs 3/88 -, BSGE 65,185 und BSG SozR 5850 § 4 Nr. 8.

Die zum Vollzug des Gesetzes dann erforderliche Aufhebung der vorausgegangenen Bewilligung, die im Einklang mit der Rechtsauffassung des Beklagten nur an § 48 SGB X gemessen werden könnte, ließe sich als stillschweigende Regelung indes ohne weiteres dem Bescheid vom 9. Dezember 1997 entnehmen. Diese Regelung wäre auch rechtmäßig. Insbesondere hätte es nach der gesetzlichen Regelung des § 48 Abs. 1 SGB X einer Ermessensausübung nicht bedurft; denn im Falle einer wesentlichen Änderung in den rechtlichen Verhältnissen, die im Inkrafttreten eines neuen Gesetzes unproblematisch gesehen werden kann, "ist" nach dem Gesetz ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Nach den Regelungen des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose hat die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung eines höheren Blindengeldes.

Sie selbst geht davon aus, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) vom 25. November 1997, BGBl. I S. 436, eindeutig im Sinne der vom Beklagten getroffenen Regelung zu verstehen ist. Danach beträgt das Blindengeld ab dem vollendeten 60. Lebensjahr der Blinden monatlich lediglich 925 DM.

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin besteht auch kein Raum für eine verfassungskonforme Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG auf nach der Vollendung des 60. Lebensjahres Erblindete, und, anders als sie meint, kann auch eine planwidrige Gesetzeslücke hinsichtlich der Personengruppe der Blinden, die ihr Augenlicht bereits in jüngeren Jahren verloren haben, nicht angenommen werden. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zu der später Gesetz gewordenen Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose = Artikel 5 des Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen (Landtags-Drucksache 12/2340, S. 34 ff. (36)) heißt es u.a.:

"Die Abwägung über Fortbestand oder Veränderung einer Leistung hat in dem vorliegenden Fall sowohl dem hochsensiblen Bereich der berechtigten Belange schwerstbetroffener sinnesbehinderter Menschen als auch dem berechtigten Interesse der kommunalen Leistungsträger auf Entlastung und Beschränkung der Leistungspflicht auf das Unerlässliche Rechnung zu tragen. Danach ist eine Beibehaltung des Blindengeldes für Kinder und erwerbstätige Blinde wie bisher geboten, um die besonderen familiären, Ausbildungs- und beruflichen Belastungen zu berücksichtigen. Eine Kürzung für diesen Personenkreis würde deren Bemühungen um eine eigene Existenzgrundlage erschweren und könnte noch größere Belastungen der Allgemeinheit nach sich ziehen, die ein Scheitern der Bemühungen ganz oder teilweise existenzsichernd abfangen müsste. Anders gestaltet sich die Bewertung bei den Blinden im Ruhestand. Der weitaus größte Teil der Blinden ist alterserblindet (über 88 % der Blinden sind älter als 60 Jahre). Diesem Personenkreis, der in der Regel wie jeder andere auch die Chance hatte, sich eine eigene angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften, ist eine Kürzung von derzeit 1.063 DM auf 925 DM (= 12, 98 %) zuzumuten. ... Andere Überlegungen, wie die einkommensabhängige Gestaltung des Blindengeldes oder die Aufhebung des Landesrechts und Verweis auf die Blindenhilfe nach BSHG scheiden wegen des mit der großen Zahl von Blinden insgesamt verbundenen Verwaltungsaufwands für die in jedem Fall durchzuführende Einzelfallprüfung aus."

Zwar trifft es zu, dass in der Gesetzesbegründung u.a. darauf hingewiesen wird, dass "der weitaus größte Teil der Blinden ... alterserblindet" ist und "in der Regel wie jeder andere auch die Chance hatte, sich eine eigene angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften". Es kann aber nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Situation der in früheren Jahren Erblindeten bei der Neugestaltung der Förderungsregelungen nicht bedacht hat oder den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut auf die Personengruppe der Alterserblindeten beschränken wollte, denen es gelungen ist, sich eine ausreichende Altersversorgung aus eigener Kraft zu verschaffen. Dagegen sprechen schon die Formulierungen, wonach lediglich "der weitaus größte Teil" der Blinden alterserblindet ist - was deutlich macht, dass der Gesetzgeber sich einer verbleibenden Teilgruppe durchaus bewusst gewesen ist - und wonach der weitaus größte Teil der Blinden lediglich "in der Regel" wie jeder andere auch die Chance hatte, sich eine eigene angemessene Altersversorgung zu erwirtschaften. Letzteres zeigt, dass dem Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift klar war, dass auch nicht jeder Alterserblindete in der Lage gewesen ist, selbst für sein Alter vorzusorgen. Gleichwohl sollte der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift generell entsprechend der Altersgrenze des vollendeten 60. Lebensjahres gezogen werden. Von dieser Altersgrenze an ist einem Blinden zumindest auf Antrag der Eintritt in den Ruhestand möglich,

vgl. etwa § 37 SGB VI (allerdings nur bei einer Wartezeit von 35 Jahren), § 42 Abs. 4 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz und § 45 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Landesbeamtengesetz NRW,

und von dieser Möglichkeit ist - wie die in der mündlichen Verhandlung erörterten statistischen Angaben in dem Endbericht der auf Veranlassung des Beklagten durchgeführten Erhebung der Universität Bremen über "Landesblindengeld-empfänger im Erwerbsalter" belegen - jedenfalls in der Vergangenheit regelmäßig auch Gebrauch gemacht worden. Auf diese Zurruhesetzungsgrenze sind die Erwägungen zur Kürzung des Blindengeldes in der Gesetzesbegründung bezogen. Von der Verminderung des Blindengeldes sollte danach der Personenkreis der "Blinden im Ruhestand" erfasst werden, dem die Personengruppe der "Kinder und erwerbstätigen Blinden" gegenübergestellt wird. Zwar wird in Einzelfällen die Erwerbstätigkeit auch von Blinden über das 60. Lebensjahr bis zur allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren hinausgehen. Der Gesetzgeber hat aber - wie sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lässt - eindeutig und bewusst auf die Vollendung des 60. Lebensjahres als zeitliche Grenze abgestellt. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass der Begriff "alterserblindet" - wenn auch ungenau - auf die Vollendung des 60. Lebensjahres bezogen wird; denn es heißt: "Anders gestaltet sich die Bewertung bei den Blinden im Ruhestand. Der weitaus größte Teil der Blinden ist alterserblindet (über 88 % der Blinden sind älter als 60 Jahre)".

Nach allem kann ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschrift die Personengruppe der über 60-jährigen Blinden nicht bedacht hat, die ihr Augenlicht bereits in jüngeren Jahren verloren haben. Die Kürzung des Blindengeldes dieser Personengruppe ist ebenfalls geeignet, dem Gesetzeszweck der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu dienen.

Auch eine verfassungskonforme Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG auf nach der Vollendung des 60. Lebensjahres Erblindete oder gar nur solche, denen es auch gelungen ist, sich eine ausreichende Altersversorgung aus eigener Kraft zu verschaffen, scheidet aus. Verfassungsrecht gebietet eine derartige Beschränkung nicht. Eine Verletzung von Grundrechten der Klägerin durch die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG ist nicht ersichtlich.

Es kann offen bleiben, ob die der Klägerin durch den Grundbescheid vom 19. August 1976 zugesprochene Bewilligung von Blindengeld dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterliegt. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, hätte der Gesetzgeber mit der höhenmäßigen Begrenzung des Anspruchs seine Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht überschritten. Er ist grundsätzlich befugt, in das Leistungsgefüge des Sozialrechts ordnend einzugreifen.

Vgl. BVerfGE, Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95, 1 BVR 2105/95 -, BVerfGE 100, 1 (37 f.), und Beschlüsse vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, SozR 3-4100 § 242q Nr 2 = DVBl 2001, 896 = NZA 2001, 687 = NZS 2001, 356 = NZS 2001, 531 = info also 2001, 139, sowie vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 -, BVerfGE 97, 378 = NJW 1998, 2731.

Das Eigentumsrecht der Leistungsberechtigten wird dabei nicht verletzt, wenn der Eingriff durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Dies ist hier der Fall.

Der Gesetzgeber verfolgte mit der angegriffenen Bestimmung wichtige Gründe des Gemeinwohls. Sie ist Teil der Maßnahmen, mit denen er im Jahre 1997 Einsparungen in den öffentlichen Haushalten der nordrhein-westfälischen Kreise, Städte und Gemeinden erzielen wollte. Die Maßnahmen wurden vor dem Hintergrund beschlossen, dass ein anhaltender Konjunktureinbruch zu einer Verringerung der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden weit hinter die Erwartungen geführt hatte. Wie aus der Problembeschreibung unter A. in der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen (Landtags-Drucksache 12/2340, S. 1 f. ) hervorgeht, stand den zurückgegangenen Steuereinnahmen bei den Kommunen in der Zeit von 1992 bis 1995 eine außerordentliche Steigerung der Ausgaben für soziale Leistungen gegenüber. Nicht zuletzt infolge des Anstiegs der Arbeitslosenquote betrug der Anteil der sozialen Leistungen im Verwaltungshaushalt der nordrhein-westfälischen Kommunen fast ein Drittel. Bei einem maßvollen Anstieg bzw. im Jahr 1995 sogar einem Rückgang um 1 % der Personalkosten war es bei den Kommunen zu einem deutlichen Rückgang der Sachinvestitionen gekommen. Um angesichts dessen den zur eigenverantwortlichen Selbstverwaltung erforderlichen finanziellen Spielraum der Kommunen und kommunalen Verbände zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen, war eine Reduzierung der freiwillig übernommenen Leistungen auf den notwendigen Inhalt ins Auge gefasst worden, vgl. Landtags-Drucksache 12/2340, S. 2.

Die angegriffene Bestimmung ist geeignet und erforderlich, die gesetzgeberischen Ziele zu erreichen. Das Ziel der Sanierung der Staatsfinanzen durch Einsparungen auf der Ausgabenseite ist eine übergreifende und legitime Aufgabe des Gesetzgebers zu Gunsten des Staatsganzen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O., und vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 -, BVerfGE 76, 256 (357).

Auch belastet die Regelung die Klägerin bei Abwägung ihres Interesses mit den verfolgten Gemeinwohlbelangen nicht unverhältnismäßig.

Vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 26. April 1995 - 1 BvL 19/94 u.a. -, BVerfGE 92, 262 (273).

Ihre Belange haben weniger Gewicht, weil ihre Rechtsposition nicht auf Eigenleistungen beruht.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O., sowie vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 -, a.a.O.

Der Gesetzgeber konnte im Rahmen seines Gestaltungsspielraums dem Interesse an einer Sanierung der öffentlichen Haushalte den Vorzug einräumen, da die Deckung der Bedarfe der von der Kürzungsregelung Betroffenen mit dem verringerten Blindengeld und eigenen Einnahmen bzw. - selbst bei Fehlen eigener Einnahmen - jedenfalls nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Blindenhilfe (§ 67 BSHG) gesichert wäre.

Auch Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes wäre nicht verletzt, käme dieser Prüfungsmaßstab zur Anwendung.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O., sowie vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 -, a.a.O.

Die angegriffene Regelung wirkt für die Zukunft auf eine bereits bezogene gesetzliche Leistung ein. Sie enthält eine höhenmäßige Beschränkung. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O., sowie vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 -, a.a.O., (ständige Rechtsprechung).

Bei der gebotenen Abwägung haben hier die Bestandsinteressen der Betroffenen kein größeres Gewicht als die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgte. Zwar ist ihr Interesse am Fortbestand einer über lange Zeit bestehenden Rechtslage grundsätzlich hoch einzuschätzen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvL 6/92 -, a.a.O.

Andererseits ist aber gerade in einer langfristig bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 - 1 BvL 12/83 -, BVerfGE 70, 101 (111).

Der Gesetzgeber verfolgte mit der Anpassung der Sozialausgaben an eine in den letzten Jahren dramatisch verschlechterte Haushaltslage der nordrhein-westfälischen Kreise, Städte und Gemeinden bzw. der öffentlichen Haushalte insgesamt wichtige Gemeinwohlinteressen. Ihm stand eine weite Gestaltungsfreiheit dabei auch im Hinblick darauf zu, dass er einen Teil der eingesparten finanziellen Mittel dazu verwendet hat, andere Sozialleistungen der Solidargemeinschaft neu zu schaffen oder zu verbessern. So wurde in § 5 desselben Gesetzes insbesondere eine längst überfällige Hilfe für Gehörlose in Höhe von 150 DM eingeführt und - unter gleichzeitiger Herbeiführung eines Verwaltungsvereinfachungseffekts - in § 4 die Hilfe für hochgradig Sehschwache von 120 DM auf 150 DM erhöht und zu einer ebenfalls einkommens- und vermögensunabhängigen Leistung gemacht. Es lag im öffentlichen Interesse, wenn in diesem Zusammenhang eine Neuverschuldung vermieden werden sollte. Zur Erreichung dieser Ziele konnte der Gesetzgeber auch in eine langfristig gewährte Rechtsposition eingreifen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O.

Ein Verfassungsverstoß ist ferner nicht feststellbar, wenn die angegriffene Vorschrift am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG, gegebenenfalls in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, geprüft wird. Denn eine Vorschrift, die - wie § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG - durch ein hinreichendes öffentliches Interesse getragen ist und einen verhältnismäßigen Eingriff bewirkt, ist Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schranken dieses Grundrechts.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2001 - 1 BvR 2402/97 -, a.a.O.

§ 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG verletzt auch nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dadurch, dass Blinde nach Vollendung des 60. Lebensjahres anders behandelt werden als Blinde bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres in § 2 Abs. 1 Satz 1 GHBG. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 1237/85 -, BVerfGE 89, 365 (375).

Zwischen den Empfängern der Leistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GHBG und nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Das gilt zunächst hinsichtlich der erwerbstätigen und in Ausbildung befindlichen Blinden im Vergleich zu den Blinden im Ruhestand. Ein berücksichtigungsfähiger Grund für die Absenkung des Blindengeldes liegt insoweit darin, dass bestimmte für Blinde mit einer Erwerbstätigkeit verbundene besondere Kosten, etwa im Zusammenhang mit den Fahrten zur Arbeit und der Erschließung schriftlicher Arbeitshinweise und -unterlagen oder für blindengerechte Arbeitsmittel und eventuelle blindenbedingte Mehraufwendungen bei der Kleidung nach dem Eintritt in den Ruhestand nicht mehr anfallen. Unabhängig von einer Erwerbstätigkeit kommt auch für nicht erwerbstätige Blinde hinzu, dass die in der Regel in früheren Jahren angeschaffte und finanzierte sächliche Existenzgrundlage, etwa die Wohnungseinrichtung und insbesondere auch die bereits vorhandenen Hilfsmittel für Blinde, im Alter weiter verwandt werden kann, ohne dass im selben Umfang wie früher Neuanschaffungen zwingend erforderlich wären. Auf entsprechende Erwägungen läuft es hinaus, wenn es in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 Satz 2 GHBG heißt, dass nur eine Absenkung des Blindengeldes im Ruhestand beabsichtigt, hingegen eine Beibehaltung des Blindengeldes für Kinder und erwerbstätige Blinde in bisheriger Höhe geboten sei, um die besonderen familiären, ausbildungsbedingten und beruflichen Belastungen zu berücksichtigen. Eine Kürzung für diesen Personenkreis - so die Gesetzesbegründung - würde dessen Bemühungen um eine eigene Existenzgrundlage erschweren, was eine noch größere Belastung der Allgemeinheit nach sich ziehen könnte. Diese Erwägungen sind sachgerecht.

Auch wenn das Landesblindengeld nach der gesetzlichen Regelung keine Lohnersatzleistung ist, sondern den blindheitsbedingten Mehraufwand abdecken soll, ergeben sich Parallelen zum Beamtenversorgungs- und Rentenrecht. Dass die finanziellen Bezüge nach Eintritt in den Ruhestand geringer bemessen werden können als zu aktiven Dienstzeiten, ist beispielsweise im Dienstrecht der Beamten anerkannt. Insoweit sind in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls deutliche Einschränkungen vorgenommen worden. Weitere Kürzungen - etwa die Absenkung der Pensionshöchstgrenze - stehen nach wie vor im Raum. Entsprechendes gilt für die Altersrente nach dem Rentenversicherungsrecht. Auch sie fällt deutlich geringer aus als die Einkünfte während des Erwerbslebens. Neben dem Umstand, dass wertschöpfende volkswirtschaftliche Leistungen aus dem Dienstverhältnis nicht mehr erbracht werden, findet auch hier der Gedanke Berücksichtigung, dass Ruheständler im Alter regelmäßig auf einen in früheren Jahren geschaffenen sächlichen Bestand zurückgreifen können, erwerbs- oder gar ausbildungsbedingte Aufwendungen nicht mehr anfallen und Kinder typischerweise nicht mehr versorgt werden müssen. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens dahin, dass mit dem Eintritt in den Ruhestand regelmäßig eine Verringerung der verfügbaren laufenden Einkünfte einhergeht.

In ähnlicher Weise wie Rentner und Pensionäre - trotz eventuell bestehender besonderer Altersbedarfe - finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, können auch den Blinden nach dem Eintritt in den Ruhestand finanzielle Einschränkungen in einem gewissen, hier nicht überschrittenen Maße zugemutet werden. Dass der Gesetzgeber im vorliegenden Zusammenhang nicht auf die allgemeine Altersgrenze von 65 Jahren, sondern auf die Altersgrenze für die vorzeitige Zurruhesetzung Schwerbehinderter abstellt, trägt lediglich der Tatsache Rechnung, dass Blinde nur in Ausnahmefällen (s.o.) bis zur allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren erwerbstätig sind. Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, eine Regelung zu schaffen, die im Einzelnen die Erfassung derartiger Ausnahmefälle ermöglicht hätte oder die darauf abstellte, ob es dem Betroffenen im Einzelnen gelungen ist, sich eine ausreichende Altersversorgung aus eigener Kraft zu sichern. Der Gesetzgeber konnte vielmehr, ohne Art. 3 Abs. 1 GG zu verletzen, bei der Schaffung einer Regelung für eine große Vielzahl von Fällen typisierende Regelungen treffen,

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 1997 - 1 BvL 5/93 -, BVerfGE 96, 330 (344, 345), vom 6. November 1985 - 1 BvL 47/83 -, BVerfGE 71, 146 (157) und vom 8. Februar 1983 - 1 BvL 28/79 -, BVerfGE 63, 119 (128) (ständige Rechtsprechung),

zumal nur eine maßvolle Kürzung (für den Zeitpunkt des Inkrafttretens um 12,98 %) vorgenommen worden ist, mit der Verordnungsermächtigung in § 2 Abs. 1 Satz 3 GHBG eine Anpassungsmöglichkeit geschaffen wurde und für Härtefälle mit den Bestimmungen über die Blindenhilfe nach § 67 BSHG eine ausreichend dimensionierte Auffangregelung mit großzügigen Einkommensgrenzen zur Verfügung steht. Auf die Einräumung einer höheren Vermögensschongrenze besteht auch von Verfassungs wegen kein Anspruch.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

2.3 Blindengeld, Kürzung bei Maßnahmen in Einrichtungen

BSG 7. Senat Urteil vom 5. Dezember 2001, Az: B 7/1 SF 1/00 R

Nr: KSRE011621509

BSG 7. Senat Urteil vom 5. Dezember 2001, Az: B 7/1 SF 1/00 R

BliGG ND § 1 Abs 1 Fassung: 1993-01-18, BliGG ND § 2 Abs 2 S 1 Fassung: 1993-01-18, BliGG ND § 9 Abs 4 Fassung: 1993-01-18, BSHG § 39, BSHG §§ 39ff, BSHG § 67 Abs 3, BSHG § 97 Abs 4

Kürzung des Landesblindengeldes - Einrichtung iSd § 2 Abs 2 S 1 BliGG ND - blindheitsbedingte Mehraufwendungen

Leitsatz

Zur Kürzung von Landesblindengeld nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld bei Aufenthalt in einem Berufsförderungswerk zwecks blindentechnischer Grundrehabilitation.

Fundstellen

  • SozR 3-5922 § 1 Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe)
  • RegNr 25610 (BSG-Intern)
  • FEVS 53, 403-408 (Leitsatz und Gründe)
Weitere Fundstellen
  • SGb 2002, 165 (Kurzwiedergabe)
  • SozSich 2003, 215 (Kurzwiedergabe)

Diese Entscheidung wird zitiert von SGb 2003, 139-141, Zeihe, Paul-Arthur (Entscheidungsbesprechung)

Verfahrensgang

  • vorgehend SG Hannover 12. Juni 1998 S 23 BL 59/95 Urteil
  • vorgehend Landessozialgericht für das Land Niedersachsen 28. Januar 2000 L 9 BL 9/98 Urteil

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde (idF der Bekanntmachung vom 18. Januar 1993, NdsGVBl 1993, 25 (LBliGG)) zustehenden Blindengeldes.

Die im Jahre 1959 geborene Klägerin stand im Bezug von Blindengeld bei der Stadt Hannover. Zum 30. September 1993 wurde sie in das Berufsförderungswerk (Bfw) Düren - Zentrum für berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter - für eine blindentechnische Grundrehabilitation aufgenommen. Die Kosten hierfür übernahm die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).

Die Landeshauptstadt Hannover setzte durch Bescheid vom 28. Dezember 1993 das der Klägerin zu gewährende Blindengeld um 50 vH herab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin befinde sich nunmehr in einer Einrichtung, daher sei ihr nur die Hälfte des Blindengeldes auszuzahlen. Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten. Der Landschaftsverband Rheinland vertrat in der Folgezeit die Auffassung, der Klägerin stehe weiterhin ein Anspruch auf Zahlung des vollen Blindengeldes zu, weil das Bfw Düren keine Einrichtung im Sinne des LBliGG darstelle. Deshalb zahlte dieser Landschaftsverband der Klägerin zunächst den Unterschiedsbetrag zum vollen Blindengeld aus, stellte seine Zahlungen jedoch zum 31. Dezember 1994 ein.

Die Landeshauptstadt Hannover erließ am 27. Januar 1995 einen weiteren Bescheid, in dem die Klägerin nochmals darauf hingewiesen wurde, daß sie sich seit 30. September 1993 in einer Einrichtung iS des § 2 Abs 2 LBliGG befinde. Das ihr zustehende Blindengeld sei deshalb (weiterhin) um 50 % zu kürzen. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. April 1995; Urteil des Sozialgerichts Hannover (SG) vom 12. Juni 1998). Die Klägerin hat dabei vorgetragen, sie habe weiterhin in Hannover eine Wohnung beibehalten müssen. Aufgrund der Schließungszeiten des Heims in Düren sei sie zu häufigen Heimfahrten gezwungen gewesen. In dem Heim sei keinerlei Betreuung oder Pflege geleistet worden. Zumindest hätte der Beklagte bei der Kürzungsentscheidung aber Ermessen ausüben müssen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom 28. Januar 2000 ausgeführt, der Beklagte habe das der Klägerin zustehende Blindengeld zu Recht gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG gekürzt. Nach dieser Vorschrift verringere sich das Landesblindengeld höchstens um 50 vH, wenn sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befinde und die Kosten dieses Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen würden. Bei dem Bfw Düren habe es sich um eine Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift gehandelt. § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG sei vom Landesgesetzgeber in einem gewollten Akt der Anpassung wörtlich aus § 67 Abs 3 1. Halbsatz Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übernommen worden. Deshalb könne zur Auslegung auf § 67 Abs 3 BSHG sowie den im Sozialhilferecht entwickelten Einrichtungsbegriff zurückgegriffen werden. Die Entstehungsgeschichte des § 67 Abs 3 BSHG mache deutlich, daß der Gesetzgeber alle Einrichtungen in den Blick genommen habe, die dem Blinden über die Gewährung von Unterkunft hinausgehende Betreuungsleistungen erbrächten, so daß dem Blinden insoweit geringere Aufwendungen entstünden, als ihm außerhalb solcher Einrichtungen entstehen würden (Hinweis auf Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, FEVS 23, 433). Weiterhin könne auf die zu § 97 Abs 4 BSHG entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift seien Anstalten, Heime oder sonstige Einrichtungen alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen im BSHG vorgesehenen Maßnahmen dienten. Bei der blindentechnischen Grundausbildung habe es sich um eine Eingliederungsmaßnahme iS von §§ 39 ff BSHG gehandelt, was sich ohne weiteres daraus ergebe, daß diese Maßnahme ausdrücklich in § 16 der nach § 47 BSHG ergangenen Eingliederungshilfeverordnung erwähnt werde. Im Sozialhilferecht sei aber anerkannt, daß ein Wohnheim als Einrichtung iS von §§ 67 Abs 3 Satz 1, 97 Abs 4 BSHG zu betrachten sei, wenn es Teil einer Eingliederungsmaßnahme sei, die einem Sozialhilfeträger obläge, wenn nicht ein anderer öffentlich-rechtlicher Leistungsträger hierfür aufzukommen habe (Hinweis ua auf Bayerischer VGH, FEVS 28, 152, 154). Stehe ein Wohnheim mit einer Eingliederungseinrichtung, etwa der Ausbildungsstätte eines Rehabilitationswerkes für Behinderte, in einem Funktionszusammenhang, so sei auf die insgesamt gewährte Betreuung abzustellen. Werde dieser Funktionszusammenhang in den Blick genommen, so ergebe sich, daß das Bfw Düren eine Einrichtung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG dargestellt habe, weil eine Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß §§ 39 ff BSHG durchgeführt worden sei. Dieses Ergebnis werde im übrigen auch durch das Maß der Betreuung im Bfw Düren bestätigt. Es sei Vollverpflegung und Zimmerreinigung geleistet worden. Weiterhin habe den Blinden eine Punktschriftbibliothek und eine mit Sozialarbeitern besetzte Tagesstation zur Verfügung gestanden. Der Beklagte sei bei der Kürzung des Blindengeldes nicht verpflichtet, jeweils im Einzelfall zu prüfen, inwieweit blindheitsbedingte Mehraufwendungen durch die Aufnahme in gerade die konkrete Einrichtung entfielen. Dies würde einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeuten. Vielmehr finde § 2 Abs 2 LBliGG seine Entsprechung in der pauschalierenden Bewilligung von Landesblindengeld. Auch bei der Bewilligung werde nicht geprüft, wie hoch die dem Blinden entstehenden blindheitsbedingten Aufwendungen tatsächlich seien. Deshalb komme es auch nicht darauf an, in welchem Maß in der Einrichtung Betreuungsleistungen tatsächlich erbracht würden. Maßgeblich sei allein, ob überhaupt eine Einrichtung im Sinne des Gesetzes vorliege. Werde diese Frage bejaht, so sei die Kürzung - unabhängig vom tatsächlichen Betreuungsaufwand - vorzunehmen. § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG räume der Verwaltung bei dieser Entscheidung auch keinerlei Ermessen ein.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 2 LBliGG. Bei dem Bfw Düren habe es sich nicht um eine Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift gehandelt. Dem Urteil könne gefolgt werden, soweit auf den Einrichtungsbegriff des § 67 Abs 3 BSHG zurückgegriffen werde. Aus der Gesetzgebungsgeschichte dieser Norm folge jedoch, daß das Blindengeld wegen der besonderen Betreuungsleistungen in den Einrichtungen gekürzt werden sollte. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß sich hierdurch keine gravierenden Nachteile für die Blinden ergäben, weil als Einrichtungen nur Vollheime gelten könnten, die über die Unterkunftsleistung hinaus in erheblichem Umfang Betreuungsleistungen erbrächten. Die vom LSG in Bezug genommenen Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg und des Bayerischen VGH könnten nicht überzeugen, soweit sie Wohnheime als Einrichtungen bezeichneten, nur weil sie in derselben Trägerschaft stünden wie die Berufsbildungsmaßnahme, die der Wiedereingliederung des Blinden in die Gesellschaft diene. Vom LSG werde in einem Zirkelschluß ein Wohnheim zunächst als Einrichtung definiert, ohne daß die Betreuungsleistungen tatsächlich konkret benannt würden. Sodann werde festgestellt, weil es sich um eine Einrichtung handele, brauchten die gewährten Betreuungsleistungen auch nicht im einzelnen benannt zu werden. Das LSG versuche anschließend aber selbst diesen Zirkelschluß zu vermeiden, indem die einzelnen Betreuungsmaßnahmen im Bfw Düren benannt würden, wobei allerdings die Zurverfügungstellung von Nahrung, Zimmerreinigung und einer Punktschriftbibliothek gerade nicht zu einer Reduzierung von blindheitsbedingten Mehraufwendungen führe. Eine tatsächliche Betreuung sei ihr - der Klägerin - nicht zugute gekommen, weshalb es unerheblich sei, daß die Ausbildung im Bfw Düren als solche eine Maßnahme der Eingliederungshilfe dargestellt habe. Des weiteren seien zahlreiche Schüler Tagespendler gewesen. Diesen sei das Blindengeld nicht gekürzt worden. Es verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), wenn Personen, die ohne Betreuung in einem Wohnheim lebten, schlechter behandelt würden als die Tagespendler aus der näheren Umgebung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG und des SG aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 1995 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum von Januar 1995 bis Ende Dezember 1996 Blindengeld in voller Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Bei der blindentechnischen Grundrehabilitation im Bfw Düren habe es sich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß §§ 39 ff BSHG gehandelt. Das angeschlossene Wohnheim habe in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang mit dieser Maßnahme gestanden, weshalb eine Einrichtung iS des § 2 Abs 2 LBliGG vorgelegen habe. Befinde sich der Blinde in einer solchen Einrichtung, so sei ohne weitere Ermittlung der konkreten Ersparnisse das Blindengeld pauschal zu kürzen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) begründet. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Klägerin ab 1. Januar 1995 höheres (volles) Blindengeld zusteht. Dies hängt davon ab, ob es sich bei dem Bfw Düren um eine Einrichtung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG handelt. Eine Einrichtung im Sinne dieser Norm liegt nur dann vor, wenn Blinde infolge der in der Einrichtung gewährten Betreuungsleistungen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen nicht unerheblich entlastet werden. Welche blindenspezifischen Betreuungsleistungen in dem Bfw Düren üblicherweise gewährt werden bzw in der streitigen Zeit gewährt wurden, hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - jedoch nicht im einzelnen festgestellt.

In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die von Amts wegen zu berücksichtigen sind, stehen einer Entscheidung des Senats in der Sache nicht entgegen. § 9 Abs 4 LBliGG bestimmt - anders als die meisten anderen Landesblindengeldgesetze -, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist. Allerdings ist der Senat gemäß § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz ohnehin an die Rechtswegentscheidung der Instanzgerichte gebunden. Der Beklagte war als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständige Widerspruchsbehörde und passiv legitimiert (§ 9 Abs 1 LBliGG). Die Berufung war gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft. Das LSG hat zwar nicht festgestellt, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum die Klägerin Blindengeld begehrt. Streitig ist nach den Angaben der Klägerin der Zeitraum von Januar 1995 bis Dezember 1996. Da der Kürzungsbetrag ausweislich des Bescheides vom 27. Januar 1995 515 DM monatlich betrug, war die Berufung sowohl gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 als auch gemäß § 144 Abs 1 Satz 2 SGG statthaft.

Im Ergebnis zutreffend ist das LSG auch davon ausgegangen, daß es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 27. Januar 1995 nicht lediglich um eine "wiederholende Verfügung" hinsichtlich der bereits durch den (bestandskräftigen) Bescheid vom 28. Dezember 1993 ausgesprochenen Kürzung des Landesblindengeldes gehandelt hat. Vielmehr wurde in dem Bescheid vom 27. Januar 1995 eine neue und eigenständige Regelung für den Zeitraum ab 1. Januar 1995 getroffen, deren materielle Rechtmäßigkeit der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 5. April 1995 in vollem Umfang überprüft hat (vgl im einzelnen, BSG Urteil vom 6. Mai 1999 - B 10 LW 13/98 R - mwN).

Nach § 1 Abs 1 LBliGG erhalten Zivilblinde, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Lande Niedersachsen haben, Landesblindengeld (Blindengeld) zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen. Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im Geltungsbereich des GG aufhalten, erhalten das Blindengeld, wenn sie im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Lande Niedersachsen hatten. Gemäß § 2 Abs 1 LBliGG wird das Blindengeld in Höhe der Blindenhilfe nach § 67 Abs 2 und Abs 6 BSHG gewährt. § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG lautet: Befindet sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung und werden die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen, so verringert sich das Landesblindengeld nach Abs 1 um die aus diesen Mitteln getragenen Kosten, höchstens jedoch um 50 vH der Beträge nach Abs 1. Hinsichtlich der Revisibilität (§ 162 SGG) dieser landesrechtlichen Normen bestehen aufgrund der Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, die sich die Revisionsführerin zu eigen gemacht hat, keine Bedenken (vgl hierzu auch BSG SozR 3-5920 § 1 Nr 1).

Vorliegend war die Klägerin vom 30. September 1993 bis Ende 1996 auf Kosten der BfA im Bfw Düren zwecks blindentechnischer Grundrehabilitation in einem - wie die Klägerin angegeben hat - der Ausbildungsstätte angegliederten Wohnheim untergebracht. Ob es sich bei dem Bfw Düren um eine Einrichtung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG gehandelt hat, läßt sich diesem Gesetz - mangels näherer Bestimmung des Einrichtungsbegriffs - nicht unmittelbar entnehmen. Die Bedeutung dieses Begriffs läßt sich jedoch aus dem mit der Zahlung von Blindengeld verfolgten gesetzgeberischen Zweck erschließen, ohne daß es eines Rückgriffs auf entsprechende Bestimmungen des BSHG, insbesondere § 67 Abs 3 iVm § 97 Abs 4 BSHG bedarf (vgl hierzu grundlegend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2000 - 7 S 1967/98 - = FEVS 52, 159; Urteil vom 5. März 1975 - VI 547/74 - = FEVS 23, 431, beide zu § 2 Abs 2 Blindenhilfegesetz Baden-Württemberg; ebenso BVerwGE 27, 270 = FEVS 15, 210, 212). Die Gewährung von Landesblindengeld hat nach § 1 Abs 1 Satz 1 des Niedersächsischen LBliGG den Sinn, dem Blinden einen Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen zu bieten. Von blindheitsbedingten Mehraufwendungen können Blinde entlastet sein, die in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung untergebracht sind, sofern dort eine die Mehraufwendungen mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird; in diesem Fall kann nach der Vorstellung des Gesetzgebers, der insoweit Doppelleistungen vermeiden will, eine Kürzung des Blindengeldes gerechtfertigt sein (vgl hierzu etwa BT-Drucks 7/308 vom 13. März 1973, S 15 zu § 67 BSHG). Entscheidend ist mithin, ob die in der Einrichtung gewährte Betreuung zu einer erheblichen Entlastung der Blinden von blindheitsbedingten Mehraufwendungen führt.

Bei der Frage, ob der Blinde blindheitsbedingte Mehraufwendungen erspart, ist das LSG von einem zu stark an ökonomischen Bedürfnissen orientierten Begriff ausgegangen. Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mehrfach entschieden hat, soll mit der Blindenhilfe/dem Blindengeld nicht so sehr ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden, sondern das Blindengeld dient vornehmlich als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden. Mit der Zahlung des Blindengeldes beabsichtigt der Gesetzgeber, dem Blinden die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (vgl BVerwGE 32, 89, 91 f). Das Blindengeld dient demgegenüber nicht, jedenfalls nicht vorrangig - wovon offensichtlich das LSG ausgegangen ist - der Deckung des gewöhnlichen Lebensunterhalts (so ausdrücklich BVerwGE 51, 281, 287). Deshalb kann die bloße Gewährung von Unterkunft und Verpflegung (hier: Unterkunft mit Zimmerreinigung, Vollverpflegung) allein nicht ausreichen, um von einer blindheitsbedingte Mehraufwendungen mindernden Betreuung in einem erheblichen Umfang auszugehen. Welcher blindenspezifische Mehraufwand insoweit zu berücksichtigen ist, läßt sich zwar nicht verbindlich und abschließend umschreiben (BVerwGE 27, 270, 273). Jedoch wird es sich im allgemeinen - wie ausgeführt - um solche Aufwendungen handeln, die Blinden etwa durch Kontaktpflege, die Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben, aber auch durch Teilnahme am Arbeitsleben speziell aufgrund ihrer Blindheit (so BVerwGE 32, 89, 91) entstehen. Die in der Einrichtung gewährten Betreuungsleistungen müssen sich demnach auf mehrere dieser Lebensbereiche beziehen. Dabei ist nicht erforderlich, daß die Betreuung in der Einrichtung alle Lebensbereiche abdeckt bzw "rund um die Uhr" erfolgt. Denn eine Kürzung des Blindengeldes um höchstens 50 % ist - aus dem Gedanken der Vermeidung einer Doppelversorgung - bereits dann gerechtfertigt, wenn ein nicht unerheblicher Teil der blindenspezifischen Mehraufwendungen durch die Unterbringung in der Einrichtung abgedeckt wird. Eine bezüglich des Blindengeldes rechtserhebliche Ersparnis durch einen Aufenthalt in einer Einrichtung kann also nur dort eintreten, wo der Aufenthalt in der Einrichtung regelmäßig Leistungen einschließt, die auf eine entsprechende Betreuung der Blinden im sozialen und kulturellen Lebensbereich zugeschnitten sind.

Mithin wäre es erforderlich gewesen, im einzelnen festzustellen, welche Betreuungsleistungen für die im Bfw Düren untergebrachten Blinden regelmäßig angeboten worden sind. Solche Feststellungen sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil im Blick auf den Einrichtungsbegriff des BSHG, insbesondere § 67 Abs 3 und § 97 Abs 4 BSHG, die Ersparnis von blindheitsbedingten Mehraufwendungen pauschal unterstellt werden kann, sofern die Unterbringung im Zusammenhang mit einer Eingliederungsmaßnahme iS der §§ 39 ff BSHG erfolgt ist (so jedoch Bayerischer VGH, Urteil vom 25. Oktober 1979, FEVS 28, 152 zu § 67 BSHG). Ob der Gesetzgeber des BSHG im Rahmen des § 67 Abs 3 BSHG unterstellt, bei einer Unterbringung in einer Einrichtung mit gleichzeitiger Durchführung einer Eingliederungsmaßnahme, die in einem funktionalen Zusammenhang mit der Unterbringung steht, könne regelmäßig ohne weitere Ermittlung der tatsächlichen Umstände davon ausgegangen werden, ein Teil der notwendigen pflegerischen Betreuung werde übernommen, so daß dem Blinden insoweit typisierend geringere blindheitsbedingte Mehraufwendungen entstehen als er sie außerhalb der Einrichtung hätte (so auch Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl 1997, RdNr 29 zu § 67 BSHG), kann letztlich offenbleiben. Denn zunächst verweist § 2 Abs 2 LBliGG nicht ausdrücklich auf den Einrichtungsbegriff des BSHG und ein solcher Rückgriff auf die Begriffsbestimmungen des BSHG für die jeweiligen Landesblindengesetze wird von Teilen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung generell für unzulässig gehalten (vgl OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Juli 1992 - 8 A 1001/90 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2000 - 7 S 1967/98 - FEVS 52, 199 mwN), so daß ein so weitgehender Bezug auf § 97 Abs 4 BSHG zumindest eingehender Begründung bedürfte. Doch selbst in der zu § 67 BSHG ergangenen Entscheidung, auf die das LSG im Hinblick auf § 67 Abs 3 iVm § 97 Abs 4 BSHG Bezug genommen hat (Bayerischer VGH, FEVS 28, 152, 157), werden umfassende Feststellungen zur tatsächlichen Betreuung des Blinden in der Einrichtung getroffen und gerade nicht im Hinblick auf eine in § 97 Abs 4 BSHG enthaltene Unterstellung des Gesetzgebers - was naheläge - auf solche Feststellungen verzichtet. Folglich durfte das LSG - auch von seinem eigenen Rechtsstandpunkt her - nicht die Ersparnis von blindheitsbedingten Mehraufwendungen ohne weitere Ermittlungen unterstellen, nur weil in Düren auch und zeitgleich eine Maßnahme der Eingliederungshilfe iS der §§ 39 ff BSHG durchgeführt wurde. Dementsprechend hat der VGH Baden-Württemberg in dem vom Beklagten selbst angeführten Urteil zum Bfw Düren vom 6. April 2000 (aaO) im einzelnen festgestellt, daß dem dortigen Kläger neben der zur beruflichen Bildung dienenden Maßnahme eine Vielzahl zusätzlicher Leistungen angeboten wurden, ua Berufsfindung und Arbeitserprobung, Beratungs- und Informationsgespräche, Vorführung von technischen Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte, psychologische und augenärztliche Betreuung, ferner Angebote an Freizeitgestaltung wie Kegeln, Schwimmen, Wanderungen, Teilnahme an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen uä.

Entsprechende Feststellungen wird das LSG im einzelnen nachzuholen und insbesondere zu ermitteln haben, ob und gegebenenfalls welche Betreuungsleistungen außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeiten regelmäßig angeboten worden sind. Bisher hat das LSG sich - insoweit seine Ausführungen lediglich ergänzend - auf die Feststellung beschränkt, den Blinden habe eine Punktschriftbibliothek und eine Tagesstation mit Sozialarbeitern zur Verfügung gestanden, die jedoch wohl nur in geringfügigem Umfang Betreuungsangebote hinsichtlich Freizeitgestaltung uä gemacht hätten. Hierbei wird das LSG auch das Vorbringen der Klägerin zu berücksichtigen haben, dass die Einrichtung in Düren regelmäßig für alle Blinden am gesamten Wochenende geschlossen gewesen sei. Allein dieser Umstand könnte dagegen sprechen, dass bei den in der Einrichtung untergebrachten Blinden ein erheblicher Entlastungseffekt eingetreten ist.

Bei den zu treffenden Feststellungen kommt es im übrigen nicht darauf an, welche blindenspezifischen Betreuungsangebote speziell der Klägerin gemacht worden sind und ob diese die Angebote angenommen hat. Zu Recht hat das LSG darauf hingewiesen, daß das Blindengeld ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf pauschal bezahlt wird (vgl auch BVerwGE 32, 89, 91 und BVerwGE 51, 281, 287). Dementsprechend kommt es auch bei der Kürzung des Blindengeldes nicht auf eine individuelle Betrachtung, sondern darauf an, ob in dem jeweiligen Heim generell bzw regelmäßig ein entsprechendes Betreuungsangebot zur Verfügung stand. Zu Recht hat das LSG im übrigen auch entschieden, daß § 2 Abs 2 LBliGG dem Beklagten kein Ermessen einräumt, soweit eine Einrichtung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 LBliGG vorliegt.

Bei seinen weiteren Sachverhaltsfeststellungen wird das LSG auch zu berücksichtigen haben, daß hier insgesamt ein Zeitraum von 24 Monaten streitig ist. Nach § 2 Abs 2 Satz 3 LBliGG wird für jeden vollen Tag vorübergehender Abwesenheit von der Einrichtung das Blindengeld in Höhe von je einem Dreißigstel des Betrags nach Abs 1 gewährt, wenn die vorübergehende Abwesenheit länger als sechs volle zusammenhängende Tage dauert. Da die Klägerin vorgetragen hat, die blindentechnische Grundrehabilitation sei für längere Ferienzeiten unterbrochen worden, könnte insofern zumindest eine Erhöhung des - gekürzten - Blindengeldes nach § 2 Abs 2 Satz 3 LBliGG in Betracht kommen.

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

2.4 Blindengeld Kürzung in Einrichtungen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 7. Senat Urteil vom 6. April 2000, Az: 7 S 1967/98

Nr: MWRE105130000

BliHiG BW § 1 Abs 1 S 2, BliHiG BW § 2 Abs 2

Kürzung des Landesblindengeldes wegen intensiver Betreuung im Rahmen einer berufsfördernden Maßnahme

Leitsatz

1. Sofern einem Blinden in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung eine die Mehraufwendungen oder Benachteiligungen Blinder mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird, kann eine Kürzung der Blindenhilfe nach § 2 Abs 2 LBHG (BliHiG BW) gerechtfertigt sein, auch wenn die Betreuung nicht alle Lebensbereiche des Blinden voll erfasst.

2. Eine intensive, blindheitsbedingte Mehraufwendungen und Benachteiligungen im Arbeitsleben mindernde Betreuung im Rahmen einer berufsfördernden Bildungsmaßnahme in einem Berufsförderungswerk - Zentrum für berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter - rechtfertigt dessen Eingruppierung in die in § 2 Abs 2 S 1 (und entsprechend in § 1 Abs 1 S 2) LBHG (BliHiG BW) bezeichneten Einrichtungen.

Fundstellen

  • ESVGH 50, 309 (Leitsatz)
  • VGHBW-Ls 2000, Beilage 6, B 6
  • NDV-RD 2000, 77-78 (Leitsatz und Gründe)
  • Behindertenrecht 2001, 34-35 (Leitsatz und Gründe)
  • FEVS 52, 159-162 (Leitsatz und Gründe)
Weitere Fundstellen

DVBl 2000, 1228 (Leitsatz)

Verfahrensgang

vorgehend VG Karlsruhe 6. Mai 1998 5 K 2390/97

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Beklagten Landesblindenhilfe in ungekürzter Höhe.

Der 1970 geborene Kläger ist blind im Sinne des Landesblindengesetzes. Er hat seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Von September 1995 bis März 1997 führte er eine berufsfördernde Bildungsmassnahme (Umschulung zum Büropraktiker) im Berufsförderungswerk Düren - Zentrum für berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter - in der Kostenträgerschaft des Arbeitsamtes durch.

Mit Bescheid vom 2.2.1996 gewährte der Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag ab 1.10.1995 Blindenhilfe in Höhe von 518,-- DM (50 % der Landesblindenhilfe nach § 2 Abs. 1 in der damals geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Blindenhilfegesetzes vom 18.12.1995 - GBl. S. 873 -).

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er sich zur Ausbildung im Berufsförderungswerk Düren zeitlich begrenzt aufhalte und deshalb seinen ersten Wohnsitz nach wie vor in M. habe. Im Berufsförderungswerk sei er lediglich wohnheimmäßig untergebracht. Hilfen pflegerischer oder anderer Art würden nicht angeboten. Insbesondere könne von einer umfassenden "Rund-um-die-Uhr-Betreuung" nicht gesprochen werden.

Mit Bescheid vom 10.6.1997 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, bei dem Berufsförderungswerk handele es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 2 Abs. 2 Landesblindenhilfegesetz - LBHG -. Für eine dahingehende Bewertung komme es nicht darauf an, ob der Schwerpunkt der Einrichtung auf dem Bereich der Pflege liege.

Am 11.7.1997 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Typisches Merkmal für den Begriff der Anstalt, des Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung sei die dauerhafte, ständige Unterbringung und die damit verbundene Betreuung. Sein Wohnen im Berufsförderungswerk Düren habe aber lediglich den Zweck, ihm für die Dauer der Ausbildung eine Unterkunft bereit zu stellen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 2.2.1996 und
10.6.1997 zu verpflichten, ihm weitere Landesblindenhilfe in Höhe von
insgesamt 8.770,20 DM zu gewähren.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Durch Urteil vom 6.5.1998 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt während der Zeit des Besuchs des Berufsförderungswerkes in Düren gehabt und habe Landesblindenhilfe nur gekürzt erhalten können, weil er sich in einer Einrichtung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Landesblindenhilfe - LBHG - befunden habe und die Kosten des Aufenthalts aus öffentlichen Mitteln (vom Arbeitsamt) getragen worden seien. Sein räumlicher Mittelpunkt - Lebensbeziehungen - habe sich während der Teilnahme an der Rehabilitationsmassnahme im Berufsförderungswerk Düren befunden. Sein Aufenthalt dort sei für ihn das Alltägliche, Gewöhnliche gewesen und nicht sein Wochenend- und Ferienaufenthalt an seinem ersten Wohnsitz. Bei dem Berufsförderungswerk Düren handele es sich um eine Einrichtung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 und § 2 Abs. 2 LBHG. Der Begriff sei nicht anders auszulegen, als der Einrichtungsbegriff in § 97 Abs. 4 BSHG. Er sei funktional zu verstehen und sei jede auf Dauer angelegte Kombination sachlicher und persönlicher Mittel unter Präsenz von Fachpersonal in der Verantwortung eines Trägers, die auf einen wechselnden Personenkreis angelegt sei. Die Zielsetzung der Einrichtung müsse daneben wohl mindestens auch eine Betreuung der "untergebrachten" Personen sein, die einer Betreuung bedürften. Für die Annahme dieser "Heimbetreuungsbedürftigkeit" sei entscheidend, ob der Hilfebegehrende der besonderen Fürsorge durch andere bedarf und deshalb die Aufnahme in eine Anstalt, ein Heim oder eine gleichartige Einrichtung nützlich und zweckmäßig sei. Auf das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit komme es dabei nicht an. Beim Kläger habe ein besonderer Bedarf an Betreuung bestanden, die über eine schlichte Zurverfügungstellung von Wohnraum und Gewährung von Ausbildung hinausgegangen sei. Der Beklagte verweise insoweit zu Recht auf die Selbstdarstellung des Berufsförderungswerks in dem in der Akte enthaltenen Hausprospekt. Auch der relativ hohe Preis der Unterbringung im Berufsförderungswerk rechtfertige sich wohl nur durch Zurverfügungstellung besonderer blindengerechter Einrichtung und Versorgung.

Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, er sei während seines Aufenthalts im Berufsförderungswerk in Düren abgesehen von den berufsfördernden Maßnahmen nicht betreuungsbedürftig gewesen und sei auch nicht betreut worden. Er sei sehr wohl in der Lage, für sich selbst zu sorgen und bedürfe insbesondere keiner Pflege oder sonstiger Hilfestellungen im täglichen Leben und bei den Verrichtungen des täglichen Lebens. Das Berufsförderungswerk sei auch gar nicht auf eine Betreuung eingerichtet. Bei dem Berufsförderungswerk Düren handele es sich auch nicht um eine gleichartige Einrichtung im Sinne des Landesblindenhilfegesetzes, weil dort Betreuung in nicht nur unerheblichem Umfang gar nicht geleistet werde. Die internatsmäßige Unterbringung diene einzig und allein dem Zweck, auch weiter entfernt wohnenden Schülern die Möglichkeit der Teilnahme und der damit notwendigen Unterkunft und Verpflegung zu bieten, während die im Umkreis der Schule wohnenden Schüler die Schule von ihrer Wohnung aus täglich aufsuchten. Von den unmittelbaren Schulmassnahmen abgesehen erfolge keinerlei besondere Betreuung durch Fachkräfte. Hinzu kämen die Wochenend- und Ferienschliessungen, so dass auch insoweit gravierende Unterschiede zu einer Anstalts- oder Heimunterbringung bestünden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zu ändern und gemäß dem
Klagantrag zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, streitig sei allein, ob sich der Kläger während seines Aufenthalts im Berufsförderungswerk Düren in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung i.S.d. § 2 Abs. 2 LBHG befunden habe, ob es sich also beim Berufsförderungswerk Düren um eine derartige Einrichtung handele. Der Einrichtungsbegriff sei funktional zu verstehen, wobei davon auszugehen sei, dass die Begriffe Anstalt, Heim oder gleichartige Einrichtung eine vergleichbare funktionale Bedeutung hätten, wie sie das Bundessozialhilfegesetz in §§ 67 Abs. 2 und 4, 100 Abs. 1 und 103 Abs. 2 gebrauche. Das Berufsförderungswerk Düren diene der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die den Blinden in die Lage versetzten, trotz seiner Blindheit am Arbeitsleben teilzunehmen, gleiche also insoweit die Behinderung aus und behebe folglich die durch die Blindheit bestehende Notlage. Der Besuch des Berufsbildungswerkes Düren sei auch wegen der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich, denn der Kläger sei wegen seiner Blindheit nicht in der Lage, an irgendeiner beruflichen Ausbildung teilzunehmen, sondern bedürfe blindenspezifischer Hilfen. Diese Hilfen könnten wirtschaftlich sinnvoll nur zentral angeboten werden mit der Folge, dass Blinde, die nicht in unmittelbarer Nähe der Einrichtung lebten, voll stationär untergebracht werden müssten.

Dem Senat liegen die Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte ungekürzte Landesblindenhilfe.

Dass dem Kläger Landesblindenhilfe zusteht, stellt der Beklagte nicht in Frage. Für dessen Passivlegitimation ist unerheblich, ob der Kläger während seines Aufenthalts im Berufsförderungswerk Düren noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Baden-Württemberg beibehalten oder ihn in Düren gehabt hatte, denn gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 LBHG erhalten Landesblindengeld auch Blinde, die sich in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen im übrigen Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhalten, wenn sie zur Zeit der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Baden-Württemberg hatten und nicht nach der Regelung im Aufenthaltsland Blindengeld erhalten. Während der Teilnahme an der Rehabilitationsmassnahme hielt sich der Kläger in einer solchen Einrichtung auf, wie noch auszuführen sein wird, so dass es nicht darauf ankommt, ob mit der Aufnahme in diese Einrichtung auch eine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts verbunden war.

Gemäß § 2 Abs. 2 LBHG beträgt die Landesblindenhilfe (nur) 50 vom Hundert, wenn sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthalts ganz oder überwiegend aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden (Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen ebenfalls vor. Während der Teilnahme an der berufsfördernden Bildungsmassnahme im Berufsförderungswerk Düren, deren Kosten von der Arbeitsverwaltung getragen wurden, befand sich der Kläger in einer solchen Einrichtung. Der Einrichtungsbegriff von § 2 Abs. 2 LBHG unterscheidet sich dabei nicht von demjenigen in § 1 Abs. 1 Satz 2 LBHG. Eine nähere Bestimmung der Begriffe der Anstalt, des Heims oder der gleichartigen Einrichtungen enthält das Blindenhilfegesetz nicht. Die Bedeutung dieser Begriffe lässt sich jedoch aus dem Zweck des § 2 Abs. 2 Satz 1 LBHG im Rahmen des mit diesem Gesetz verfolgten gesetzgeberischen Zieles erschliessen, ohne dass es eines Rückgriffs auf entsprechende Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (vgl. u.a. § 97 Abs. 4 BSHG) bedarf (so schon VGH Bad.-Württ., Urteil des 6. Senats vom 5.3.1975, FEVS 23, 431; OVG Münster, Urt. v. 30.7.1992 - 8 A 1001/90 - zu § 1 Abs. 2 Satz 2 Blindenhilfegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen; vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 5.7.1967, FEVS 15, 210 zu § 67 Abs. 3 BSHG). Die Gewährung von Landesblindenhilfe hat den Sinn, dem Blinden einen Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen zu bieten (§ 1 Abs. 1 LBHG). Von diesen blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen kann derjenige Blinde entlastet sein, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet, sofern dort eine die Mehraufwendungen oder Benachteiligungen mindernde Betreuung in nicht unerheblichem Umfang gewährt wird, so dass in diesem Fall nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine Kürzung der Blindenhilfe gerechtfertigt sein kann. Entscheidend ist, ob die Betreuung zu einer erheblichen Entlastung des Blinden von blindheitsbedingten Mehraufwendungen oder Benachteiligungen führt. Nicht erforderlich ist, dass die Betreuung alle Lebensbereiche des Blinden voll erfasst. Das Landesblindengeld dient allerdings nicht der Pflege im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes, wie sich auch aus der Regelung in § 67 Abs. 5 BSHG ergibt, wonach neben der Blindenhilfe (i.S.d. Bundessozialhilfegesetzes) auch Hilfe zur Pflege (in Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen) gewährt werden kann. Andererseits kann in der blossen Gewährung von Unterkunft und Verpflegung eine die blindheitsbedingten Mehraufwendungen oder Benachteiligungen mindernde Betreuung nicht schon erblickt werden (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 5.3.1975, aaO).

Für die Anwendung der Kürzungsvorschrift kommt es deshalb darauf an, ob der Blinde im Rahmen der Unterbringung in einer solchen Einrichtung infolge der dort gewährten Leistungen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen nicht unerheblich entlastet wird. Welcher Mehraufwand einem Blinden - bedingt durch sein Leiden - im Einzelnen entstehen kann, lässt sich zwar nicht ohne weiteres abschliessend umschreiben. Jedoch wird es sich im Allgemeinen um solche Aufwendungen handeln, die einem Blinden etwa durch Teilnahme am kulturellen Leben und durch Kontaktpflege, aber auch durch Teilnahme am Arbeitsleben möglicherweise in grösserem Umfang entstehen. Die in der Einrichtung gewährten Betreuungsleistungen müssen sich demnach auf einen oder mehrere dieser Lebensbereiche beziehen. Dies ist beim Berufsförderungswerk Düren der Fall.

Sinn und Zweck des Aufenthalts des Klägers im Berufsförderungswerk war seine Umschulung und Ausbildung zum Büropraktiker. Deshalb erhielt der Kläger dort nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern darüber hinaus und schwerpunktmäßig eine Berufsausbildung. Im Rahmen dieser Berufsausbildung ist der Kläger als Blinder besonders betreut worden, was bei ihm zu entsprechender Einsparung eigener Aufwendungen für seine Berufsausbildung geführt hat. Die intensive, blindheitsbedingte Benachteiligungen mindernde Betreuung im Ausbildungsbereich rechtfertigt hiernach die Eingruppierung des Berufsförderungswerks Düren in die in § 2 Abs. 2 Satz 1 (und entsprechend in § 1 Abs. 1 Satz 2) LBHG bezeichneten Einrichtungen. Ohne Erfolg beruft sich deshalb der Kläger darauf, dass er abgesehen von den berufsfördernden Maßnahmen nicht betreuungsbedürftig gewesen sei und auch nicht betreut worden sei, er insoweit dort nur internatsmäßig untergebracht worden sei. Die Eingruppierung des Berufsförderungswerks in die in § 2 Abs. 2 Satz 1 LBHG bezeichneten Einrichtungen setzt nämlich nicht, wie vorstehend ausgeführt, eine umfassende, alle Lebensbereiche abdeckende Betreuung voraus (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 5.3.1975, aaO). Im Übrigen lässt sich dem in den Akten des Beklagten befindlichen Hausprospekt des Berufsförderungswerks Düren entnehmen, dass neben der Aufgabe, Blinde und wesentlich Sehbehinderte, die zur beruflichen Bildung behinderungsspezifischer Maßnahmen bedürfen, mit dem Ziel der dauerhaften Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft auszubilden bzw. umzuschulen, zusätzliche Leistungen angeboten werden, nämlich Berufsfindung und Arbeitserprobung einschliesslich augenärztlicher Untersuchung und Beratung, Beratungs- und Informationsgespräche, Beratung bei Fragen der Arbeitsplatzausstattung und Vorführung von technischen Hilfsmitteln für Blinde und Sehbehinderte, psychologische und augenärztliche Betreuung, sozialrechtliche Beratung und Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche. Außerdem gibt es ein vielfältiges Angebot an Freizeitmöglichkeiten wie Kegeln, Basteln, Schwimmen, Töpfern, Brett- und Kartenspiele; ferner finden Wanderungen und Exkursionen mit Teilnahme an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen statt. Auch ausserhalb der Unterrichtszeiten findet also eine umfangreiche, entlastende Betreuung statt. Angesichts all dieser Betreuungsleistungen ist es deshalb unerheblich, ob und inwieweit der Kläger bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auf sich selbst gestellt bzw. insoweit nicht betreuungsbedürftig war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

2.5 Blindengeld und Prozesskostenhilfe

Thüringer Oberlandesgericht Senat für Familiensachen. Beschluß vom 19. Januar 1999, Az:
WF 108/98

Nr: KORE408829900

Thüringer Oberlandesgericht Senat für Familiensachen Beschluß vom 19. Januar 1999, Az: WF 108/98

ZPO § 114, ZPO § 115 Abs 1 S 2, ZPO § 115 Abs 1 S 3 Nr 1, BSHG § 67, BSHG § 76

Prozeßkostenhilfe: Berücksichtigung von Blindengeld als Einkommen

Orientierungssatz
Von einer bedürftigen Partei nach dem Thüringer Gesetz über das Blindengeld bezogenes Blindengeld ist nicht in die Berechnung von Prozeßkostenhilferaten einzubeziehen.

Fundstellen

  • EzFamR aktuell 1999, 169-171 (red. Leitsatz und Gründe)
  • FuR 1999, 441-442 (red. Leitsatz und Gründe)
  • FamRZ 1999, 1673-1674 (red. Leitsatz und Gründe)
  • OLGR Jena 2000, 62 (red. Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang

vorgehend AG Weimar 15. Mai 1998 3 F 140/98

Tenor

1. Der angefochtene Beschluß wird dahingehend abgeändert, daß die Ratenzahlungsanordnung entfällt.

2. Eine Kostenentscheidung und die Festsetzung des Beschwerdewertes sind im Verfahren über die Prozeßkostenhilfe nicht veranlaßt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers, die sich darauf stützt, daß das an ihn gezahlte Blindengeld nicht in die Berechnung der Prozeßkostenhilferaten einzubeziehen sei, ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig und führt in der Sache zum Erfolg.

Zwar stellt das Blindengeld nach dem Thüringer Gesetz über das Blindengeld (ThürBliGG), das insoweit die Blindenhilfe nach § 67 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) verdrängt, eine Sozialhilfeleistung dar, jedoch ergibt sich allein daraus nicht zwangsläufig, es bei der Feststellung des auf die Prozeßkosten einzusetzenden Einkommens (§ 115 Abs. 1 ZPO) außer Betracht zu lassen.

Der Gesetzgeber geht trotz bereits geführten Meinungsstreits in Rechtsprechung und Literatur - auch nach dem Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz vom 10.10.1994 von unterschiedlichen Einkommensbegriffen im Prozeßkostenhilferecht (§ 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und im Sozialhilferecht (§ 76 Abs. 1 BSHG) aus.

Entgegen dem sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff sind bei der Berechnung des für die Prozeßkostenhilfe relevanten Einkommens gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO zunächst nur Abzüge im Rahmen des § 76 Abs. 2, 2 a BSHG vorzunehmen. Ein Verweis auf § 76 Abs. 1 BSHG und die Anwendung dieser Bestimmung findet sich in den §§ 114 ff ZPO nicht.

Damit kann das Blindengeld nicht von vornherein unberücksichtigt gelassen werden, wie der Antragsteller meint. Es stellt vielmehr Einkommen dar, von dem die weiteren in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 4 ZPO genannten Abzüge vorzunehmen sind.

Gleichwohl kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

Abgesehen davon, daß das Familiengericht bei der Berechnung der Ratenhöhe von den im Schriftsatz des Antragstellers vom 08.05.1998 genannten Belastungen ausgegangen ist, ohne daß entsprechende Belege (§ 117 Abs. 2 ZPO) vorlagen, hat es die Bestimmung des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 2. Halbsatz ZPO nicht beachtet, wonach für weitere Belastungen § 1610 a BGB entsprechend gilt.

Blindenhilfe stellt nach § 1 Abs. 1 ThürBliGG - auch wenn sie ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen gezahlt wird - einen Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen dar, so daß sie letztlich doch vom Einkommen abzuziehen ist, weil gemäß § 1610 a BGB zu vermuten ist, daß die Kosten der Aufwendungen nicht geringer sind als die Höhe dieser Sozialleistung.

Zumindest zuungunsten der Partei, die Prozeßkostenhilfe begehrt, kann daher im Rahmen der Entscheidung über die Ratenhöhe - entsprechend dem Willen des Gesetzgebers - eine Feststellung der Höhe tatsächlicher Mehraufwendungen nicht erfolgen.

Insoweit hat auch der Beschluß des OLG Saarbrücken vom 06.06.1988 - 6 WF 45/88 - (FamRZ 1988, 1183), in dem der Gedanke des § 76 Abs. 1 BSHG herangezogen und eine Schätzung des Mehrbedarfs eines Blinden vorgenommen wurde, nach dem Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz keine ausschlaggebende Bedeutung mehr.

Letztlich war dem Antragsteller ratenfreie Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, da ihm nach Abzug des Freibetrages (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO), des Blindengeldes und der weiteren nachgewiesenen Belastungen kein Einkommen verbleibt, das er nach § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO auf die Prozeßkosten einzusetzen hätte.

2.6 Blindenhilfe für einen Strafgefangenen

BVerwG 5. Senat Urteil vom 4. November 1976, Az: V C 7.76

Nr: BWRE003140000

BVerwG 5. Senat Urteil vom 4. November 1976, Az: V C 7.76

BSHG § 2, BSHG § 67 Fassung: 1969-10-01, BSHG § 67 Fassung: 1974-04-01, BSHG § 85

Blindenhilfe für Strafgefangenen

Leitsatz

1. Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist für sich allein kein der Leistung von Sozialhilfe entgegenstehender Grund.

2. Es ist nicht auszuschließen, daß ein Blinder auch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe blindheitsbedingte Mehraufwendungen haben kann, so daß die bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe durch oder für ihn möglich ist.

3. Die Blindenhilfe kann nicht allein mit der Begründung völlig versagt werden, daß für den Lebensunterhalt des Blinden während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe umfassend gesorgt sei.

Fundstellen

  • BVerwGE 51, 281-287 (Leitsatz 1-3 und Gründe)
  • FEVS 25, 1-6 (Leitsatz und Gründe)
  • ZfS 1977, 34-37 (Leitsatz und Gründe)
  • NDV 1977, 229-230 (Leitsatz und Gründe)
  • DÖV 1977, 450-452 (Leitsatz und Gründe)
  • ZfSH 1977, 280-282 (Leitsatz und Gründe)
  • JuS 1977, 772-773 (Leitsatz und Gründe)
  • Buchholz 436.0 § 67 BSHG Nr 9
Weitere Fundstellen

BayVBl 1977, 476-476 (Leitsatz) Diese Entscheidung wird zitiert von VG Karlsruhe 10. Oktober 2003 5 K 2580/03 Anschluss VG Karlsruhe 10. Oktober 2003 5 K 2580/03 Anschluss

Verfahrensgang

  • vorgehend VG Kassel 3. Dezember 1974 VG III E 86/74
  • vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof 4. Dezember 1975 VGH VII OE 13/75

Gründe

I. Bei dem Kläger besteht seit längerem ein Zustand nach mehrfacher Glaukom-Operation beider Augen. Die Sehschärfe auf dem besseren Auge ist so herabgesetzt, daß er einem Blinden gleichgeachtet wird. Der Beklagte gewährte ihm daher Blindenhilfe. Er stellte die Zahlung ein, nachdem der Kläger in Haft genommen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Einen Antrag des Klägers, die Zahlung der Blindenhilfe wieder aufzunehmen, lehnte er ab, weil es der Justizvollzugsbehörde obliege, den notwendigen Lebensbedarf einschließlich des durch die Blindheit bedingten Bedarfs sicherzustellen; auch sei während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe die bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe durch den Kläger oder für ihn nicht möglich.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis zum 31. Dezember 1975 Blindenhilfe zu gewähren, und zwar für die Zeit bis zum 31. März 1974 in Höhe von 140 DM monatlich und für die Zeit danach in Höhe der Hälfte des für den jeweiligen Leistungsabschnitt maßgebenden Mindestbetrags der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz. Im übrigen hat er die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die stattgebende Entscheidung hat er im wesentlichen wie folgt begründet: Auch als Strafgefangener habe der Kläger Anspruch auf Ausgleich seiner blindheitsbedingten Mehraufwendungen. Zwar müsse die Justizvollzugsbehörde auf Grund ihrer allgemeinen Betreuungspflicht dem blinden Strafgefangenen den notwendigen Lebensunterhalt gewähren. Dazu gehöre der blindheitsbedingte Mehraufwand aber nicht. Er liege außerhalb des notwendigen Lebensunterhalts. Er sei im Rahmen der "Hilfe in besonderer Lebenslage" auszugleichen. Der Kläger habe auch blindheitsbedingte Mehraufwendungen. Da es für ihn wegen seiner Blindheit, also nicht aus Gründen des Vollzugs der Freiheitsstrafe, keinen Film, kein Fernsehen, kein Zeitungs- und Bücher*-lesen, kein Schreiben und kein Sporttreiben gebe, müsse ein Ausgleich geschaffen werden. Doch sei es geboten, die Blindenhilfe zu kürzen; denn als Folge des Strafvollzugs sei der Kläger in seiner Bewegungs- und Entfaltungs*-freiheit eingeschränkt, so daß ihm zahlreiche Mehraufwendungen erspart blieben. Für die Kürzung könne § 67 Abs 3 BSHG entsprechend angewendet werden, weil der eine Freiheitsstrafe verbüßende Blinde dem in einer Anstalt, einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung untergebrachten Blinden näherstehe als einem Blinden in Freiheit.

Die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision hat allein der Beklagte eingelegt. Mit ihr erstrebt er, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zurückgewiesen wird, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Unter Hervorhebung des Zwecks der Blindenhilfe hält er ihre bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für einen Blinden, der durch eigenes Tun aus der Gemeinschaft heraus in eine gewisse Isolation - die der Strafhaft - versetzt worden sei, nicht für möglich. Auch wegen des Nachrangs der Sozialhilfe kann nach Ansicht des Beklagten dem Kläger die Blindenhilfe nicht gewährt werden, weil während der Verbüßung der Strafhaft der Lebensunterhalt des Blinden vollständig sichergestellt sei. Sollte gleichwohl ein blindheitsbedingter Bedarf bestehen, so kann es sich nach Meinung des Beklagten nur um einen geringfügigen Bedarf handeln, den zu decken dem Kläger aus dem eigenen Renteneinkommen zuzumuten sei, zumal da er als Folge der Verbüßung der Freiheitsstrafe häusliche Ersparnisse habe.

Der Kläger tritt der Revision aus den Gründen des Berufungsurteils entgegen.

Der am Verfahren beteiligte Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revision für unbegründet.

II.

Die Revision des Beklagten ist zurückzuweisen; denn sie ist unbegründet (§ 144 Abs 2 VwGO). Das Berufungsurteil beruht in dem Umfang, in dem es auf Grund des allein vom Beklagten eingelegten Rechtsmittels vom Revisionsgericht zu prüfen ist, nicht auf der Verletzung von Bundesrecht.

Der Kläger gehört nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht gebunden ist, zu den Personen, die Blinden gleichgeachtet werden. Sein Anspruch auf Blindenhilfe ist daher nach § 67 Abs 1 bis 5 BSHG in den ab 1. Oktober 1969 geltenden Fassungen zu beurteilen (§ 67 Abs 6 BSHG).

Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist für sich allein kein der Leistung von Sozialhilfe entgegenstehender Grund (vgl BVerwGE 37, 87; ferner BVerwGE 32, 271). Die Frage, ob einem Gefangenen eine der mannigfachen Sozialhilfeleistungen nicht zu gewähren ist oder nicht gewährt werden kann, ist vielmehr im Einzelfall zu entscheiden: Zum einen danach, ob der Zweck des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder die Eigenart des Vollzugs die Hilfeleistung ausschließt; zum anderen danach, ob der mit der Hilfeleistung verfolgte Zweck während des Vollzugs der Freiheitsstrafe erreicht werden kann; schließlich - unter dem Aspekt des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) - danach, ob der Bedarf, dessentwegen die Hilfe begehrt wird, bereits anderweitig gedeckt ist, etwa gerade im Rahmen des Vollzugs der Freiheitsstrafe (vgl dazu Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 15. Oktober 1976 - BVerwG V B 76.76 - betreffend Krankenhilfe; Beschluß vom 15. Oktober 1976 - BVerwG V B 77.76 - betreffend Ernährung; vgl auch das am 1. Januar 1977 in Kraft tretende Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVolzG) - vom 16. März 1976 (BGBl I S 581)).

Dafür, daß der Zweck des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder die Eigenart des Vollzugs - bezogen auf den Kläger - die Versagung der Hilfe rechtfertigt oder gar gebietet, ist weder etwas ersichtlich noch vom Beklagten etwas geltend gemacht.

Auch unter dem Aspekt der Zweckbestimmung der Blindenhilfe kann sie dem Kläger nicht von vornherein im ganzen versagt werden. Die Blindenhilfe dient dazu, die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen auszugleichen (§ 67 Abs 1 BSHG). Diese im Gesetz unzweideutig zum Ausdruck gekommene Zweckbestimmung würde verändert werden, folgte man den Überlegungen des Beklagten, daß ein Blinder, der als Folge seines (schuldhaften) Verhaltens aus der Gemeinschaft heraus in eine gewisse Isolation - die der Strafhaft - versetzt worden ist, der sich also für die Dauer der Strafhaft nicht in die Gemeinschaft eingliedern kann, der Wohltat des Bezugs von Blindenhilfe verlustig gehen soll. Zu Unrecht leitet der Beklagte derartige, ausschließlich an einer "Eingliederungs-Natur" der Blindenhilfe ausgerichtete Überlegungen aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Mai 1969 (BVerwGE 32, 89 (92)) her. Die Ausführungen dort zur Absicht des Gesetzgebers, dem Blinden die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen und mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen, betreffen unmittelbar die in bezug auf die Blindenhilfe verhältnismäßig hoch angesetzte Einkommensgrenze (§ 81 Abs 2 BSHG). Versteht man die Ausführungen auch als Überlegungen zum Zweck der Blindenhilfe, so sind mit ihnen erkennbar nur Beispiele für eine in Betracht zu ziehende Verwendung der Blindenhilfe angesprochen. Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben möglicherweise in größerem Umfange entstehen, werden stets nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder - bedingt durch sein Leiden - im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muß.

Welcher Mehraufwand einem Blinden - bedingt durch sein Leiden - im einzelnen entstehen kann, läßt sich nicht verbindlich und abschließend umschreiben. Er läßt sich rechnerisch nicht festlegen (BVerwGE 27, 270 (273)). Daher wird die Blindenhilfe ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf gezahlt (BVerwGE 32, 89 (91)). Die Gewährung der Blindenhilfe ist nicht davon abhängig, daß sie bestimmungsgemäß verwendet wird, sondern daß ihre bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für den Blinden möglich ist (vgl § 67 Abs 4 Satz 2 BSHG). All dem entspricht, daß ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles ein fester, nicht ein an den Umständen des Einzelfalles ausgerichteter angemessener Betrag gewährt wird. Den sich hiernach aufdrängenden Überlegungen, ob es sich bei der Blindenhilfe materiell noch um Sozialhilfe, also um eine Hilfe zur Überwindung einer Notlage handelt, oder ob sie ihrer Ausgestaltung nach, die sie von Novellierung zu Novellierung des § 67 BSHG zunehmend erhalten hat, faktisch inzwischen Versorgungscharakter hat (dazu Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 8. Aufl, § 67 Rdnr 31; vgl auch "Vorschläge zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe", ausgearbeitet und herausgegeben vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1976, S 49f), braucht hier nicht nachgegangen zu werden, da der Rechtsstreit in Anwendung des bestehenden Sozialhilferechts zu entscheiden ist.

Daß auch ein Gefangener, der blind ist, während des Vollzugs der Freiheitsstrafe - bedingt durch sein Leiden - Mehraufwendungen haben kann, ist nicht auszuschließen; ebensowenig, daß die bestimmungsgemäße Verwendung der Blindenhilfe durch oder für den Kläger möglich ist. Worin diese Mehraufwendungen im einzelnen bestehen können, läßt sich in bezug auf einen Gefangenen so wenig verbindlich und abschließend umschreiben wie in bezug auf einen in Freiheit lebenden Blinden. Es ist daher nicht entscheidungserheblich, daß der Beklagte in bezug auf einzelne vom Berufungsgericht genannte Mehraufwendungen auf andere Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes, insbesondere auf die §§ 39ff BSHG und die Eingliederungshilfe-Verordnung, hinweisen kann, daß also eine Reihe von Mehraufwendungen nicht zu denjenigen gehört, die mit der Blindenhilfe auszugleichen sind.

Eine andere Frage ist, ob einem Gefangenen mit Rücksicht darauf, daß er in seiner Bewegungs- und Entfaltungs*-freiheit eingeschränkt ist, zahlreiche Mehraufwendungen erspart bleiben können, die sich jedoch nach dem zuvor Gesagten in gleicher Weise einer abschließenden Umschreibung entziehen, und ob es aus diesem Grund unter dem Blickwinkel der eingeschränkten Möglichkeit bestimmungsgemäßer Verwendung der Blindenhilfe gerechtfertigt erscheinen kann, sie zu kürzen. Dieser Frage braucht nicht nachgegangen zu werden, da der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten in Anlehnung an § 67 Abs 3 BSHG ohnehin nur zur Gewährung gekürzter Blindenhilfe verpflichtet hat und weder nach dieser Vorschrift noch nach der etwa anwendbaren Ermessensvorschrift des § 67 Abs 4 Satz 2 BSHG der Kürzungsbetrag rechtsfehlerhaft zu niedrig bemessen ist.

Die Blindenhilfe in Gestalt eines pauschalierten Geldbetrages wäre nach § 67 Abs 1 BSHG nicht zu gewähren, wenn der Kläger eine gleichartige Leistung nach anderen Rechtsvorschriften erhielte. Das ist nicht der Fall. Insbesondere hat das Land Hessen - anders als alle anderen Länder der Bundesrepublik - bisher kein Landesblindengeldgesetz erlassen, auf Grund dessen die Gewährung von Blindengeld möglich wäre.

Von der Blindenhilfe - jedenfalls in der Höhe, in der sie nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zu gewähren ist - ist der Kläger auch sonst nicht aus Gründen des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) ausgeschlossen. Hierfür braucht nicht entschieden zu werden, ob sich mit Rücksicht auf den in § 67 Abs 1 BSHG normierten Ausschlußgrund des Bezugs einer gleichartigen Leistung der Nachranggrundsatz im sonst üblichen Sinn handhaben läßt. Wie bereits in anderem Zusammenhang dargelegt, wird vorbehaltlich der schon erwähnten Kürzungsmöglichkeit nach § 67 Abs 4 Satz 2 BSHG Blindenhilfe als pauschalierte Leistung ohne Rücksicht auf im Einzelfall festgestellte oder feststellbare, nachgewiesene oder nachweisbare Mehraufwendungen gewährt. Schon deshalb erscheint es auch in bezug auf einen Gefangenen rechtlich fragwürdig, einen Bedarf und die zur Deckung dieses Bedarfs erforderlichen Aufwendungen zu ermitteln und ihnen tatsächliche Leistungen gegenüberzustellen, die diesen Bedarf möglicherweise (teilweise) zu decken geeignet erscheinen. Von Gesetzes wegen ist dies jedenfalls sogar in Fällen ausgeschlossen, in denen die Unterbringung in einer Anstalt, in einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung gerade der Betreuung des Blinden dient. Ein solcher Blinder behielt nach § 67 Abs 3 BSHG in der bis zum 31. März 1974 geltenden Fassung 140 DM und behält nach der geänderten Fassung des § 67 Abs 3 BSHG mindestens die Hälfte der Blindenhilfe. Bei der Unterbringung eines Blinden in einer Vollzugsanstalt zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe, deren Zweck ersichtlich nicht ist, den Blinden seines Leidens wegen zu betreuen, kann daher nicht allein aus dem Grunde des Nachrangs der Sozialhilfe Blindenhilfe mit der Begründung völlig versagt werden, daß für den Lebensunterhalt des Gefangenen umfassend gesorgt sei.

Aus den dargelegten Gründen ist es auch nicht gerechtfertigt, Blindenhilfe unter Berufung auf § 85 Nr 2 BSHG zu verweigern. Die Hilfserwägung des Beklagten, bei der er offenbar einen blindheitsbedingten, durch (Sach-)Leistungen der Vollzugsbehörde nicht gedeckten, jedoch für geringfügig gehaltenen Bedarf unterstellt, ist nur auf der Grundlage möglich, daß sich ein (Ausgangs-)Bedarf und die diesen Bedarf im wesentlichen deckenden (Sach-)Leistungen ermitteln lassen. Eine Bedarfsermittlung findet bei der Gewährung der Blindenhilfe aber gerade nicht statt.

Den Kläger darauf zu verweisen, er möge blindheitsbedingte Mehraufwendungen, soweit sie während der Strafhaft notwendig entstünden, mit den Mitteln decken, die er infolge seiner Unterbringung in der Strafanstalt hinsichtlich des häuslichen Lebensunterhalts erspare, verbietet sich gleichfalls aus Rechtsgründen. Die Blindenhilfe dient - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend dargelegt hat - nicht (auch nicht teilweise) der Deckung des gewöhnlichen Lebensunterhalts. Mit ihr sollen Mehraufwendungen gedeckt werden, die ihre Ursache in der Blindheit haben (§ 67 Abs 1 BSHG). Eine bezüglich der Blindenhilfe rechtserhebliche Ersparnis kann also nur dort eintreten, wo die Unterbringung in einer Anstalt, in einem Heim oder in einer gleichartigen Einrichtung Leistungen einschließt, die auf die Betreuung gerade des Blinden zugeschnitten, also geeignet sind, die blindheitsbedingten Mehraufwendungen zu verringern oder gar aufzuheben. Dieser Fall ist jedoch sondergesetzlich geregelt, nämlich in § 67 Abs 3 BSHG, worauf der Oberbundesanwalt mit Recht hinweist. Aus diesen Gründen würde die vom Beklagten für richtig, vom Oberbundesanwalt jedoch für bedenklich gehaltene entsprechende Anwendung des § 85 Nr 3 Satz 1 BSHG nicht zu einer die Gewährung von Blindenhilfe völlig ausschließenden Anrechnung von häuslicher Ersparnis führen können; denn folgerichtig müßte auch § 67 Abs 3 BSHG entsprechend angewendet werden.

Der Rechtsfrage, ob die Blindenhilfe in entsprechender Anwendung des § 67 Abs 3 BSHG auf den in dieser Vorschrift genannten Betrag herabgesetzt werden kann oder ob § 67 Abs 4 Satz 2 BSHG eine unmittelbare Rechtsgrundlage für eine Kürzung bietet, die ausgerichtet am Pauschalcharakter der Blindenhilfe unter Umständen zu schätzen wäre, braucht mangels einer Revision des Klägers nicht nachgegangen zu werden.

Für eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, die der Beklagte hilfsweise beantragt, fehlt es an den Voraussetzungen. Das Berufungsurteil, soweit der Beklagte es zulässigerweise hat anfechten können, erweist sich aus den dargelegten Rechtsgründen als richtig. Weiterer Sachaufklärung bedarf es nicht.

2.7 Keine Verwertung des angesparten Blindengeldes

Urteil BSG 8. Senat vom 11.12.2007

Aktenzeichen: B 8/9b SO 20/06 R

Quelle:

Juris

Normen:

  • § 77 Abs 1 S 1 BSHG,
  • § 88 Abs 1 BSHG,
  • § 88 Abs 3 S 1 BSHG,
  • § 83 Abs 1 SGB 12,
  • § 90 Abs 1 SGB 12

Sozialhilfe - Einkommens- und Vermögenseinsatz - Blindengeld als privilegiertes Einkommen iS des § 77 Abs. 1 S 1 BSHG bzw. § 83 Abs 1 SGB 12 - keine Verwertung des angesparten Blindengeldes - Härtefall - sozialgerichtliches Verfahren - Streitgegenstand

Fundstellen:

  • Abkürzung Fundstelle SozR 4-0000
  • Abkürzung Fundstelle RegNr 28183 (BSG-Intern)

Verfahrensgang:

  • vorgehend SG Aachen 20. Kammer, 12. Juli 2005, Az.: S 20 SO 7/05, Urteil
  • vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 20. Senat, 11. September 2006, Az.: L 20 SO 1/05, Urteil

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Berücksichtigung von durch Blindengeld angespartem Vermögen bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. März 2005.

Der Kläger erhält seit dem 1. Juni 2002 Blindengeld nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über Hilfe für Blinde und Gehörlose (GHBG). Von dem monatlich gezahlten Blindengeld legte er ab Januar 2003 200,00 € in einem Fonds an; weitere Beträge zahlte er auf ein Sparbuch ein. Am 9. März 2004 beantragte er bei dem Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Zu diesem Zeitpunkt betrug das aus dem Blindengeld angesparte Vermögen 8.912,03 €.

Der Beklagte gewährte dem Kläger für die Zeit von April bis Juli 2004 eine monatliche Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 572,54 € (insgesamt 2.290,16 €). Die Bewilligung und Zahlung erfolgte vorläufig und vorbehaltlich einer späteren endgültigen Festsetzung monatlich vorschussweise bis zum Abschluss der Prüfung über den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens sowie unter dem Vorbehalt der Rückforderung (Bescheide vom 16. April 2004 und vom 4. Mai 2004). Mit Bescheid vom 27. Juli 2004 (Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2005) lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem BSHG mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über Vermögen in Höhe von 7.633,03 € (Spar- und Fondsguthaben in Höhe von insgesamt 8.912,03 € abzüglich des Vermögensfreibetrages in Höhe von 1.279,00 €), welches er zur Deckung seines Bedarfes vorrangig einzusetzen habe. Die bisher erhaltenen Leistungen in Höhe von 2.290,16 € seien zu erstatten.

Im Rahmen eines Eilverfahrens schlug das Verwaltungsgericht (VG) die darlehensweise Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 20. August 2004 vor (Beschluss vom 5. Oktober 2004). Ziffer 1 und 4 des Vergleiches lauten:

"1. Der Antragsgegner gewährt dem Antragsteller für die Zeit ab 20. August 2004 zunächst bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Juli 2004 so lange regelsatzmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen gemäß § 89 BSHG, wie das vom Antragsgegner zugrunde gelegte verwertbare Vermögen des Antragstellers in Höhe von 7.633,03 € noch nicht verbraucht ist. Sollte der Widerspruch ohne Erfolg bleiben und der Kläger hiergegen klagen, verlängert sich die Praxis der darlehensweisen Hilfegewährung bis zum Verbrauch des Vermögens bzw. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

4. Der Antragsgegner wird die darlehensweise Gewährung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt in einen Zuschuss umwandeln, wenn sich im Laufe des Widerspruchsverfahrens bzw. nach rechtskräftiger Entscheidung in einem Klageverfahren ergeben sollte, dass die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht von der Inanspruchnahme des vorgenannten Vermögens abhängig gemacht werden durfte. Für diesen Fall wird er" auf "die Rückforderung der in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Juli 2004 geleisteten Hilfe verzichten und die Hilfe für die Zeit vom 1. bis zum 19. August 2004 nachzahlen."

Der Beklagte zahlte dem Kläger in Ausführung des übereinstimmend angenommenen Vergleiches Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bzw. ab 1. Januar 2005 nach dem SGB XII als Darlehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Während das Sozialgericht (SG) den Beklagten "unter Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 sowie der Bescheide vom 03.11.2004, 25.11.2004 und 14.02.2005 verurteilt" hat, "dem Kläger die für die Zeit vom 01.04.2004 bis zum 31.03.2005 unter dem Vorbehalt der Rückforderung bzw. darlehensweise gezahlte Hilfe zum Lebensunterhalt als Zuschuss ohne Anrechnung des aus dem Blindengeld angesparten Vermögens zu belassen" (Urteil des SG vom 12. Juli 2005), hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG "geändert" und die Klage abgewiesen (Urteil des LSG vom 11. September 2006). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, das oberhalb der Schongrenze vorhandene Vermögen des Klägers sei von diesem einzusetzen bzw. zu verwerten. Dies stelle keine Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 BSHG bzw. § 90 Abs. 3 SGB XII dar. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Blindengeld seinem Sinn nach dem Blinden einen Ausgleich für die durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen bieten solle und darin auch die Befriedigung immaterieller Bedürfnisse des Blinden enthalten sei, seien die Voraussetzungen eines Härtefalls nicht erfüllt. Ein Vergleich mit der Freistellung des Schmerzensgeldes vom Vermögenseinsatz verbiete sich wegen der erheblichen Unterschiede zwischen Schmerzensgeld und Blindengeld. Sinn und Zweck des Blindengeldes sei es vornehmlich, konkrete und aktuelle Bedarfslagen zu befriedigen. Der Einsatz der zur Verfügung gestellten Mittel sei im zeitlichen Zusammenhang zur Bewilligung vorzunehmen. Verwende der Hilfeempfänger die zweckgerichteten und für einen monatlichen Zeitraum zur Verfügung gestellten Mittel nicht, so bewirke dies nicht, dass ihm das Recht erwachse, über die Summe zunächst nicht eingesetzter Mittel in Zukunft frei zu verfügen. Dies widerspreche den Leitvorstellungen des Gesetzes.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bzw. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII. Zur Begründung führt er aus, das einkommensunabhängig gewährte Blindengeld solle Mehraufwendungen, die durch die Blindheit bedingt seien, decken. Es entspreche der Zweckbestimmung des Blindengeldes, das Blindengeld anzusparen, um auch größere Anschaffungen, die wertmäßig über dem monatlichen Zahlbetrag lägen, tätigen zu können. Dieser Zweck könne nicht mehr erreicht werden, wenn das mit Ablauf des Zahlmonats noch vorhandene Blindengeld zu verwertbarem Vermögen werde. Andernfalls würde dies eine Benachteiligung blinder Sozialhilfeempfänger gegenüber Blinden, die nicht sozialhilfebedürftig seien, darstellen.

Der Kläger beantragt,

unter entsprechender Zurückweisung der Berufung des Beklagten im Übrigen das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es die Klage gegen den Bescheid vom 27. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2005 abgewiesen und insoweit das Urteil des SG aufgehoben hat.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Entscheidung des LSG sei nicht zu beanstanden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Das LSG hat zu Unrecht die Bescheide des Beklagten bestätigt; der Verwertung bzw. dem Einsatz des durch Blindengeld angesparten Vermögens steht die Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bzw. des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegen.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur) der Bescheid des Beklagten vom 27. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2005. Die Bescheide vom 3. November 2004, 25. November 2004 und vom 14. Februar 2005 sind nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Weder ersetzen sie als Ausführungsbescheide zu dem vor dem VG geschlossenen Vergleich den Bescheid vom 27. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2005, noch ändern sie diesen ab ( vgl. BSGE 9, 169, 170; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 27 S 191 f und BSG SozR 4-4300 § 193 Nr. 10 S 46 ). Sie tragen lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung dem vor dem VG geschlossenen Vergleich Rechnung (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Januar 2003 - B 9 V 77/01 ). Ebenso wenig erledigen sie den ursprünglichen Ablehnungsbescheid (teilweise) gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Sie sind vielmehr lediglich vorläufig bis zum Abschluss des Verfahrens durch eine rechtskräftige Entscheidung getroffen (vgl. BSG SozR 4-4300 § 193 Nr. 10 aaO. ). Mit dem das Verfahren abschließenden Urteil verlieren alle Ausführungsbescheide ihre Wirkung, sodass neue Bescheide für den gesamten streitbefangenen Zeitraum erlassen werden müssen. Dies gilt nicht nur dann, wenn das vorinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt und die Beklagte durch das Rechtsmittelgericht verpflichtet wird, die Neubescheidung an den von ihm vorgegebenen Maßstäben vorzunehmen ( SozR 3-2500 § 85 Nr. 27 aaO.), sondern unabhängig von Ausgang und vom Inhalt des das Verfahren abschließenden Urteils ( BSG SozR 4-4300 § 193 Nr. 10 aaO. ).

Richtige Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Die Aufhebung des angegriffenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides hat den Anspruch auf Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt aus Ziffer 4 des durch Beschluss vom 5. Oktober 2004 von dem VG vorgeschlagenen und von den Beteiligten angenommenen Vergleiches (vgl. § 106 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)) zur Folge, sodass es keiner mit der Anfechtungsklage kombinierten (zusätzlichen) Leistungsklage bedarf; denn der Beklagte hat sich in Ziffer 4 des Vergleiches verpflichtet, abhängig von einem für den Kläger positiven Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits die darlehensweise Gewährung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt in einen Zuschuss umzuwandeln, für diesen Fall auf die Rückforderung geleisteter Hilfe zu verzichten und die für die Zeit vom 1. bis zum 19. August 2004 bislang nicht gewährte Hilfe nachzuzahlen. Der streitige Zeitraum ist dabei auf die Zeit vom 1. April 2004 bis zum 31. März 2005 beschränkt, nachdem der Kläger für die Zeit ab 1. April 2005 keine Leistungen mehr begehrt.

Im Streit ist nur noch die Frage, ob die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch den Beklagten zunächst von der Inanspruchnahme oder dem Einsatz des aus dem Blindengeld erworbenen Vermögens abhängig gemacht werden kann. Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen ( vgl: BSG SozR 4-1500 § 95 Nr. 1 S 3; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 S 8; BSGE 95, 191, 193 = SozR 4-4300 § 37b Nr 2 S 4 ). Jedoch besteht die Möglichkeit, Teilelemente durch Teilvergleich oder Teilanerkenntnis "unstreitig zu stellen" ( BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 aaO.; BSG, Urteil vom 28. November 2002 - B 7 AL 36/01 R - RdNr 15 ). Dies ist hier durch die Annahme des durch Beschluss vom 5. Oktober 2004 von dem VG vorgeschlagenen Vergleiches (vgl. § 106 Satz 2 VwGO) geschehen. Ziffer 4 dieses Vergleiches ist so auszulegen, dass bis auf die Frage des Einsatzes des Vermögens alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach erfüllt sind und die Beteiligten sich hierüber einig sind.

Das aus dem Blindengeld angesparte Guthaben des Klägers ist nicht als verwertbares oder einzusetzendes Vermögen nach § 11 Abs. 1 S 1 BSHG iVm §§ 21 ff, 88 BSHG bzw. § 19 Abs. 1 SGB XII iVm §§ 27 ff, 90 SGB XII bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen.

Nicht zu entscheiden hatte der Senat, inwieweit aus dem Blindengeld angespartes Vermögen bei der Gewährung anderer (Sozialhilfe-)Leistungen Berücksichtigung findet. Nach der Grundregel des § 88 Abs. 1 BSHG/ § 91 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (SGB) vom 27. Dezember 2003 - BGBl I 3022) ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Das Vermögen des Klägers (Sparguthaben in Höhe von 5.493,38 € und Fondsanteile in Höhe von 3.478,65 €) ist - sieht man von dem Schonbetrag nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG/§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII ab - nicht nach § 88 Abs. 2 BSHG/ § 90 Abs. 2 SGB XII, privilegiert. Der Einsatz oder die Verwertung des angesparten Blindengeldes kann von dem Kläger aber nicht erwartet oder verlangt werden, weil dies für ihn eine Härte bedeuten würde (§ 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG/ § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl I 3022). Der Begriff der Härte ist zunächst im Zusammenhang mit den Vorschriften über das Schonvermögen nach § 88 Abs. 2 BSHG/ § 90 Abs. 2 SGB XII zu sehen, d.h., das Ziel der Härtevorschrift muss in Einklang mit den Bestimmungen über das Schonvermögen stehen, nämlich dem Sozialhilfeempfänger einen gewissen Spielraum in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu erhalten. Während die Vorschriften über das Schonvermögen typische Lebenssachverhalte regeln, bei denen es als unbillig erscheint, die Sozialhilfe vom Einsatz bestimmter Vermögensgegenstände abhängig zu machen, regeln § 88 Abs. 3 BSHG/ § 90 Abs. 3 SGB XII atypische Fallgestaltungen, die mit den Regelbeispielen des § 88 Abs. 2 BSHG/ § 90 Abs. 2 SGB XII vergleichbar sind und zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG/ § 90 Abs. 2 SGB XII entsprechenden Ergebnis führen ( vgl.: BVerwGE 23, 149, 158 f; Brühl in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII (LPK-SGB XII), 7. Aufl 2005, § 90 RdNr 72; Lücking in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB XII, K § 90 RdNr. 69, Stand Dezember 2005; Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 90 RdNr. 75; Zeitler in Mergler/Zink, BSHG, 5. Aufl., § 88 RdNr. 66 ). Eine Härte liegt danach vor, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B. die Art, Schwere und Dauer der Hilfe, das Alter, der Familienstand oder die sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und seiner Angehörigen eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation wird, weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist (BVerwGE 32, 89, 93; Brühl, aaO., § 90 RdNr. 73; Zeitler, aaO., § 88 RdNr.. 66 ). Zwar spielt dabei die Herkunft des Vermögens regelmäßig keine entscheidende Rolle (BVerwGE 47, 103, 112; Brühl, aaO., § 90 RdNr. 78; Sartorius in Rothkegel, Sozialhilferecht, 1. Aufl. 2005, Teil III Kap 14 RdNr. 69), dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. In Einzelfällen kann die Herkunft des Vermögens dieses so prägen, dass seine Verwertung eine Härte darstellen kann.

Dies hat die Rechtsprechung insbesondere in Fällen angenommen, in denen anrechnungsfreies Einkommen angespart wurde oder aus entsprechenden Nachzahlungen resultierte (vgl etwa BVerwGE 45, 135 ff. bei Vermögen, das aus einer Grundrentennachzahlung stammt; BVerwGE 105, 199 ff. bei angespartem Erziehungsgeld für die Dauer des gesetzlichen Förderungszeitraums ).

Die Herkunft des Vermögens ist auch bei angespartem Landesblindengeld nicht ohne Bedeutung und rechtfertigt im Zusammenspiel mit weiteren Erwägungen die Feststellung, dass die Verwertung des angesparten Blindengeldes eine Härte für den Kläger bedeuten würde. Dabei ist zunächst zu beachten, dass das Blindengeld zum Zeitpunkt des Zuflusses als zweckbestimmte Leistung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG/§ 83 Abs. 1 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 - BGBl I 3022) nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach diesen Vorschriften sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als diese zur Hilfe im Einzelfall demselben Zweck dienen. Während die Sozialhilfe der Sicherung des Lebensunterhaltes dient (§ 1 Abs. 1 BSHG/ § 1 Satz 1 und 2 SGB XII), dient das Landesblindengeld nach § 1 Abs. 1 GHBG des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) vom 25. November 1997 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land NRW 1997, 430) dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen ( vgl. BVerwGE 58, 265 ff ).

Der Senat ist nicht wegen Irrevisibilität dieser Regelung (§ 162 SGG) an einer eigenen Prüfung gehindert, ob sie vom LSG richtig ausgelegt worden ist (§ 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung).

Denn revisibel sind landesrechtliche Vorschriften auch dann, wenn - wie hier - inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener Landessozialgerichte gelten und diese Übereinstimmung nicht zufällig, sondern bewusst und gewollt ist (vgl. BSG SozR 3-5920 § 1 Nr. 1; BSG SozR 4-5921 Art 1 Nr .1). Vorliegend geht es um die Zweckbestimmung in § 1 Abs. 1 GHBG. Die Vorschrift entspricht wortgleich Regelungen anderer Bundesländer; das GHBG ist zudem wie auch die Regelungen anderer Länder (vgl. nur für das Saarland und Niedersachsen BSG, aaO.) ausdrücklich nach seinen Anspruchsvoraussetzungen der Blindheitshilfe nach dem BSHG (vgl. §§ 67 Abs. 1, 76 Abs. 2a) angepasst (vgl. Drucks 9/1244 des Landtags NRW S 4; Drucks 11/3080 des Landtags NRW, S 31; Drucks 12/2340 des Landtags NRW, S 35, 37). Abgesehen davon hat das LSG das Landesrecht nicht als solches ausgelegt, sondern allgemein auf die Zwecke des Blindengeldes abgestellt.

Der Zweck des Blindengeldes allein rechtfertigt es zwar noch nicht, den Einsatz oder die Verwertung des aus Blindengeld angesparten Vermögens als objektive Härte anzusehen. Hinzu kommt aber, dass das Landesblindengeld unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gezahlt wird. Dieser Umstand und die Tatsache, dass es pauschal ohne Rücksicht auf einen im einzelnen Fall nachzuweisenden Bedarf gezahlt wird, lassen nämlich den Schluss zu, dass der Gesetzgeber mit dem Blindengeld nicht allein einen wirklichen oder erfahrungsgemäß vorhandenen wirtschaftlichen Bedarf (typisierend) steuern, sondern mit dem Blindengeld auch Mittel zur Befriedigung laufender und immaterieller Bedürfnisse des Blinden ermöglichen wollte. Hierdurch wird dem Blinden die Gelegenheit eröffnet, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1 S 4; BVerwGE 32, 89, 91 f - zur Blindenhilfe). Dabei bleibt es dem Blinden überlassen, welchen blindheitsbedingten Bedarf er mit dem Blindengeld befriedigen will. Art und Umfang des Bedarfs hängen auch von seinen persönlichen Wünschen ab. Ob der Blinde das Blindengeld tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet, ist dabei nicht zu prüfen (Niedersächsisches OVG, Urteil vom 21. Januar 1970 - IV A 104/68 - FEVS 17, 256).

Darüber hinaus gibt das GHBG keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass das Blindengeld für die blindheitsbedingten Mehraufwendungen des laufenden Monats oder jedenfalls zeitnah zu solchen Aufwendungen einzusetzen ist.

Angesichts der Tatsache, dass Art und Umfang des Bedarfs auch von den persönlichen Wünschen des Blinden abhängen, liegt es auf der Hand, dass eine zweckentsprechende Verwendung auch dann gegeben ist, wenn der Blinde eine Anschaffung in höherem Wert tätigt, die nicht durch das laufende Blindengeld, sondern nur durch ein Ansparen ermöglicht werden kann. Wenn sich weder der blindenspezifische Mehraufwand verbindlich und abschließend umschreiben lässt, ein solcher Mehraufwand sogar gänzlich fehlen kann, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen hierfür entfallen (BSG SozR 4-5921 Art 1 Nr. 1 S 3), noch ein Nachweis über die bestimmungsgemäße Verwendung gefordert werden kann, so kann von dem Blinden auch nicht verlangt werden, dass aus dem angesparten Blindengeld zu tätigende größere Anschaffungen bereits konkret in die Wege geleitet worden sind, wie das LSG andeutet. Das angesparte Blindengeld wird also, wenn es nicht verbraucht wird, nicht zweckneutral, sondern dient auch weiterhin dem blindheitsbedingten Mehrbedarf, dessen Art und Umfang von den persönlichen Wünschen des Betroffenen abhängen, ohne dass geprüft werden dürfte, ob es tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet wird. Dies gilt jedenfalls so lange die Blindheit fortbesteht; ist dies nicht mehr der Fall, kann auch das aus dem Blindengeld angesparte Vermögen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen mehr befriedigen. Blindheitsbedingte Mehraufwendungen können dann nicht mehr auftreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.