horus 3/2019
Schwerpunkt: "Wenn Unsagbares sagbar wird - Behinderung durch Politik?"

Inhalt


Uwe Boysen

Vorangestellt

Liebe Leserinnen und Leser, liebe DVBS-Mitglieder,

ein Regierungspräsident von Kassel, der ermordet wird, offensichtlich, weil er sich für Willkommenskultur des Jahres 2015 einsetzt, die Kapitänin eines deutschen, auf Rettung von Einwanderern spezialisierten Schiffes, die in Italien in Gewahrsam genommen wird, weil sie nach zwei Wochen die Hinhaltetaktik der Behörden nicht mehr mit ansehen möchte, eine texanische Einrichtung im reichsten Land der Erde, in der man Kleinstkinder ohne Seife, trockene Kleidung etc. dahinvegetieren lässt:

Das ist die Wirklichkeit des bislang hitzigen Sommers 2019.

Machen Sie es sich bequem in Ihrem Liegestuhl oder Sessel. Schauen Sie keine Nachrichten mehr. Oder, wenn unumgänglich, verschließen Sie Ihre Ohren, um jeglicher Ruhestörung zu entgehen. Lassen Sie das Leid der anderen, ihre Verzweiflung und ihre Ohnmacht ja nicht an sich heran. Träumen Sie stattdessen vom Bild des großen deutschen Vaterlands (wohlgemerkt, nicht Mutterland), das man wieder groß machen möchte. Beruhigen Sie sich mit dem Gedanken, dass Sie zwar selbst eigentlich die Mehrheit sind und dass Sie siegen werden gegen all diese Widrigkeiten der Welt, und sei es um den Preis, die anderen, die noch von der wirklichen Mehrheit unterstützt werden, auszuschließen, wegzuschicken, zu demütigen und wenn es sein muss, an der Grenze erschießen zu lassen.

Machen wir uns nichts (mehr) vor: Diese Gedanken sind heute in Deutschland, ja in weiten Teilen des alten Kontinents Europa, nichts Außergewöhnliches mehr. Sie sind wie ein Gift, das sich langsam, aber enorm wirksam in unsere Debatten schleicht, dem wir offenbar bisher nur wenig Widerstand entgegenzusetzen vermögen. Wo sind unsere Abwehrkräfte hin? Schauen wir nicht viel zu gebannt wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange, die es gleich verschlingen wird?

Ich gebe zu, ein etwas ungewöhnlicher Einstieg in ein Editorial des horus. Und bei aller bei mir schon immer vorhandenen latenten Skepsis gegen die Abwehrkräfte unserer Demokratie hätte ich so etwas vor 4-5 Jahren (erst recht nicht vor 10 Jahren) geschrieben oder gar gedacht. Aber der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Unsere lange gehegte Schönwettergesellschaft (die sie eigentlich nie war) erlebt einen Klimawandel, der fast "unfassbar" ist. Mit einer Partei, die in Bautzen bei der Europawahl fast 33 % der Stimmen erbeutet und es in anderen Gegenden nicht viel schlechter hat, einer Partei, deren Flügel den Nationalsozialismus bestenfalls verharmlost, einer Partei, die alle sozialpolitischen Fragen auf die Einwanderung zurückführt und sie mit deren Stopp zu lösen glaubt, einer Partei, für die Minderheiten nicht ins Konzept passen. Soll man da noch mit ihnen reden, ihnen eine öffentliche Bühne verschaffen, oder sie bewusst ausgrenzen? Die Meinungen hierüber gehen naturgemäß stark auseinander. Eine davon ist diejenige von Juliane Taubner, die wir in diesem Heft veröffentlichen. Andere, vor allem Diskurstheoretiker, hoffen weiter auf die "sanfte Gewalt der Vernunft".

Der horus will diesen Streit nicht entscheiden. Aber ich glaube, dass von diesem gesellschaftlichen Gesinnungswandel letztlich ebenso die Minderheit der blinden und sehbehinderten Menschen betroffen ist. Auch wir erleben leider nach wie vor tagtäglich, wenn auch häufig in viel subtilerer Form, Ausgrenzung und werden mit Unverständnis konfrontiert, wenngleich sicherlich nur ganz selten mit konkretem Hass. Da ist die Stellungnahme des Deutschen Behindertenrates, es gelte, mit dieser in Teilen rechtsradikalen, antisemitischen und minderheitendiskriminierenden Partei keinen "normalisierenden Umgang" zu etablieren, auch für den DVBS Leitschnur seiner politischen Arbeit. "Maßgeblich für diese Positionierung ist nicht der Dissens in einzelnen Sachfragen gewesen, sondern grundlegende Probleme, dass sich die AfD beispielsweise nicht eindeutig zum NS-Regime erkläre, in dem behinderte Menschen systematisch misshandelt und ermordet wurden", so der DBR weiter.

Doch natürlich erleben wir nicht nur Negatives, sondern auch Positives in der Politik: Menschen, die bereit sind, sich unserer Situation anzunehmen, sie so gut das geht zu verstehen und mit uns gemeinsam auf Verbesserungen zu sinnen. Diese Ausgabe unserer Zeitschrift handelt mehr hiervon, wenn sie ein Interview mit der Grünenpolitikerin Corinna Rüffer über ihre Arbeit in der Behindertenpolitik veröffentlicht, wenn über die Anstrengungen berichtet wird, die in einer Stadt wie Marburg unternommen werden, um Barrierefreiheit im öffentlichen Raum voranzubringen, oder wenn junge Menschen über ihre Erfahrungen bei den Freitagsdemonstrationen erzählen.

Also lassen wir den Mut (aber gelegentlich auch die Wut) nicht sinken in diesen wahrlich nicht einfachen Zeiten.

Das wünscht Ihnen und sich

Ihr und Euer

Uwe Boysen

Bild: Uwe Boysen. Foto: DVBS [Auf dem Portraitfoto trägt Uwe Boysen einen roten Pullover und eine dunkle Brille, seine Haare sind weiß. Das Sonnenlicht wirft gerade Flächen von Licht und Schatten an die Wand, auf Uwe Boysen fällt Licht. Er lächelt.]

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Aus der Redaktion

"Cheers and Farewell!": Juliane Taubner verlässt den DVBS

Beginnen wir diese Rubrik mit einer eher traurigen Mitteilung: Dies ist die letzte Ausgabe des horus, die Juliane Taubner betreut. Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird sie den DVBS bereits verlassen haben. Die Zusammenarbeit mit ihr war für die Restredaktion immer erfrischend und stets vertrauensvoll. Juliane hat auch häufig Ideen zu unseren einzelnen Heften beigesteuert, die sie qualitativ verbessert haben. Sie wird der Redaktion fehlen.

Wir wünschen unserer Kollegin für ihre neue Arbeitsstelle, die sie im August antritt, alles Gute und viel Freude; auf ihrem beruflichen Weg viele tolle Chancen und Erfolge!

Bild 1: Juliane Taubner. Foto: privat [Juliane Taubner lächelt in die Kamera. Ihre blonden Haare sind locker im Nacken zusammengesteckt und sie trägt silberne Ohrringe. Das Foto ist im Polaroid-Stil gesetzt, unter ihrem Namen steht "DVBS-Öffentlichkeitsarbeit".] Bild 2: Winke-Katze [Zeichnung eines Glücksbringers in Gestalt einer aufrecht sitzenden Katze, die mit einer Pfote winkt.

Thema des nächsten horus: "Strukturelles Förderdefizit"

Wer schon einmal auf eine Fördermaßnahme angewiesen war, weiß, was wir mit "strukturellem Förderdefizit" meinen. Denn es zeigt sich oft dort, wo Probleme bei der Genehmigung einer Maßnahme auftauchen, geeignete Experten nicht verfügbar sind, wo Reha-Lehrer und Sozialpädagogen fehlen - und vor allem in all den Situationen, in denen es an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt.

Haben Sie auch schon Ähnliches erlebt? Oder hatten Sie ganz im Gegenteil noch gar keine Schwierigkeiten bei der Bewilligung einer Maßnahme? Sind Sie vielleicht selbst in dem Bereich tätig? Dann erzählen Sie uns doch davon und lassen Sie uns an Ihren Erfahrungen teilhaben. Senden Sie uns Ihren Beitrag bis zum 7. Oktober 2019 per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Artikel für den Schwerpunkt können bis zu 12.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen, kürzere Meldungen bis 2.000 Zeichen.

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Schwerpunkt: "Wenn Unsagbares sagbar wird - Behinderung durch Politik?"

Juliane Taubner, Uwe Boysen

Überzeugungstäterin für die Rechte der Behinderten - Interview mit Corinna Rüffer

Corinna Rüffer ist seit Oktober 2013 Sprecherin für Behindertenpolitik und Bürgerangelegenheiten der GRÜNEN im Bundestag. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages und im Petitionsausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss und im Bildungsausschuss. Seitdem pflegen sie und ihr Büro einen regen Austausch auch mit Selbsthilfeorganisationen, so auch dem DVBS e.V. Diese gute Zusammenarbeit bewog uns, Frau Rüffer zum Interview einzuladen, das telefonisch am 27. Juni 2019 stattfand.

horus: Liebe Frau Rüffer: Warum haben Sie sich als Schwerpunkt Ihrer Arbeit die Sozialpolitik ausgesucht? Und ist Sozialpolitik nicht oft "Frauensache"?

Corinna Rüffer (nachfolgend CR): Die Themen Umwelt und Ökologie waren mir schon immer wichtig. Deshalb bin ich auch 1998 bei den GRÜNEN eingetreten. Gleichzeitig wollte ich immer wissen, wie eine Gesellschaft gerecht und fair organisiert werden kann. Das hängt wohl auch mit meinem Aufenthalt in den USA zusammen. Als Jugendliche in Arizona konnte man gut sehen, was passiert, wenn ein Sozialstaat nicht gut aufgestellt ist. Damals fragte ich mich schon, warum schicken reiche Eltern ihre Kinder auf Privatschulen, und warum haben die Kinder auf staatlichen Schulen keine Zukunft? Dadurch wurde mir wichtig, dass Gesellschaft und Staat Strukturen und Grundlagen bieten müssen, auf denen das Ganze aufgebaut wird. Dann folgte viel Literaturstudium und das Sammeln von politischen Erfahrungen mit dem Ohr da, wo Entscheidungen getroffen werden. Einige Zeit arbeitete ich auch für den sozialpolitischen Sprecher der GRÜNEN in Rheinland-Pfalz und kann die Auswirkungen von damals getroffenen Entscheidungen heute noch sehen.

Eine Dominanz von Frauen beim Thema Sozialpolitik gibt es im Bundestag nicht. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales ist geschlechtsmäßig ausgeglichen, was den Bereich Sozialpolitik angeht.

horus: Welche Fortschritte hat es seit Inkrafttreten der UN-BRK gegeben und was sind die dringlichsten Aufgaben der unmittelbaren Zukunft? Was hätten Sie in den Jamaikaverhandlungen versucht, durchzusetzen?

CR: Die Verabschiedung der UN-BRK gab der Debatte um gesellschaftliche Inklusion Rückenwind und die BRK selbst ihr eine rechtliche Grundlage. Sie verlieh dem Thema damit eine große gesellschaftliche Relevanz. Danach wurde es notwendig und eine Voraussetzung, dass sich eine Gesellschaft um Inklusion bemüht.

In den Jamaikaverhandlungen ging es hauptsächlich um die Weiterentwicklung des Bundesteilhabegesetzes und des Behindertengleichstellungsgesetzes. Leider sieht man heute wenig davon. Aber die Anträge, die wir damals verfolgten, werden auch weiterhin von uns eingebracht.

horus: Wie versuchen Sie, die unterschiedlichen Verbände von Menschen mit Beeinträchtigungen in Ihre Arbeit einzubeziehen, und vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?

CR: Es gibt hierzu keine direkten "Strategien". Aber eine wichtige Voraussetzung ist Neugier und Offenheit und der direkte Kontakt zu den unterschiedlichen Szenen der Blinden, geistig Beeinträchtigten, Gehörlosen ... Mir fällt hier immer das Beispiel eines gehörlosen EUTB-Beraters ein, dem seit einem Jahr der Gebärdendolmetscher nicht bewilligt wird. Es ist kaum möglich, nicht ärgerlich zu werden, wenn man sieht, dass es nicht gelingt, derartige Probleme in einem solchen Zeitraum zu lösen. So etwas zu sehen und im Kopf zu haben, ist wichtig. Notwendig sind auch Offenheit zwischen den verschiedenen Verbänden und die Möglichkeit, eine direkte Kommunikation mit und zwischen den betroffenen Menschen zu schaffen. Als Beispiel möchte ich die von den GRÜNEN für den Herbst vorgesehene Tagung zur UN-BRK nennen, wo die Möglichkeit für eine gemeinsame Diskussion mit und zwischen Teilnehmern geschaffen wird. Das gemeinsame Angehen der Probleme ist definitiv eine positive Sache.

horus: Wie schätzen Sie die Arbeit der anderen Bundestagsfraktionen in Punkto Behindertenpolitik ein, insbesondere auch die der AfD? Und wie nehmen Sie generell die gesellschaftliche Entwicklung derzeit wahr?

CR: Diese Legislaturperiode ist anders als andere. Unter den tragenden Regierungsfraktionen gibt es eine gewisse Angst, sich dem Thema der Behindertenpolitik anzunähern. Das führt dazu, dass alles etwas stagniert. Es gab überall personelle Wechsel (außer bei den GRÜNEN). Das erschwert die Arbeit, weil es viele gesetzliche Grundlagen gibt, in die man sich lange einarbeiten muss. Das führt dann bei einigen Themen zu einer Diskontinuität aufgrund von Unwissenheit.

Nachdem nach der Verabschiedung der UN-BRK viel Offenheit herrschte und viele Diskussionen landauf, landab geführt wurden, ist heute teilweise eine "Ermüdung" zu spüren. Dann werden auch Forderungen nach "Sonderwelten" laut. Es gäbe doch gar keine Unzufriedenheit und kein Interesse an der "normalen" Arbeitswelt.

Politische Teilhabe und Assistenz beim Wählen mussten erst durch das Urteil des Verfassungsgerichts wieder ins Bewusstsein gerückt werden, sonst wäre im Bundestag nichts passiert. Es geht aber auch um eine geistige Erwartungshaltung, eine Haltung, an der man merkt, dass an dem Thema Integration und wirklicher Teilhabe kein großes Interesse besteht. Hier muss sich ganz dringend etwas tun.

Bei der kleinen Anfrage der AfD zur Zahl schwerbehinderter Ausländer war ein klarer Gegenwind der anderen Parteien zu spüren. Hier merkt man, dass die AfD sich gegen Minderheiten positioniert. Bei ihr haben behinderte Menschen keinen Platz. Dagegen muss man als Parlament deutlich Stellung beziehen.

horus: Was sehen Sie aktuell als dringlichste Thematik an, die in der Behindertenpolitik bearbeitet werden muss?

CR: Da gibt es viele verschiedene Dinge. Von besonderer Bedeutung ist, dass wir es schaffen, Menschen die Möglichkeit zu geben, tatsächlich selbstbestimmt darüber zu entscheiden, in welcher Wohnform etc. sie leben möchten. Es gibt immer wieder Fälle, wo die Assistenz nicht finanziert wird und Menschen dadurch ins Heim gezwungen werden. Hier scheint es mir notwendig, die Grundsätze aus Art. 19 der UN-BRK ins Grundgesetz zu überführen.

Außerdem müssen für eine bessere Repräsentanz behinderter Menschen im Parlament die Rahmenbedingungen verändert werden. Die fehlende Assistenzfinanzierung ist eine ganz große Hürde, die die Menschen daran hindert, politisch teilzuhaben. Weiter gibt es zum Teil keine Daten darüber, wie viele Menschen wohnungslos werden, weil Sozialwohnungen fehlen. Statt einer systematischen Thematisierung der Problematik gibt es bloß eine Art "Betroffenheit".

horus:Wie frustriert ist man, wenn so viele parlamentarische Anfragen und Initiativen einfach abgebügelt werden, weil sie aus der Opposition kommen?

CR: Man wird nur noch motivierter. Die Menschen sind sich häufig gar nicht darüber im Klaren, was da alles abgeht, und haben folglich keine Vorstellung davon, wie sich ein Leben mit Behinderung überhaupt anfühlt. Sie beruhigen sich damit, dass es ja professionelle Strukturen der Förderung behinderter Menschen gibt. Das wird schon funktionieren - so ihre Haltung. Bisher haben wir noch keinen Weg gefunden, die Notwendigkeit von Veränderungen populär zu erklären. Aber genau darin liegt die Herausforderung. Nur so können wir begründen, welche kulturellen Vorteile es bringt, eine wirklich inklusive Gesellschaft zu schaffen.

Hinzu kommt das Problem, dass die Medien die Themen nicht aufgreifen.

Dabei geht es um eine fundamentale Fragestellung: wollen wir die normierte Gesellschaft oder wollen wir den Mehrwert der Unterschiede in der Gesellschaft festigen?

horus: Welche Erfahrungen haben Sie generell mit Sozialen Medien? Und wie gehen Sie mit persönlich werdenden Angriffen um?

CR: Ich verwende wenig Zeit auf soziale Medien. Twitter nutze ich nur zurückhaltend und sehr gezielt, um Journalisten anzusprechen. Da ist mir die Gefahr "digitaler Demenz" zu hoch. Facebook nutze ich schon mehr, weil ich da das Gefühl habe, mehr Leute zu erreichen und konkretere Gespräche, auch auf Grund längerer Texte, führen zu können. Shitstorms kenne ich durchaus. Sie beziehen sich meist auf meine Tätigkeit im Petitionsausschuss des Bundestages, wo eine konkrete Auseinandersetzung mit der AfD zu massiven Angriffen führte.

horus: Wie sehen Sie den Erfolg der schulischen Inklusion, an der häufig kritisiert wird, dass sie den Schülern selbst gar nichts nütze?

CR: Das deutsche Schulsystem steckt aus verschiedenen Gründen generell in einer Krise, z. B. weil es in vielen Bundesländern strukturell unterfinanziert ist, es eine veränderte Schülerschaft gibt und auch der Lehrberuf in der Krise ist (Lehrermangel). Für all diese grundsätzlichen Probleme wird dann die Inklusion verantwortlich gemacht. Das Ergebnis sah man bei der Wahl in NRW, wo die Kampagnen der CDU und der FDP sich auf die schulische Inklusion stürzten und sie damit bremsten. Ein weiterer Bremsklotz für die systematische und schnellere Inklusion ist der Umstand, dass es kein Bundesland gibt, das eine vorbildliche Inklusion betreibt.

Inklusion kann funktionieren, aber nicht, indem man spart. Es gibt Schulen, die zum Teil unter widrigen Bedingungen sehr gute Inklusion anbieten. Es gibt Ansätze, Modellschulen etc., die man fördern muss. Dazu muss man sich Fragen stellen wie: Brauchen wir eine Schwerpunktbildung? Leitmodelle?

Die Kinder brauchen Inklusion jetzt und nicht erst in etlichen Jahren. Dazu müssen aber die Mittel dafür bereitgestellt werden. Eine große Gruppe sind hier lernbehinderte Kinder, die häufig eine soziale Benachteiligung haben, aus der sie nicht herauskommen. Dabei spielen Stigmatisierung und mangelnde Zukunftsaussichten eine große Rolle. Dieses "Festhalten" in sozialen Schichten muss aufhören. Das muss sich dringend ändern!

Häufig entstehen die Probleme bei den Übergängen - von der Vorschule in die Grundschule und dann in die weiterführende Schule. Hier muss man eine hohe Bereitschaft zu flexiblen Lösungen zeigen. Stattdessen wurde Inklusion zum Sparmodell degradiert und damit auch Schulen, die früher gut funktioniert haben, an die Wand gefahren. Es müssen Mittel freigemacht werden - dann wird sich aber die Parallelbeschulung nicht halten können.

horus: Liebe Frau Rüffer, die Parlamentsferien stehen bevor. Was lesen Sie als nächstes im Sommer?

CR: Schon in der Tasche ist Gerald Hüther: "Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft". Das ist etwas, was mich interessiert.

horus: Haben Sie vielen Dank für das angenehme Gespräch.

Die Fragen für den horus stellten Juliane Taubner und Uwe Boysen.

Bild: Corinna Rüffer, MdB. Foto: Marco Piecuch. [Corinna Rüffer lächelt in die Kamera. Sie hat die blonden Haare zurückgebunden und trägt ein braunes Cordjackett unter der Jacke.]

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Dr. Imke Troltenier

"Viele einzelne Stimmen werden zu einer großen": Fridays for Future!

Tamara und Jeanne sind zwei blista-Schülerinnen im Aufbruch. Ihren Abschluss an der Fachoberschule Gesundheit haben sie quasi schon in der Tasche. Morgen ist die große Abschlussfeier auf dem blista-Campus, dann geht's in die Ferien. Beide werden im Oktober ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin beginnen, die eine in Marburg, die andere auf der Schwäbischen Alb. Heute aber nehmen sich die beiden jungen Frauen zwischen all dem Trubel die Zeit, mit Charme und Selbstbewusstsein von ihrem politischen Engagement zu berichten.

Warum sie sich für Politik interessieren? "Das muss man einfach, schließlich erhält man in der Demokratie ein Stimmrecht. Und ich will auch mitentscheiden, was hier passiert, in unserem schönen Staat", erklärt Tamara. Jeanne stimmt zu: "Es geht schließlich um die persönliche Meinung, die man in das Gesamtbild einfließen lassen kann."

Sind die "Fridays for Future" (FFF) ihr erstes öffentliches Engagement? Wie kamen die beiden 18-Jährigen dazu? "Also ich habe das über die sozialen Medien mitbekommen und darüber, dass zwei, drei Leute an der blista das in unsere WhatsApp-Gruppen gestellt haben. Dann bin ich einfach hingegangen und fand es toll. Es ist ja auch ein sehr wichtiges Thema", sagt Tamara. Jeanne erklärt: "Bei der Demo zum Bundesteilhabegesetz war ich auch mit dabei. Jetzt geht es uns und den Leuten von FFF aber darum, dass eine bessere, nachhaltigere Klimapolitik gemacht wird. Das ist der Kern des Ganzen." Tamara ergänzt: "Ja, das ist der Kern und es gibt dabei auch ganz verschiedene Strömungen: vom Müllsammeln bis zur Ernährung, das deckt eigentlich fast jeden Lebensbereich ab. Man trifft junge Menschen, die Parteien angehören, erfährt viel zu den einzelnen Themen und kann sich über Dinge genau informieren. Man bekommt auch mit, wo Veranstaltungen stattfinden wie Müllsammeln oder Kleidertausch. Deshalb ist es wohl so ein großer Selbstläufer geworden, weil wir untereinander ohne viele Barrieren kommunizieren können."

Weltweit demonstrieren derzeit junge Leute in 92 Ländern und auf 5 Kontinenten. Mit wem vernetzt man sich da? "Also hier sind es die Leute in und um Marburg, von anderen Schulen", erzählt Jeanne. Tamara fügt hinzu: "Aber man kommt auch ein bisschen in Deutschland rum. Bei uns im Schwarzwald, in Rottweil, in Tübingen ... - egal wo man hinkommt, man hat das gleiche Thema und ist in einer Gruppe, die die gleichen Interessen verfolgt." "Und wie man sieht, ist es ja nicht 'nur' die Forderung an die hohen Politiker selbst, sondern man bekommt auch viel über kleine Organisationen und Vereine mit, in denen man selbst agieren kann", erzählt Jeanne und zitiert einen Satz, der ihr gut gefällt: "Bevor sich etwas ändern kann in der Politik, muss sich erst das Denken der Menschen und der Gesellschaft ändern." "Man merkt", sagt Jeanne, "dass das mit FFF jetzt passiert. Es werden immer mehr Leute und es sind Gruppen dazu gekommen wie 'Scientists for Future' und 'Parents for Future'."

Wie war das hier an der blista? Gab es in der Schule Stress, wenn sie gefehlt haben? Beide sind sich einig: Prinzipiell sei es wie an jeder anderen Schule. Die Fehlstunden können nicht entschuldigt werden. Aber es komme auch auf die einzelnen Lehrer an und die jeweilige offizielle oder inoffiziell vorgetragene Meinung. Je nachdem habe man das Thema auch mehr oder weniger im Unterricht diskutieren können. An der Carl-Strehl-Schule seien sie wohl mit bei den ersten gewesen, die zu den FFF-Demonstrationen gegangen seien, aber durchaus nicht die einzigen. Nach und nach wurden es mehr. Dann habe man auf dem Marburger Marktplatz auf einmal auch Leute aus ganz anderen Klassen gesehen. Oder kleine Kinder, Grundschüler aus anderen Schulen. Das sei einfach toll! Es käme ja oft die Kritik, dass besonders die jungen Schüler das Ganze gar nicht verstehen könnten. Aber gerade bei den FFF-Demonstrationen lerne man durch die Reden und Beiträge sehr viel. Leute, die sagen, das seien alles Schulschwänzer, machten sich die Sache zu einfach. Sicherlich gäbe es Schüler, die schwänzten. Aber die Mehrheit sei das bei Weitem nicht.

Ob sie selbst schon mal bei einer Kleidertauschbörse oder ähnlichem mitgemacht, im persönlichen Bereich ihr Denken und Handeln im Sinne einer nachhaltigeren Klimapolitik verändert haben? "Unsere Wohngruppe hat ein Klimaschutzprojekt angefangen, darüber habe ich gerade einen kleinen Artikel geschrieben", erzählt Jeanne: "Darin erzähle ich zum Beispiel, dass wir gemeinsam in dem neuen Marburger 'unverpackt-Laden' waren und dass es ein ganz großes Interesse bei allen WG-Bewohnern gibt." Tamara fügt an: "Ich finde, auch bei der Europawahl hat man die Auswirkungen der Bewegung schon deutlich gemerkt, viele einzelne Stimmen werden zu einer großen."

Bild: Demonstrantinnen Jeanne und Tamara. Foto: blista. [Die jungen Frauen tragen Sonnenbrille und lächeln in die Kamera.]

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Team der Pride Parade Berlin

Behindert und verrückt feiern - die Pride Parade

"Freaks und Krüppel, Verrückte und Lahme, Eigensinnige und Blinde, Taube und Normalgestörte - kommt mit uns raus auf die Straße und feiert die ´behindert und verrückt feiern´ Pride Parade." Das ist der Satz, mit dem wir bei der ersten Parade 2013 Menschen aufgerufen haben, gemeinsam auf die Straße zu gehen, sich zu zeigen und zu demonstrieren. Dieses Jahr fand die sechste Parade statt, zu der rund 1.500 Menschen kamen.

Wir benutzen diesen Satz bis heute, wenn wir dazu aufrufen, zu unserer Demonstration zu kommen. "Demonstration" beschreibt die Veranstaltung allerdings nur teilweise. Denn es kommen auch Menschen, die sonst nicht zu Demos kommen, was wir toll finden. Lange Laufwege und Standzeiten bei Kundgebungen oder überhaupt eine größere Menschenmasse halten viele behinderte und verrückte Menschen von der Teilnahme fern. Viele kommen verkleidet oder bunt geschminkt oder bringen selbstgestaltete Transparente, Plakate und Schilder mit. Auch wenn es vielen nicht anzusehen ist, ist davon auszugehen, dass die meisten Teilnehmerinnen, Teilnehmer und jene Menschen, die teilnehmen und sich keinem der beiden gesellschaftlich akzeptierten Geschlechter zuordnen, selbst behinderte und verrückte Menschen sind oder als solche bezeichnet werden. Es kommen aber auch viele, die sich nicht als behinderte oder verrückte Menschen sehen, und in Anführungsstrichen "nur" Unterstützer und Unterstützerinnen sind.

Idee und Ziele

Diese Mischung aus ganz unterschiedlichen Menschen - behinderte, verrückte, queere, unterstützende, befreundete, verwandte und solidarische - ist durchaus selten. Es geht uns darum, Kämpfe von behinderten Menschen und Menschen mit psychiatrischen Diagnosen auf Basis von emanzipatorischen linken Ideen zusammenzuführen. Deswegen spricht die Parade jede Person an, die das Gefühl hat, ausgeschlossen zu sein.

Das, wofür wir uns stark machen und was wir bewirken wollen, ist zweierlei: Es ist, erstens, die gesellschaftliche Kritik und es ist, zweitens, die individuelle Ebene für jede und jeden von uns zu zeigen, dass wir dazu gehören wollen. Zunächst zur gesellschaftlichen Kritik. In der Gesellschaft wird ein Gegensatz zwischen "gesund" und "krank" gemacht und mit Wertung von "normal" und "nicht normal" verbunden; ein Gegensatz zwischen "Hilfe geben können" und "Hilfe empfangen"; zwischen "gesellschaftlich leistungsfähig" und "Sozialschmarotzertum"; zwischen "Einheimischer" und "Ausländer"; "männlich" und "weiblich"; "schön" und "hässlich". Das sind keine objektiven Zuschreibungen, sondern etwas, was sich geschichtlich und kulturell stets ändert. Wir möchten mit der Parade daher Fragen aufwerfen wie: Was heißt eigentlich "Normalität"? Wozu dient die Unterscheidung in "normal" und "nicht normal"? Und wollen wir überhaupt "normal" sein? Wir problematisieren die Abwertung derjenigen, die nicht in die Norm passen, und den Druck, sich der gesellschaftlichen Norm unbedingt anpassen zu sollen. Anstelle der Vorstellung, dass z.B. nur bestimmte Körper und Verhaltensweisen "normal" seien, wünschen wir uns eine Gesellschaft, in der anerkannt wird, dass Vielfalt und Unterschiedlichkeit der "Normalzustand" sind. Das würde auch bedeuten, dass die Unterscheidung in "normal" und "nicht normal" letztlich unnötig wird.

Die Parade möchte auch einen Gegenpunkt setzen zu der fast überall präsenten, von den meisten Menschen (auch uns!) verinnerlichten Erwartung, dass Menschen jederzeit funktionieren können und Leistung erbringen sollen. Wir lehnen es ab, dass der Wert von Menschen an ihrer Fähigkeit, "Leistung" zu erbringen, gemessen wird. Das bedeutet auch, dass unserer Meinung nach Inklusion nicht bedeuten sollte, Menschen auf vielfältigere Weise verwertbar zu machen. Für die meisten von uns ist die kritische Perspektive auf Leistungsdruck deshalb auch mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik verbunden.

Hiermit sind wir zum Stichwort "Inklusion" gekommen. Mit der ursprünglichen Idee von Inklusion, wie sie von Aktivistinnen und Aktivisten der Behindertenbewegung eingebracht und als Bestandteil der UN-Behindertenrechtskonvention erkämpft wurde, können wir viel anfangen. Bei dieser Idee geht es darum, die Gesellschaft so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen ist oder diskriminiert wird. Das Meiste, was heute mit dem Etikett "Inklusion" beklebt wird, hat für uns aber mit dieser Idee nicht viel zu tun. Wir beobachten eine paradoxe Entwicklung: Obwohl sich die Realität in den letzten Jahren wenig geändert hat, hat es den entgegengesetzten Anschein - wegen der überall vorherrschenden Sprache, die Inklusion vortäuscht.

Worte wie Teilhabe, Selbstbestimmung, Eingliederung, Barrierefreiheit, Diversität sind überall. Aber verborgen hinter dieser Fassade ist der folgende Ist-Zustand: die ausgrenzenden Bildungseinrichtungen und Arbeitsmärkte; die Pathologisierung von Geschlechtern; die Gewalt in Heimen und Psychiatrien. Ob der Begriff "Inklusion" in seiner ursprünglichen Bedeutung daher überhaupt noch ein brauchbarer Begriff sein kann, um gesellschaftliche Veränderungen einzufordern, oder ob er dafür schon zu "verwässert" ist und wir ihn daher eher ganz über Bord werfen sollten, wird im Bündnis immer wieder diskutiert.

Andererseits ist das Ziel der Parade auch das individuelle Empowerment. Wir wollen uns gemeinsam so zeigen, wie wir alle sind, und auf uns stolz sein. Wir feiern unsere Eigenschaften, die andere als "Macken" ansehen. Denn Behinderung und Verrücktheit sind immer noch etwas schamhaft Privates, was Menschen besser nicht in die Öffentlichkeit tragen oder viel rumerzählen, verstecken. Die Parade soll also ein geschützter öffentlicher Raum sein, um sich selbstbewusst zu zeigen und gesellschaftliche Verbesserungen zu fordern. Unser Ansatz wendet sich gegen Bevormundung und Fremdbestimmung. Uns ist es sehr wichtig, dass Leute über ihre eigenen Belange sprechen und nicht von vermeintlichen Expertinnen und Experten vertreten werden, die "über" sie reden.

Woher kommt die Idee der Pride Parade, welche "Vorbilder" hatten wir?

Die Idee zur "Behindert und verrückt feiern Pride Parade" in Berlin entstand 2012 im "Arbeitskreis mit_ohne Behinderung" (AK moB). Die Idee haben wir aus den USA und Kanada übernommen, dann aber mit Gedanken der Krüppelbewegung der 1970er und 80er Jahre und eigenen Ideen kombiniert.

Den Anfang in den USA machten wohl Boston 1991 und New York 1992. Die erste Mad Pride Parade, von der wir wissen, fand vor über 20 Jahren in Toronto statt. Dort laufen die Paraden sehr durchstrukturiert ab, es präsentieren sich vor allem Verbände behinderter Menschen und Dienstleister. In der Bundesrepublik Deutschland bestand die Krüppelbewegung der 1970er aus mehreren kleinen Gruppen. Sie hatten gemeinsam, dass sie sich von den damaligen Verbänden nicht vertreten fühlten und das von großen aussondernden Einrichtungen dominierte System der Behindertenhilfe ablehnten. Viele Aktive sahen darüber hinaus die in der Gesellschaft, in der gestalteten Umwelt und in den Köpfen bestehenden Barrieren als eigentliche Ursache von Behinderungen und brachten so das soziale Modell von Behinderung nach Deutschland. Ihr Protest bestand aus provokativen Aktionen und einer provokanten Sprache. Anders als wir bestanden die Aktiven der Krüppelbewegung im engen Sinne darauf, dass nur behinderte Menschen in den Krüppelgruppen mitmachen durften.

Warum "Behindert und verrückt feiern"?

Diejenigen, die sich schon intensiver mit dem Thema Behinderung befasst hatten, fragen sich vermutlich, warum wir immer von "behinderten UND verrückten Menschen" sprechen. Viele Verbände und einige Gesetze betrachten Verrücktheit (sogenannte "psychische bzw. seelische Behinderung") als Unterkategorie von Behinderung. Beide Gruppen werden pathologisiert und machen die Erfahrung, dass die Mehrheitsgesellschaft sie durch "Therapien" an die Norm anpassen will.

Wir verwenden beide Begriffe, da wir meinen, dass die Unterschiede der Ausgrenzungs- und Unterdrückungserfahrungen zu groß sind, um sie in einen Topf werfen zu können. So stößt in großen Teilen der Gesellschaft eine körperliche Beeinträchtigung auf mehr Toleranz oder Akzeptanz als von der Norm abweichende Verhaltensweisen. Unmittelbar daraus folgt, dass verrückte Menschen oft direkter dazu gedrängt werden, sich behandeln zu lassen, oder gegen ihren Willen unter Zwang behandelt werden. Viele psychiatriekritische und antipsychiatrische Aktive sehen psychische Beeinträchtigung als bloß konstruierte Kategorie, woraus sich "Behinderung ohne Beeinträchtigung" ergibt, während das Drei-Stufen-Modell der WHO - "Schädigung", "Beeinträchtigung", "Behinderung" - in der Behindertenbewegung breit akzeptiert ist. Gleichzeitig machen Menschen auch innerhalb dieser Kategorien unterschiedliche Erfahrungen.

Letztlich finden wir, dass das Bewusstmachen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten die solidarische Zusammenarbeit erst ermöglicht.

Praktische Erfahrungen mit der Bündnisarbeit

Der letzte Satz klingt einfach. In der praktischen Arbeit des Organisationsbündnisses hat sich aber schon mehrfach gezeigt, dass er alles andere als banal ist. Nachdem die Idee zur Parade entstanden und die Entscheidung gefallen war, eine Behindert und Verrückt Pride Parade zu veranstalten, war auch schnell klar, dass der AK moB zu klein war, um das alleine zu organisieren. Deshalb wurde das Orga-Bündnis gegründet, das aus mehreren Gruppen und einigen Einzelpersonen bestand. Im Bündnis waren anfangs auch der AK Psychiatriekritik der Naturfreundejugend Berlin, das Gen-ethische Netzwerk und die Redaktionsgruppe der Zeitung "Mondkalb" (Zeitung für das organisierte Gebrechen). Heute besteht es aus Einzelpersonen, die teilweise auch anderswo aktiv sind. Gemeinsam ist ihnen und den Einzelpersonen auch, dass sie sich politisch als links verstehen, innerhalb dieses Rahmens gibt es aber ein breites Spektrum. Einigkeit besteht darüber, nicht mit Einrichtungsträgern, Wohlfahrtsverbänden und traditionellen Behindertenverbänden sowie staatlichen Stellen, Parteien oder anderen größeren Organisationen zusammen zu arbeiten.

Im Bündnis waren in den letzten Jahren oft etwa 20-25 Menschen aktiv. Wichtig ist uns, dass alles, was wir tun, maßgeblich von Menschen bestimmt wird, die sich als behindert oder verrückt definieren. Wir gehen aber nicht so weit, dass nur sie mitentscheiden dürfen. Im Gegenteil ist uns wichtig, dass Betroffene und Nicht-Betroffene zusammenarbeiten. In einem solchen Bündnis bleiben Konflikte nicht aus. Schwierig ist beispielsweise, unsere Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Das lag vor allem am unterschiedlichen Interesse der Medien für die Themen, aber auch daran, dass sich für Interviews und Gespräche mit Medien vor allem bestimmte Menschen aus dem Bündnis bereit erklärt haben. Darüber hinaus sind psychiatrische Diagnosen nicht so einfach medial sichtbar zu machen wie Rollstühle oder Treppen. Dadurch kam es gelegentlich zu Diskussionen, weil einige Bündnis-Mitglieder ihnen wichtige Themen nicht angemessen vertreten sahen.

Die Breite des Bündnisses hat aber auch viele Vorteile. So werden deutlich mehr Themen, Diskriminierungsgründe und Barrieren eingebracht, die dann bei der Parade aufgegriffen oder bei der Organisation berücksichtigt werden. Zudem lernen wir durch jede Diskussion dazu.

Wirkung

Wie wirkt Aktivismus, und welche Wirkung haben insbesondere Demonstrationen? Diese Fragen lassen sich selten klar und eindeutig beantworten. Das gilt umso mehr, wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht. Wir beobachten aber, dass sich viele Teilnehmerinnen, Teilnehmer und jene Menschen, die teilnehmen und sich keinem der beiden gesellschaftlich akzeptierten Geschlechter zuordnen, während der Paraden selbstbewusster fühlen als vorher. Wir vermuten und hoffen, dass viele dieses Selbstbewusstsein mit in ihren Alltag nehmen. Einige Paraden stießen auf ein großes Medienecho, so dass wir hoffentlich auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich das Bild von behinderten und verrückten Menschen in der Gesellschaft ändert.

Webtipps

Der Beitrag basiert auf Vorträgen verschiedener Bündnis-Mitglieder. Mehr Informationen über die Pride Parade finden Sie unter:

pride-parade.de

facebook.com/PrideParadeBerlin

Bild 1: Stolz auf das Besondere. Foto: Vivien Cahn. [Ein Plakat aus Pappe, auf dem in Großbuchstaben "Pride" auf lila Grund steht. Im Hintergrund die Demonstration.] Bild 2: Barrieren ins Museum! Foto: Vivien Cahn. [Ein Banner mit der Aufschrift "Barrieren ins Museum".] Bild 3: Bunt unterwegs. Foto: Vivien Cahn. [Ein Mann in ärmellosem Shirt pustet mit einer Seifenblasenpistole viele Seifenblasen in die Luft. Im Hintergrund mehrere Parade-Teilnehmer.]

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Juliane Taubner

Wovon reden die eigentlich? - Kleines Lexikon der "neuen" sozialen Gerechtigkeit

Die Diskussionen um soziale Gerechtigkeit, Gender, Gleichheit und Integration wurden in den letzten Jahren immer aktiver geführt. Dank des Internets und der sozialen Medien ist es für die Menschen viel einfacher, sich in diese Diskussionen einzubringen und sich zu informieren. Doch besonders wenn man sich in dieses Thema neu einbringt, stößt man schnell auf Begrifflichkeiten, die den meisten Menschen nicht geläufig sind. Dazu kommt die Problematik, dass die Internationalität des Netzes dazu führt, dass viele Diskussionen auf Englisch geführt werden oder zumindest mit englischen Begriffen arbeiten.

Das nachfolgende "Kleine Lexikon der 'neuen' sozialen Gerechtigkeit" möchte ein paar dieser Begriffe erklären. Es kann auf keinen Fall umfassend und abschließend sein und einige Themen sind zu komplex, als dass man sie in Bausch und Bogen abhandeln könnte. Somit kann es nur als Einstieg in diese umfangreiche Thematik dienen. Kleines Lexikon der "neuen" sozialen Gerechtigkeit

Ableismus: von engl. "able", fähig. Die Beurteilung bzw. Abwertung von Menschen anhand ihrer körperlichen und mentalen Fähigkeiten. Wird in der Regel in einem behindertenfeindlichen Kontext benutzt. Dazugehörend "able bodied" - nicht behindert.

Asexuell: Eine -> sexuelle Orientierung. Die Abwesenheit sexueller Anziehungskraft zu anderen Menschen und damit einhergehend die Abwesenheit des Verlangens nach sexueller Interaktion mit anderen Menschen, unabhängig von deren Geschlecht. Asexualität umfasst ein Spektrum, das von absoluter Abneigung gegenüber sexuellen Aktivitäten bis hin zu sexueller Attraktion nur bei emotionaler Bindung (demisexuell) reichen kann. Als Adjektiv wird oftmals "ace" benutzt. Die -> Diskriminierung von asexuellen Menschen wird als Acephobie bezeichnet.

Bisexuell: Eine -> sexuelle Orientierung. Die sexuelle Anziehung zu mehr als einem Geschlecht und/oder Gender. Siehe auch -> Pansexualität. Als Kurzform ist das Adjektiv "bi" gebräuchlich. Die -> Diskriminierung von bisexuellen Menschen wir als Biphobie bezeichnet.

Cis/Cisgender: Cisgender Menschen fühlen sich ihrem biologischen Geschlecht zugehörig. Das Gegenteil ist -> transsexuell. Entgegen mancher Behauptungen ist "cis" eine wertungsfreie Beschreibung, die keine Beleidigung darstellt. Oft auch als Kontraktion mit -> heterosexuell benutzt: cishet (cis/het).

Diskriminierung: Diskriminierung ist ein Mechanismus der strukturellen Benachteiligung von Menschen aufgrund einer oder mehrerer persönlicher Eigenschaften. Da dies ein sozial und strukturell gestütztes Machtgefälle voraussetzt, bedeutet dies auch, dass bestimmte Formen der Diskriminierung nur auf strukturell benachteiligte Personen angewandt werden können. Beispiel: Männer können nicht Opfer von Sexismus und Weiße nicht Opfer von Rassismus sein.

Feminismus: Oberbegriff für gesellschaftliche, politische und akademische Strömungen und soziale Bewegungen, die, basierend auf der kritischen Analyse von Geschlechterordnungen, für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts sowie gegen -> Sexismus eintreten und diese Ziele durch entsprechende Maßnahmen umzusetzen versuchen. Entgegen einiger Annahmen ist Feminismus keine rein weibliche Bewegung und auch nicht darauf ausgerichtet, Männer abzuwerten.

Gender: Gender ist die wissenschaftliche Bezeichnung des sozial konstruierten Geschlechts und der -> Geschlechtsidentität eines Menschen und nicht mit dem biologischen Geschlecht (Sex) zu verwechseln.

Geschlechtsidentität: Die Geschlechtsidentität eines Menschen bezeichnet, mit welchem Geschlecht oder welchen Geschlechtern sich ein Mensch selbst identifiziert. Die Geschlechtsidentität eines Menschen muss nicht mit dem (biologischen) Geschlecht übereinstimmen, das bei der Geburt zugewiesen wurde.

GamerGate: Sammelbegriff für Ereignisse seit dem August 2014, die als Hetz- und Schikanierungskampagne gegen verschiedene Frauen in der Videogame-Szene unter dem -> Hashtag #GamerGate startete. Seitdem wird es immer wieder als Referenz für organisierte Hetz- und Schikanierungskampagnen genutzt, bei denen sowohl "bloße" Beleidigung, aber auch konkrete Drohungen für Leib und Leben verwendet werden, um konkret Frauen der Öffentlichkeit zum Schweigen zu bringen.

Hashtag: Worte mit einer vorangestellten Raute werden in Sozialen Medien als "Hashtags" verwendet. Es handelt sich um Sammelworte, die die vielen Nennungen eines solchen Wortes auffindbar machen und es ermöglichen, unterschiedlichste Wortmeldungen zu bestimmten Themen zu sammeln. Wird ein Hashtag besonders viel innerhalb einer kurzen Zeit benutzt, spricht man davon, dass das Thema "trended".

Heteronormativ: Die gesellschaftliche und mediale Tendenz, Heterosexualität als Norm und daraus ableitend als "besser" darzustellen. In der Regel einhergehend mit einer Pathologisierung von nicht-binär einzuordnenden Geschlechtern, Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen.

Heterosexualität: Eine -> sexuelle Orientierung. Die sexuelle Anziehung zu einem anderen Geschlecht, das nicht dem eigenen entspricht. In der Regel innerhalb eines binären Geschlechtsverständnisses auf die sexuelle Anziehung zwischen Mann und Frau bezogen.

Homosexualität: Eine -> sexuelle Orientierung. Die sexuelle Anziehung zu Menschen des eigenen Geschlechts. Der Großteil der Menschen, die sich als homosexuell ansehen, bezeichnet sich als schwul (Männer, die ausschließlich Männer lieben) oder lesbisch (Frauen, die ausschließlich Frauen lieben). Die -> Diskriminierung von homosexuellen Menschen wird als Homophobie bezeichnet.

Intergeschlechtlich, intersexuell: Intergeschlechtliche oder intersexuelle Menschen haben bei der Geburt nicht eindeutig männlich oder weiblich zuzuordnende Geschlechtsmerkmale. Ursache hierfür können unterschiedliche klinische Phänomene sein. Immer noch ist die operative Zuordnung eines bestimmten Geschlechtes nach der Geburt gang und gäbe. Seit 22. Dezember 2018 ist der dritte Geschlechtseintrag "divers" möglich.

Internalisiert: Internalisierte Vorurteile sind alle Vorurteile, die durch soziale Normen, mediale Gestaltung und diskriminierende Grundprinzipien unserer Gesellschaft so fest im Unterbewusstsein verankert sind, dass es schwer ist, sich ihrer bewusst zu werden und ein aktives Handeln dagegen erfordert.

Intersektionalität: Intersektionalität beschreibt die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person. Die verschiedenen Diskriminierungsformen addieren sich nicht nur auf, sondern bringen auch unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen mit sich. So kann eine schwarze Person mit Behinderung aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Behinderung diskriminiert werden, oder aber auch aufgrund von beiden Merkmalen.

Klassismus: Die Beurteilung und Abwertung einer Person aufgrund der sozialen Schicht, aus der sie stammt oder in der sie sich gerade befindet, in der Regel einer niedriger stehenden Schicht (z.B. Arbeiterklasse, Arbeitslose oder Arme).

LGBTQ+ / LSBTI+: Die Abkürzung steht für Lesbian Gay Bi Trans Queer plus, bzw. Lesbisch Schwul Bi Trans Inter plus. Oftmals auch nur LGBT / LSBT. Überbegriff für die Gemeinschaft aller Menschen, die sich weder als -> heterosexuell noch -> cisgender definiert. Der Begriff wurde seit den 1980ern immer wieder verändert oder erweitert, so gibt es neben dem kürzeren LGBT auch längere Formen wie LGBTQAI (mit Zusatz Asexual und Intersexual). Das + steht stellvertretend für alle Menschen, die sich den genannten Begriffen nicht zugehörig fühlen. Ihr Symbol ist die Regenbogenflagge.

Marginalisierung: Ein sozialer Vorgang, bei dem Gruppen an den "Rand der Gesellschaft" gedrängt werden. In Diskussionen oftmals auch das Abwerten von Erfahrungen von Minderheiten, "das ist ja gar nicht so schlimm" oder "es gibt Wichtigeres".

MeToo: Eine Bewegung, die unter dem -> Hashtag #MeToo weltweit bekannt wurde, bei der Frauen darauf aufmerksam machten, wie häufig sie sexueller Belästigung ausgesetzt werden. Die Bewegung hatte weitreichende Folgen und zeigte, wie insbesondere Männer in Machtpositionen diese nutzen, um Belästigungen und Vergewaltigungen ungeahndet zu begehen. In einigen Ländern, so auch Deutschland, wurde das Thema vermehrt betrachtet und diskutiert. 75% aller Frauen haben statistisch gesehen bereits einmal sexuelle Belästigung erfahren.

Misogynie: Frauenfeindlichkeit. Weiterführend auch die Abwertung aller als "weiblich" gelesenen Eigenschaften, Kleidungsstücke oder Verhaltensweisen, aber auch "typisch weiblicher" Berufe oder Interessen.

Neurodiversität: Das Konzept, nach dem neurobiologische Abweichungen als natürlicher Bestandteil der menschlichen Vielfalt akzeptiert und respektiert werden. Häufig im Zusammenhang mit Diskussionen um Autismus oder AD(H)S zu lesen.

Neurotypisch: Relativ neuer Begriff, der Menschen umfasst, deren neurologische Entwicklung und Status mit dem übereinstimmen, was die meisten Menschen als normal bezüglich der sprachlichen Fähigkeiten und Sozialkompetenzen betrachten. Geformt wurde der Begriff in der Autismusdebatte für nicht-autistische Menschen, wird inzwischen aber weitreichender verwendet. Entsprechend "neuroatypisch" für Menschen mit einer neurologischen Abweichung.

Non-binary / Nicht-binär: Eine -> Geschlechtsidentität von Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren, sondern als beides gleichzeitig, zwischen männlich und weiblich oder als weder männlich noch weiblich. Eine verwendete Abkürzung ist "Enby", vom Englischen "nb" für "non-binary".

Pansexualität: Eine -> sexuelle Orientierung. Die sexuelle Anziehungskraft zu Menschen unabhängig von deren Geschlecht und/oder Gender. Es gibt inhaltliche Überschneidungen mit -> Bisexualität.

PoC, People of color: Menschen nicht-weißer Hautfarbe. Daraus abgeleitet auch WoC (Women of color).

Privilegien: Hiermit sind die sozialen Vorteile und Möglichkeiten gemeint, die Menschen einer Mehrheitsgruppe oder nicht marginalisierten Gruppe zuteilwerden, ob sie es wollen oder nicht. Viele Be- und Verurteilungen basieren auf strukturellen und -> internalisierten Vorurteilen und -> Diskriminierungen; andersherum basieren viele Bevorzugungen auf strukturellen Privilegien. Das Erkennen und Herausfordern der eigenen Privilegien ist ein essentieller Bestandteil der Auseinandersetzung mit der Thematik.

Queer: Ein Überbegriff der -> LGBTQ+ Gemeinschaft, der alle Menschen beinhaltet, die nicht cisgender und/oder heterosexuell sind. Lange Zeit wurde der Begriff im Englischen als Beleidigung verwendet, weshalb die Nutzung als Überbegriff auch innerhalb der Szene umstritten ist. Inzwischen ist er zumeist positiv konnotiert.

Rassismus: Die -> Diskriminierungen von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe.

Sexismus: Die -> Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts.

Sexuelle Identität: Sexuelle Identität bezeichnet den auf der -> sexuellen Orientierung basierenden Teil der Identität eines Menschen und ist somit auf das Individuum und die Selbstdefinition bezogen.

Sexuelle Orientierung: Die sexuelle Orientierung eines Menschen beschreibt, zu Menschen welchen Geschlechts und/oder Gender eine Person sich emotional und/oder sexuell hingezogen fühlt.

TERF: Trans-exclusionary radical feminist. Eine radikale Minderheit von Feminist*innen, die Transfrauen aus der Feminismusdiskussion und -definition ausschließen und sich gegen Rechte für Transmenschen aussprechen.

Toxic Masculinity: Wörtlich "toxische Männlichkeit". Damit ist der negative und destruktive Teil von traditionellen Männlichkeitsbildern gemeint, der sich insbesondere auch für Jungs und Männer selbst negativ auswirkt. Dies beinhaltet z.B. das Nicht-Ausleben-Dürfen von Emotionen, nicht über negative Erfahrungen sprechen, nicht um Hilfe bitten dürfen etc.

Transgender, Transsexualität: Transmenschen (kurzform für transgender Menschen) sind Menschen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Trigger: wörtlich "Auslöser". Ein Trigger ist ein Satz, ein Wort, eine Handlung, aber auch ein Geruch oder eine Berührung etc., wodurch ein bestehendes Trauma bei einer Person wieder aufkommt. Dies äußert sich in unterschiedlichen Formen: Panikattacken, Angstanfälle, Trauer etc. In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff oft herablassend benutzt ("Seid ihr jetzt schon wieder getriggert?"), wobei vollkommen verkannt wird, wie belastend und schockierend ein tatsächliches Trigger-Erlebnis ist. Wichtig: Getriggert zu sein ist nicht dasselbe wie aufgebracht oder verletzt zu sein. Für den Schutz von traumatisierten Personen werden vor Begriffe, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie potentielle Trigger sind, sogenannte "Trigger Warnungen" (kurz: TW) gesetzt.

Webtipps

Margarete Stokowski, Die Krux mit der Diskriminierung - Weiße und Männer können alles haben, aber das nicht. spiegel.de/kultur/gesellschaft/warum-es-keinen-sexismus-gegen-maenner-oder-rassismus-gegen-weisse-gibt-a-1236954.html (aufgerufen am 01.07.2019, 16:00 Uhr)

Queer Lexikon: queer-lexikon.net

Informationsseite zu Asexualität: aven-info.de

Informationsseite zu Gender, sexueller Orientierung und den Unterschieden (englisch): The Genderbread Person: genderbread.org

Weiterführende Informationen zu Transgender: www.trans-infos.de

Sämtliche Begriffe sind auch auf der deutschsprachigen Wikipedia zu finden und ausführlich erklärt.

Bild 1: Equality. Gleichheit - denn darum geht's. Foto: Wokandapix / Pixabay. [Das Wort "Equality" aus Scrabble-Buchstaben gelegt. Im Hintergrund die Regenbogenflagge.] Bild 2: LGBT. Foto: Pixabay [Die Abkürzung "LGBT" vor dem Hintergrund der Regenbogenfarben]

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Jürgen Rausch

Barrierefreies Bauen - das Marburger Beteiligungsmodell

Mit der Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes im Jahre 2002 hat der Gesetzgeber einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Menschen mit Handicap ein möglichst selbständiges Leben in unserer Gesellschaft führen können. Um allen einen weitestgehend uneingeschränkten Zugang zu Aktivitäten in Beruf und Gesellschaft zu ermöglichen, müssen sie aus eigener Kraft und ohne die Hilfe anderer ihre Arbeitsstätten, Ausbildungsstellen und Schulen erreichen, am kulturellen Leben (z. B. durch den Besuch von Theatern, Kirchen, Museen, Büchereien und Kinos) teilnehmen, Geschäfte und Gaststätten erreichen, Freizeiteinrichtungen nutzen sowie Verwaltungs- und Dienstleistungsgebäude aufsuchen können.

Die barrierefreie und behindertengerechte Gestaltung öffentlicher Gebäude, Straßen und Plätze ist eine Grundvoraussetzung für eine selbständige Teilnahme am öffentlichen Leben. Darüber hinaus profitieren noch viele weitere, insbesondere ältere Menschen und Personen mit Kinderwagen von barrierefreien Wegen und Gebäuden.

Ziel moderner Inklusionspolitik ist es, eine uneingeschränkte Integration in die soziale und gebaute Umwelt zu ermöglichen. Die gebaute Umwelt soll so gestaltet werden, dass sie für alle nutzbar ist: Für Behinderte und Nichtbehinderte, junge und alte Menschen, vorübergehend Verletzte und Gesunde, Mobilitätseingeschränkte und Personen mit Kinderwagen oder Traglasten sowie für kleine Kinder. Fachleute sind sich einig, dass die präventive Beachtung der Barrierefreiheit gegenüber der traditionellen Bauweise keine oder nur unwesentliche Mehrkosten verursacht.

Dabei ist es wichtig, dass durch intensive Kommunikation der Planungen von Einzelprojekten mit Interessenvertretern die Realisierung maßgeschneiderter Vorhaben sichergestellt wird. Was für die Planung öffentlicher Anlagen, die für eine Nutzung durch die Allgemeinheit bestimmt sind, generell gilt, muss für die Berücksichtigung der Interessen von Personengruppen mit Mobilitätseinschränkung umso mehr gelten. Planungen werden durch intensive Beteiligung wesentlich besser, weil sie nicht an den Bedürfnissen der Menschen, die die geplanten Objekte später nutzen werden, vorbeigehen.

In Marburg, einer Universitätsstadt mit ca. 80.000 EinwohnerInnen, darunter ca. 25.000 Studierende, leben sehr viele Menschen mit Handicap, allein ca. 800 blinde und stark sehbehinderte Menschen. 260 SchülerInnen besuchen die Marburger Blindenstudienanstalt. Ein Drittel dieser SchülerInnen ist völlig erblindet. Daher ist dem Aspekt des "lebenslagengerechten Bauens" in Marburg seit langem ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt worden.

Seit 1997 gibt es den Behindertenbeirat der Universitätsstadt Marburg. Aufgabe des Behindertenbeirates ist es, die Interessen behinderter Menschen gegenüber den städtischen Körperschaften im Sinne der Förderung der Selbstbestimmung und Eigenständigkeit behinderter Menschen bei der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu vertreten. Der Behindertenbeirat berät und unterstützt den Magistrat und die Stadtverordneten in allen wichtigen Angelegenheiten, die behinderte Menschen und deren Belange betreffen. Dies bezieht sich insbesondere auf die bauliche Gestaltung öffentlich zugänglicher Gebäude und auf die behindertengerechte Anlage der öffentlichen Verkehrsflächen. Der Beirat tritt nach Bedarf, mindestens jedoch viermal im Jahr zusammen.

Kurz nach der Einrichtung des Behindertenbeirates im Jahre 1997 wurde eine bereits bestehende Zusammenarbeit zur Abstimmung von Verkehrsprojekten zu fest organisierten Arbeitsgruppen, dem sogenannten "Runden Tisch Tiefbau" und dem "Runden Tisch Hochbau" erweitert. Die runden Tische setzen sich zusammen aus Mitgliedern des Behindertenbeirates, Interessenvertretern von sehbehinderten und mobilitätseingeschränkten Menschen, Vertretern der Blindenstudienanstalt, einer Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Behindertenbeirates sowie MitarbeiterInnen der Straßenverkehrsbehörde und des Fachbereiches Planen, Bauen, Umwelt. Die Arbeitsgruppe kommt zweimal pro Jahr zur Besprechung von Hochbauprojekten und zweimal pro Jahr zur Besprechung von Tiefbau- bzw. Verkehrsprojekten zusammen. Beschäftigt wird sich bei den Zusammenkünften mit der barrierefreien Gestaltung öffentlich zugänglicher Gebäude und der Anlage öffentlicher Verkehrsflächen. Zum Teil handelt es sich um sehr einfache, leicht umzusetzende Maßnahmen, wie die Anordnung von Türöffnern, Bordsteinabsenkungen etc., für deren Finanzierung im städtischen Haushalt eine Pauschalsumme bereitsteht. Am "Runden Tisch" werden die Prioritäten für die Umsetzung dieser Maßnahmen festgelegt. Neben der Festlegung von Programmen zur Durchführung von Verbesserungsvorschlägen an bestehenden baulichen Anlagen besteht eine wichtige Aufgabe des "Runden Tisches" darin, die Planung von Neubau- oder größeren Umgestaltungsprojekten zu begleiten, um diese Projekte hinsichtlich der Zielsetzung "Barrierefreiheit" zu optimieren. Direkt Betroffene nehmen die Verhältnisse intensiver wahr und erkennen oft einfachere, schnell durchführbare Lösungen.

Die Tätigkeiten des Fachbereiches Planen, Bauen und Umwelt umfassen u.a. die Stadtplanung, den Denkmalschutz, die Bauaufsicht, den Tiefbau, den Hochbau sowie die Grünflächen und den Klimaschutz.

Mit der Bauaufsichtsbehörde werden private Bauvorhaben hinsichtlich der Übereinstimmung mit Rechtsvorschriften überprüft. Neben der Einhaltung verschiedenster Normen spielt jedoch auch die Beratung von Bauherren und Architekten eine sehr wichtige Rolle, da hierdurch zu einer Bewusstseinsbildung bezogen auf das barrierefreie Bauen beigetragen werden kann. Während die Bauaufsicht die Einhaltung von Rechtsvorschriften prüft und so eine Steuerungsfunktion gegenüber den privaten Bauvorhaben (u.a. Wohnungen, Kaufhäuser, Gaststätten etc.) wahrnimmt, ist die Stadt Marburg bei öffentlichen Hoch- und Tiefbauprojekten (u.a. Schulen, Bäder, Brücken, Straßen, Plätze, Parks, Friedhöfe etc.) selbst Bauherrin.

Bei zahlreichen Projekten hat die Abstimmung am "Runden Tisch" zu einer Optimierung und zum Teil auch zu Lösungen beigetragen, die vielleicht nicht normgerecht, für den Einzelfall jedoch wie maßgeschneidert sind. Es ist kein Geheimnis, dass meistens auch das wirtschaftliche Optimum nur dann erreichbar ist, wenn einzelfallbezogene Lösungen zielgerichtet auf die NutzerInnen und in der Lösungsfindung einvernehmlich herausgearbeitet werden.

In einer Stadt wie Marburg, die durch eine Vielzahl historischer Gebäude und eine liebevoll sanierte Altstadt mit vielen mittelalterlichen Häusern geprägt ist, spielt die Bewahrung der historischen Bausubstanz in Konstruktion und Erscheinungsbild eine große Rolle. Nicht selten befinden sich dieser Anspruch und der Belang, öffentliche Gebäude und Verkehrsanlagen barrierefrei zu gestalten, in einem Zielkonflikt. Einige Beispiele, die in Marburg realisiert worden sind, zeigen aber auch die Möglichkeit, beide Belange in gelungener Weise zu vereinbaren.

Bei allen anstehenden Sanierungsmaßnahmen sowie bei Neu- oder Umbaumaßnahmen im Hoch- und Tiefbaubereich werden bereits in der Planungsphase die Anforderungen der Barrierefreiheit und gegebenenfalls des Denkmalschutzes berücksichtigt und integriert.

Im Rahmen der Neugestaltung von Platz- und Straßenanlagen in der historischen Oberstadt wurde beispielsweise das vorhandene, sehr unebene Pflaster erneuert. Allein dadurch konnte eine Verbesserung für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Sehbehinderungen erreicht werden. Zusätzlich wurden zur besseren Begehbarkeit Laufstreifen aus gesägtem Großpflaster hergestellt, die sowohl der Orientierung dienen als auch bequem zu begehen und berollen sind. Bei der Sanierung und Umgestaltung bestehender Straßen auch außerhalb des streng denkmalgeschützten Stadtzentrums wurde die Chance genutzt, die verschiedenen Funktionen der Straßen für alle Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Leit- und Orientierungsstreifen sowie Bordsteinabsenkungen wurden geplant und baulich umgesetzt. Dabei konnten angesichts der Denkmalschutzanforderungen nicht überall die Baustoffe aus Beton eingesetzt werden, die für das barrierefreie Bauen entwickelt worden sind und Eingang in diverse Normen gefunden hatten.

Die intensive Abstimmung an den runden Tischen bot die Möglichkeit, voneinander zu lernen und individuelle Lösungen zu entwickeln. Bewundernswert war dabei immer das ehrenamtliche Engagement der Repräsentantinnen verschiedener Interessengruppen und Institutionen.

Alle, die an den runden Tischen mitgearbeitet haben, machten die Erfahrung, wie wichtig die kontinuierliche Begleitung von Planungsprozessen ist. Eine gute Planung kann nur ihre Wirkung entfalten, wenn sie auch umgesetzt wird. Zur Umsetzung eines bereits abgestimmten Entwurfs gehört eine Ausführungsplanung. Wenn über die zu verwendenden Materialien diskutiert wird, sollte nicht mehr über den Entwurf von Grundrissen für Gebäude oder die Anordnung von Baum- und Fahrradstreifen im Straßenquerschnitt beraten werden. Das geht allenfalls ausnahmsweise und in Einzelfällen. Wenn in rationeller Arbeitsweise die Umsetzung der Planungen nicht gefährdet werden soll, muss auch in dem Prozess der Bürgerbeteiligung eine Phase auf die andere aufbauen. Das unermüdliche Engagement aller Beteiligten hat an den runden Tischen für Hoch- und Tiefbau in der Universitätsstadt Marburg für eine Kontinuität gesorgt, die das prozesshafte von Stadtplanung, die nicht nur für die Schubladen gemacht wird, in idealer Weise berücksichtigt hat.

Die vielen Anregungen und Ideen, die zum Teil in besonders für die MitarbeiterInnen mit Handicap mühsamen und sehr langen, aber immer spannenden Sitzungen erarbeitet wurden, haben die Planungen der Universitätsstadt Marburg besser gemacht. Als Fachmann in der Stadtplanung habe ich sehr viel durch die Arbeit an den runden Tischen hinzulernen dürfen. Vor dem ehrenamtlichen Engagement der Beteiligten an den runden Tischen empfinde ich großen Respekt.

Zum Autor

Dipl.-Ing. Jürgen Rausch war von 1997 bis 2017 Leiter des Fachbereichs Planen, Bauen, Umwelt der Universitätsstadt Marburg. Seit 2018 ist er Geschäftsführer einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft - der Gemeinnützigen Wohnungsbau GmbH Marburg/Lahn (GeWoBau) - und der Stadtentwicklungsgesellschaft Marburg mbH.

Autorenfoto: Jürgen Rausch. Foto: privat. [Jürgen Rausch hat kurze, graue Haare und lächelt in die Sonne.] Bild: Marburger Altstadt. Foto: Erich Westendarp / Pixabay. [Der Blick auf eine ansteigende, gepflasterte Straße, gesäumt von Fachwerkhäusern.]

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Thorsten Büchner

"Dinge in Bewegung bringen" - Ottmar Miles-Paul im Interview

Die internationale Liga der Menschenrechte hat Ende vergangenen Jahres Ottmar Miles-Paul mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. Im Interview erzählt der ehemalige blista-Schüler über sein jahrzehntelanges Engagement für Menschen mit Behinderung und zieht ein Zwischenfazit nach "Zehn Jahren UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland". Das Interview wurde zuerst in der blista-news im April veröffentlicht.

Was verbindet Sie mit der blista, Herr Miles-Paul?

Mich verbinden drei wunderbare und engagierte Jahre, von 1982 bis 1985. Ich habe mich damals in der Schülervertretung und auch in der Marburger Friedensbewegung engagiert. Zuerst war ich ein Jahr im "beruflichen Gymnasium", habe mich dann aber für die "Fachoberschule für Sozialwesen" entschieden. Diese Entscheidung hat mich und meinen weiteren Lebensweg geprägt.

Gab es einen konkreten Auslöser, dass Sie sich in der Behindertenrechtsbewegung engagiert haben?

Zunächst hatte ich mit diesem Bereich nichts am Hut, habe mich allgemein gegen Ungerechtigkeiten engagiert. Erst durch den direkten Kontakt zu anderen Menschen mit Behinderungen hat sich bei mir was geändert. Konkret war das, als ich mit einer Bekannten, die im Rollstuhl saß, vor einer Bordsteinkante stand und wir nicht wussten, wie es weitergeht. Da habe ich mir gesagt: Das ist nicht naturgegeben. Diese Barriere ist menschengemacht. Dagegen musst du was tun. So habe ich mich auch mit der Situation von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung intensiver beschäftigt. Ich bin quasi in die Behindertenrechtsbewegung hineingestolpert.

Nach der Wiedervereinigung haben Sie sich dafür eingesetzt, dass der Satz "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" ins Grundgesetz aufgenommen wird. Wie kam es dazu?

Ich habe knapp zwei Jahre in den USA gelebt und dort direkt erfahren, was Antidiskriminierungsgesetze im Alltag bedeuten können. Und dann ergab sich nach der Wiedervereinigung die Chance, dass das Grundgesetz ohnehin überarbeitet werden musste. Das waren vier Jahre Kampf voller Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Anhörungen und Aktionen. Es war ein sehr wichtiger Schritt für behinderte Menschen, diesen Satz ins Grundgesetz zu bekommen.

Nach weiteren erfolgreichen Kampagnen wurden Sie dann - für fünf Jahre - Landesbehindertenbeauftragter in Rheinland-Pfalz. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Das war eine unheimlich spannende Zeit, von der ich heute noch profitiere. Zu Anfang war es schon seltsam, weil ich jetzt auf der Seite stand, gegen die ich vorher oftmals "kämpfen" musste. Die Verwaltung. Welche Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten man als Landesbehindertenbeauftragter hat. Das war sehr interessant und wir konnten in dieser Zeit einiges bewegen.

Was würden Sie als ihre größten Erfolge bezeichnen?

Da fallen mir zum einen konkrete Personen ein. Die, die dank gesetzlicher Neuregelungen nun selbstbestimmt in eine eigene Wohnung umziehen und die Heimunterbringung hinter sich lassen konnten. Oder wir haben als erstes Bundesland einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Angriff genommen. Ein Plan mit 200 Maßnahmen, der dann in vielen anderen Bundesländern als Modell gedient hat. Außerdem konnten wir, zusammen mit der damaligen Sozialministerin und heutigen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, den Grundsatz: "Nichts über uns ohne uns" mehr im Bewusstsein verankern und mit Leben füllen.

2019 ist es zehn Jahre her, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) von Deutschland ratifiziert wurde. Wo stehen wir heute und wie fällt ihr Zwischenfazit aus?

Damals hat niemand so recht gewusst, was die BRK bringen wird. Dass sie ratifiziert wurde und somit Gesetzeskraft erlangt hat, war erstmal ein großer Erfolg. Ich habe aber den Eindruck, dass wir uns seitdem immer ein wenig nach dem Motto: Zwei Schritte vor und einen wieder zurück, bewegen. Zum Teil mit erheblichen Verbesserungen, aber viele Menschen mit Behinderungen müssen immer noch ziemlich kämpfen, um ihre Nachteilsausgleiche zu erhalten oder ganz praktische Teilhabe zu bekommen. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist dafür ein gutes Beispiel. Viele Fortschritte sind darin enthalten, aber es ist nicht gelungen, den Kostenvorbehalt endlich zu streichen. Beim Behindertengleichstellungsgesetz gibt es tolle Regelungen, aber bei privaten Anbietern, wie dem Bäcker um die Ecke oder der Webseite eines Dienstleisters aus der Region, greifen diese Regelungen eben leider noch nicht. Das meine ich mit "Zwei Schritte vor und einen wieder zurück".

Wie engagieren Sie sich heute?

Ich begleite die Umsetzung des BTHG. Morgens, wenn viele noch schlafen, sitze ich am Rechner und schreibe Artikel für die "kobinet-Nachrichten", einen online-Nachrichtendienst zur Behindertenpolitik. Ich rege mich aber auch noch unheimlich gerne auf, wenn ich Ungerechtigkeiten wahrnehme und erleben muss, wieviel Steine Menschen mit Behinderungen von Verwaltungen in den Weg gelegt werden. Nach dem Ausscheiden als Landesbehindertenbeauftragter habe ich mir gesagt: Eigentlich wärst du gern ein Strippenzieher, der an verschiedenen Stellen versucht, Dinge in Bewegung zu bringen, damit es in Sachen Rechte für Menschen mit Behinderung weiter vorangeht. Ich freue mich, wenn das gelegentlich gelingt,und ärgere mich, wenn es an der Dickköpfigkeit anderer scheitert.

Welche Bedeutung hatte die blista für ihr gesellschaftlich-politisches Engagement?

An der blista wurde mein Widerstandsgeist und das kritische Hinterfragen von Gegebenheiten geweckt. Hier herrschte das pulsierende Leben. Wir hatten immer politische Diskussionen mit unseren Lehrkräften und konnten uns entfalten. Das war die eine Seite. Auf der anderen Seite habe ich mich damals immer gefragt: Warum kann ich diese idealen Bedingungen, wie es sie an der blista gibt, nicht auch zuhause bei mir haben? Weshalb muss ich nach Marburg umziehen, um das zu bekommen?

Welche Rolle sollte die blista in den aktuellen politischen Diskussionen einnehmen?

Aus der blista sind viele engagierte, kritische Menschen hervorgegangen, die viel für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung erreicht haben. Ich hoffe, dass das auch in Zukunft so sein wird. Die blista hat aber auch die Aufgabe, das Thema Inklusion voranzutreiben, blinden und sehbehinderten Menschen eine Wahlmöglichkeit anzubieten. Ich hoffe, dass die blista weiterhin ein guter Wegbereiter dafür sein wird, dass es in der Zukunft für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung "passt". Damit es "passt", dazu ist Inklusion ein Ziel. Dafür benötigt man Werkzeuge. Ich hoffe, dass die blista einen gut gefüllten Werkzeugkasten hat, um an diesem Ziel weiter engagiert mitarbeiten zu können.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Das Interview führte Thorsten Büchner.

Webtipps

Das ausführliche Interview mit Ottmar Miles-Paul hören Sie in der Ausgabe 101 des "Kopfhörer", dem Infomagazin der Deutschen Blinden Bibliothek (DBB). Den "Kopfhörer" können Sie auf https://katalog.blista.de unter dem Link "Zeitschriften" kostenlos herunterladen.

Die Dokumentation der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2018 an Leyla Imret und Ottmar Miles-Paul ist u. a. als Download auf der Webseite der Internationalen Liga für Menschenrechte verfügbar (ilmr.de/shop).

Bild 1: Ottmar Miles-Paul. Foto: blista. [Ottmar Miles-Paul trägt eine braune Lederjacke und schaut in die Kamera. Er sitzt auf einer Holzbank vor einer grünen Holzwand mit aufgemalten Blumen, um ihn herum viele Blumentöpfe.] Bild 2: Lesenswert: Dokumentation zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2018. [Titelblatt der Dokumentation.]

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Juliane Taubner

Warum man nicht mit der Neuen Rechten reden sollte

Ich sehe das erstaunte Hochziehen der Augenbrauen von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, schon vor mir. Wie, man sollte nicht mit Rechten reden? Ist der Austausch, das Aufklären über Fakten, sind Überzeugungsversuche nicht wichtig? Muss man die Sorgen der nach rechts rutschenden Menschen nicht ernst nehmen? Müssen wir nicht im Rahmen der Toleranz und der Meinungsfreiheit jedem die Möglichkeit geben, sich zu äußern?

Hier möchte ich gerne den Philosophen Karl Popper zitieren, der über Toleranz und Faschismus - denn hierum geht es, wenn wir über die Neue Rechte reden - folgendes sagte:

"Weniger bekannt ist das Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen."

Anders gesagt: Wenn wir Menschen, die den Tod anderer willentlich in Kauf nehmen, einfach machen lassen, werden sie nicht zögern, alle, die ihnen widersprechen, mundtot zu machen. Mit allen Mitteln, die möglich sind - und einigen, von denen man jetzt noch denkt, sie seien nicht möglich.

Sie halten das für übertriebene Angst? Hätten Sie vor zwei Jahren gedacht, dass die USA Konzentrationslager errichten? Hätten Sie vor fünf Jahren gedacht, dass wir einst Menschen im Bundestag haben, die offen davon sprechen, hilfesuchende Menschen an Grenzen niederzuschießen, oder sich mit Hand auf dem Herzen vor dem Führerbunker fotografieren lassen, oder Nazi-Devotionalien haben? Ich nicht. Und doch ist das die Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Das Abrutschen der Gesellschaft in faschistische Strukturen geht so viel schneller, als man denkt. Und genau hier wird das relevant, was in der Überschrift steht: Wir dürfen den Diskurs und die öffentliche Meinungsbildung nicht von der Neuen Rechten diktieren lassen.

Wenn wir nun davon sprechen, nicht mit der Neuen Rechten zu sprechen, dann ist damit das medienwirksame Inszenieren der Neuen Rechten, zum Beispiel in Talkshows, gemeint. Nicht gemeint ist das private Gespräch mit dem rassistischen Onkel, der über die Flüchtlinge wettert oder darüber, dass es doch besser gewesen wäre, das behinderte Kind abzutreiben. Im Privaten ist es immer wichtig und gut, das Gespräch zu suchen, solange man sich sicher fühlen kann. Denn bei Einzelnen kann ein solches Gespräch tatsächlich zu einem Umdenken führen.

Natascha Strobl ist Expertin zur Thematik Rechtsextremismus. Die Wienerin ist Co-Autorin der Bücher "Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa" (Unrast, 3.Auflage 2017) sowie "Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute?" (VSA 2015). Sie hat zahlreiche Artikel geschrieben und Vorträge zu den Themenkomplexen "Rechtsextremismus, Faschismus, Neue Rechte und Identitäre" in ganz Europa gehalten. Seit 2018 schreibt sie auf Twitter (Ad Hoc-)Analysen und Einordnungen zu aktuellen Debatten, um so das Wissen schnell und niederschwellig zu verbreiten. Dazu hat sie den Hashtag #NatsAnalyse ins Leben gerufen.

Dort erklärt sie auch, warum sie sich mit faschistischen Ideologen nicht auf eine Bühne setzt, um Streitgespräche zu führen:

"Es geht der Neuen Rechten nicht um Diskurs, sondern um Diskurszerstörung. Es gibt keinen Austausch von Argumenten, kein Einlenken, kein Überlegen. Es geht darum, den demokratischen Diskurs ins Lächerliche zu ziehen und zu zerstören. Das ist gefährlich. Sehr."

Analysen von Diskussionen mit der Neuen Rechten zeigen deutlich, dass Argumente den mit Abstand kleinsten Teil ausmachen - und dass ein argumentativer Austausch gar nicht gewollt ist. Sachargumente werden ignoriert und das bewusst. Denn das, was die Neue Rechte will, ist eines: Angstbilder schüren.

"Völlig unbeeindruckt von Fakten oder Nuancen pflanzen sie Bilder in die Köpfe, die Angst, Untergang, Terror vermitteln - weil es ihnen einfach nicht um eine demokratische Lösung geht. Und Angst wirkt 1000x stärker als jedes Sachargument. Und dann haben wir keine Diskussion, weil auf unterschiedlichen Sprachebenen agiert wird. Und sobald wir ihre Zerstörungsebene zulassen, gewinnen sie. Natürlich könnte man Leute hinsetzen, die das antizipieren und ebenfalls auf der Ebene agieren. Aber was soll das bringen außer ein gegenseitiges Niederschreien?"

Besonders deutlich zeigt sich das auch darin, dass die sogenannten "Experten" der Neuen Rechten deutlich weniger qualifiziert sind als ihre Gegenüber - und sie trotzdem die Diskussion dominieren.

Ein Beispiel: In der "Hart aber fair" Talkshow vom 1. Juli 2019 zur Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke (CDU) stellte sich der Redeanteil folgendermaßen dar:

  1. Uwe Junge (AfD): 15,20 Minuten
  2. Georg Mascolo (Journalist): 9,47 Minuten
  3. Herbert Reul (CDU): 7,20 Minuten
  4. Mehmet Daimagüler (Anwalt): 7,14 Minuten
  5. Irene Mihalic (Grüne): 5,37 Minuten

Quelle: www.watson.de/deutschland/analyse

Natascha Strobl stellt zu diesem Thema die Frage:

"Warum sollte ich [die Neue Rechte] auf meine Ebene ziehen? Warum sollte ich ihnen eine gleichberechtigte Relevanz im gesellschaftlichen Diskurs zugestehen wie Wissenschaftler_innen, Expert_innen oder Politiker_innen? Womit haben sie das verdient? Weil sie Menschenfeinde sind? Es ist kein Verdienst, möglich laut möglichst menschenverachtend zu sein. Das ist auch keine Qualifikation, die der Qualifikation z.B. von Sozialwissenschaftler_innen, antifaschistischen Recherchen, Expert_innen oder Opfer-Vertreter_innen gegenüber steht."

Sie macht auch deutlich, dass das, was von der Neuen Rechten in solchen Diskussionen geliefert wird, primär eines ist: Propaganda. Und sie hat am eigenen Leib erfahren, wie die Anhänger der Neuen Rechten mit jeglicher Art von Widerspruch umgehen: mit Drohungen und Gewalt. Nach jeder Analyse erhält Natascha Strobel Beleidigungen und Drohungen. Dies reicht von Vergewaltigungsdrohungen zu Schüssen durch ihr Fenster mit Luftdruck-Pistolen und Stickern, die zu körperlicher Gewalt gegen sie auffordern.

Doch neben diesen Einschüchterungstaktiken und fehlenden inhaltlichen Argumenten hat die Neue Rechte noch ein ganzes Arsenal an Kommunikationsstrategien, um ihr Ziel zu erreichen:

"Das Ziel ist die Zerstörung des demokratischen Diskurses. Wer das nicht erkennt, tappt in ihre Falle. Natürlich setzen sie sich nicht hin und grölen bierdunstig 'Ausländer raus', sondern formulieren es in etwa so: 'Es ist wichtig die ethnokulturelle Vielfalt, die Europa so stark gemacht hat, zu erhalten und zu stärken'. Das klingt nett, meint aber das Selbe. Die geschliffene, bürgerliche Sprache und Attitüde blendet viele. Und das ad hoc zu dechiffrieren ist schwer."

Doch der wichtigste Punkt ist laut Natascha Strobl, dass der Neuen Rechten gar nichts daran liegt, einen Austausch zu haben. Eine Diskussion funktioniert nur, wenn alle Beteiligten für Argumente offen sind, zuhören und auch bereit sind, gegebenenfalls die Meinung zu ändern. Doch genau das ist nicht gewollt:

"Die Neue Rechte ist nicht zu überzeugen. Das sind Leute mit einem geschlossen rechtsextremen bis faschistischen Weltbild. Die haben jedes Gegenargument schon einmal gehört und drei Gegenangriffe für jedes parat. Es ist ihnen schlicht egal. Sie sind das gerne, sie stehen dazu. Das heißt, dass es in einer Diskussion nur um ein Publikum geht und nie darum, irgendwas in ihnen zu bewegen. Warum sollte ich ein Publikum dem aussetzen und eine Art Gleichwertigkeit zwischen Menschenhass und Nicht-Menschenhass etablieren? Diese Gleichwertigkeit existiert nicht."

Der Neuen Rechten keine Bühne zu bieten, bedeutet aber nicht, sie totzuschweigen, sie zu ignorieren. Faschismus ist nichts, das weggeht, wenn man so tut als gäbe es ihn nicht. Statt mit den Neuen Rechten zu sprechen, sollte man viel mehr über sie sprechen.

Als Beispiele nennt Natascha Strobl folgende Fragestellungen, die es zu beleuchten gibt - auch, um im öffentlichen Diskurs sensibler für die Propagandataktiken der Neuen Rechten zu werden und sich dem entgegenzustellen:

"Was bedeutet Faschismus? Woher kommt er? Was sind die feinsten Ideologiefragmente? Wo schließt er an? Wer sind die Vorbilder? Welche Kontinuitäten gibt es? Welche Bilder werden vermittelt? Warum ist das nicht nur der NS? Wo sind die inneren Spannungen und Ambivalenzen?"

Es sind keine leichten Aufgaben, denen wir uns als Gesellschaft gegenübersehen. Der Diskurs, das permanente Empören, es ist anstrengend. Doch wollen wir unsere vielseitige demokratische Gesellschaft erhalten, müssen wir uns wieder und wieder vor Augen rufen:

Was derzeit passiert, ist nicht normal.

Wissentlich Menschen ertrinken zu lassen, ist nicht normal. Konzentrationslager an Grenzen, bei denen Menschen aufgefordert werden, aus Toiletten zu trinken, ist nicht normal. Darüber zu sprechen, seine politischen Gegner niederzuschießen, ist nicht normal.

Der Deutsche Behindertenrat, dessen Position sich auch der DVBS anschließt, ging genau den richtigen Weg, als er als Regelung für den Umgang mit der AfD beschloss:

"Der DBR achtet die demokratischen Institutionen und die für sie tätigen Funktionsträger*innen. Ausschussvorsitzenden des Deutschen Bundestages, auch von der AfD, wird der DBR daher Gespräche nicht versagen und auch DBR-Positionen nicht vorenthalten. (…) Mit Blick auf die AfD als Partei, deren Fraktionszusammenschluss im Bundestag sowie fachbezogenen Sprechern der AfD-Fraktion hingegen lehnt der DBR eine aktive Zusammenarbeit ab. Der DBR wird insoweit nicht das Gespräch suchen bzw. Gesprächsbitten ablehnen, keine Einladungen aussprechen und auch weder Anschreiben noch Positionen des DBR übersenden."

Es gelte, mit dieser in Teilen rechtsradikalen, antisemitischen und minderheitendiskriminierenden Partei keinen "normalisierenden Umgang" zu etablieren. Maßgeblich für diese Positionierung sei nicht der Dissens in einzelnen Sachfragen gewesen, sondern grundlegende Probleme, da sich die AfD beispielsweise nicht eindeutig zum NS-Regime erkläre, das behinderte Menschen systematisch misshandelt und ermordet hat.

Denn eines ist klar, wie Natascha Strobl es auf den Punkt bringt:

"Es ist nicht alles debattierbar. Die Vernichtung von Menschen ist nicht debattierbar. Dazu gibt es kein Pro und Contra und keine zwei gleichberechtigten Meinungen. Im Faschismus ist die Vernichtung immer schon angelegt. Sie ist kein zufälliges Endprodukt."

Webtipps

Natascha Strobl ist Expertin zu Rechtsextremismus und Faschismus. Sie verfasst auf Twitter unter @Natascha_Strobl und mit dem Hashtag #NatsAnalyse Texte zur Neuen Rechten.

Blog antirassistischer, feministischer, ökologischer und sozialer Themen: mosaik-blog.at

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Beruf, Bildung und Wissenschaft

Jutta Duncker

Material für den inklusiven Unterricht: "Magnetischer Rechenkasten - Zur Darstellung der vier Grundrechenarten"

Was schätzen Schüler an Mathe? Klare Antwort: Die Logik, denn Mathe ist eben berechenbar. Die Regeln sind objektiv und international gültig, die Ergebnisse sind entweder richtig oder falsch und werden damit auch automatisch fair benotet, schwärmen Schüler in Internetforen.

Bei "Focus online" können wir folgende Schülerzitate nachlesen:

  • "Matheaufgaben können nur richtig oder falsch sein, Mittellösungen gibt es nicht."
  • "Die Sprache der Mathematik ist klar und ohne Schnörkel. Bei Lösungen irgendwelcher Art kann ich nicht sagen: Im Prinzip ja, aber ..."
  • "Die Mathegesetze gelten immer, egal wo und wann, und nicht so wie Gedichte, die jedes Mal einen anderen Sinn haben."
  • "Mathe ist überall gleich, in jedem Land, es gibt keine Unterschiede."
  • "Es geht fast nichts über das zufriedene Gefühl, wenn man eine Aufgabe richtig gelöst hat."

Ab der Grundschule ist Kopfrechnen eine tolle Sache und mit seiner Hilfe bekommen die Schülerinnen und Schüler ein gutes Verständnis für Zahlen und die vier Grundrechenarten.

Die mathematischen Operationen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division gehören zu den Grundfertigkeiten wie Lesen und Schreiben und sollte deshalb von jeder Schülerin und jedem Schüler beherrscht werden. Zudem reicht es aus, das Addieren kleiner Zahlen und das kleine Einmaleins zu kennen, um damit z.B. komplizierte Additions- oder Multiplikationsaufgaben in kleine Teilprobleme zerlegen zu können und mit Hilfe von schriftlichen Rechenverfahren zu lösen. In einer Regelschulklasse können diese Rechnungen an der Tafel gemeinsam erarbeitet werden: Die einzelnen Schritte des Verfahrens entstehen nacheinander und sind für jeden sehenden Lernenden nachvollziehbar. Das Bild des Endergebnisses dagegen lässt die Begründungen des Vorgehens nicht mehr erkennen.

Erhält ein seheingeschränkter Schüler die Vorlage einer fertig vorgerechneten Aufgabe, so hat dieses folglich einen sehr geringen Erkenntniswert über die durchgeführten Berechnungsschritte. Hinzu kommt die Problematik, dass Lernende, die an der Punktschriftmaschine bzw. Braillezeile schriftliche Rechenverfahren einüben müssen, nur zeilenweise die Rechnungen "unter den Fingern" haben. Das mathematische Vorgehen kann dabei nicht deutlich nachvollzogen werden und erweist sich als sehr mühsam.

Mit dem "Magnetkasten für den Mathematikunterricht" haben auch Schülerinnen und Schüler mit einer Seheinschränkung eine Möglichkeit, schriftliche Rechenverfahren eigenständig nachvollziehen und eigene Rechnungen durchführen zu können:

  • die schriftlichen Rechenverfahren können selbsttätig mit den Magnetplättchen gelegt werden, da jedes Plättchen sowohl in Schwarzschrift als auch in Brailleschrift beschrieben ist,
  • die einzelnen Rechenschritte entstehen übersichtlich als mehrzeiliges Bild,
  • Korrekturen können jederzeit problemlos vorgenommen werden,
  • alle Schülerinnen und Schüler können gemeinsam in Partnerarbeit im inklusiven Unterricht mit diesem Material arbeiten (siehe Abb. 1).

Dieses Multimediale Lernpaket (MuLI) umfasst den Magnetrechenkasten sowie eine dazu passende Stationenarbeit inklusive Lösungen, die aus fünf Stationen besteht, in denen die schriftlichen Rechenverfahren Schritt für Schritt mithilfe des Rechenkastens eingeführt und an weiteren Aufgaben geübt werden können.

Die erste Station dient als Einführung und thematisiert den Aufbau und den Umgang mit dem Magnetkasten sowie den Zahlenaufbau aus Ziffern (siehe Abb. 2).

Um die Verfahren bei den Punktrechnungen zu verstehen, müssen die Addition und Subtraktion (Stationen 2 und 3) bekannt sein (siehe Abb. 3).

Erst dann ist es sinnvoll, die Stationen 4 und 5 bearbeiten zu lassen. Die Stationen 2 -5 können anschließend zum Üben in beliebiger Reihenfolge bearbeitet werden (siehe Abb. 4).

Jede Station beginnt mit ausführlich beschriebenen Beispielaufgaben, die in ihren einzelnen Rechenschritten erklärt werden und deren Lösungen nach und nach auf dem Rechenbrett entstehen.

Es folgen Übungen, an denen die Lernenden testen können, ob sie alles verstanden haben.

Im Abschnitt 3 befinden sich die Lösungen zu den Übungsaufgaben.

Die zum Lernpaket "Magnetischer Rechenkasten - Zur Darstellung der Grundrechenarten" zugehörigen Materialien können im Online-Shop der blista unter www.inklusion-jetzt.de erworben werden. Die Printversion des Heftes sowie die Abbildungen stehen als Download zur Verfügung.

Im Onlineshop stehen zudem weitere Multimediale Lernpakete für den inklusiven Unterricht (MuLIs) zur Verfügung. Ihr oberstes Ziel ist es, unterschiedliche Sinneswahrnehmungen anzusprechen und so den Zugang zu MINT-Themen durch Anschaulichkeit und Begreifbarkeit von Leitideen einfacher zu ermöglichen: Die Nutzung möglichst vieler Sinne ist beim Lernen eine Bereicherung für alle Schülerinnen und Schüler!

Diese Einführungen und Übungsmaterialien mit Lösungen, Lernstationen für Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit für inklusiven Unterricht werden von der Reinhard Frank-Stiftung gefördert und von einem Team aus Lehrkräften des Carl-Strehl-Gymnasiums und Medienexperten der blista erarbeitet.

Zur Autorin

Jutta Duncker ist Lehrerin an der Carl-Strehl-Schule der blista.

Abb. 1: Magnetischer Rechenkasten. Foto: blista. [Ein aufklappbarer magnetischer Rechenkasten, der jeweils fünf Magnete mit den Zahlen 0 bis 9 sowie mathematische Zeichen in Schwarzschrift enthält, dazu vier Magnete mit Brailleschrift.]

Abb. 2: Zahlenaufbau aus Ziffern. Foto: blista. [Eine Magnetreihe mit den Buchstaben T, H, Z, E, darunter die Ziffern 1 5 3 5.]

Abb. 3: Beispiel eines Additionsaufbaus. Foto: blista. [Mit den Magneten wird eine Additionsreihe untereinander aufgebaut.]

Abb. 4: Beispiel einer Multiplikation. Foto: blista. [Die Magnete sind für eine Multiplikationsreihe untereinander aufgebaut.]

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Prof. Dr. Klaus Rohrschneider

Veränderung der Altersstruktur blinder Menschen
Teil 3 der Serie "Blindheit in Deutschland im 20. Jahrhundert"

(Fortsetzung aus horus 2/2019)

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war der größte Teil der Betroffenen bereits im Kindes- und Jugendalter erblindet. Hans Scholtyssek ging zwar bereits 1948 auf die Altersverteilung mit den Worten ein, "im allgemeinen werden die Späterblindeten mit 75 Prozent der Gesamtzahl der Blinden angenommen", dabei definierte er jedoch die Späterblindeten als die Altersgruppe zwischen dem 18. und 60. Lebensjahr. Damit hat sich die Altersverteilung der Blinden gegenüber der Zählung 1925/26 nicht erheblich geändert, wo etwa 23 Prozent der Erblindungen im Alter von 40 und 60 Jahren auftraten (Abb. 2, siehe horus 2/2019, S. 29). Da die heute führende Erblindungsursache dieser Altersgruppe, die diabetische Retinopathie, damals noch nahezu unbekannt war, nahmen die in Kindheit und Jugendalter eingetretenen Erblindungen unverändert eine führende Rolle ein, ergänzt von der nicht unerheblichen Gruppe der Kriegsblinden. Diese betraf natürlich vordringlich ehemalige Soldaten, aber daneben auch Zivilisten aller Altersgruppen. Diese Gruppe war mit 7.000 Blinden neben den etwa 30.000 Zivilblinden durchaus wesentlich und führte zu einer statistischen Verschiebung der relativen Ursachen. In verschiedenen Statistiken wurde jedoch lediglich auf die Ursachen der Zivilblinden eingegangen.

Bereits in den 1960er Jahren wurde in Nachbarländern Deutschlands verschiedentlich auf die zunehmend große Anzahl älterer sehbehinderter und vor allem blinder Menschen hingewiesen, wobei auch die AMD als zunehmende Ursache benannt wurde. So waren in England 1933 22 Prozent der Blinden über 70 Jahre, 1955 bereits 70 Prozent. In Deutschland sind lediglich die Daten publiziert, die Wilhelm Feilchenfeld nach der Reichsgebrechlichenzählung erhoben hat, diese sind mit denjenigen von 1933 quasi identisch. Die spätere Darstellung von Makabe und Hellwig beruht auf dem Patientenkollektiv einer Augenklinik und erst Hugger geht im Zahlenmaterial des Rheinlands 1978 deutlich auf diese Entwicklung ein.

Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang natürlich eine Betrachtung der Alterspyramide der deutschen Bevölkerung (Abb. 4). Diese war zu Beginn des Jahrhunderts tatsächlich eine Pyramide mit einem überproportional hohen Anteil junger und sehr junger Einwohner. Daher spielten die angeborenen bzw. im Jugendalter eingetretenen Erblindungsursachen damals eine ganz wesentliche Rolle. So zeigen die Daten der Reichsgebrechlichenzählung von 1925/26 bei fast der Hälfte der Erblindungen einen Beginn vor dem 40. Lebensjahr.

Fünfzig Jahre später hat sich das Altersmaximum der Einwohner in den mittleren Bereich verschoben, bis in die fünfte Dekade hinein ist mit einer Lücke für die Kriegsopfer eine eher gleichbleibende Anzahl Einwohner vorhanden, erst danach kommt es zu einer deutlichen Abnahme. Zum Ende des Jahrhunderts ist auch in der Altersgruppe unterhalb von 40 Jahren eine deutlich geringere Anzahl von Einwohnern vorhanden. Offensichtlich wird die Verschiebung der Altersstruktur beim Vergleich des Altersmedian. Dieser lag 1910 bei 23 Jahren, 1950 war nur etwas mehr als ein Drittel der Einwohner jünger als 23 und im Jahre 2000 nur ein Viertel. Während 1910 noch 2/3 der Bevölkerung jünger als 34 Jahre waren, war dies 1950 nur noch die Hälfte und im Jahre 2000 nur noch etwas mehr als ein Drittel der Einwohner. Noch deutlicher wird diese Verschiebung durch die Angabe des Anteils der unter 20jährigen zur Gruppe der 20 bis 64-jährigen (Jugendquotient). Dieser nahm für die drei Zeiträume von 85 über 50 auf 34 ab. Damit nimmt umgekehrt der Anteil der älteren Menschen stetig zu. Da die Inzidenz fortgeschrittener Stadien einer Makuladegeneration bei Menschen über 80 Jahre stark ansteigt, resultiert diese Altersverschiebung und die deutliche Zunahme älterer Einwohner in einer erheblichen Zunahme an AMD erkrankter Menschen. Dennoch zeigt insbesondere die weitere Entwicklung der letzten Jahre überraschenderweise nicht den aufgrund der zunehmenden Überalterung erwarteten Anstieg der Anzahl älterer blinder Menschen. Auch wenn zunehmende Behandlungsmöglichkeiten der feuchten Form der Makuladegeneration eine Rolle spielen können, gibt es bisher keine wirkliche Erklärung hierfür.

Blindheitsursachen im Kindes- und Jugendalter

Entsprechend der Bevölkerungsstruktur waren die wesentlichen Erblindungsursachen zu Beginn des 20. Jahrhunderts quasi identisch mit denjenigen im Schulalter. Nach Einführung von Blindenschulen im Laufe des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurden hier umfassende Daten über die Schüler gesammelt. So sind zum Beispiel aus der Blindenschule Ilvesheim seit 1885 für nahezu den gesamten Zeitraum bis heute entsprechende Angaben verfügbar (Abb. 5).

Die Erhebungen zeigen, dass die zu Beginn des letzten Jahrhunderts stark führenden entzündlichen Erkrankungen vor allem der Hornhaut bis zur Jahrhundertmitte erheblich abnahmen. Dies ist einerseits Folge der umfassenden Einführung der Credéschen Prophylaxe, die zu einem Verschwinden der Neugeborenenblennorrhoe geführt hat. Daneben führen erregerbedingte Erkrankungen am Auge wegen der Einführung der Antibiotika typischerweise nicht mehr zu schweren Funktionsverlusten. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nahmen zudem die operativen Möglichkeiten in der Augenheilkunde erheblich zu, besonders nach Einführung des Operationsmikroskops. Daher sind vor allem der angeborene Graue Star (Katarakt), aber auch das angeborene Glaukom (Buphthalmus, Grüner Star) inzwischen erheblich besser oder sogar überwiegend so weit behandelbar, dass eine Erblindung nur noch in wenigen Fällen eintritt. Aber auch nach Augenverletzungen ist wegen der besseren operativen Möglichkeiten inzwischen häufig von einem verwertbaren Sehvermögen auszugehen, darüber hinaus haben diese selbst zum Beispiel nach Einführung der Gurtpflicht in Deutschland oder aufgrund höherer Sicherheit am Arbeitsplatz deutlich abgenommen. Erbliche Augenerkrankungen, meist erbliche Netzhauterkrankungen wie die Leber'sche kongenitale Amaurose, sind unverändert für einen wesentlichen Anteil der bereits seit Geburt bestehenden Erblindungen verantwortlich. Zum Ende des letzten Jahrhunderts sind darüber hinaus deutlich mehr Kinder als Folge einer Frühgeburt erblindet. Hierbei spielen neben der Frühgeborenenretinopathie, die erst nach der Einführung von Sauerstoffbehandungen bei Frühgeborenen nach dem Zweiten Weltkrieg als neues Krankheitsbild auftrat, vor allem zerebrale Schädigungen oft mit einer Optikusatrophie oder anderen Schädigungen der Sehbahn eine ganz wesentliche Rolle. Hier zeigt sich, dass medizinischer Fortschritt, der überhaupt erst das Überleben dieser Menschen ermöglicht, auch neue Ursachen einer Teilhabebeeinträchtigung schaffen kann. Mit zunehmenden medizinischen Möglichkeiten hat sich die Risikogruppe für solche schweren Schäden mit mehrfachen Behinderungen immer weiter zu noch unreiferen Neugeborenen hin verschoben.

Neben diesen Entwicklungen zeigt sich auch bei den Verletzungen als Blindheitsursache eine interessante Entwicklung. So betrug deren Häufigkeit bis zum Zweiten Weltkrieg 5 Prozent, um danach auf 9 Prozent anzusteigen. Diese signifikante Zunahme im Zeitraum des Zweiten Weltkrieges ist fast ausschließlich auf Sprengkörperverletzungen zurückzuführen und somit als zumindest indirekte Kriegsfolge einzustufen. Dementsprechend nahm die Häufigkeit einer verletzungsbedingten Erblindung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts auch wieder auf 1 bis 2 Prozent ab.

Zusammenfassung

Neben einer deutlichen Zunahme von etwa 30.000 blinden Menschen auf 150.000 im Laufe des letzten Jahrhunderts, die auch unterschiedlichen Definitionen von gesetzlicher Blindheit geschuldet ist, spiegeln die zur Blindheit führenden Krankheitsbilder deutlich die medizinische Entwicklung wider. Letztere manifestierte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst durch ein Verschwinden entzündlicher Erkrankungen vor allem der Hornhaut als Folge der Behandlungsmöglichkeiten durch Antibiotika, aber auch prophylaktischer Maßnahmen wie der Crede'schen Prophylaxe direkt nach der Geburt. In der zweiten Jahrhunderthälfte werden die Fortschritte operativer Behandlung deutlich, da diese zu einem deutlichen Rückgang von Grauem und auch Grünem Star als wesentlicher Blindheitsursache geführt haben. Demgegenüber kommt es vor allem in den 1990er Jahren und seitdem zu einer Zunahme der Folgen extremer Frühgeburtlichkeit, da als Folge der hervorragenden perinatalen Versorgung eine steigende Anzahl dieser Kinder überlebt. Darüber hinaus spiegeln die Veränderungen der Erblindungsursachen aber auch den Wandel in der Alterszusammensetzung der deutschen Bevölkerung wider. Während um 1900 die wesentlichen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters für Blindheit verantwortlich waren, weil diese Gruppe auch zahlenmäßig führend war, trat bereits 30 Jahre später die Mehrzahl der Erblindungen in der Gruppe der Berufstätigen auf. Spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird Blindheit von Alterserkrankungen dominiert, die altersabhängige Makuladegeneration ist inzwischen die weit führende Ursache. Daneben belegt aber auch die mit 7.000 Betroffenen hohe Anzahl der Kriegsblinden nach dem Zweiten Weltkrieg den möglichen Einfluss zusätzlicher Faktoren, die wie in diesem Fall punktuell auftraten.

Literatur

Blankenagel, Anita/Jaeger, Wolfgang, "Wandel in den Ursachen der Blindheit in den letzten hundert Jahren. 175 Jahre Blindenbildung in Deutschland 1806-1981 Rückblick und Ausblick", in: Festschrift zum 175jährigen Jubiläum der Johann-August-Zeune-Schule in Berlin-Steglitz, Berlin 1981, S. 141-154.

Bolsinger, Axel, Erblindungsursachen im Wandel der Zeit, Bonn 1973.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Versorgungsmedizinische Grundsätze. Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008, Bonn 2008.

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Bonn 1958.

Feilchenfeld, Wilhelm, "Die Blinden im Deutschen Reich nach der Gebrechlichenzählung von 1925/26", Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Jg. 87 (1931), S. 249-251.

Geissler, Horst, "Causes of blindness in the Federal Republic of Germany", Documenta Ophthalmologica, Jg. 57 (1984), S. 327-328.

Hammers, Wolfgang, Erblindungsursachen bei Zivilblinden im Rheinland, Diss. 1981.

Hannemann, Blanda, Statistik über 345 Erblindungsfälle der Badischen Blindenanstalt Ilvesheim, Diss. 1926.

Hugger, H., "Auswertung von 1500 Blindengeldbescheinigungen aus dem Bereich Südbaden", Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Jg. 153 (1968), S. 722-724.

Jaeger, Wolfgang, "Wandel in den Ursachen der Blindheit in den letzten hundert Jahren", in: Staatliche Blindenschule Ilvesheim - Jahresbericht für das Jubiläumsschuljahr 1967-1968, Ilvesheim 1968, S. 83-94.

Knauer, Christine/Pfeiffer, Norbert, "Erblindung in Deutschland - heute und 2030", Ophthalmologe, Jg. 103 (2006), S. 735-741.

Krumpaszky, Hans Georg/Klauß, Volker, "Erblindungsursachen in Bayern", Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Jg. 200 (1992), S. 142-146.

"Epidemiology of blindness and eye disease", Ophthalmologica, Jg. 210 (1996), S. 1-84.

Magnus, Hugo, Die Blindheit, ihre Entstehung und ihre Verhütung, Breslau 1883.

Makabe, Rokuro/Hellwig, A., "Wandel der Erblindungsursachen in jüngster Zeit", Versicherungsmedizin, Jg. 40 (1988), S. 136-139.

Niederstadt, Friedrich-Adolf, "Die Erblindungsursachen bei 647 Blinden der badischen Staatlichen Blindenschule in Ilvesheim von 1885-1950", in: Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Staatlichen Blindenschule Ilvesheim, Offenburg 1951, S. 48-59.

O. A., "Das Blinden- und Sehschwachenwesen der DDR in Zahlen", Die Gegenwart, Jg. 35, H 1 (1981), S. 22-23. Statistik des Deutschen Reichs. Bd. 419. Die Gebrechlichen im Deutschen Reich nach der Zählung von 1925/26, Berlin 1931, S. 9-26.

Resnikoff, Serge u.a., "Global data on visual impairment in the year 2002", Bulletin of the World Health Organization, Jg. 82, H. 11 (2004), S. 844-851.

Rohrschneider, Klaus, "Blindheit in Deutschland - Vergleich zwischen bekannten Daten und Vorhersagen", Ophthalmologe, Jg. 109 (2012), S. 369-376.

Rohrschneider, Klaus/Greim, Sandra, "Erblindungsursachen in Baden von 1980 bis 1999", Klin. Monatsbl. Augenheilkd., Jg. 221 (2004), S. 116-121.

Rohrschneider, Klaus/Mackensen, Irmgard, "Augenerkrankungen in der staatlichen Blindenschule Ilvesheim. Veränderungen von 1885 bis 2008", Ophthalmologe, Jg. 110 (2013), S. 331-338.

Rohrschneider, Wilhelm, "Bewahrung des Augenlichtes - Verhütung der Blindheit", Münchener Medizinische Wochenschrift, Jg. 104 (1962), S. 1407-1410.

Schmöger, Elisabeth, "Blinden- und Sehschwachenwesen", in: K. Velhagen. (Hg.), Der Augenarzt, Leipzig 1966, S. 711-903. Scholtyssek, Hans, Späterblindete. Medizinische, psychologische, pädagogische und fürsorgerische Feststellungen, Stuttgart 1948.

Bild: Abb. 4: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 1910, 1950 und 2001. (Quelle: Abbildung modifiziert aus der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts 2003, mit freundlicher Genehmigung) [Beschreibung: Drei Alters-Verteilungsgrafiken, X-Achse 0-1000 tausend Personen, Y-Achse 0-100 Jahre. Links Männer, rechts Frauen. 1910 zeigt eine gleichmäßige Alterspyramide von etwas über 800.000 geborenen Männern und Frauen, die sich nach oben hin ausdünnt. 1950 zeigt unregelmäßige Kurven: Etwa 500.000 geborene Männer und Frauen. Erster Peak bei 10 Jahren (ca. 700.000 Männer und Frauen), ein Einbruch bei 33 Jahren auf nur etwa 300.000 Männer und Frauen, der zweite Peak bei 47 Jahren (ca. 580.000 Männer und 600.000 Frauen), der sich dann nach oben gleichmäßig ausdünnt. 2001 zeigt etwas unter 400.000 geborene Menschen und eine gleichbleibende Verteilung bis ca. 30 Jahre. Erster Peak bei ca. 38 Jahren mit 800.000 Männern und ca. 780.000 Frauen. Bis Alter 48 immer ein leichter Männerüberschuss. Die weitere Verteilung ist ungleichmäßig, mit einem Einbruch bei ca. 57 Jahren auf unter 400.000 Menschen und spontanem Anstieg bei Alter 63 auf etwas über 600.000 Menschen. Ab dort eine gleichmäßige Ausdünnung nach oben mit einem deutlichen Frauenüberschuss von z.T. fast 200.000.]

Bild: Abb. 5: Auszug aus den Aufzeichnungen der Blindenschule Ilvesheim aus dem Schuljahr 1897/98 mit Angabe der Schüler und der der Blindheit zugrundeliegenden Erkrankung. Quelle: Blindenschule Ilvesheim, Jahresbericht der Zöglinge 1897/98.

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Barrierefreiheit und Mobilität

Isabella Brawata

"Wenn ich den Kopf in den Sand stecke, werde ich verrückt." - Wie Frau Bärwald ihre Schulung in Orientierung und Mobilität erlebt hat

Das Leben hält viele Überraschungen bereit - leider nicht nur Schöne.

An einem Dienstag im September 2017 stellte Frau Bärwald plötzlich fest, dass sie vor dem linken Auge nur noch Schleier sehen konnte. Sie war beunruhigt und vereinbarte für den nächsten Tag einen Termin bei ihrem Augenarzt. Und das war gut so, denn plötzlich auftretende Sehstörungen sollte man sehr ernst nehmen. Der Augenarzt diagnostizierte ein Papillenödem, eine Schwellung des Sehnervenkopfes. Da, wo die Sehnerven sich bündeln und die Augenhöhle verlassen, ist eine "Engstelle" im Auge. Füllen sich die Sehnervenzellen und Blutgefäße des Sehnervenkopfes mit Flüssigkeit, schwillt er an. Eine starke Ausdehnung des Sehnervenkopfes hat im engen Austrittsloch, wo der Sehnerv die Augenhöhle verlässt, verheerende Folgen. Der Augenarzt verwies Frau Bärwald umgehend an eine Augenklinik. Die Ärzte versuchten, durch hohe Kortisongaben und durch eine Immuntherapie die Entzündung, die das Papillenödem ausgelöst hatte, in den Griff zu bekommen. Auf dem rechten Auge bemerkte sie zunächst keine Sehverschlechterung. Doch nach drei Tagen wachte sie am Morgen auf und die Welt um sie herum war grau. Über Nacht sah Sie nichts mehr. Die Augenärzte machten ihr Hoffnung, dass es wieder werden würde. Sie ließ zahlreiche für sie sehr anstrengende Untersuchungen und Behandlungen über sich ergehen, doch es wurde nicht besser.

Du musst!

Die erste Zeit nach der Erblindung war für Frau Bärwald sehr schlimm. Sie lag im Krankenhaus und konnte nichts tun. Zunächst bekam sie auch keinen Rat, wie es für sie nach der Erblindung weitergehen könnte. Doch schon in der Klinik hat sie sich gesagt: "Du kannst nicht Dein ganzes Leben lang wie ein Strauß den Kopf in den Sand stecken, das funktioniert nicht! sonst wirst Du verrückt! Du musst mit der Situation klarkommen und etwas tun, damit Du nicht in Depressionen verfällst!"

Sie wollte so schnell wie möglich entlassen werden, um den Geburtstag ihres Enkels im November feiern zu können. Nach fünf Wochen Krankenhausaufenthalt konnte sie nicht mehr. Keine der Behandlungen schlug an. Bis heute ist die Ursache für ihre Erblindung unklar. Sie gelangte zu der Erkenntnis, dass weitere Therapien zwecklos seien, und auch die Augenärzte gaben zu, dass sie nicht mehr weiterwüssten. In der Klinik in Gießen bekam Frau Bärwald die Auflage, dass sie nur dann entlassen werden würde, wenn sie sich an das Beratungs- und Schulungszentrum der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) wenden würde.

Im Beratungs- und Schulungszentrum der blista wurde Frau Bärwald aufgezeigt, welche Rehabilitationsmöglichkeiten es für Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung gibt. Um wieder mobiler zu werden, beschloss sie eine Schulung in Orientierung und Mobilität zu machen.

Eine Mutprobe der besonderen Art

Sie besorgte sich eine augenärztliche Verordnung für zwei Blindenlangstöcke sowie für eine Schulung im Gebrauch des Hilfsmittels. Das Rezept enthielt außerdem die Augenerkrankung (Diagnose), Sehschärfe (Visus) und weitere Faktoren, die zu einer Sehbeeinträchtigung führen, wie zum Beispiel hohe Blendempfindlichkeit, Nachtblindheit oder stark eingeschränktes Gesichtsfeld. Anschließend vereinbarte sie einen Termin für ein Evaluationsgespräch. Es wurde von Herrn Jungmann, einem Rehabilitationslehrer für blinde und sehbehinderte Menschen, durchgeführt. Zunächst besprach Herr Jungmann mit Frau Bärwald, welche Voraussetzungen sie mitbringt und welche Ziele und Wünsche sie für die Schulung hat. Herr Jungmann ermittelte anhand des Gesprächs den Stundenbedarf und erstellte einen Schulungsplan, der zusammen mit der Verordnung an ihre Krankenkasse geschickt wurde.

Das Evaluationsgespräch war Frau Bärwald, wie sie selbst sagt, sehr wichtig. "Mir hat geholfen, dass ich durch das Gespräch erfahren habe, was eine Schulung in Orientierung und Mobilität ist und was ich in der Schulung alles lernen kann."

Außerdem zeigte Herr Jungmann ihr unterschiedliche weiße Langstöcke sowie Stockspitzen und brachte verschiedene kleine Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen mit. Am meisten war sie von den Sockenringen begeistert, die verhindern, dass die Socken in der Waschmaschine durcheinandergeraten, von den bunten Markierungspunkten, die man auf Haushaltsgeräte kleben kann, um diese leichter bedienen zu können, und von der Unterschriftsschablone, die verhindert, dass man beim Unterschreiben in der Zeile verrutscht.

Auch Frau Bärwalds Mann hat die Unterstützung des BSZ sehr positiv wahrgenommen. "Als wir in Marburg waren, hatte ich das Gefühl, dass wir mit unserem Problem nicht allein sind, dass es Menschen gibt, die sich mit dem Handicap meiner Frau auskennen", berichtet er.

Dinge, von denen Frau Bärwald und ihre Familie glaubten, dass sie aufgrund der Blindheit nicht mehr möglich sind, wie Karten- oder Mensch-ärger-Dich-nicht!-spielen oder einen Kuchen backen, werden durch entsprechende Hilfsmittel (adaptierte Gesellschaftsspiele sowie sprechende Waagen und Messbecher) wieder möglich.

Die erste Unterrichtsstunde in Orientierung und Mobilität hat Frau Bärwald als "aufregend neu" und beängstigend zugleich erlebt. Sie schildert, dass sie sich vor jeder Unterrichtsstunde vor Angst verrückt gemacht hat. Sie ängstigte sich davor, an der Bordsteinkante entlangzulaufen, um sie als Leitlinie zu nutzen, weil sie fürchtete, auf die Fahrbahn zu geraten und überfahren zu werden. Die vorbeibrausenden Autos waren ihr Anfangs unheimlich.

Zwar muss sie sich auch heute noch jedes Mal überwinden, sich auf den Weg zu machen, aber mittlerweile dient die Bordsteinkante ihr als gute Orientierungshilfe, und auch ihre Furcht vor dem Straßenverkehr hat sich gelegt. "Wenn ich meine Angst niedergekämpft habe, dann läuft es", berichtet sie. "Als mich eine Nachbarin beobachtet hat, rief sie voller Bewunderung: 'Mein lieber Mann! Das hast Du aber gut gemacht! Du gehst aber ab!'"

In die Stadt geht Frau Bärwald allerdings nie ohne sehende Begleitung, weil der Weg auch für geübte blinde Menschen recht schwierig und unsicher ist. Doch sie hat es geschafft, den Weg von ihrem Zuhause bis zum Gemeindehaus mit Restaurant zu lernen und geht ihn regelmäßig.

Um sich besser in die Situation seiner Frau hineinversetzen zu können, setzte sich Herr Bärwald eine Augenbinde auf und lernte Begleit- und Führtechniken und probierte aus, wie es ist, mit dem weißen Langstock Treppen zu laufen. Mein Handicap ist etwas ganz Normales

Viele Menschen, die eine so schwerwiegende Sehverschlechterung erfahren haben, dass Sie auf einen weißen Langstock angewiesen sind, schämen sich, eine Sehbehinderung zu haben. Ihnen ist es peinlich und unangenehm, mit dem weißen Langstock gesehen zu werden. Sie möchten ihren Sehverlust vor den Mitmenschen geheimhalten.

Doch Frau Bärwald steht zu ihrem Handicap. Sie geht ganz selbstverständlich mit ihrer Seheinschränkung um, weil sie der Überzeugung ist, dass wir alle verschieden sind und dass ein Handicap zu haben genauso normal ist, wie groß oder klein, dick oder dünn zu sein. Deshalb geht sie offen mit ihrem Handicap um. Ihre Familie sieht es genauso. Darum haben ihre Angehörigen das Umfeld schon sehr früh über Frau Bärwalds Sehverlust informiert. Ihr Mann berichtet, dass Einige schockiert reagieren. "Die Leute sehen meine Frau, trauen sich aber nicht, zu ihr hinzugehen, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen", erzählt er. "Ich versuche den Leuten die Scheu zu nehmen, indem ich locker-flockig sage: ‚Du musst zu meiner Frau hingehen, sie sieht Dich nicht, musst sagen, wer Du bist, musst guten Tag sagen, wenn Du willst.' Aber ich weiß, dass das schwierig ist."

Andere Menschen haben weniger Probleme mit Frau Bärwalds Sehverlust. Ein Bekannter feierte in dem Gemeindehaus mit Restaurant, zu dem Frau Bärwald den Weg in der Orientierungs- und Mobilitätsschulung geübt hat, seinen sechzigsten Geburtstag. Er bestand darauf, dass Frau Bärwald seine Einladung annehmen solle. Anfangs sträubte sie sich, denn die Vorstellung, nach dem Sehverlust wieder unter Leute zu gehen, behagte ihr nicht. Aber es wurde eine tolle Feier. Auch ihre beste Freundin hat nach dem Sehverlust zu ihr gehalten. Die beiden treffen sich regelmäßig.

Indem sie sich bemüht, ihren Sehverlust zu akzeptieren, macht Frau Bärwald es ihren Mitmenschen leichter, auf sie zuzugehen. Sie betrachtet Krisen nicht als Katastrophen, sondern als Veränderungen, an die man sich anpassen muss. Trotz ihrer positiven Lebenseinstellung gibt es auch immer wieder Rückschläge. Die Zusammenarbeit mit den Ämtern hat Frau Bärwald in ihrer Situation als nervenaufreibend und zermürbend erlebt, weil die Beantragung der Schulung in Orientierung und Mobilität, des Schwerbehindertenausweises und des Landesblindengeldes sich hinzog, weil es nicht einfach war, die verlangten Unterlagen einzureichen.

"Ich kann nicht immer von mir behaupten, dass es mir gut geht", stellt sie klar, "aber das Leben wird unerträglich, wenn man sich nach einer großen Sehverschlechterung keine Hilfe holt und nicht versucht, die eigene Situation zu verbessern."

Kontakt:

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Beratungs- und Schulungszentrum
Telefon: 06421 606-500
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Berichte und Schilderungen

Kathrin Hölscher

Zeitenwende - vom Leben nach der blista

Als ich 2014 mein Abitur machte, hatte mein rechtes Auge noch eine Sehkraft von ungefähr 10 % und mein linkes Auge schwankte zwischen 2 % und 5 %. Ich arbeitete hauptsächlich mit ZoomText und anderen Vergrößerungsprogrammen. Jaws oder ähnliche Sprachprogramme nutzte ich gar nicht. Mit meiner Lupenbrille waren mir auch ganz normale Bücher zugänglich. Warum ich das an dieser Stelle erwähne, dazu später mehr.

Natürlich habe ich in meinem letzten Schuljahr viel darüber nachgedacht, was ich einmal in der Zeit nach der blista machen wollte. Während der Oberstufe hatte ich bereits ein anregendes Praktikum im Fachbereich Psychologie der Phillips-Universität Marburg absolviert, aber direkt von der Schule an die Uni? Der Gedanke, sofort nach der doch sehr beschaulichen blista-Zeit in den anonymen Hochschulbetrieb einzusteigen, erschien mir nicht sehr verlockend, und etwas mulmig war mir bei dem Gedanken auch.

Über einen Bekannten erfuhr ich vom Studium Generale am Leibniz Kolleg in Tübingen. Der Grundgedanke hierbei ist, dass man vor dem Studium oder der Ausbildung in die unterschiedlichsten Bereiche reinschnuppern darf. Alle Teilnehmer leben am Kolleg gemeinsam in einem Haus. Als ich von dieser Möglichkeit hörte, war ich Feuer und Flamme. Ich hatte das Gefühl, jemand hätte dieses Angebot direkt auf meine Wünsche abgestimmt. Also bewarb ich mich und wurde eingeladen, für zwei Tage nach Tübingen zu kommen. Dort hospitierte ich in unterschiedlichen Kursen, redete mit Studierenden und führte ein ziemlich langes Bewerbungsgespräch. Als schließlich die Zusage kam, war ich unglaublich erleichtert.

Der Abiball war sehr nostalgisch, aber obwohl mir klar war, dass ich meine Freunde vermissen würde, freute ich mich auf die Zukunft.

Mein Jahr am Leibniz Kolleg in Tübingen

Das Studium Generale am Leibniz Kolleg umfasst 10 Monate. Diese gliedern sich in drei Trimester, in denen die Dozenten die unterschiedlichsten Studiengänge vorstellen. Es müssen Referate gehalten werden und man schreibt während des Jahres zwei kurze Hausarbeiten. Ich belegte in diesem Jahr unter anderem Astronomie, Pädagogik, Improvisationstheater, Filmanalyse, Creative Writing, Physik, Architekturgeschichte, Bio, Politik, Schwedisch - und wir machten eine Studienfahrt nach Rom.

Die 53 Studierenden leben wie gesagt alle in einem Haus, die meisten davon in Doppelzimmern. Das klingt zwar gewöhnungsbedürftig, aber ich habe das meistens sehr genossen. Das Kolleg war damals noch nicht an die Uni angegliedert, das ist aber inzwischen Vergangenheit. Daher kann sich einiges von dem, was ich oben beschrieben habe, inzwischen geändert haben. Es war jedenfalls eine prima Zeit. Ich habe Bereiche kennengelernt, in die ich sonst wohl nie Einblick erhalten hätte. Die Dozenten waren sehr rücksichtsvoll und meine Behinderung hat mir überhaupt keine Probleme bereitet. Die Materialien waren natürlich überwiegend in Papierform und es wurde viel an die Tafel geschrieben, aber jeder gab sich die größte Mühe mich einzubeziehen. Eine Dozentin hat sogar alles, was sie in der Stunde an die Tafel schreiben wollte, für mich vorher abgetippt.

Am besten waren die Freundschaften, die ich dort geschlossen habe. Die meisten meiner Kommilitonen waren deutlich selbständiger als ich oder meine Freunde von der blista, was mich anfangs doch verunsicherte. Aber schon bald hatte ich viele großartige Freunde, mit denen ich gekocht, Unsinn gemacht, diskutiert und Sachen unternommen habe. Auch für die anderen Studierenden des Leibniz Kollegs war meine Behinderung kein Thema. So habe ich, weil ich auch gehbehindert bin, bei unserer Fahrt nach Rom einen Rollstuhl mitgenommen, und es gab immer Leute, die mich schieben wollten.

Das erste halbe Jahr verlief für mich recht unbeschwert. Dann habe ich irgendwann gemerkt, dass etwas mit meinen Augen nicht stimmt, und damit meine ich, noch mehr nicht stimmt als sowieso schon. Der Augenarzt bestätigte mir, dass das Sehen auf meinem rechten, besseren Auge sich verschlechtert hatte und verschrieb mir eine neue Brille. Aber mein Sehrest nahm weiterhin immer schneller ab. Nach einem Besuch in der Augenklinik in Mainz wusste ich auch warum: Der Augendruck in meinem rechten Auge, der immer zu hoch gewesen war, war nun konstant zu niedrig. Dadurch war das Auge instabil geworden und meine Netzhaut begann sich abzulösen. Die verschriebenen Medikamente zeigten keine Wirkung und irgendwann konnte ich täglich eine Verschlechterung spüren. Ich weiß noch, dass ich ein Referat gehalten habe, und als ich anfangen wollte, konnte ich die Notizen nicht mehr lesen, die ich mir am Tag vorher aufgeschrieben hatte.

Eine derartig schnelle und gravierende Sehrestverschlechterung ist kein Spaziergang. Angst, Trauer, Wut wechselten sich ab - gewohnte Dinge, wie ein Buch lesen zu können, wurden für mich unmöglich. Bisher war doch alles so gut gelaufen für mich. Ich hatte einen Platz gefunden, und durch meine nicht sehbehinderten Freunde wurden mir ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Ich fühlte mich kaum noch behindert, und ausgerechnet jetzt mussten meine Augen wieder dazwischenfunken. Aber auch wenn das traurig klingt, ging es mir in dieser Zeit nicht nur schlecht. Ich hatte weiterhin Spaß mit den anderen. Dass man auf dem Kolleg nie allein war, hat mir sehr geholfen.

Meine Zukunftspläne beeinflusste die Sehverschlechterung jedoch drastisch. Mein Wunschtraum war ein Medizinstudium gewesen. Doch die Sehrestverschlechterung machte mir dabei einen dicken Strich durch die Rechnung. Am geeignetsten erschien mir nun ein Psychologiestudium. Die Wahl der Uni gestaltete sich für mich nicht ganz einfach. Ich hatte ursprünglich geplant, mich in Leipzig, Heidelberg oder Freiburg zu bewerben, wo auch viele meiner Freunde hinziehen wollten. Jetzt, da ich wieder viele Arzttermine vor mir hatte und mehr Hilfe benötigte, bewarb ich mich an Unis in der Nähe des Wohnorts meiner Eltern. Im Juli 2015 endete unsere Zeit am Leibniz Kolleg und alle gingen ihrer Wege. Meiner sollte mich zunächst ins Krankenhaus führen, da sich mein Sehen immer weiter verschlechterte. Mein Augenarzt meinte, ich solle so bald wie möglich in die Fachklinik nach Mainz gehen und mich dort behandeln lassen. Ich hatte allerdings schon einen Urlaub mit Freunden geplant, auf den ich mich riesig freute und den ich auf keinen Fall absagen wollte - ich war es einfach leid, dass meine Behinderung ständig mein Leben bestimmte.

Nach dem Urlaub wurde ich zweimal operiert. Die Ärzte gaben sich zwar große Mühe, aber trotzdem war mein rechtes Auge nach der zweiten OP blind. Eine dritte OP mit geringen Erfolgsaussichten lehnte ich ab. Die Eingriffe waren sehr schmerzhaft gewesen, und ich bin der Meinung, zu viel Krankenhaus kann manchmal mehr Schaden anrichten als die vage Hoffnung auf die eventuelle Wiederherstellung eines kleinen Teils des Sehvermögens rechtfertigt.

Ein großes Glück habe ich allerdings: Mein linkes Auge ist davon unberührt geblieben. Auf ihm sehe ich bis heute etwas zwischen 2 bis 5%. Auch wenn ich viele Dinge nicht mehr kann, weiß ich doch, wie unglaublich wertvoll dieser Sehrest ist.

Mein Studium an der Universität zu Köln

Dank des Härtefallantrags bekam ich Zusagen für mehrere Unis, unter anderem für die Uni Marburg. Dort hinzugehen, wäre wohl unter dem Aspekt der Sehbehinderung am sinnvollsten gewesen, aber nach Marburg zurückzugehen, wäre mir wie ein Rückschritt und ein Eingeständnis vorgekommen, dass ich meine Behinderung über mein Leben bestimmen lasse. Die beste Option schien mir nun Köln zu sein. So konnte ich jederzeit bei meinen in der Nähe wohnenden Eltern sein, war aber trotzdem in einer anderen Stadt.

Mein erstes Semester lief dann alles andere als zufriedenstellend. Es gelang mir nicht, meine Kommilitonen näher kennenzulernen. Ich war einfach nicht in der Stimmung für Partys und Small Talk, und durch die große Zahl der Studierenden erkannte ich die, mit denen ich einmal geredet hatte, nicht wieder. Aus praktischen Gründen war ich in ein Zimmer des Studentenwerks gezogen. Dort war es trostlos und man redete nur das Nötigste miteinander. Inzwischen weiß ich aber, dass es auch im Studentenwerk sehr nette WGs gibt. Ich war oft einsam und vermisste meine Freunde. Auch der Sehverlust machte mir natürlich weiter zu schaffen. Ich vermisste das Lesen und hatte Probleme mich zu orientieren. Im Gegensatz zu Marburg und Tübingen ist Köln ziemlich unübersichtlich und, wenn man mal ehrlich ist, auch nicht besonders hübsch.

Die Universität zu Köln barrierefrei zu nennen, ist meiner Meinung nach eine leichte Übertreibung. Es gibt kompetente Behindertenbeauftragte, Nachteilsausgleich bei Klausuren, und ich kann mir Literatur umwandeln lassen, aber ich muss mich um sehr viel selbst kümmern. Wenn man dabei nicht aufpasst, wird man von einer Stelle zur nächsten geschickt.

Die Literatur, die von den Dozenten hochgeladen wird, ist oft nur eingescannt und so für mich nicht lesbar. Weil ich Folien nicht erkennen kann, kann ich aus den Vorlesungen kaum etwas mitnehmen und muss mir viel im Nachhinein selbst beibringen. Hinzu kommt, dass die offizielle Seite der Uni, auf der man sich beispielsweise für Veranstaltungen und Klausuren anmeldet, nicht barrierefrei ist. Außerdem muss ich ständig für alles Mögliche Anträge stellen. Das alles hat mich in der ersten Zeit doch etwas überfordert. Deshalb habe ich im ersten Semester weniger über Psychologie gelernt als vielmehr (Lebens)Erfahrungen gesammelt.

Das hat mir am meisten geholfen:

1. Das iPhone

Zu Beginn meines Studiums habe ich mir auf Empfehlung ein iPhone angeschafft. Ich nutze es natürlich, um zu kommunizieren, aber auch für vieles mehr: Kann ich ein Schild nicht lesen, so fotografiere ich es ab und ziehe mir das Bild groß, Lehrbücher und Folien lasse ich mir davon vorlesen, und wenn dies rechtlich kein Problem wäre, könnte ich sogar meine Vorlesungen damit aufzeichnen.

2. Studienassistenzen

Mein gesamtes Studium über bin ich in unterschiedlichem Umfang auf Studienassistenzen angewiesen. Inzwischen benötige ich nicht mehr viele Stunden, aber trotzdem ist es hilfreich, ein paar Leute zu haben, die bei Bedarf eine Klausuranmeldung erledigen oder etwas vorlesen können.

Am wichtigsten sind Assistenzkräfte aber, um die Tatsache auszugleichen, dass ich von Vorlesungen so wenig mitnehmen kann. Manche Inhalte wie Statistik oder Biologische Psychologie kann ich mir nicht selbst erschließen. Als ich das erkannt hatte, habe ich Psychologiestudentinnen aus höheren Semestern als Studienassistentinnen angestellt, die mir die Inhalte erklären konnten.

3. Mit den Dozenten reden

Ja, die Uni ist anonym, aber die meisten Dozenten sind kooperativ. Bei Bedarf ein persönliches Gespräch zu suchen, ist in jedem Fall sinnvoll.

Ab dem zweiten Semester ging es wieder bergauf. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich in das Wohnheim der ESG (evangelische Studierendengemeinde) eingezogen bin. Dort wohnte ich mit 15 weiteren Leuten auf einem chaotischen Flur. Wir hatten eine Gemeinschaftsküche und ein Wohnzimmer. In dem Haus war immer viel los. Es war leicht, neue Leute kennenzulernen. Ich habe schnell Freunde gefunden und begonnen, mich ehrenamtlich zu engagieren. Meine Behinderung war dort überhaupt kein Problem. In dem Haus wurden viele Freizeitangebote gemacht, sogar Fahrten fanden statt. Ich bin in den Chor eingetreten. Man muss übrigens nicht christlich sein, um dort zu wohnen, und die meisten Angebote sind auch nicht christlich orientiert. Als das Wohnheim vor einem knappen Jahr wegen Sanierung geschlossen wurde, hatte ich großes Glück und habe mit vier Freunden zusammen eine großartige Wohnung in Köln-Kalk ergattert. Dort wohnen wir heute noch und inzwischen sind die Wohnung und meine Mitbewohner mein Zuhause geworden. Wir haben oft Besuch und veranstalten Spieleabende. Die Wohnung ist eine von vielen in einem großen Neubaugebäude. Dort findet integratives Wohnen statt. Das bedeutet, dass die Hälfte der Wohnungen an Geflüchtete vermietet wird. Das Haus ist also multikulturell, was mir sehr gefällt.

Auch mein Studium gefällt mir immer besser. Klar, ich kann nicht dieselben Leistungen erbringen wie meine Kommilitonen, und manchmal ist es ganz schön frustrierend zu sehen, wie viele Steine mir zusätzlich in den Weg gelegt werden, aber ich habe eine hohe Frustrationstoleranz entwickelt und kann über mich selbst lachen und das hilft - jedenfalls meistens. Das Psychologiestudium ist wirklich interessant und es kann mich begeistern. Trotzdem gibt es immer wieder Rückschläge. Ich versuche z.B. seit fast einem Jahr, einen Praktikumsplatz zu bekommen. Das Problem dabei ist, dass ich nur Absagen bekomme, sobald ich meine Behinderung in der Bewerbung erwähne. Als ich das gemerkt habe, habe ich dieses kleine Detail weggelassen und prompt auch Zusagen erhalten. Allerdings wurden diese wieder zurückgezogen, sobald die Zuständigen von meiner Sehbehinderung erfuhren. Diese Tatsache nervt mich gerade sehr, da ich noch zwei Praktika benötige, um meinen Bachelor abzuschließen, und natürlich auch unbedingt praktische Erfahrungen sammeln möchte. Am ärgerlichsten finde ich, dass ich einfach vorverurteilt werde und sich die Leute nicht mal die Mühe machen, ihre Bedenken mit mir zu besprechen. Für das Problem habe ich bisher noch keine Lösung gefunden, aber ich bin dran.

Inzwischen bin ich im siebten Semester und werde den Bachelor, wenn alles gut geht, dieses Jahr beenden. Danach möchte ich mit dem Master beginnen. Anschließend würde ich gerne die Therapeutenausbildung machen und Psychotherapeutin werden, aber vielleicht kommt ja am Ende auch alles ganz anders. Wir werden sehen.

Bild: Blick auf Köln. Foto: Gerd Rohs / Pixabay. [Blick auf Köln im Sonnenuntergang. Im Vordergrund die Rheinbrücke und der Dom, im Hintergrund die Stadt mit dem Fernsehturm.]

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Dr. Christiane Schilling

Die Blindenschule in Ikungi

Ikungi ist ein kleiner Ort im mittleren Norden von Tansania. Nach Dodoma, der Hauptstadt Tansanias, sind es ungefähr 350 km. In der Nähe von Ikungi liegt das kleine Dorf Puma. Hier befindet sich das katholische Kloster Mothers of the Holy Cross mit seinem Hospital. Dort finden seit 2009 jährlich zwei Einsätze eines Augenteams statt. Die Organisation und Finanzierung liegt in Händen des Vereins "Vision for Puma" e.V. Seit 2012 nehme ich regelmäßig an diesen Einsätzen teil und besuchte auch 2012 erstmals die Schule in Ikungi.

Es handelt sich um eine Mittelschule, in der rund 1400 Schüler von 50 Lehrern unterrichtet werden. 1981 wurde hier eine spezielle Schule für sehbehinderte und blinde Kinder integriert. Diese wird durchschnittlich von 150 Kindern besucht. Die Schüler sind internatsmäßig untergebracht, wobei sich oftmals zwei Kinder ein Bett teilen müssen. Eine Art Hausmutter, deren Kind selbst blind ist, und ein ebenfalls blinder Lehrer kümmern sich besonders um diese Schüler. Die Unterrichtsmaterialien sind größtenteils selbst angefertigt.

Einen großen Anteil der Schule für sehbehinderte und blinde Kinder nehmen mit 50 Schülern Albinos ein. Die Schule ist damit die zweitgrößte Einrichtung für Albinos in Tansania. Das Schicksal der Albinos ist in Afrika immer noch sehr problematisch. Da ihren Knochen Wunderkräfte zugeschrieben werden, werden diese Kinder oftmals verfolgt, verstümmelt oder sogar ermordet. Aufgrund der erhöhten Blendempfindlichkeit benötigen sie Lichtschutzbrillen, die wir aus Deutschland mitbringen bzw. hier anfertigen lassen.

Weiterhin finden sich Kinder mit dichten Hornhauttrübungen oder Narben, die durch Verletzungen oder Infektionskrankheiten entstanden sind. Manchen dieser Kinder könnte durch eine Hornhauttransplantation durchaus geholfen werden, aber die Voraussetzungen sind in dieser Gegend leider nicht gegeben und die Entfernungen in die Kliniken nach Daressalam oder Moshi sind zu groß.

Unter den Krankheitsbildern finden sich weiterhin Missbildungen und Atrophien des Sehnervs. Hier ist besonders bedrückend, dass bei etlichen Kindern die Ursache der Schädigung Misshandlungen waren.

Erfreulich ist dagegen, dass wir einer ganzen Reihe dieser Kinder mit einer Brillenanpassung teilweise zu einem deutlich besseren Sehen verhelfen konnten. Allerdings müssen diese Brillen ebenfalls in Deutschland angefertigt werden, da der Erwerb vor Ort zu teuer ist.

Großer Bedarf besteht nach wie vor an Punktschriftschreibmaschinen. 2012 brachten wir die zweite dieser Schreibmaschinen mit. Inzwischen konnten wir den Bestand auf fünf Stück aufstocken.

Das Kloster ist verpflichtet, für Untersuchungen, Operationen, Medikamente oder Brillen Gebühren zu berechnen. Diese Kosten werden von unserem Verein Vision for Puma e.V. getragen, da ansonsten keine Versorgung dieser Kinder möglich wäre. Ebenso tragen wir die Kosten für den Transport der Kinder oder versuchen, Untersuchungen und Brillenbestimmungen direkt vor Ort durchzuführen.

Unsere Hilfe wird sowohl von den Kindern als auch von den Betreuern dankbar angenommen, und diese Dankbarkeit ist für uns Ansporn, das Projekt weiterzuführen und auszubauen.

Bild: Die Blindenschule in Ikungi. Foto: privat. [Ein Panoramabild des Schulhofs, auf dem die Schüler versammelt sind. Im Hintergrund Bäume und Schulgebäude unter einem blauen Himmel.]

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Aus der Arbeit des DVBS

Marianne Preis-Dewey

DVBS und PRO RETINA - ein gutes Team!

PRO RETINA und DVBS - das sind zwei sehr unterschiedliche Selbsthilfe-Organisationen mit voneinander abweichenden Schwerpunkten ihrer Arbeit: Die PRO RETINA hat ihren Fokus in der diagnosespezifischen Beratung von Menschen mit den diversesten Netzhauterkrankungen, während der DVBS auf die Beratung und Unterstützung von sehbehinderten und blinden Menschen rund um die Themen Studium, Aus- und Weiterbildung sowie berufliche Teilhabe spezialisiert ist.

Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten: Beide Selbsthilfe-Organisationen vertreten hoch engagiert auf ihrem jeweiligen Gebiet die Interessen ihrer Mitglieder und setzen sich intensiv zum Wohle von Menschen ein, die von Sehbehinderung oder Blindheit betroffen sind.

Gerade weil DVBS und PRO RETINA so unterschiedlich ausgerichtet sind, ergänzen sie einander gut im Hinblick auf ihr Leistungsangebot - das finden die Mitglieder der Vorstände beider Organisationen und haben deshalb vereinbart, in einigen Bereichen künftig enger zusammenzuarbeiten. Die Mitglieder beider Vorstände befürworten ausdrücklich den aktiven Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Regionalgruppen der PRO RETINA und den Bezirks-, Fach- und Interessengruppen des DVBS und begrüßen die Durchführung gemeinsamer Aktionen, wie zum Beispiel:

  • regionale Stammtische
  • Telefon-Chats zu spezifischen Themen
  • Workshops und Seminare
  • Vorträge usw.

Als Mitglied des DVBS sind Sie darum herzlich eingeladen, bei Interesse auch an Veranstaltungen der PRO RETINA teilzunehmen. Eine Übersicht über die aktuell geplanten Termine und Veranstaltungen finden Sie auf folgenden Webseiten:

Für den DVBS: dvbs-online.de/index.php/aktuelles/termine

Für PRO RETINA: pro-retina.de/aktuelles/termine

Unsere Hoffnung ist, durch gemeinsame Aktionen und die engere Zusammenarbeit Menschen, die von Sehbehinderung oder Blindheit betroffen sind, noch umfassender und bedarfsgerechter beraten zu können, was medizinische Aspekte ihrer Erkrankung einerseits und die Möglichkeiten insbesondere in Fragen zu Beruf und Bildung andererseits angeht.

Bei Fragen stehen Ihnen die Vorstandsmitglieder und die Geschäftsführerin des DVBS zur Verfügung.

Bild 1: Logo DVBS, Bild 2: Logo Pro Retina, Bild 3: Marianne Preis-Dewey. Foto: privat [Auf dem Portraitfoto trägt Marianne Preis-Dewey ihr langen braune Haare offen. Zum grauen Blazer trägt sie Ohrringe und eine schmale goldene Kette. Sie lächelt in die Kamera. Das Foto ist im Polaroid-Stil gesetzt, unter ihrem Namen steht "DVBS-Geschäftsführung".]

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Marianne Preis-Dewey, Juliane Taubner

Das erste halbe Jahr: Hinter den Kulissen

Die Arbeit des DVBS ist oft keine "laute" Arbeit. Vieles geschieht "hinter den Kulissen", ist aber von immenser Wichtigkeit für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland. Dazu gehört unter anderem die politische Arbeit, bei der wir durch Stellungnahmen und Pressemitteilungen versuchen, mehr Aufmerksamkeit für unsere Belange zu finden - in Landtagen, im Bundestag, in der Öffentlichkeit. Es ist eine Arbeit, die nie zum Erliegen kommt, da fortlaufend Gesetze und Verordnungen entworfen oder überarbeitet werden, die sich auf die Situation blinder und sehbehinderter Menschen in Bildung, Beruf und Alltag auswirken. So oft es geht, nehmen wir dazu Stellung, manchmal auch in mündlichen Anhörungen.

Neben den Stellungnahmen und Pressemitteilungen aus der Geschäftsstelle ist hier auch die Arbeit der Bezirksgruppen besonders wichtig, die auf regionaler Ebene oder in den Landtagen zum Tragen kommt. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die sich in diesem wichtigen Bereich ehrenamtlich engagieren!

Um Ihnen einen Eindruck zu verschaffen, was an Stellungnahmen und Pressemitteilungen in diesem ersten halben Jahr 2019 veröffentlicht wurde, finden Sie hier eine Übersicht:

Im Januar wurde eine Stellungnahme zum Antrag "Bürgerfreundliche und verständliche Sprache in der Verwaltung fördern" an den Schleswig-Holsteinischen Landtag verschickt.

Im Februar wurden zwei Stellungnahmen veröffentlicht: eine gemeinsame Stellungnahme des DVBS und BSVH zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und eine Vorab-Stellungnahme zum zweiten Gesetz zur Änderung des Hessischen Behindertengleichstellungsgesetzes. Im gleichen Monat ging außerdem eine Pressemitteilung zu den neuen Mobilitätsregelungen der Deutschen Bahn bundesweit an Vertreter der Presse.

Im März gab es eine Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulgesetzes Nordrhein-Westfalen. Die Nachbetrachtungen der Fachtagung "Teilhabe im Job - vor Reha, vor Rente" in Kassel wurden als Pressemitteilung verschickt.

Gleich drei Stellungnahmen wurden im April veröffentlicht: Die Stellungnahme zum Entwurf einer Verordnung zur Änderung der BITV wandte sich an den Bundestag. Die beiden weiteren galten Landtagen: in Nordrhein-Westfalen eine Stellungnahme zum Entwurf einer Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz und in Hessen eine Stellungnahme zum zweiten Gesetz zur Änderung des Hessischen Behindertengleichstellungsgesetzes.

Schleswig-Holstein war im Mai aktiv und verfasste eine Stellungnahme zum Neuerlass der Landesverordnung über den Bau und Betrieb von Beherbergungsstätten. Am 16.5. wurde von uns mit einer Pressemitteilung auf den Global Accessibility Awareness Day aufmerksam gemacht. Außerdem beteiligte sich der DVBS an der Initiative des DBSV hinsichtlich der Elektro-Kleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) und schrieb in allen Bundesländern Politiker und Schwerbehindertenbeauftragte an.

Im Juni wurde in Hessen eine Stellungnahme zum Entwurf des dritten Gesetzes zur Änderung des Hessischen Landesblindengeldgesetzes eingereicht, und in Schleswig-Holstein eine Stellungnahme zum Entwurf einer Landesverordnung über den barrierefreien Zugang zu Internetseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Außerdem wurden gleich zwei Pressemitteilungen verschickt: am 14.6. zur Nationalen Weiterbildungsstrategie, die am 12.6. von der Bundesregierung vorgestellt wurde, und am 18.6. zum enttäuschenden Beschluss bezüglich der Änderungen des Hessischen Behindertengleichstellungsgesetzes.

Sämtliche Stellungnahmen und Pressemitteilungen sind auf unserer Webseite dvbs-online.de zugänglich.

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Dr. Katarzyna Kalka

Was sagen meine Körpersprache, Präsenz und Sprache aus, wenn ich nicht sehe? -
Erfahrungsbericht eines Seminars zum Thema "Publikumskontakt und öffentliche Auftritte" im Rahmen der Ehrenamtsakademie des DVBS

Am 11. und 12. Mai 2019 kamen die acht Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer, allesamt Ehrenamtliche mit Sehbehinderung oder Blindheit, im CVJM Tagungshaus Kassel zusammen, um sich mit Fragen zu öffentlichen Auftritten vor sehendem und nicht sehendem Publikum zu befassen: Wie wirkt meine Mimik auf mein Gegenüber? Welche Gesten sind bei meinem Auftritt nützlich und welche kontraproduktiv? Wie orientiere ich mich sicher auf einer Bühne? Und wie gehe ich mit technischen Geräten, z. B. einem Mikro, angemessen und wirkungsvoll um?

Geleitet wurde das Seminar vom Diplom-Pädagogen Karl Elbl. Der Referent ist Orientierungs- und Mobilitätslehrer am Landesförderzentrum Sehen in Schleswig und u. a. tätig in der Unterstützung und Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Sehschädigung, der Durchführung von theaterpädagogischen Projekten und der Weiterbildung von Lehrkräften. Das Seminar hatte einen sehr praktischen und lebendigen Charakter, da konkrete Übungen und die Selbsterfahrung im Mittelpunkt standen.

Karl Elbl begann das Seminar mit Übungen zum Spüren des eigenen Körpers und bewusster Wahrnehmung der eigenen Körpersprache. Er machte dabei deutlich, dass es für Menschen mit einer Sehschädigung nicht darum gehen kann, Haltungen und Gesten zu lernen und zu üben, um sie dann im richtigen Moment anzuwenden. Der Weg zu gezieltem körpersprachlichen Ausdruck kann nur über das persönliche Körpergefühl und ein bewusstes Spüren der eigenen Begrenzungen und Möglichkeiten führen. Die ersten Übungen, manche auch mit Musikbegleitung, schufen schnell eine lockere und offene Atmosphäre in der Teilnehmergruppe, die während des gesamten Seminars anhalten sollte und die teilweise sehr persönliche Beschäftigung mit dem Thema sehr beförderte.

Es folgte nun ein Partneraustausch zu den individuellen Erfahrungen mit Körpersprache, Gestik und Mimik im alltäglichen Leben. Daraus wiederum ergaben sich Diskussionspunkte und eine Sammlung gemeinsamer Themen.

Im Anschluss verdeutlichte der Referent an ausgewählten Beispielen, wie Körpersprache konkret funktioniert, welche Haltungen und Gesten welche Bedeutungen haben, aber auch welche Tücken und Missverständnisse in ihnen enthalten sein können. Dabei hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, jede einzelne Bewegung und Haltung mit fachkundigem Feedback zu erproben und zu erspüren.

Am nächsten Tag wurden zunächst Präsenzübungen unter besonderer Beachtung der Wirkung der Stimme durchgeführt. Es ging darum sich bewusst zu machen, dass Aussagen, die entsprechend betont werden, eine gezielte Wirkung auf das Gegenüber erreichen.

Danach wurde es ernst, denn nun bestand für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Chance, eigene Situationen in "Spielsituationen" mit Hilfe der Gruppe und unter Anleitung des Referenten szenisch auszuprobieren. Drei Personen trauten sich auf die Bühne, um mit oder ohne Mikro eine individuelle Präsentation zu erproben. Dabei ging es darum, Aspekte des Gelernten umzusetzen und seine ganz persönliche Ausdrucksform zu finden. Auch ein wichtiges Beratungsgespräch fand an diesem zweiten Tag seine Erprobung und Feedback.

Insgesamt bot das Seminar einen guten Überblick und einen sehr praktischen Einstieg in ein Thema, das von großer Bedeutung ist. Wichtig war es, sich bewusst zu machen, dass man ständig körpersprachliche Signale aussendet und es auch für Menschen mit Sehschädigung möglich ist, diese bewusster zu spüren und einzusetzen. Selbstbewusste Präsenz ist in den verschiedensten Kommunikationssituationen erreichbar!

In der entspannten und gleichzeitig konzentrierten Stimmung des Seminars wurde deutlich, dass es zwar kein Patentrezept gibt, man aber sehr wohl auch blind oder sehbehindert individuelle Strategien entwickeln und zur Anwendung bringen kann.

Bild: Dr. Katarzyna Kalka. Foto: DVBS [Dr. Kalka trägt eine dunkel getönte Brille und ein schmales silbernes Kettchen. Der lockige Pony ihrer dunkelbraunen Haare fällt in ihr Gesicht, sie lächelt. Auf dem Foto im Polaroid-Stil steht unter ihrem Namen "DVBS-Ehrenamtsakademie"]

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Christian Axnick

DVBS-Seminare

Folgende DVBS-Seminare finden in den kommenden Monaten statt:

  • 19.9. - 22.9.2019, Herrenberg: "Gesprächsführung und Gelassenheit - Mit Zeit- und Selbstmanagement".
  • 27.9. - 29.9.2019, Marburg: Praxisseminar - "Statistik mit SPSS für blinde und sehbehinderte Studierende".
  • 28.9. - 5.10.2019, Saulgrub: Seminar der IG Ruhestand - "Aktiv bleiben im Ruhestand!"
  • 18.10. - 20.10.2019, Baunatal: Seminar der FG Soziale Berufe und Psychologie.
  • 1.11. - 3.11.2019, Bonn: Seminar für alle von Blindheit bedrohten oder kürzlich erblindeten Menschen - "Die Auseinandersetzung mit einer voranschreitenden Augenerkrankung lernen und die Aktivierung notwendiger Ressourcen".
  • 8.11. - 10.11.2019, Baunatal: Fachgruppen Jura und Verwaltung - "Verwaltung 4.0".

Bei Interesse melden Sie sich bei Christian Axnick unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 06421 94888-28. Alle weiteren Informationen finden Sie auf der Homepage unter Angebot > Seminare.

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Eine multimediale Dokumentation: Zur DVBS-Fachtagung "Teilhabe im Job - vor Reha, vor Rente"

Der eine oder die andere wird sich sicher daran erinnern, dass im März dieses Jahres die erfolgreiche Fachtagung "Teilhabe im Job - vor Reha, vor Rente" stattfand (siehe horus 2/2019). Anfang Juli wurde nun die Dokumentation der Fachtagung in der Reihe "horus spezial" veröffentlicht. "horus spezial IX" ist in Schwarzdruck und auf CD-ROM, die auch die DAISY-Hörfassung und eine Braille-Datei enthält, verfügbar und enthält außerdem ergänzende Linktipps und Hinweise auf Videomitschnitte. Sowohl die Printausgabe als auch die CD-ROM des "horus spezial IX - Teilhabe im Job" schickt Ihnen die DVBS-Geschäftsstelle auf Anfrage gerne zu (E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 06421 94888-0). horus-Abonnentinnen und Abonnenten haben die Sonderausgabe bereits erhalten.

Erstmalig können Sie Dank einer Videodokumentation diese DVBS-Fachtagung aber auch online filmisch und im O-Ton nachverfolgen oder die Folienpräsentationen nachlesen. Unsere umfangreiche Webdokumentation finden Sie auf der DVBS-Webseite unter aktuelles/schwerpunkte/fachtagung-teilhabe-im-job

Bild: horus spezial. Foto: DVBS. [Das Titelblatt des horus spezial zeigt einen stilisierten Kopf aus Holz, in dem sich Zahnräder drehen. Eine tafelartige Sprechblase mit der Aufschrift "GEHT DOCH!" kommt vom Mund. In der linken unteren Ecke liegen Buchstaben aus Metall. Aufschrift: Teilhabe im Job - vor Reha, vor Rente. Dokumentation der DVBS-Fachtagung vom 4. bis 5. März 2019 in Kassel.]

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Aus der blista

Dr. Imke Troltenier

blista-Abi 2019: "Ein Jahrgang voller Talente"

Bei sommerlichen Temperaturen und heiterer Stimmung fand am 15. Juni die Absolventenfeier der Carl-Strehl-Schule der blista statt. Insgesamt 48 blinde oder sehbehinderte Absolventinnen und Absolventen des allgemeinen und beruflichen Gymnasiums sowie der drei Fachoberschulen für Sozialwesen, Wirtschaft und Gesundheit erhielten in einer feierlichen Veranstaltung die heiß ersehnten Abschlusszeugnisse. "Ich wünsche euch für eure Zukunft viel Erfolg und alles Gute!", verabschiedete blista-Direktor Claus Duncker die Schülerinnen und Schüler, die teilweise schon seit der Jahrgangsstufe 5 die blista besucht hatten. Schulleiter Peter Audretsch und Internatsleiter Maarten Kubeja schlossen sich den guten Wünschen an, bedankten sich bei den Eltern der frisch gebackenen Absolventinnen und Absolventen "dafür, dass Sie uns Ihr Vertrauen geschenkt haben" und skizzierten ein lebendiges Bild eines "Jahrgangs voller Talente in den unterschiedlichsten Bereichen". Umrahmt wurde die Veranstaltung durch die Abi-Band, die das Publikum mit Eigenkompositionen begeistern konnte. In den Reden der Schülerinnen und Schüler wurde auf die gemeinsamen Jahre an der blista mit viel Humor und charmantem Dank zurückgeblickt.

Nach der feierlichen Zeugnisübergabe wurden folgende Absolventinnen und Absolventen für ihre besonderen Leistungen geehrt:

  • Mara Schlager und Tom Leimbrock für das beste Abitur des gymnasialen Bereichs (Durchschnitt 1,0)
  • Jeanne Benning für den besten Fachoberschulabschluss
  • Anna-Lena Fischer, Sebastian Hitz und Mara Schlager von der Deutschen Gesellschaft für Chemie (DGCh) für besondere Leistungen und Engagement im Fach Chemie.

Die Absolventinnen und Absolventen

Gymnasium (AG und BG)

Benjamin Ajrovic, Ilayda Basaran, Mirco Bassy, Tobias Bergmann, Jonas Brandenburg, Carina Bunk, Nick Dötsch, Maike Elsaßer, Olexander Filatov, Anna-Lena Fischer, Regina Fischer, Pascal Geweniger, Daniel Goral, Lilly Hartmann, Sebastian Hitz, Tom Keiser, Jason Tyler Klaus, Tom Frederik Leimbrock, Henry James Mackney, Carlos May, Tim-Martin Melchert, Tamara Njah, Sascha Parsch, Margo Rieger, Mara Schlager, Klara Irene Schröter, Daniel Spengler, Leon-Hardy Streibig, Özge Sunna, Zeeshan Tahir, Gülcan Tasoluk, Florian Tober, Pascal Tödter, Hüseyin Toksun, Fabian Weber, Jan Wolf

Fachoberschulen (Gesundheit, Sozialwesen, Wirtschaft)

Jeanne Benning, Mervre Kapitzke, Tamara Richter, Hanna Winkler, Lisa Marie Köndgen, Tayfun Sahin, Paul Brenner, Anil-Iskender Sahindal, Sajawal-Sultan Tahir

Bild: Gratulation! - Die Absolventinnen und Absolventen der blista 2019. Foto: blista. [Gruppenfoto junger Frauen und Männer in festlicher Kleidung auf dem blista-Gelände.]

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Thorsten Büchner

"Türen öffnen": Jürgen Nagel - ein Porträt

Plötzlich ging es ganz schnell. Nachdem Jürgen Nagel Anfang 1981, nach erfolgreich absolviertem Studium der Sozialarbeit, "schwer auf der Suche war, endlich Geld (für den Lebensunterhalt) zu verdienen", machte ihn das Marburger Arbeitsamt auf ein Stellenangebot der blista aufmerksam. Bei diesem Job ging es darum, dass er mit einem umgebauten Reisebus quer durch Deutschland fahren sollte und mit den dortigen Selbsthilfeverbänden des Blindenwesens zumeist an Marktplätzen zum Thema Blindheit/Sehbehinderung und Hilfsmitteleinsatz informieren und aufklären sollte. "Ich hatte natürlich keine Ahnung von diesem Bereich, habe mir aber zugetraut mich schnell einzuarbeiten." Für ihn war es "faszinierend zu sehen, welche Lösungen es für Probleme und Herausforderungen" gab. Nagel erinnert sich etwa an ein kleines, mechanisches Gerät, das es Menschen mit Taubblindheit ermöglicht, durch Brailleeingabe zu kommunizieren. "Ich erinnere mich auch an die erste Braillezeile, das Braillex, oder das Optacon, mit dem man Schwarzschrift zugänglich machen konnte. Das fand ich enorm beeindruckend, weil diese Hilfsmittel Türen öffnen."

Nach sechs Monaten im "Infobus", bei dem Jürgen Nagel viel über die zentrale Bedeutung von Selbsthilfe gelernt hat, wechselte er innerhalb der blista in den Reha-Bereich und unterrichtete die blista-Schülerinnen und Schüler im Gebrauch von Hilfsmitteln. "Damals gab es viele Kolleginnen und Kollegen, die ihre Kenntnisse in Orientierung & Mobilität (O&M) sowie in Lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF) im Ausland (USA / UK) erworben hatten. Wir hatten auch Kollegen direkt aus den USA oder den Niederlanden", beschreibt er die damalige Situation in der RES.

So entstand Anfang der 1980er Jahre an der blista eine Vollzeitausbildung zum Rehalehrer, an der Jürgen Nagel von 1983 bis 1985 als einziger blista-Mitarbeiter teilnahm. In eineinhalb Jahren lernte er alles das, was er danach jahrelang an blinde und sehbehinderte Schüler weitergeben sollte. Wie orientiere ich mich und wie setze ich den Langstock ein? Wie organisiere ich mir meinen Alltag so, dass ich selbstbestimmt darin zurechtkomme?

"Während der Ausbildung habe ich im praktischen Unterricht und im Austausch mit meinen Kollegen gemerkt, dass es vor allen Dingen darum geht nach individuellen Lösungen zu suchen. So, dass es für jeden passgenau ist. Keinen strikten Fahrplan im Kopf zu haben, sondern darum, dass man sich selbst Fragen stellt: Weshalb hat es jetzt nicht geklappt diese Kreuzung zu überqueren? Wo war der Punkt, an dem ich die Orientierung verloren habe? Wo habe ich mich noch sicher gefühlt?" Diese Ansätze hat Nagel dann auch im Unterricht mit seinen Schülerinnen und Schülern, ob in O&M oder im LPF-Bereich, verfolgt. 1991 übernahm Jürgen Nagel dann die Leitung der Rehalehrer-Ausbildung an der blista. Entwickelte zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen neue Lerninhalte und Ziele. "Vor allen Dingen der Bereich Sehbehinderung rückte immer stärker in den Mittelpunkt." Später, als Nagel schon Leiter der Rehabilitationseinrichtung (RES) war, gelang es für die Rehalehrer-Ausbildung die staatliche Anerkennung zu erreichen. "Ein Quantensprung!" freut sich Nagel noch heute.

Der Austausch mit anderen Einrichtungen, ob national im "Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik" (VBS) oder auf internationaler Ebene wie bei der "International mobility conference 2009" (IMC) in Marburg, ist Nagel besonders wichtig. "Davon haben wir in unserer täglichen Arbeit hier vor Ort profitiert. Und wir konnten einige Entwicklungen gemeinsam anstoßen." Etwa die berufsbegleitende Weiterbildung in der Frühförderung, die Nagel mit Werner Hecker zusammen blista-seitig vorangetrieben hat.

Seit dem Jahr 2001 fungierte Jürgen Nagel dann in der Nachfolge von Franz-Josef Esch als Leiter der RES. Zusammen mit seinem Team forcierte er in den folgenden Jahren die stetige Angebotserweiterung.

Auch dabei verfolgte Nagel seinen Grundsatz "zu schauen, was dem Einzelnen nützt, was der einzelne Mensch für Bedarfe hat". So erinnert er sich beispielsweise daran, "dass wir die Möglichkeit zu Umschulungen in unserer IT-Ausbildung aufgrund eines BTG-Klienten angegangen haben." Dazu nutzte es der blista sehr, als eine der ersten Institutionen den Status "einer vergleichbaren Einrichtung" nach SGB IX erlangt zu haben. "Das war ein extrem wichtiger Schritt und hat uns die Arbeit im Bereich der beruflichen Rehabilitation enorm erleichtert, weil wir so für die Kostenträger wie Arbeitsagenturen und Jobcenter gegenüber den Berufsbildungswerken gleichgestellt sind", verdeutlicht er den Stellenwert. Dass sich die blista in den letzten Jahren verstärkt im Bereich "Qualifizierung und Coaching" von Arbeitssuchenden mit Blindheit und Sehbehinderung engagiert, führt Jürgen Nagel vor allen Dingen auf die intensive Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe zurück. "Es waren unsere eigenen Mitarbeiter mit Blindheit und Sehbehinderung, die uns immer wieder gesagt haben, dass wir in diesem Sektor unsere Kompetenzen stärker einbringen müssen", so Nagel.

Die Beratungs- und Schulungsangebote wurden in den letzten Jahren gebündelt und unter einem Dach konzentriert, so dass Ratsuchende aus der Region im Bereich "Low-Vision", EDV- und Hilfsmittelberatung sowie allgemeiner Beratung rund ums Thema Blindheit/Sehbehinderung zielgerichteter unterstützt werden können. Ein völlig neues Betätigungsfeld entstand mit der Seniorenberatung, mit der sich Jürgen Nagel in den letzten Jahren besonders intensiv beschäftigte. "Wir haben da einfach gemerkt, dass da kaum bis nichts unternommen und getan wird. Im Unterschied zu Ländern im benachbarten Ausland." Oftmals erlebten die Seniorinnen und Senioren es so, dass der blista-Seniorenberater oder der Low-Vision-Experte erste Ansprechpartner seien, "die ihnen zuhören und ihre neu aufgetretene Sehbeeinträchtigung überhaupt erklären" könnten. Die Seniorenarbeit lag Nagel besonders am Herzen, auch als er 2016 zum stellvertretenden blista-Direktor gewählt wurde, blieb er diesem Bereich eng verbunden. "Natürlich verändert sich als stellvertretender Direktor der Blickwinkel. Man lernt dann alles nochmal aus einer neuen Perspektive kennen."

Eines seiner letzten Projekte in 38 Jahren blista war die Gründung von "blista Frankfurt", dem Reha-Beratungs- und Schulungszentrum, das die blista im vergangenen Oktober offiziell eröffnete. "Dabei war es UNS extrem wichtig, dass wir dabei so eng wie möglich mit der Selbsthilfe kooperieren." Die blista nutzt in unmittelbarer Nachbarschaft nicht nur die gleichen Räumlichkeiten wie der "Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e.V" (BSBH), sondern arbeitet auch mit dem hessischen Landesverband des "Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands" (DBSV) in allen Bereichen eng zusammen. "Gewissermaßen schließt sich da ein Kreis", sagt Nagel, der zu Beginn seiner blista-Zeit mit dem "Infobus",der ein Gemeinschaftsprojekt von blista und dem heutigen DBSV war, über die Lande fuhr.

"Für mich war es immer zentral, dass wir nicht stehenbleiben, unsere Angebote stets weiterentwickeln. So dass sie auf die individuellen Anforderungen jedes einzelnen zugeschnitten sind. Da war ich sicher manchmal etwas ungeduldig, weil es mir nicht schnell genug ging. Zusammen, im Team, haben wir das aber in den allermeisten Fällen zum Nutzen unserer Zielgruppe gestalten können."

Für die Zukunft wünscht sich Nagel deswegen auch, "dass die blista vielleicht noch konsequenter den Schritt hin zu angepassten Maßnahmen geht, die auch auf die zeitlichen und räumlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden Rücksicht nimmt." Außerdem hofft er, dass das derzeitige Engagement der Arbeitsagenturen und Jobcenter für Arbeitssuchende mit Blindheit und Sehbehinderung auch dann anhält, wenn die konjunkturelle Lage die Arbeitslosenzahlen auch bei Nichtbehinderten wieder in die Höhe schnellen lässt und "der Arbeitsmarkt nicht zwingend auf Arbeitnehmer mit Behinderungen angewiesen" ist. Seit 1. Juni ist Jürgen Nagel in der passiven Phase der Altersteilzeit / Sabbatzeit. "Ich arbeite aber noch an ein, zwei Projekten mit, die ich gerne weiter begleiten möchte", sagt der gebürtige "Niederrheiner mit Herz und Seele". Pläne für die Phase danach, wenn das "Gefühl, dass der Urlaub niemals endet" kommt, hat der bekennende Fan des 1. FC Köln und von Real Madrid noch nicht. "Mein Plan ist es, mir keine Pläne mehr zu machen."

Jürgen Nagel hat in knapp 40 Jahren Berufstätigkeit an der blista dazu beigetragen, dass für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung "Türen geöffnet" wurden. Er hat sich zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen auf blista-Ebene und darüber hinaus (national und international) und mit starker Vernetzung in die Selbsthilfe, dafür eingesetzt "Wege zu finden". Im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Für dieses jahrzehntelange Engagement, verbunden mit einem wertschätzenden, konstruktiven Austausch auf Augenhöhe, wurde Jürgen Nagel im Rahmen seiner feierlichen Verabschiedung in den Ruhestand die "DBSV-Ehrenmedaille" verliehen. Diese Auszeichnung wird sehenden Menschen zuerkannt, die sich in außergewöhnlichem Maße für die Belange von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung engagiert haben.

Bild 1: Claus Duncker würdigt Jürgen Nagels Verdienste. Foto: blista. [Claus Duncker steht am Rednerpult. Links neben ihm auf der Bühne wirft ein Beamer ein Foto auf eine Leinwand.] Bild 2: Musikalische Untermalung. Foto: blista. [Auf der Bühne steht ein junger Mann mit Mikrofon, er trägt ein weißes T-Shirt und Brille. Rechts neben ihm spielt ein Mann am Flügel und blickt ihn an.] Bild 3: Verleihung der DBSV-Ehrenmedaille. Foto: blista. [Jürgen Nagel erhält die DBSV-Ehrenmedaille.]

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Thorsten Büchner

Licht, Beleuchtung und Informationen rund ums Thema Sehen

Vortrag und Mitmach-Stationen zum Sehbehindertentag im Marburger Rathaus Das Hilfsmittel "Licht" kann äußerst effektiv dazu beitragen, Beruf und Alltag zu erleichtern, denn viele Einschränkungen beim Sehen sind mit einem erhöhten Lichtbedarf verbunden. Parallel nimmt häufig auch die Blendempfindlichkeit zu. In Kooperation mit "Gesunde Stadt Marburg" informierte die Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista) zum Sehbehindertentag 2019 am 06. Juni, um dieses wichtige, oftmals vergessene Thema in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen.

Stadträtin Kirsten Dinnebier hob in ihrer Begrüßung die enge Zusammenarbeit von Stadt und blista hervor. "Gemeinsam arbeiten wir daran, dass Inklusion in der Gesellschaft so selbstverständlich wird, wie sie im Miteinander für uns schon Realität ist." Mit Charme ging Dinnebier auf die Beleuchtung vor Ort ein. Zudem verwies sie auf die praktische Bedeutung von guter Beleuchtung: "Sie hilft vor Stolperfallen und Stürzen zu bewahren. Nicht nur Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung." Ute Mölter, Leiterin des Beratungs- und Schulungszentrums der blista, stellte das Angebotsspektrum für Menschen mit Seheinschränkungen vor. "Neben der Low-Vision-Beratung und Sehhilfenanpassung können sich Menschen, die nicht mehr so gut sehen, auch in Fragen der Hilfsmittelversorgung oder Orientierung an uns wenden." Michael Doogs vom Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e.V. betonte die enge Zusammenarbeit von blista und der Selbsthilfe, die sich in vielen gemeinsamen Angeboten und Veranstaltungen zeige.

blista-Experte Norbert Gorldt ging in seinem Vortrag zunächst der Frage nach, wie die Wahrnehmung von Licht entsteht und im Gehirn verarbeitet wird. Dabei gab er interessante Einblicke darin, wie sehr "gute Beleuchtung" von verschiedenen Rahmenbedingungen abhängt. In seinem anschaulichen Vortrag stellte der erfahrene Orthoptist und Low-Vision-Berater anhand von alltagsnahen Beispielen klar, dass es nicht allein "auf die Helligkeit" einer Lampe ankomme, sondern darauf "wieviel davon im Auge ankomme und im Gehirn verarbeitet" werden könne. Mit der Erläuterung von Fachbegriffen wie Lumen (Lichtstärke) und Lux (Beleuchtungsstärke) sorgte Gorldt für vielfache "Aha-Erlebnisse" im Publikum und konnte in seinem Vortrag viel "Licht ins Dunkel" rund ums Thema "Licht und Beleuchtung" bringen.

"Ein guter Kontrast entsteht erst durch Helligkeitsunterschiede und Abstufungen", so Gorldt. Gestützt auf wissenschaftliche Studien zeigte er auf, dass LED-Lampen wesentlich besser und augenschonender sind, als noch vor Jahren kolportiert. "Sie erzielen eine wesentlich höhere Leistung bei weniger Aufwand." Das landläufige Vorurteil, dass sie "zuviel blaues, eher schädliches Licht" enthalten, konnte Gorldt eindrucksvoll entkräften.

Interessierte Nachfragen aus dem Publikum vertieften das Gehörte. Wie es etwa nach der Low-Vision-Beratung im "BSZ" der blista, bei der verschiedene Lesehilfen getestet und mit Norbert Gorldt zusammen ausprobiert werden können, weitergehe, wollte eine Besucherin wissen. "Nach der individuellen Beratung erstelle ich eine Empfehlung, in der ich aufschreibe, welche vergrößernden Sehhilfen und Lupen Sie ausprobiert haben und mit welchen Sie am besten zurecht gekommen sind. Dieses Schreiben nehmen Sie mit zu Ihrem behandelnden Augenarzt, der Ihnen dann ein entsprechendes Rezept ausstellen kann."

Im Anschluss an den Vortrag konnten die interessierten Gäste das erworbene Wissen an Mitmach-Stationen im Foyer des historischen Rathaussaals vertiefen und mit den Experten des "Beratungs- und Schulungszentrums" sowie des "BSBH" ins Gespräch kommen. "Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass eine gute Beleuchtung äußerst effektiv dazu beitragen kann, den Alltag zu erleichtern. Durch Lichtoptimierung können sich Sehschärfe, Kontrastwahrnehmung und die Lesegeschwindigkeit verbessern", erläuterte Ute Mölter. "Wenn diese Veranstaltung dazu beigetragen hat, dieses wichtige Thema mehr im Bewusstsein zu verankern wäre es eine tolle Sache", zogen Stadträtin Kirsten Dinnebier und Norbert Gorldt das gemeinsame Fazit.

Nähere Informationen über die Low-Vision-Beratung der blista finden Sie unter: blista.de/low-vision-beratung

Weitere Informationen zum bundesweiten Sehbehindertentag unter: sehbehindertentag.de

Bild 1: Gutes Licht muss nicht teuer sein - die blista informierte im Rahmen des Sehbehindertentages 2019 rund um das Thema Licht und Sehen. Foto: blista. [Präsentation "Stromkosten pro Jahr bei vergleichbarer Helligkeit": 4 unterschiedliche Glühlampen. Eine 60 W Glühlampe verursacht 16,20 € Kosten, eine Eco-Halogen 53 W 14,31 €, die Energiesparlampe 15 W 4,05 € und eine LED-Lampe 11 W nur 2,97 €. Quelle: Megaman.] Bild 2 : Stadträtin Kirsten Dinnebier. Foto: blista. [Kirsten Dinnebier am Rednerpult. Im Hintergrund ein blista-Rollup.] Bild 3: Norbert Gorldt während des Vortrags. Foto: blista. [Norbert Gorldt steht vor einem blista-Rollup und deutet auf die Leinwand.]

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Janosch Briel, Jens Flach

The Unseeing Ei-Catcher - Oder: Wie wir lernten, anderen ein Ei ins Nest zu legen

Rugby für blinde und sehbehinderte Menschen? Das geht doch gar nicht!

Wer daran zweifelt, wurde bei den Trainingssessions der Hugby-Coaches der Worcester Warriors eines Besseren belehrt. Doch was führte ein Team von TrainerInnen des englischen Rugby-Erstligisten überhaupt an die blista?

Beim letzten Besuch unserer Partnerschule in Worcester im Herbst 2018 hatten die Teilnehmenden des Austausches die Gelegenheit, das dortige Rugby-Stadion zu besichtigen und knüpften diesen wertvollen Kontakt. Natürlich wurde auch die speziell für blinde und sehbehinderte Menschen entwickelte Spielvariante "Hugby" ausprobiert.

Der Spielgedanke des Hugby gleicht dem bekannten Rugby-Spiel: Der eiförmige Ball muss vom eigenen Team in die Zone am Spielfeldrand hinter der gegnerischen Mannschaft gelegt werden. Dabei darf das Rugby-Ei zwar in alle Richtungen geschossen, aber lediglich nach hinten geworfen werden. Was das Spiel zudem auszeichnet, ist, dass es nicht verboten - ja, sogar gängige Spielpraxis - ist, die balltragenden GegnerInnen zu Fall zu bringen.

Auf den ersten Blick scheint ein solches Gerangel nicht sonderlich einladend zu sein, wenn man kein Sehvermögen hat, doch mit ein paar wenigen Anpassungen wird es zu einem inklusiven Spielspaß. Um sicherzustellen, dass visuelle Einschränkungen kein Ausschlusskriterium sind, haben die Worcester Warriors eigens ein klingelndes Rugby-Ei entwickeln lassen. Außerdem werden die balltragenden GegnerInnen mittels einer Umarmung (engl. Hug) gestoppt, womit nicht nur das Verletzungsrisiko minimiert, sondern auch die Entstehung des Namens "Hugby" erklärt werden kann.

Am 21. und 22. Mai besuchte uns eine sechsköpfige Delegation der Worcester Warriors an der blista und hielt insgesamt vier Trainingseinheiten ab. Diese erfreuten sich großer Beliebtheit, sodass jeweils mindestens 30 SchülerInnen teilnahmen. Während dieser Trainingseinheiten stellten die Coaches Professionalität und Einfühlungsvermögen zugleich unter Beweis. So wurden die einzelnen Elemente des Spiels (wie z. B. Passen, Fangen, "Huggen" und Spieltaktik) eingeübt und zu spannenden Matches zusammengeführt. Dabei profitierten die SchülerInnen nicht nur auf der sportlichen Ebene, sondern konnten auch mit MuttersprachlerInnen in authentischen Situationen auf Englisch interagieren.

Die durchweg positive Resonanz von Seiten unserer SchülerInnen belegt nicht nur, dass die englischen Gäste ihr Handwerk beherrschen, sondern auch, dass Hugby eine willkommene Ergänzung unseres ohnehin schon facettenreichen Bewegungsangebots ist. Daher ist für das Schuljahr 2019/2020 bereits eine Hugby-AG geplant. Auch die Worcester Warriors waren von dem Lerntempo und -eifer unserer SchülerInnen so beeindruckt, dass sie uns schon bald wieder einen Besuch abstatten möchten, um diese internationale Kooperation weiterzuentwickeln.

Bild 1: Die "Worchester Warriors" weckten großes Interesse für die neue Sportart Hugby. Foto: blista. [Eine Gruppe blinder und sehbehinderter Jugendlicher beim Hugbyspielen.] Bild 2: Angst vor Körperkontakt darf man nicht haben. Foto: blista. [Mit fliegenden Haaren gehen die Spielerinnen aufeinander zu.] Bild 3: Spaß kommt nicht zu kurz. Foto: blista. [Die Spielerinnen und Spieler mit lachenden Gesichtern beim Spiel.]

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Herzliche Einladung auf den blista-Campus

Sommerfest am Samstag, den 14. September auf dem blista-Campus

Vergnügtes Treiben und Stände, die zum Mitmachen und Ausprobieren einladen: Am Samstag, den 14. September, lädt die blista von 10 Uhr bis 16 Uhr zum Sommerfest auf den blista-Campus ein. Jede Menge Musik, Theater und die Präsentationen aus der Projektwoche versprechen ein abwechslungsreiches und spannendes Programm. Torwandschießen, ein origineller Flohmarkt mit integrierter Versteigerung, ein Hörquiz. Ob groß oder klein, alt oder jung - für alle wird etwas geboten. Die Montessori-Schule und die Carl-Strehl-Schule feiern gemeinsam mit allen anderen blista-Abteilungen auf dem Sommerfest.

Küchenleiter Peter Wiersbin und sein Team kochen, braten und brutzeln nach dem Motto "Asian Streetfood". So erwarten die Besucher kulinarische Leckereien wie "leichte Sommerrollen", Asiatische Bratwurst "Sai ua Chiang Mai" oder Massamancurry. In der Mensa lockt ein Kaffee oder ein selbstgebackener Kuchen.

Freuen Sie sich auf ein Fest voller Begegnungen und Aktivitäten!

Das ausführliche Programm finden Sie auf unserer Webseite www.blista.de

Der Erlös des Sommerfests kommt auch 2019 dem Förderverein der Carl-Strehl-Schule zugute.

Bild: Bunter Spaß beim Sommerfest 2018. Foto: blista. [Eine Gruppe Inlineskater steht im Kreis. Sie haben ein Regenbogentuch zwischen sich aufgespannt, das sich nach oben wölbt.]

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Bücher

Thorsten Büchner

Buchtipps aus der Braille-Druckerei

Klaus Püschel/Bettina Mittelacher: Tote schweigen nicht. Faszinierende Fälle aus der Rechtsmedizin

Ellert und Richter, Hamburg, 2016 Bestellnummer: 4867 2 Bände, KR, 43 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

Als Anwälte der Toten beschäftigen sich die Rechtsmediziner mit Hintergründen des Daseins, den elementaren Abläufen im Leben eines Opfers und bei seinem Sterben. Oft drastische Schilderung teils bekannter Fälle mit Kommentar des oft daran beteiligten Autors, der Sachwissen zu Todes- und Tötungsarten, Methoden und qualifizierter Leichenschau für korrekte Todesursachenbestimmung vermittelt.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

Anaconda, Köln, 2007 Bestellnummer: 4855, 5 Bände, KR, 107,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

England, 18. Jahrhundert. Elizabeth, eine von fünf heiratsfähigen Töchtern der Familie Bennet, lehnt nicht nur den Heiratsantrag des Pfarrers ab, sondern auch den des reichen Mr. Darcy - ein Verstoß gegen die Konventionen, in dem sich ihr persönlicher Stolz und ihre Auflehnung gegen die gesellschaftlichen Zwänge zeigen. Austen schildert den Konflikt ihrer Heldin mit Ironie, Humor und scharfer Beobachtungsgabe.

Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel

Anaconda, Köln, 2014 Bestellnummer: 4824, 2 Bände, KR, 43 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

Fontanes Milieustudie aus dem Berliner Großbürgertum der Gründerzeit will das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische und Hartherzige des Bourgeois-Standpunktes zeigen.

Theodor Fontane: Der Stechlin

Anaconda, Köln, 2014 Bestellnummer: 4827, 5 Bände, KR, 107,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

In der Gestalt des alten Majors von Stechlin zeichnet der Autor das Bild eines Aristokraten, der bei allem Konservatismus in seiner Lebenshaltung und Weltanschauung dem Neuen in der gesellschaftlichen Entwicklung Verständnis entgegenbringt.

Ihre Bestellungen richten Sie bitte an:

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
Telefon: 06421 606-0
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
oder über unseren barrierefreien online-Katalog unter katalog.blista.de

Bild: Klassiker veralten nicht. Foto: MorningbirdPhoto / Pixabay. [Eine Reihe bunter Buchrücken, darunter auch "Stolz und Vorurteil" von Jane Austen.]

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Thorsten Büchner

Hörbuchtipps aus der blista

Bas Kast: Der Ernährungskompass. Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung

Bertelsmann, München, 2018 Bestellnummer: 858751 Laufzeit: 9 Std. 20 Min.

Als der Wissenschaftsjournalist Bas Kast gerade 40-jährig mit Schmerzen in der Brust zusammenbrach, stellte sich ihm eine existenzielle Frage: Hatte er mit Junkfood seine Gesundheit ruiniert? Er nahm sich vor, seine Ernährung radikal umzustellen, um sich selbst zu heilen. Doch was ist wirklich gesund? Eine mehrjährige Entdeckungsreise in die aktuelle Alters- und Ernährungsforschung begann. Was essen besonders langlebige Völker? Wie nimmt man effizient ab? Lassen sich typische Altersleiden vermeiden? Kann man sich mit bestimmten Nahrungsmitteln "jung essen"? Vieles, was wir für gesunde Ernährung halten, kann uns sogar schaden. Aus Tausenden sich zum Teil widersprechenden Studien filtert Bas Kast die wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über eine wirklich gesunde Kost heraus. "Der Ernährungskompass" steht seit über einem Jahr ganz oben auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Inger-Maria Mahlke: Archipel. Roman

Rowohlt, Reinbek, 2018 Bestellnummer: 854801 Laufzeit: 14 Std. 22 Min.

Ein Familienroman, der die Jahre von 1919 bis 2015 auf Teneriffa beschreibt: ein Jahrhundert voller Umbrüche und historischer Ereignisse durch mehrere Generationen. Inger-Maria Mahlke gewann für "Archipel" 2018 den "Deutschen Buchpreis".

Christian Bommarius: 1949. Das lange deutsche Jahr

Droemer, München, 2018 Bestellnummer: 860391 Laufzeit: 12 Std. 48 Min.

Christian Bommarius erzählt so kundig wie kurzweilig die Geschichte des langen Jahres 1949, das bereits 1948 einsetzt, als mit Währungsreform und Auftrag zur Verfassungsbildung die Weichen in Richtung Bundesrepublik gestellt wurden. Sein Buch ist ein buntes Panoptikum der frühen Bundesrepublik - und birgt eine höchst aktuelle Botschaft: Demokratisches Denken und Handeln muss immer wieder gegen Widerstände gelebt werden, damals wie heute.

Claudia Pineiro: Der Privatsekretär. Thriller

Unionsverlag, Zürich, 2018 Bestellnummer: 854431 Laufzeit: 10 Std. 34 Min.

Román Sabaté wundert sich über seinen rasanten Aufstieg in der aufstrebenden neuen Partei Pragma. Als persönlicher Assistent des charismatischen Parteichefs steht er im Zentrum der ausgeklügelten Kampagne, die unter Einsatz von Desinformation, Halbwahrheit und manipulierten Emotionen versucht, ihren Chef an die Macht zu bringen. Als er erkennt, welches Spiel mit ihm und dem Land getrieben wird, versucht er, sich und die junge Journalistin Valentina Sureda aus dem Netz der Lügen zu befreien - und löst damit ein politisches Erdbeben aus.

Hörbücher zum Schwerpunkt "Wenn Unsagbares sagbar wird"

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes

Klett-Cotta, Stuttgart, 2017 Bestellnummer: 822151 Laufzeit: 9 Std. 53 Min.

Die Neue Rechte in Deutschland beginnt nicht mit der Gründung der AFD. Sie hat viele Vorläufer und Ausprägungen. Das Buch untersucht die historischen Hintergründe des rechten Denkens, nennt Autoren und zeigt auch die rechten Strömungen in vielen Ländern Europas.

Tobias Günsburg: Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern

Das neue Berlin, Berlin, 2018 Bestellnummer: 846941 Laufzeit: 8 Std.

Die "Reichsbürger" sind verführte Irre und böse Verführer, Sektierer, Rechtsradikale und Hetzer hinter konservativer Fassade. Sie alle glauben an eine Weltverschwörung gegen das deutsche Volk und bekämpfen diesen vermeintlichen Feind. Der jüdische Autor und Regisseur Tobias Ginsburg begibt sich für dieses Buch undercover unter "Reichsbürger". Er besucht quer durch Deutschland verschiedene Gruppierungen, wird Untertan eines Königreichs, macht mit bei Plänen zum Sturz der BRD GmbH und für ein germanisches Siedlungsprojekt in Russland. Er lernt gewaltbereite Neonazis und friedensbewegte Esoteriker kennen, aber auch Biedermänner, von denen manche heute für die AfD im Bundestag sitzen.

Ihr Kontakt zur DBH

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.
Am Schlag 2-12
35037 Marburg
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Bild: Dicht am Hörbuch. Foto: Hemmatian / DVBS. [Eine blinde Frau mit dunklen Haaren lauscht einem Daisyplayer.]

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Panorama

RehaFair 2019 - EDV-Ausstellung am 8. November auf dem blista-Campus

Namhafte Firmen präsentieren ihre Produktneuheiten

Am Freitag, den 8. November 2019, wird die Sporthalle auf dem blista-Campus in Marburg wieder zum Treffpunkt in Sachen Hilfsmittel für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung. Ob für den Arbeitsplatz oder den Alltagsgebrauch - namhafte Firmen aus dem Hilfsmittelbereich präsentieren auf der etablierten Ausstellung ihre Produktpaletten. Von 10 bis 16 Uhr können die Besucherinnen und Besucher die neuesten Trends und bewährte Hilfsmittel-Klassiker ausprobieren und sich in ruhiger Atmosphäre informieren und kompetent beraten lassen.

Spezielle Angebote für Seniorinnen und Senioren

Auch die Rechtsberatungsgesellschaft rbm gGmbH - Rechte behinderter Menschen und das blista-Beratungs- und Schulungszentrum sowie die blista-Seniorenberatung werden auf der RehaFair mit Infoständen präsent sein. Von 14 bis 16 Uhr finden ältere Menschen und ihre Angehörigen viele spezielle Angebote sowie nützliche Infos und Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern.

Kontakt RehaFair 2019:

Sporthalle auf dem blista-Campus
Am Schlag 8a
35037 Marburg
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Koordination: Manfred Duensing, blista-Öffentlichkeitsarbeit

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TU Dresden

Orientierungswoche für blinde und sehbehinderte Studieninteressierte an der TU Dresden

Die TU Dresden veranstaltet in diesem Jahr vom 9.-11. Oktober 2019 eine Orientierungswoche speziell für blinde und sehbehinderte Studieninteressierte. In diesen Tagen informieren wir nicht nur über die Studienmöglichkeiten an der TU Dresden, es werden darüber hinaus auch Workshops zu verschiedenen Themen angeboten sowie gemeinsame kulturelle Veranstaltungen durchgeführt.

Wir möchten die vielfältigen Angebote und Möglichkeiten des barrierearmen Studiums an der TU Dresden vorstellen, um Studieninteressierte bei der Entscheidung für ein Studium zu begleiten. Als Studienstandort bietet die Stadt Dresden außerdem einige weitere Vorzüge, etwa durch ihre vielfältigen Angebote an Kultur, Natur und Gastronomie.

Die Teilnahme an der dreitägigen Veranstaltung inklusive Ausflüge, Teilverpflegung und Übernachtung ist für alle Teilnehmenden kostenlos. Daneben sind Reisestipendien möglich. Teilnahmeinteressierte können sich formlos per E-Mail bewerben.

Senden Sie Ihre Bewerbung oder Fragen an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Ansprechpartnerin: Christin Engel).

Weitere Informationen erhalten Sie unter tu-dresden.de

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Bundesliga Saison 2019/2020

Im nunmehr 25. Jahr erscheint in Zusammenarbeit mit dem Sportmagazin "kicker" das Punktschrift-Sonderheft der blista zur neuen Bundesliga-Saison.

Neben dem "kicker"-Interview mit dem ehemaligen Bundesliga-Trainer Hans Meyer enthält das Heft u.a. den Rahmenterminkalender für das laufende Spieljahr. Angaben über Vereine und Spieler der 1. und 2. Bundesliga, deren Spielpläne sowie den Spielplan der 3. Liga sind ebenfalls im Heft zu finden.

Zu bestellen über: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V., Am Schlag 2-12, 35037 Marburg, Telefon: 06421 606-470, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (Bestell-Nr.: 4910, Schutzgebühr: 26,00 Euro inkl. Verpackungskosten)

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"blista kriminell" - Christine Brand liest aus ihrem Krimi "Blind"

Am Montag, den 16. September, wird es ab 19:30 Uhr an der blista kriminell. Die bekannte Schweizer Krimiautorin und Journalistin Christine Brand stellt an diesem Abend ihren neuen Krimi "Blind" vor:

Der blinde Nathaniel hört einen Schrei, dann bricht die Verbindung ab. Gerade noch telefonierte er mit einer Frau. Die App "Be My Eyes" verband die beiden, die Frau half Nathaniel dabei, das richtige Hemd zu wählen. Er ist sich sicher: Es muss ein Verbrechen geschehen sein. Doch keiner glaubt ihm, es gibt keine Beweise, keine Spur. Gemeinsam mit einer Freundin, der Journalistin Milla, macht sich Nathaniel selbst auf die Suche nach der Wahrheit.

Es ist bereits der fünfte Fall, bei dem die Leserinnen und Leser die Journalistin Milla Nova begleiten. Dieses Mal wird sie von Nathaniel tatkräftig unterstützt. Natürlich gibt es noch einen weiteren Handlungsstrang, der selbstverständlich nicht verraten wird!

Die Lesung findet im Rahmen des Marburger Krimifestivals statt und wird von den "Soroptimistinnen Marburg" (www.soroptimist-marburg.de) und der "Deutschen Blindenstudienanstalt e.V." (blista) veranstaltet.

Beginn ist um 19:30 Uhr in der Aula auf dem blista-Campus (Am Schlag 2, 35037 Marburg). Karten gibt es für 10 Euro (ermäßigt: 8 Euro) an der Abendkasse oder im Internet bei Reservix.

Weitere Infos finden Sie auf www.krimifestival-marburg.de und auf der Webseite der blista.

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"Concert de Sens"

Benefizkonzert am 1. November um 18:00 Uhr in der Aula auf dem blista-Campus

Dieses Jahr trägt die ca. 80-minütige Konzert-Reihe den Untertitel "Gut oder Bös?". Die blinde Pianistin Ellen Greiner und der Sprecher Ulrich Steiner stellen konzertalisch Janusfiguren von der Antike bis hinein ins 20. Jahrhundert vor, die mal Gutes, oder auch mal Schlechtes im Schilde führen könnten; das bleibt der eigenen Phantasie überlassen. "Du bist ein Engel" oder "Ach, geh doch zum Teufel" sind Sprichwörter des gewöhnlichen Sprachgebrauchs und seit Jahrhunderten tief im Bewusstsein der Menschen verankert.

So wird von Sagen aus dem Schwarzwald zu Lande und Sagen rund um das Nordkap zu Wasser berichtet und beispielsweise mit Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 oder der berühmten Senta-Ballade aus Wagners Oper "Der fliegende Holländer" aufgeführt. Auch das Tanzdrama der ahnungslosen und naiven Winzers-Tochter Giselle kann im Reich der Schatten weiter mitverfolgt werden, während die Waldgeister zwischen Mitternacht und Morgengrauen ständig Ausschau nach Lügnern und ehrbaren Leuten halten.

Ellen Greiner und Ulrich Steiner spenden die Einnahmen dieses Konzerts der Blindentechnischen Grundrehabilitation (BtG) der blista.

Bild 1: Plakat des Benefizkonzerts. [Das Plakat zeigt das Gemälde einer Ballerina unter der Überschrift Benefizkonzert.] Bild 2: Ellen Greiner und Ulrich Steiner. [Ellen Greiner und Ulrich Steiner vor dem Flügel auf der Bühne beim Konzert 2018.]

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Leserbriefe

Leserbrief zum Schwerpunkt horus 2/2019

Ich habe die Auseinandersetzungen um den Sinn und Unsinn der neuesten Kurzschriftentwicklungen in der Zeitschrift "Sichtweisen" des DBSV gelesen und bin trotzdem froh, dass sie auch im horus kontrovers diskutiert werden.

Als aktive Nutzerin der Blindenschrift und als Wandlerin von Texten in Kurz- und Vollschrift möchte ich Herrn Dr. Eberhard Hahn zu seinen interessanten Ausführungen herzlich gratulieren. Dabei ging es ihm ja nicht nur um Kritik, sondern er machte auch bedenkenswerte Vorschläge zum Einsatz von neuen Kürzungen. Die Stellungnahme von Dr. Aleksander Pavkovic vom Brailleschrift-Komitee konnte mich jedoch keines Besseren belehren.

Gertrud Kindl

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Kleinanzeigen

Private Kleinanzeigen bis zu einer Länge von 255 Zeichen werden kostenlos abgedruckt. Danach werden 17 Euro pro angefangene 255 Zeichen berechnet. Für die korrekte Wiedergabe ihres Inhalts (z. B. Namen, Anschrift, usw.) kann keine Haftung übernommen werden.

Für gewerbliche Anzeigen und Beilagen bitte die horus-Mediadaten anfordern.

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Bei Lichte betrachtet - Deutschland aus dem Blickwinkel eines Blinden

Ich bin seit meinem vierten Lebensjahr vollständig erblindet. Das sind jetzt 35 Jahre. Ich habe somit schon einige große und geschichtsträchtige Ereignisse erlebt, die ich in meiner ganz eigenen gedanklichen art verarbeitet habe. Jetzt sind das dazugehörige Buch und E-Book erschienen. Schaut einmal hier: https://www.amazon.de

Es sind natürlich auch und insbesondere am eigenen Leib erlebte soziale Themen dabei, über die ich mit Ihnen gerne in eine Diskussion einsteigen möchte.

Ihr Dr. Carsten Dethlefs

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Funktionsfähige ELOPTYP 02 zu kaufen gesucht.

Kontakt: Helmut Vollert, Tel.: 04621 35669

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Impressum

Herausgeber

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion

  • für den DVBS: Uwe Boysen, Andrea Katemann, Mirien Carvalho Rodrigues und Juliane Taubner
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner und Dr. Imke Troltenier

Koordination

DVBS-Geschäftsstelle
Frauenbergstraße 8
35039 Marburg
Tel.: 06421 94888-0
Fax: 06421 94888-10
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)

Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)

Erscheinungsweise

Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und digital (wahlweise auf einer CD-ROM oder als Download-Link). Die digitale Ausgabe enthält die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version sowie die Braille-, RTF- und PDF-Dateien.

Jahresbezugspreis

  • 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
  • 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonto des DVBS

Sparkasse Marburg-Biedenkopf
IBAN: DE42 5335 0000 0000 0002 80
BIC: HELADEF1MAR

Verlag

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389

  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt. [Abbildung: Logo der Glücksspirale]

horus 3/2019, Jg. 81 der Schwarzschriftausgabe

Titelbild:

Foto: Gert Altmann / Pixabay [Im Vordergrund ist ein handgroßes Verkehrsschild mit der Aufschrift "STOP" zu sehen. Ein Mann im Hintergrund, von dem nur der Oberkörper mit weißem Hemd und schwarzem Jackett erkennbar ist, hält es mit drei Fingern seiner rechten Hand.]

Nächste Ausgabe (horus 4/2019)

Schwerpunktthema: "Strukturelles Förderdefizit"

Erscheinungstermin: 16. Dezember 2019

Anzeigenannahmeschluss: 25. Oktober 2019

Redaktionsschluss: 7. Oktober 2019

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Anzeigen

blista

Schnuppern macht Spaß!

Reinschauen in eine Schule mit einem einmaligen Profil: Ganzheitliche Förderung, spezifische Unterstützung und eine große Auswahl an qualifizierten Bildungsabschlüssen ... - wer die vielfältigen Möglichkeiten kennen lernen möchte, die genau auf die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit Seheinschränkungen abgestimmt sind, ist an der blista richtig! Die blista bietet ein rundum stimmiges Konzept. Die Lerngruppen sind klein und die Einzelnen zählen. Freunde finden, tolle Erfolge erleben, eine Sportart für sich entdecken, Theater spielen... - hier in Marburg erwartet Kinder und Jugendliche eine spannende Zeit.

Schnuppertage 2019 für Eltern und Schüler aller Jahrgangsstufen

  • 02. November 2019 - Anmeldeschluss: 23.10.2019
  • 14. Dezember 2019 - Anmeldeschluss: 04.12.2019

Die Orientierungswoche für die Eingangsstufe liegt in diesem Jahr früh!

Owo 1 - Klassen 5/6: Montag, 02.12. bis Freitag, 06.12.2019 (Anreise So, 01.12.)

Weitere Termine unter: www.blista.de/schnuppertage

Wir beraten Sie gern!

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
blista-Campus, Am Schlag 2-12, 35037 Marburg
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Tel.: 06421 606-339

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Help Tech - Helfen heißt verstehen

Basic Braille Plus - das perfekte Zusammenspiel mit Notebook oder Smartphone

Funktionen, die überzeugen - testen Sie es selbst:

  • 40 Brailleelemente mit Cursorrouting
  • ergonomisch angeordnete 8-Punkt-Brailleeingabetastatur und Navigationstasten
  • modernes Design: das leichte und flache Aluminiumgehäuse ist kompakt und dennoch robust
  • HID-Technologie: sofort einsatzbereit ohne die Installation von Programmen
  • mehr als 12 Stunden Akkulaufzeit
  • gleichzeitige Bedienung von zwei Geräten: per USB und Bluetooth
  • Kompatibilität: alle gängigen Betriebssysteme und Screenreader

Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich.

Help Tech seit 1994. 25 Jahre. Help Tech nominiert für den "Großen Preis des Mittelstandes" 2019.

Help Tech GmbH
www.helptech.de
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Stuttgart 0711-2202299-0
Köln 0221-921556-0
Marburg 06421-690012-0
Lüneburg 04131-699698-0

Bildbeschreibung: Die Basic Braille Plus ist abgebildet. Auf der ergonomischen 8-Punkt-Brailleeingabetastatur wird mit beiden Händen Text eingegeben. In der rechten unteren Ecke befindet das blaue Jubiläums-Logo mit der Aufschrift - seit 1994. 25 Jahre.

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horus - Marburger Beiträge zur Integration Blinder und Sehbehinderter

Schenken macht Sinn ...

... zum Beispiel mit einem Jahresabonnement der Fachzeitschrift "horus".

Für nur 22 Euro jährlich (Inlandspreis) erfahren die Beschenkten,

  • wie blinde und sehbehinderte Menschen Beruf und Alltag bewältigen und ihre Träume leben,
  • was schulische und berufliche Bildung blinden und sehbehinderten Kindern und Jugendlichen bietet,
  • wofür sich die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe aktuell engagiert.

Bestelladresse: DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-0, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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IPD

MagniLink TAB - Das vielseitige Tablet!

Touchscreen - Vorlesefunktion - Flexibilität.

  • Ein vollständiges System: Microsoft Surface Pro mit 12,3"
  • Vorlagenkamera mit Texterkennung
  • Zusätzliche Tafelraumkamera

Durch das Windows Betriebssystem ist die Nutzung von u.a. Microsoft Office und Vergrößerungssoftware möglich.

Tel.: 0511 9363090, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Web: www.ipd.gmbh

Abgebildet ist auf 4 Fotos das MagniLink TAB in seiner vielseitigen Funktionalität.

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Musiktheater im Revier Gelsenkirchen MiR

HÖR.OPER - Audiodeskription live für blinde und sehbehinderte Besucher.

Mit Unterstützung der Brost-Stiftung.

Karten und Informationen: Theaterkasse, Telefon 0209 4097200

Öffnungszeiten: Montag und Samstag 10.00 bis 14.00 Uhr, Dienstag bis Freitag 10.00 bis 18.30 Uhr

  • Frankenstein
    Oper von Jan Dvorak
    Freitag, 1. November 2019, 18.00 Uhr,
    Sonntag 1. Dezember 2019, 18.00 Uhr
  • Jesus Christ Superstar
    Rock-Oper von Andrew Lloyd Webber
    Samstag, 11. Januar 2020, 19.30 Uhr
    Sonntag, 12. April 2020, 18.00 Uhr
  • Orlando Paladino
    Oper von Joseph Haydn.
    Sonntag, 2. Februar 2020, 18.00 Uhr
    Samstag, 29. Februar 2020, 19.30 Uhr
  • Die Macht des Schicksals (La forza del destino)
    Oper von Giuseppe Verdi
    Samstag, 21. März 2020, 19.30 Uhr
    Sonntag, 5. April 2020, 15.00 Uhr
  • Madama Butterfly
    Oper von Giacomo Puccini.
    Sonntag, 17. Mai 2020, 15.00 Uhr
    Donnerstag, 11. Juni 2020, 18.00 Uhr

mir.ruhr/hoeroper

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Papenmeier RehaTechnik

Papenmeier Außendienst Service - Unser WIR bei Ihnen vor Ort.

F.H. Papenmeier GmbH & Co. KG
Talweg 2
58239 Schwerte
Tel.: +49 2304 946 0
Fax: +49 2304 946 246
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.papenmeier-rehatechnik.de

Made in Germany.

Bildbeschreibung: Unser WIR bei Ihnen vor Ort: Es ist eine Gruppe von zwei RehaTechnik Außendienstmitarbeitern zu sehen, die lächelnd in die Kamera schauen.

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RTB

Akustik für Lichtzeichenanlagen.

Leicht zu folgen. Die sichere Führung blinder und sehbehinderter Menschen über die Fahrbahn ist ein absolutes Muss. Bereits seit 25 Jahren leistet RTB mit der Akustik einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung der Mobilität.

  • Optimale Schallausrichtung gemäß Straßenbreite und Bebauung
  • Perfekter Anwohnerschutz durch individuelle Anpassung der Signalisierung
  • Automatische Anpassung der Lautstärke an den Umgebungslärmpegel.

RTB,www.rtb-bl.de

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SynPhon

Elektronische Hilfen für Sehgeschädigte GmbH

Im Hilfsmittelkatalog gelistet: Der EinkaufsFuchs Produkterkenner sagt ganz einfach, was es ist. Abermillionen Waren erkennt er bereits und er merkt sich auch alle Dinge, die man selbst damit kennzeichnet.

"Tütütüt, Hallo!", begrüßt Sie der EinkaufsFuchs, und dann piepst er, sobald er den Produktcode erblickt. Sofort spricht er, was es denn diesmal ist: "Vollmilchschokolade, 100 Gramm ...". Er liest und spricht exakt und sehr sehr deutlich alle Produktangaben. Leichter kann Dinge unterscheiden nicht sein.

Haben Sie Fragen? Rufen Sie an! Telefon 07250 929555, www.synphon.de

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Die Beiträge des horus 4/2019 stehen ab 24. Januar 2020 online.