horus 3/2010 - Behinderte Dialoge

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Vorangestellt

Claus Duncker

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,

"Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden" oder "Wer sich nicht an die Spielregeln hält, ist raus". Das beschreibt das Spannungsfeld, in das man sich begibt, wenn man sich dem Schwerpunktthema dieser Ausgabe nähert. Der sehende Mensch "vermisst" und "katalogisiert" bereits in Bruchteilen von Sekunden sein Gegenüber. Nonverbale Verhaltensweisen entscheiden in vielen Fällen über Sympathie, Antipathie und sogar Jobs. Bereits sechsjährige Mädchen haben heute genaue Vorstellungen, welches Klamottenlabel das Ihrige ist, damit man "In" und nicht "Out" ist. Begriffe wie "must have" oder "no go" haben sich in unserem Wortschatz etabliert und bringen eine gewisse Radikalität bei der Beurteilung zum Ausdruck. Daneben gibt es wie immer diejenigen, die bewusst nicht mitmachen. Wie kann jemand, der nichts sieht, eine solche Entscheidung, zum Beispiel bei Kleidung, Frisur oder Make up treffen? Was bedeutet es für ihn, dass er die nonverbalen Reaktionen in seinem Umfeld nicht mitbekommt? Und in welcher Situation gelten eigentlich welche Spielregeln?

Die blista hat den Anspruch, nicht nur kognitive Bildung, sondern auch alles Notwendige zu vermitteln, damit unsere Absolventen möglichst eigenständig zurechtkommen und im Berufsleben erfolgreich sind. Machen wir da schon genug? Ehemalige Schüler sagen nicht selten, die blista müsste bei ihren Schülern mehr Wert auf Umgangsformen und Etikette legen. Recht haben sie, denke ich mir, aber hätten sie das während ihrer eigenen Schulzeit akzeptiert? Und haben sie nicht das Recht auf ihren individuellen Weg?

Muss jemand, der nichts oder kaum was sieht, zumindest ins Fitnesscenter gehen, wenn er als aktive Führungskraft im Job ernst genommen werden will? Wie erklärt er, dass er nicht golft, sondern Goalball spielt?

Das sind wenige Aspekte des Themas "Behinderte Kommunikation". Das Thema bewegt viele von Ihnen. Nie gab es so viele Reaktionen auf die Ankündigung eines Schwerpunktthemas.

Eine Freundin meiner Tochter sagte vor einiger Zeit zu mir: "Viele eurer Schüler fallen gar nicht so auf. Sie sind total modisch gekleidet. Das war früher oft nicht so, da hab ich mich an der Bushaltestelle lieber etwas beiseite gestellt, damit keiner denkt, ich gehöre dazu. Das wäre mir peinlich gewesen." Gut, denke ich spontan, das macht es unseren Schülern jetzt sicher leichter, in Kontakt mit Gleichaltrigen zu kommen. Und dann denke ich, ist es denn eigentlich das Ziel, dass blinde oder sehbehinderte Jugendliche möglichst nicht auffallen? Wo ist da die Grenze zwischen der individuellen Entwicklung und dem Anpassungszwang an gesellschaftliche Normen? Widerspricht das nicht dem Gedanken einer inklusiven Gesellschaft, in der die Andersartigkeit die Norm ist. Aber die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen ist ja erst das Schwerpunktthema in der nächsten Ausgabe.

Ihr

Claus Duncker

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Frontales Portraitfoto von Claus Duncker, Direktor der blista. Er lächelt und trägt Anzug und Krawatte (Foto: Tom Engel).

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In eigener Sache

Dr. Imke Troltenier

In eigener Sache

Zugleich mit dem horus 3-2010 erscheint der DVBS-Jahresbericht 2009. Er dokumentiert die vielfältigen Aktivitäten seiner Mitglieder, kommuniziert die Standpunkte und Kernforderungen, zeigt auf, dass sich im DVBS Selbsthilfe lohnt! Er hat ein wenig sein Gesicht geändert, um für die Sehbehinderten unter Ihnen mit weniger Barrieren aufzuwarten und um auch interessierte Nicht-Mitglieder zu erreichen, zu informieren und aufmerksam zu machen. Der DVBS-Jahresbericht 2009 ist beigefügt bzw. steht in barrierefreiem HTML unter www.dvbs-online.de (Verein & Selbsthilfe / Gesamtbild) zum Download bereit. Wir wünschen viel Freude beim Lesen.

Seit April 2010 arbeite ich in der DVBS-Geschäftsstelle und vertrete Susanne Schmidt während ihrer Elternzeit. Einige von Ihnen habe ich bereits bei der SightCity gesprochen, auf der Mitgliederversammlung oder in vielen Telefonaten kennen gelernt. Was mir auffiel und was ich an dieser Stelle wiedergeben möchte, solange der Blick von außen wirkt: Beeindruckend ist die Wertschätzung, mit der Sie sich, die Mitglieder, untereinander begegnen. Das ist ein "Pfund" und eine Ressource, mit der Sie der überwiegenden Mehrzahl anderer Organisationen eine gute Nasenlänge voraus sind. Dass insofern auch die vielbeschworene Generationen übergreifende Zusammenarbeit hier im DVBS funktioniert, klug organisiert in Arbeitskreisen, Fach- und Bezirksgruppen, das belegt die Vielzahl der juristischen, bildungs-, arbeitsmarktrelevanten Erfolge.

Dass mir die Arbeit im DVBS vor diesem Hintergrund eine Freude ist, liegt auf der Hand. Einblicke in meine Tätigkeiten finden Sie auch hier im horus im Artikel "Eindrücken auf der Spur...". Darüber hinaus, weil von Michael Herbst angekündigt, noch kurz zu dem Namen, der so ungewöhnlich daherkommt. Die "Trolteniers" sind ein sehr überschaubares Grüppchen. Über Deutschland, USA und Kanada verstreut, eint die Familie die Tradition des Erzählens: Zu Familienfeiern und Geburtstagen schenken wir uns - ja, auch materielle Dinge - aber der Fokus liegt klar auf Erzählungen. Eine Geschichte, die mein Großvater uns allen mit Freude zu erzählen wusste, ist die unserer Vorfahren, den Bergbauern vom norwegischen Trollfjord, die im 16. Jahrhundert in den Harz einwanderten, wo der Bergbau just aufblühte. In die Zunft aufgenommen, wurde später eine Schmiede im Harz Lebensmittelpunkt für eine lange Kette von Nachfahren. Als zweitgeborener Sohn musste mein Großvater die Schmiede verlassen. Er war traurig darüber, bekam aber dafür die Chance einer akademischen Ausbildung. Den Namen spricht man deutsch aus: Theodor - Richard - Otto - Ludwig - Theodor - Emil - Nordpol - Ida - Emil - Richard.

Im nächsten horus geht es mit dem Schwerpunkt "BRK konkret" um das so wichtige wie aktuelle Thema "UN-Behindertenrechtskonvention", um Ziele, Umsetzungserfolge, Forderungen, Handlungsansätze und -bedarfe in Bezug auf Bildung, Barrierefreiheit und Arbeitsmarktintegration. Wir sind gespannt auf Ihre Erfahrungen, Ihre Expertise, auf Tipps und Hinweise. Artikel senden Sie wie immer an die Redaktion des horus Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Frontales Portraitfoto von Imke Troltenier. Die 50-Jährige lächelt in Richtung der Betrachtenden (Foto: privat).


Schwerpunkt: Behinderte Dialoge

Prof. Dr. Christa M. Heilmann

Körpersprache - Körperausdruck - Körperzeichen

Das Phänomen Körpersprache stößt alltagsweltlich jederzeit auf großes Interesse, wird doch in der täglichen Kommunikation deutlich, wie viele Informationen aus der Mimik, dem Blick oder auch der Körperhaltung abgelesen werden können. Viele Ratgeber-Bücher zu dem Thema bestärken uns auch in der Annahme, dass die abgelesenen Botschaften richtig gedeutet werden, weil es einen direkten Zusammenhang gäbe, eine sog. 1:1-Relation. Kreuzt man die Beine beim Stehen, "bedeutet" es Unsicherheit, legt man beim Sitzen ein Bein über das andere, so mag man angeblich mit der Person an der Seite des übergeschlagenen Beines nicht reden. Und viele, viele weitere Beispiele ließen sich anfügen.

Aber so einfach sind kommunikative Prozesse nicht, wie sich zeigen wird. Versuchen wir zunächst, die Voraussetzungen zu klären.

Die Ebenen der Kommunikation

Menschliche Kommunikation verläuft auf drei Ebenen gleichzeitig: auf der verbalen, der paraverbalen und der extraverbalen Ebene. Bei der verbalen Ebene handelt es sich um die gesprochenen Wörter, deren Bedeutung wir (weitgehend) kennen, weil der Zusammenhang zwischen der Lautfolge und ihrer Bedeutung konventionalisiert (festgelegt) wurde. (Und selbst da gibt es unter Muttersprachlern mitunter Unklarheiten, wie viele alltagssprachliche Missverständnisse zeigen: Ist "Viertel acht" nun eine Viertelstunde vor acht Uhr oder eine Viertelstunde nach sieben Uhr? Wenn jemand weggeht, um sich "Kohle" zu besorgen - kommt er mit Heizmaterial oder mit Geld zurück?).

Zur paraverbalen Ebene zählen wir alle Bestandteile des Sprechens, die hörbar sind, wie

  • der Stimmklang,
  • die Lautstärke,
  • das Sprechtempo,
  • die Satzmelodie,
  • die Aussprache.

Sie sind in der mündlichen Kommunikation untrennbar mit der verbalen Ebene verbunden, d.h. indem wir sprechen, sind diese Parameter immer mit dabei, gleichgültig, ob wir sie bewusst gestalten oder nicht. Sie können das Gesagte unterstützen, relativieren, umkehren (Ironie) und in besonderen Fällen auch ersetzen (z.B. ein Brummlaut oder ein Schnalzlaut).

Zur extraverbalen Ebene, umgangssprachlich als Körpersprache bezeichnet, gehört das Sichtbare im Sinne von

  • Mimik (Ausdruck des Gesichts),
  • Gestik (Bewegungen der oberen Extremitäten),
  • Kinesik (die Körperhaltung, besonders auch das achsiale Verhalten) und
  • Proxemik (Raumverhalten).

Festlegungen von körperlichen Bewegungen mit bestimmten Bedeutungen gibt es in allen Sprachen. Denken wir nur z.B. an Kopfnicken oder Kopfschütteln. Diese beiden Bewegungsformen können Sprache ersetzen, weil sie konventionalisiert sind. Es ist daher gleichgültig, ob ich "ja" sage oder mit dem Kopf nicke. Aber die meisten Bewegungen sind in ihrer Bedeutung nicht so festgelegt. Oder wissen Sie genau, was eine vorgeschobene Unterlippe bedeutet? Sind Sie sich so sicher wie beim Kopfschütteln?

Im Unterschied zur paraverbalen Ebene beziehen sich beim Sprechen die Vorgänge auf der extraverbalen Ebene zwar auf das Gesprochene, sind aber nicht untrennbar damit verbunden. Sonst könnten wir z.B. nicht telefonieren, keine Tonaufnahmen machen, nicht über Computer-Verbindungen miteinander sprechen und Nicht-Sehende könnten nicht miteinander kommunizieren.

Der Körper in der mündlichen Kommunikation

Der Körper erfüllt in der menschlichen Kommunikation unterschiedliche Funktionen: Zunächst in der sog. "primären Körperlichkeit" dient der Körper als Hervorbringungsmittel. Die menschliche Hirntätigkeit ermöglicht Gedanken, die im Weiteren über einen komplexen Prozess zu Wörtern, Sätzen und Texten werden, die auch ausgesprochen werden können. Dafür werden die Ausatmungsluft, der Kehlkopf mit den Stimmbändern und der gesamte Artikulationstrakt benötigt, wobei auch hier die zentrale Steuerung nicht vergessen werden darf. Gleichermaßen zählen die Bewegungsmöglichkeiten für Mimik, Gestik und Körperverhalten hinzu.

In gleicher Weise zählen zur primären Körperlichkeit die Voraussetzungen beim Gegenüber der Kommunikation, die unterschiedlichen Ebenen wahrnehmen zu können - zu hören und zu sehen. Produktion (Hervorbringung) und Rezeption (Aufnahme) sind demnach an bestimmte körperliche Voraussetzungen geknüpft. Sind diese nicht gegeben, ist die Kommunikation entweder erschwert, weil nicht die Komplexität der drei Ebenen erfasst werden kann, oder die Betroffenen entwickeln im Miteinander des Kommunizierens veränderte Formen.

Die sog. "sekundäre Körperlichkeit" verweist darauf, dass der Körper des jeweiligen Gegenübers etwas ausdrückt. Indem ich einen bestimmten Stimmklang höre, die Atmung auf eine spezifische Weise wahrnehme, Lautstärke und Sprechtempo registriere, erfahre ich über die anderen etwas. Das Gleiche gilt für die Körperbewegungen. Stimme und Körperausdruck dienen mir als "Erkenntnisobjekt", ich deute aus meinen Erfahrungen heraus in einer bestimmten Weise. Bleibt mir eine dieser Ebenen verschlossen, ist der Verstehensprozess erschwert. Das ist sowohl im Zusammenhang mit eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten vorstellbar als auch durch Wissensdefizite in interkulturellen Kontakten.

Das Bewegungspotential

Um körperliche Bewegungen mit Ausdruckscharakter besser verstehen zu können, muss man sich klar machen, dass sozusagen ein gestuftes System von körperlichen Bewegungen besteht: Zunächst gilt es auf der Ebene der Potentialität zu fragen, welche Bewegungen ein Körperteil zu vollziehen vermag, d.h. wie weit lässt sich z. B. der Kopf nach hinten drehen. Im Vergleich damit kann ich dann an der Kopfdrehung einer konkreten Person erkennen, wie stark der Grad z. B. einer Abwendung ausgeprägt ist.

Als zweite Stufe gibt es die Ebene der Anzeichen. Hier kann ein körperlicher Ausdruck eines Gegenübers wahrgenommen und beschrieben werden als Anzeichen für eine auslösende Ursache. Wir kennen diese Erscheinungen auch aus ganz anderen Zusammenhängen: Wenn wir z.B. an einem Fieberthermometer eine bestimmte Gradzahl ablesen, so ist das ein Anzeichen für Fieber, aber nicht das Fieber selbst. Anzeichen deuten wir aus kommunikationsbiographischer und lebensweltlicher Erfahrung heraus, ohne die Sicherheit zu haben, dass unsere Deutung richtig ist. Es wird deshalb davon gesprochen, dass wir die Anzeichen "kommunikativ aufladen", ihnen also situationsbedingt eine spezielle Bedeutung zuweisen.

Ein Beispiel: Während eines Gesprächs verschränkt eine Teilnehmerin die Arme vor dem Oberkörper und zieht die Schultern leicht hoch. Vielleicht ist der Vorgang auch durch eine intensive, hoch gelagerte und hörbare Atmung begleitet. Was können wir aus dieser Wahrnehmung wissen?

  • Könnte es sein, dass die Frau sich im Gespräch unwohl fühlt, weil die Themenentwicklung nicht in ihrem Sinne verläuft?
  • Ist denkbar, dass sie friert, weil es ihr im Raum zu kalt ist?
  • Sind ihre Gedanken möglicherweise aus dem Gespräch hinausgeglitten und zu einer ärgerlichen Situation gewandert, derer sie sich gerade erinnert?
  • Ist der "Schnaufer" vielleicht als Rederechtunterbrechungssignal zu werten?

Viele Deutungen sind möglich und wir müssen versuchen, so viele Anzeichen wie möglich zu sammeln, um aus diesem Bündel von Merkmalen und unserer Erfahrung mit anderen derartigen Erfahrungen Schlüsse zu ziehen. Diese Bewegungen sollten korrekterweise dann als "Körper-Ausdruck" und nicht als "Körper-Sprache" bezeichnet werden, weil sie Sprache nicht direkt ersetzen können.

Anders ist es bei der letzten Ebene, der Konventionalisierung. Dabei handelt es sich um Bewegungen mit festgelegter Bedeutung, wie das Nicken, das Kopfschütteln, das Klatschen, das Zeigen, im eigentlichen Sinne um Körper-Sprache: Eine bestimmte Bewegung hat eine konventionalisierte Bedeutung sowie Wörter auch und die spezielle Bewegung kann ein bestimmtes Wort ersetzen.

Anwendungsmöglichkeiten dieses Wissens

Die Differenzierung dieser drei Ebenen ist besonders wichtig, um in Gesprächen genau zu unterscheiden, was wir vom Gegenüber wissen und wann wir interpretieren. Natürlich sind wir ganz oft darauf angewiesen, das Verhalten anderer Gesprächsbeteiligter aus dem wahrgenommenen Ausdruck heraus zu versuchen zu verstehen, aber wir können uns nie ganz sicher sein, dass es stimmt. Wie oft bietet z.B. ein fehlendes Grüßen auf der Straße beim Vorübergehen Anlass zur Verärgerung (Interpretation: Missachtung meiner Person), obgleich vielleicht nur die vergessene Brille oder die eingeschränkte Sehfähigkeit die Ursache war. Lebenserfahrung und die Wiederkehr ähnlicher Situationen können uns den Verstehensprozess erleichtern, ersetzen aber das Rückfragen, die Vergewisserung nicht.

Daran anknüpfend ist zu erwähnen, dass sich Kommunikation natürlich immer einerseits in konkreten Kommunikationssituationen vollzieht, die von den Beteiligten, den Raum-Zeit-Verhältnissen, der Motivation und dem Kommunikationsziel beeinflusst werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Kommunikation immer auch in einem spezifischen soziokulturellen Raum stattfindet. Kulturelle Werte und Normen beeinflussen unser Handeln und Verhalten, in der Kommunikation ebenso wie in anderen Lebenszusammenhängen.

So werden wir mit den Erfahrungen unterschiedlicher Kulturen und verschiedenen Werten und Normen und bei unterschiedlich gut entwickelten Sinnesleistungen in konkreten Kommunikationssituationen unterschiedlich reagieren. Verstehensleistungen sind jedoch immer interaktive Prozesse, Sinnkonstituierung entsteht im Miteinander der Wechselseitigkeit. Spezifische Einschränkungen von Gesprächsbeteiligten betreffen also niemals diese Person allein, sondern, indem alle gemeinsam die Konstituierung von Sinn zu verantworten haben, sind alle gemeinsam für diesen Prozess verantwortlich. Sind Teilnehmende eines Gesprächsprozesses nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, die sichtbaren Elemente von Kommunikation - den Körperausdruck -wahrzunehmen, tragen die anderen Mit-Verantwortung, das Gelingen der Gespräche zu befördern.

Sprecherwechsel als zentrales Kriterium eines Gesprächs

Das Miteinander sozialer Gruppen wird sehr stark über Gespräche organisiert, über das Klären von Sachverhalten durch Gespräche, über gemeinsame Lösungssuche. Wenn wir Gespräche als dialogische Kommunikationsformen charakterisieren wollen, so besteht als zentrale Bedingung, dass die Sprechenden und die Zuhörenden die Möglichkeit des Rollentausches nutzen. Dieser Rollentausch (Sprecherwechsel, Rederechtübergabe) findet störungsfrei an sog. "übergangsrelevanten Stellen" statt, in Augenblicken, da Einer deutlich macht, dass er nicht weiterreden möchte.

Das kann durch Mittel aus den schon beschriebenen kommunikativen Ebenen umgesetzt werden:

  • Durch verbale Mittel kann ich den Abschluss meiner Äußerungen ankündigen ("Ich komme nun zum Schluss", "Abschließend möchte ich sagen, dass", "Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg.").
  • Als paraverbale Mittel eignen sich die fallende Melodiebewegung am Satzende, Atempausen, langsamer und leiser werden.
  • Übergangsrelevante Stellen markieren sich außerdem durch alle extraverbalen Möglichkeiten, welche die räumliche Distanz zwischen Sprechenden und Hörenden vergrößern: Zurücklehnen, Gestik an den Körper nehmen, Blickkontakt lösen und den eigenen kommunikativen Raum verkleinern.
  • Alle expandierenden Veränderungen dagegen dienen dem Rederechterhalt bzw. dem "Kampf" um das Rederecht (nach vorn beugen, lauter und schneller sprechen, keine Pausen machen, keine abschließenden Äußerungen formulieren).

Gelungene Gespräche im Sinne von gemeinsamer Themenklärung partizipieren von den Meinungen und Ansichten aller Beteiligten, so dass es wichtig und gesprächsfördernd ist, dass alle die Chance erhalten, sich zu äußern. Auch im Kontext von "KörperKommunikation" können wir durch eindeutiges Verhalten dazu beitragen, Missverständnisse zu verringern: Eine Möglichkeit besteht darin, die eigenen Äußerungen zu einer klaren Zäsur (verbal, para- und extraverbal) zu führen, also übergangsrelevante Stellen zu schaffen, an denen andere das Rederecht übernehmen können, ohne gegen Höflichkeitsnormen zu verstoßen.

Für Nicht-Sehende ist das eine besondere Herausforderung, indem auch sie möglichst deutlich auf extraverbaler Ebene Rederechtabgabe- oder Rederechterhaltsignale auszudrücken lernen sollten, ohne eine konkrete eigene Reflexionsmöglichkeit darüber zu haben. Sehende dagegen tragen die Verantwortung dafür, dass seheingeschränkte Menschen über andere Ebenen den Ausdruck der extraverbalen Ebene ersetzt bekommen, um an der Komplexität des kommunikativen Prozesses teilhaben zu können.

Eindimensionale Betrachtungen können auch im Kontext der "KörperKommunikation" nicht gelingen. Die Interpretation körperlicher Anzeichen ist nur im Gesamtzusammenhang aller Einflussfaktoren zu betrachten und somit durchaus nicht nur vom Grad des Sehvermögens abhängig. "KörperKommunikation" erweist sich somit als ein spannender vielschichtiger Prozess, der einer hohen Aufmerksamkeit und einer wechselseitigen Behutsamkeit bedarf.

Zur Autorin:

Prof. Dr. phil. habil. Christa M. Heilmann, geb. 1946 in Leipzig, ist seit 1990 Leiterin der Abteilung Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Forschungsschwerpunkte: Sprechwissenschaftliche Gesprächsforschung, Gender-Studies in der Rhetorischen Kommunikation, Nonverbale Kommunikation/Körpersprache, Gesprächsanalyse.

Philipps-Universität Marburg, Fachbereich 09, Germanistik und Kunstwissenschaften, Wilhelm-Röpke-Str. 6c, 35032 Marburg, Tel. 06421 28-24642, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.uni-marburg.de/fb09/igs/mitarbeiter/heilmann/index_html

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portraitfoto von Prof. Dr. Christa M. Heilmann. Die Professorin schaut freundlich in Richtung der Betrachtenden (Foto: privat).

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Dr. Imke Troltenier

Eindrücken auf der Spur: Behinderte Dialoge - Sehende im Gespräch mit Blinden und Sehbehinderten

Als ich ins Hörsaalgebäude der Philipps-Universität komme, sehe ich sie gleich: Eine junge Studentin mit weißem Stock und Sonnenbrille. Neben der Hausmeisterloge läuft sie ein wenig auf und ab. Ob sie wartet? Etwas sucht? Ob man ihr helfen kann oder soll? Das Seminar fängt gleich an, ich bin in Eile und frage lieber nicht.

Marburg ist die Stadt der Blinden und Sehbehinderten. Die Carl-Strehl-Schule der blista besuchen rund 300 Schülerinnen und Schüler, 43 Wohngruppen des Internats haben ihren Standort in der Kernstadt. An der Philipps-Universität sind rund 150 Blinde und Sehbehinderte in 33 Studiengängen eingeschrieben. Auf die Frage, wie es klappt mit dem Austausch und der Kommunikation zwischen Blinden, Sehbehinderten und Sehenden, sagt eine, die es wissen muss, weil sie Schule und Studium längst erfolgreich abgeschlossen hat: "Mein Freundeskreis war und ist durchaus gemischt." Sybillinisch lächelnd fügt sie hinzu: "Aber es gibt auch Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sich als sehbehinderte Studierende isoliert fühlen, in Gesprächen mit Sehenden unverstanden oder ausgetrickst. Es kommt halt auf den Einzelfall an...".

Ist der freundliche Hinweis so zu verstehen, dass es keine Formel gibt? Dass die Kommunikation zwischen Sehenden und nicht, schlecht oder partiell Sehenden möglicherweise keinen besonderen Regeln folgt? Und keiner Spezifik für Brüche? Bergauf und -ab, quer durch die Stadt führt die Spur, die Suche nach den Einzelfällen und den individuellen Eindrücken Sehender im Gespräch mit Blinden und Sehbehinderten.

Im Dialog mit Blinden, Sehbehinderten und mit sich selbst

"Klar", sagt der Besitzer eines Ladens für Lampen und Wohn-Accessoires in der Oberstadt: "Nicht oft, aber manchmal sind es auch blinde oder sehbehinderte Kundinnen und Kunden, die ich bediene." Eigentlich sei da nichts besonders. Er nehme die Lampenschirme eben herunter, gebe sie in die Hand, beschreibe das Aussehen, erkläre die Wirkung des Lichts bei der einen oder anderen Form, Farbe und Größe. Er habe auch keine Angst, dass die sorgfältig arrangierten Auslagen umgestoßen würden, dass Glas zerbreche, das alles sei noch nie vorgekommen. Erst Nachhaken bringt mehr ans Licht: "Ist der Kunde blind, frage ich mich innerlich natürlich dauernd, wozu braucht er eine Lampe?", gesteht er ein und ergänzt: "Dazu noch eine, die geschmackvoll und durchaus kein Schnäppchen ist. Hängt er sie auf, sieht er weder die Lampe noch den Schein, den sie wirft!" Der Ladenbesitzer lacht: "Natürlich sind sie blöd, diese Fragen, aber sie drängen sich als erstes auf!" Weil das Formulieren der Fragen indiskret wäre, sei man ein wenig gehemmt und erst im Nachhinein mache man sich klar, dass auch Sehende Wert legen auf ein geschmackvolles, individuelles häusliches Ambiente: Nicht für sich allein, sondern eben auch für Mitwohnende oder Besucherinnen, Freunde, Gäste.

In der "Ketzerbach" läuft eine ältere Dame mit Einkaufstüte die Straße hinauf, ein Grüppchen junger Leute kommt Stock schwenkend und munter die Straße hinunter. Erschreckt springt die Frau in den nächstbesten Hauseingang und wartet, bis das Grüppchen vorübergezogen ist. Während sie wieder heraustritt und sich sammelt, murmelt sie vor sich hin: "Können die nicht besser aufpassen?"

"Nein", antwortet die Dame mittleren Alters, die an der Bushaltestelle am Ortenberg wartet: "Blinde oder Sehbehinderte Menschen kenne ich nicht näher." Nachhaken bringt wieder mehr ans Licht: "Naja, von Zeit zu Zeit sehe ich hier eine offensichtlich blinde Frau, die wohl im Viertel wohnt. Und ich bin immer ganz fasziniert: Sie kleidet sich außerordentlich gut. Schick, modern und geschmackvoll. Immer frage ich mich: Wie macht sie das nur? Und tatsächlich habe ich mir schon das eine oder andere abgeschaut. Aber Fremde so direkt fragen kann man ja nicht." Auf die Frage, ob sie vergleichsweise schon einmal versucht habe, den Kontakt mit einer sehenden Nachbarin aufzubauen, die ihr ähnlich gut gefiel, antwortet die Wartende: "Ja schon." Nachdenklich fügt sie hinzu: "Stimmt, irgendwie ist das einfacher. Man muss nicht gleich "mit der Tür ins Haus fallen": Bevor ich jemanden anspreche, schaue ich erstmal. Man lächelt sich zu, sieht, wie die Nachbarin dies erwidert, und redet dann vielleicht erstmal nur über das Wetter, die Sonne, die Blumen im Garten. Und spätestens da wäre ich schon wieder unsicher, ob ich keinen Fehler mache, denn was soll sie antworten, wenn ich frage: "Sind diese champagnerfarbenen Rosen nicht einfach wunderschön?"."

Aus den Augen, aus dem Sinn?

"Ehrlich gesagt, ich fühle mich oft einfach übergangen. Ich habe seit einem halben Jahr einen Kollegen, der sehbehindert ist und wenn er zum Beispiel manchmal einfach grußlos an mir vorbeigeht oder auch an unseren Kunden, das kommt nicht gut an. Klar, man gewöhnt sich aneinander, aber bis zum heutigen Tag frage ich mich immer wieder: Warum grüßt er manchmal nicht? Mag er mich nicht? Ist er ein Chauvi? Oder erkennt er mich nicht?" Die Bankkauffrau, die ich in Zwischenhausen antreffe, klingt ratlos. "Man kann nicht nicht kommunizieren", lautet die Antwort und Kernthese des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick. Er stellte damit klar, dass man grundsätzlich und immer mit jedem Verhalten Botschaften aussendet. Auch beim grußlosen Aneinandervorbeilaufen. Dass dieses erste der fünf Watzlawick"schen Axiome nur gilt, wenn die Personen sich gegenseitig wahrnehmen, das scheinen Sehende im Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen manchmal auszublenden.

"Blinde Menschen erkenne ich am Stock", erklärt der junge Verkäufer am Bahnhofskiosk, "und die laufen hier natürlich immer nur vorbei. Aber ich glaube, sie haben uns Sehenden durchaus was voraus. Schauen Sie mal, was heute hier in der Süddeutschen steht: "Wähler entscheiden sich für Politiker, deren Aussehen ihnen gefällt: (Sehende) Testpersonen, die Wahlplakate aus der Schweiz begutachteten und sonst nichts über die Kandidaten wussten, trafen fast die gleiche Entscheidung wie die echten Wähler." Diese Oberflächlichkeit ist erschreckend", konstatiert der junge Mann kopfschüttelnd. Er vermute, dass blinde und sehbehinderte Wählerinnen und Wähler viel fundierter entscheiden und eher Daten und Fakten als Entscheidungsgrundlage wählen würden.

Dass blinde und sehbehinderte Menschen Sehenden oft einiges voraus haben, davon ist auch eine Geschäftsfrau überzeugt, an Gleis 5 wartet sie auf den Zug, der sie zur Hannover-Messe bringt. "Ja, ich hatte mal einen blinden Kollegen. Er war Datenbankspezialist und wie viele ITler nicht gerade gesprächig. Wenn"s hart auf hart kam, also wenn wir im Stress schnell was ändern mussten, dann sagte er so was Kurzes wie: "Prüfen Sie Zeile 475, da kann der Fehler liegen, alternativ Zeile 386." Und so war es dann auch. Immer. Das hat mich wirklich fasziniert, sein klares gedankliches Konzept und dazu das brillante Gedächtnis!"

Das Medium Internet als Chance?

Zu den besonderen Fähigkeiten blinder und sehbehinderter Menschen befragt, winkt ein Insider ab und erklärt sie zur Mär, während die Fachzeitschrift PLoS Biology im Internet neueste Forschungsergebnisse publiziert, die gute Voraussetzungen bieten, um den Gegenbeweis anzutreten: Neurobiologen von der Rockefeller University New York gelang jetzt der Nachweis, dass unser Gehirn weitaus flexibler ist, als jemals gedacht. Untersucht wurden die Formungsprozesse der Hirnstruktur, die Persönlichkeit und Potential eines Menschen bestimmen. Diese Formungsprozesse, die auf Sinneserfahrungen beruhen, beschränken sich nicht, wie lange vermutet, auf die Kindheit. Sie währen vielmehr lebenslang. So wuchs bei Londoner Taxifahrern die neurobiologische Grundlage für die Orientierungsfähigkeit, der Hippocampus, mit zunehmender Zahl der Berufsjahre an. Nach neuesten Erkenntnissen setzen diese Prozesse nach neuartigen Erfahrungen bei jung und alt in Minutenschnelle ein.

Bleibt man im Internet als Ort dieser Spurensuche, fällt auf, dass die Plattformen für Austausch und Kommunikation, die sogenannten "Social" Networks, in den letzten Jahren rasant an Beliebtheit gewonnen haben. Seit Frühjahr 2010 zählt die größte ("Facebook") zu den "Page Rank 10 Sites", den zehn attraktivsten Internetseiten weltweit. Die Marburger Teens und Twens treffen sich zum Dialog und Austausch eher nicht bei "Facebook", viel beliebter sind die "kleineren Schwestern" "ICQ", "SchülerVZ" und "StudiVZ". Keineswegs barrierearm werden diese "Online-Communities" von jungen blinden, sehbehinderten und sehenden Menschen gern und in aller Regel täglich für Stunden genutzt. Hilft das virtuelle Medium dabei, Kommunikationsbarrieren zu überwinden?

Fazit

Es sind viele unausgesprochene und offene Fragen, mehr Vermutungen und Unsicherheiten als Antworten auf Seite der Sehenden, auf die diese kleine Spurensuche verweist. Ich nehme es als freundlichen Appell im und für den DVBS. Schließlich gilt es vor dem Hintergrund der Visionen, die sich an die UN Behindertenkonvention und das Stichwort Inklusion knüpfen, bestehende Unterschiede erst einmal wahrzunehmen, bevor man sie in einer Gesellschaft in der Summe als Vielfalt und Ressource schätzen lernen kann. Als ich einige Wochen später noch einmal ins Hörsaalgebäude der Philipps-Universität komme, treffe ich sie wieder an: Die junge Studentin mit weißem Stock und Sonnenbrille. Neben der Hausmeisterloge läuft sie ein wenig auf und ab. Diesmal tue einen kleinen Schritt. "Nein danke, alles bestens", antwortet sie selbstbewusst. "Wenn ich etwas suche, dann frage ich."

Information und Quellen:

  • Bianca Schaalburg: Ein Tag mit Herrn Weißstock. Hrsg. DBSV e.V. 2004.
  • Herman van Dyck: Nicht so - sondern so. Kleiner Ratgeber für den Umgang mit blinden Menschen. Hrsg. DBSV e.V. 2009.
  • JIM-Studie 2009. Die repräsentative Studie JIM (Jugend, Information, (Multi-) Media) wird vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest seit 1998 durchgeführt und bildet das Medienverhalten der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland ab. www.mpfs.de/?id=161.
  • Page Rank (PR) 10 Sites, Searchenginegenie.com. Stand: 15-04-2010. www.searchenginegenie.com/pagerank-10-sites.htm.
  • Public Library of Science (2010, June 16). Experience shapes the brain's circuitry throughout adulthood. ScienceDaily. Stand: 18-06-2010. www.plosbiology.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pbio.1000395.
  • Zehn Dinge, die Sie noch nicht wissen über Entscheidungen, Süddeutsche Zeitung, 18. Juni 2010.

Zur Autorin:

Dr. Imke Troltenier ist seit April 2010 Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im DVBS. Die promovierte Verhaltensbiologin und PR-Beraterin ist seit vielen Jahren in europäischen Bildungsprojekten aktiv und Lehrbeauftragte im Bereich Medienwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg.

Motive in der Schwarzschriftausgabe:

  1. Portraitfoto von Imke Troltenier. Die 50-Jährige lächelt in Richtung der Betrachtenden (Foto: privat).
  2. Zwei Hände halten eine Rosenblüte (Foto: DVBS itrol)

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Anette Bach

Wie alle und doch so anders

Als Jemand, der das (Hin)sehen so geliebt, so gebraucht hat, traf es mich mit vierzehn Jahren wie der oft zitierte Schlag mit dem Hammer: Totale Netzhautablösung! Mein von Kindheit an gefasster Lebensplan, Malerin, Zeichnerin zu werden, war unerfüllbar geworden. In einem Alter, in dem man üblicherweise beginnt, sich von den Eltern zu lösen, auf dem Weg zum Erwachsenwerden eine Persönlichkeit zu entwickeln, stand ich nun ohne Orientierung in einem neuen Leben als hochgradig Sehbehinderte. Die Vorlieben, Abneigungen, die Wertvorstellungen und Ziele, die Art des Umgangs mit anderen Menschen, das alles stammte ja ausnahmslos aus meinem nicht behinderten Leben. Die Kommunikation mit anderen Menschen veränderte sich sehr, wurde problematisch und veränderte damit auch mich. Ich traute mich nicht, dem Fahrradfahrer, der mir entgegenkam, zuzuwinken. Ich wusste nicht, war es wirklich mein Jugendschwarm Harry oder jemand ganz anderes. Angestrengt versuchte ich, etwas zu erkennen, was Aufschluss geben könnte. "Warum machst Du denn so ein mieses Gesicht? Habe ich Dir was getan?" Ich höre diese Worte noch heute. Es war also doch Harry gewesen. Um nichts in der Welt hätte ich ihm eingestehen können, dass ich ihn nicht erkannt hatte. Also musste irgendeine Ausrede her: "Ach nein, ich habe nur so starke Kopfschmerzen".

Zu den Partys konnte, nein wollte ich nicht mehr gehen. Wenn nur noch rotes oder Kerzenlicht im Raum war (früher auch für mich der Inbegriff von stimmungsvoller Atmosphäre), erkannte ich kein Gesicht mehr. Wie entsetzlich peinlich war es, als ich mit einem Jungen auf die Tanzfläche ging, den ich für Harry hielt und auch so ansprach. In den Lichtverhältnissen verlor ich bei den offenen Tänzen meinen Partner aus dem Blick und tanzte für mich allein. Das galt als angeberisch und missachtend. Später zerstörte ich unsere monatliche Canasta-Runde. Ich hätte keine Lust mehr am Kartenspiel. In Wahrheit konnte ich die Karten nicht mehr erkennen. Natürlich waren die Freunde verärgert. Einladungen zum Essen wurden zu Horrortrips. Wenn das Licht nicht hell genug war, konnte ich nichts auf meinem Teller erkennen. Natürlich gab es Kopfschütteln, wenn ich nach wenigen Bissen schon satt war. In höchster Anspannung versuchte ich, wie unabsichtlich auf dem Tisch herumzusuchen, um mein Weinglas zu finden. Ich konnte nicht eingestehen, dass ich es nicht sah.

Die Fähigkeit, natürlich mit anderen Menschen umzugehen

So versuchte ich mit immer geringer werdendem Sehrest wie eine Sehende in einer sehenden Gemeinschaft zu leben. Ich richtete meine Vorhaben fast nur noch danach aus, ob ich die jeweilige Situation wohl sehend meistern können würde. Nach den Antworten auf Fragen wie: "Finde ich allein dorthin?, Werden die Lichtverhältnisse ausreichen?, Werde ich die anderen Leute erkennen oder muss ich vorher herausbekommen, wer noch kommt?" und "Wie komme ich wieder nach Hause, vor allem, wenn es dunkel wird?". Mit der Zeit verlor ich die Fähigkeit, natürlich mit anderen Menschen umzugehen. Ich schaffte es nicht, mich und meine Behinderung zu erklären und die anderen verstanden mich nicht. So wurden Beziehungen schwieriger, gingen gar zu Ende und neue aufzunehmen, war nahezu unmöglich geworden.

Es erscheint paradox, aber es ist eine Tatsache: Als das, was ich für das schlimmste gehalten hatte, eingetreten war, wurde es besser! Ich erblindete. Ich war gezwungen, den weißen Stock zu nehmen. Somit ist seitdem für meine Umwelt klar ersichtlich, welche Behinderung ich habe. Niemand erwartet mehr von mir, dass ich ihn aus der Entfernung erkenne, mich mit ihm an einem unbekannten Ort verabrede oder zustimme, dass Claudia Schiffer nicht mehr so gut aussieht. Tricksen und Täuschen funktionieren nicht mehr. Die Alltagserfahrungen ändern sich. Bekannte auf der Straße sprechen mich an, sie wissen, dass ich sie nicht sehe. Ich habe gelernt, auf die Stimmen zu achten und so mein Gegenüber zu identifizieren. Ich erlebe, dass meine Freunde es gar nicht komisch finden, mit tastbar markierten Karten Canasta zu spielen. Ich kann wieder Essen gehen, weil ich gelernt habe, mit Messer und Gabel zu ertasten, wie es auf meinem Teller aussieht. Das Zusammensein mit anderen Menschen ist wieder erstrebenswert, seit es aufgehört hat, ein ständiger Sehtest zu sein.

Natürlich bin ich durch die Blindheit kein Mensch wie alle anderen, Aber, ich bin es auch doch!

Zur Autorin:

Anette Bach leitet seit 1991 den Bezirk Hessen bzw. später Hessen-Thüringen im DVBS. "Ich wünsche mir", notierte sie ergänzend, "dass die in meinem Beitrag in aller Kürze dargestellten Erfahrungen und Erkenntnisse zu einer regen Diskussion 'in unseren Kreisen' anregen mögen. So kann vielleicht Manchem, der auf einem ähnlich steinigen Weg wie ich es war, unterwegs ist, eine bequemere Abkürzung gezeigt werden."

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portraitfoto von Anette Bach. Die Autorin wendet sich freundlich den Betrachtenden zu (Foto: Susanne Schmidt).

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Andrea Katemann

Alltagskommunikation bei blinden Menschen

Ich laufe den Bürgersteig entlang. Suchend drehe ich den Kopf. Bin ich an dem Haus nummer 17 schon vorbei? Endlich, da kommt jemand. "Entschuldigung", sage ich, doch die angesprochene Person geht einfach weiter. Warum? Hatte sie einfach keine Lust, keine Zeit, oder ist es mir durch das Drehen meines Kopfes wieder einmal nicht gelungen, den fehlenden Blickkontakt auszugleichen? Kann man diesen überhaupt ausgleichen? Auch an einer anderen Stelle fehlt mir der Blickkontakt: Abends im Chor möchte ich einen Herrn in der Pause etwas fragen. Dass er da ist, weiß ich, denn seine Stimme habe ich schon gehört. Die Pause kommt. Ist der Herr mit jemandem im Gespräch? Unterhält er sich angeregt oder ist es möglich, kurz zu unterbrechen? Oder hat er vielleicht doch den Raum verlassen? Um all diese Dinge herauszubekommen, werde ich meine nette Nachbarin fragen müssen.

Nicht nur der Blickkontakt fehlt

Für sämtliche Dinge gibt es ein Hilfsmittel: Den Computer, an dem ich gerade sitze, kann ich mit Hilfe meines sogenannten Screenreaders (Bildschirmausleseprogramm) bedienen. Wenn ich mich beim Einschütten eines heißen Getränkes unsicher fühlen würde, könnte ich ein Gerät benutzen, das man auf die Tasse setzen kann und das einen warnt, wenn sie voll ist. Für den Weg zur Arbeit oder den Spaziergang habe ich meinen Stock und zu verwechselnde Lebensmittel beschrifte ich mir in Punktschrift. Doch für Dinge, die mir durch die Sinnesbehinderung bei der Alltagskommunikation (und hier vor allem bei der mündlichen) fehlen, gibt es kein Hilfsmittel. Und es ist hier nicht nur der fehlende Blickkontakt, der mich so manches Mal stutzen lässt.

Während einer dienstlichen Sitzung, bei der ich die einzige blinde Kollegin bin, betritt eine meiner sehenden Kolleginnen verspätet den Raum. Sie legt einen Gegenstand auf den Tisch und verkündet fröhlich: "Das habe ich euch mitgebracht". Alle im Raum wissen natürlich, über was sie redet, nur ich nicht. Also halte ich die Sitzung auf und frage nach.

Wo sind "da" und "bei"?

Interessant ist auch das kommunikative Verhalten im Bus. Wenn ich einsteige, heißt es oft: "Da ist noch ein Platz frei!", aber wo ist "da"? Entweder wurde auf den Platz geblickt, oder er wurde mir durch eine Geste gezeigt. An einer der üblichen Haltestellen ist, so glaube ich, momentan eine Baustelle. Somit frage ich den Busfahrer: "Halten sie beim Schlossbergcenter?" Er antwortet wahrheitsgemäß: "Ja". Als ich aussteige, merke ich, dass er aus meiner Sicht nicht "beim" Schlossbergcenter gehalten hat, sondern etwa 70 bis 80 Meter weit davon entfernt. "Beim" bedeutet für mich direkt davor, für ihn logischerweise nicht. Er verstand darunter eher "in Sichtweite".

All die genannten Beispiele sind aus meiner Sicht zwar wunderbar lösbar, indem man sich die Probleme in der Kommunikation immer wieder bewusst macht und entsprechend deutlich, aber nicht unhöflich, nachfragt. Der Haken ist nur, dass es Tage gibt, an denen man entweder selbst nicht versteht, wo das Problem gerade liegt oder aber einfach etwas frustriert darüber ist, ein Defizit, das faktisch vorhanden ist, mit viel gedanklichem Einsatz ausgleichen zu müssen. Das Hilfsmittel, das meine sämtlichen kommunikativen Probleme lösen könnte, hätte jedoch einen Nachteil: Ich bekäme nicht mehr so viel Kontakt zu anderen Menschen.

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Wie es in den Wald hineinruft... - Gedanken zur Kommunikation zwischen Sehgeschädigten und Sehenden

Als soziale Wesen sind wir auf einen möglichst gelingenden Umgang miteinander angewiesen - nicht nur im Dienste des Überlebens und der Bewältigung unserer Alltagsaufgaben, sondern auch und in besonderem Maße unseres körperlichen und seelischen Wohlbefindens, der Entwicklung unserer geistigen Fähigkeiten und unserer Identität. In Abwandlung des Grundsatzes von René Descartes ("Ich denke, also bin ich") könnten wir sagen: "Ich kommuniziere, also bin ich." Wer angesichts dieser fundamentalen Bedeutung zwischenmenschlicher Kommunikation glaubt, in vielen tausenden Jahren Evolution habe die Menschheit so viel Übung erworben, dass nichts schief gehen könnte, irrt sich allerdings. Beziehungen zwischen Menschen - behindert oder nicht - sind vielmehr überaus störanfällig.

Schwierigkeiten haben viele Ursachen

Als Blinde oder Sehbehinderte erleben wir den Umgang mit Sehenden oft als besonders schwierig, fühlen uns immer wieder verunsichert.

In meiner psychotherapeutischen Arbeit mit Sehgeschädigten habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, dass wir manchmal in Gefahr sind, Schwierigkeiten im Umgang mit anderen auch dann mit unserer Behinderung in Verbindung zu bringen, wenn sie bei ehrlicher Betrachtung damit wenig zu tun haben: Vielleicht sind wir aus ganz anderen Gründen schüchtern, selbstunsicher, genervt, initiativelos, distanziert oder was immer. Vielleicht haben schlechte Erfahrungen uns gelehrt, uns vor Nähe zu fürchten, uns arrogant, zurückhaltend, misstrauisch oder zu forsch zu verhalten. Wir mögen es versäumt haben, gewisse Aspekte sozialer Kompetenz zu erwerben. Mancher mag sich so sehr in virtuellen Welten (Internet etc.) bewegen, dass er - einem gesellschaftlichen Trend folgend - zu Vereinzelung und Rückzug aus realen Kontakten neigt. Wer etwa seine Bücher im Internet kauft, beraubt sich nun einmal der Gelegenheit, mit dem Buchhändler über interessante Neuerscheinungen oder die Ergebnisse der letzten Stadtratswahl zu plaudern.

Eine ehrliche Ursachensuche mag ängstigend sein. Doch schützt sie uns davor, am falschen Punkt anzusetzen oder unnötig mit der Behinderung zu hadern. Im Übrigen werden wir merken, dass auch andere ihre liebe Not mit Kontakten haben können und wir nicht immer das Problem bei uns selbst suchen müssen.

Unmittelbare Auswirkungen der Sehschädigung

Natürlich bleibt der völlige oder teilweise Verlust des Sehvermögens nicht ohne Wirkung auf unsere Möglichkeiten, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und zu gestalten. Wir müssen ein gerüttelt Maß an Geschicklichkeit und Kompetenz entwickeln, das Fehlende auszugleichen, unsere Wahrnehmung zu schärfen und unseren Kontaktpartnern zu verdeutlichen, was wir von ihnen brauchen.

Vor allem beim Kennenlernen und bei der Kontaktaufnahme spielt das Sehen eine große Rolle und ist nicht leicht zu ersetzen: Wie etwa suche ich mir in der Disco jemanden heraus, den ich gern ansprechen würde? Wie erfasse ich, ob der Auserwählte gerade mit etwas anderem beschäftigt ist? Wie bekomme ich mit, wenn jemand zu mir Kontakt sucht (mich anlächelt etc.)? Missverständnisse oder Fehlinterpretationen von Situationen sind nicht immer zu vermeiden. So geschah es mir neulich, dass ich bei einem Rundfunkinterview die freundliche Begrüßung meines Interviewers fälschlicherweise auf mich bezog und mit einem herzlichen "Grüß Gott" beantwortete. Bei ihm löste das Heiterkeit und den Ausruf aus: "Das geht ja gut los!". Im Rahmen seiner Anmoderation hatte er sich nicht an mich, sondern an die Hörer gerichtet. Hätte ich gesehen, wohin er schaute, wäre das vermutlich nicht passiert. Zum Glück konnten wir von Herzen darüber lachen und entspannt mit meinem Irrtum umgehen.

Eventuelle Missbildungen der Augen sowie manchmal eine gewisse Verarmung von Mimik und Gestik können Sehende ebenso irritieren wie behinderungsspezifische Verhaltensbesonderheiten ("Blindismen").

Sehschädigung als Stigma

Behinderung entsteht nicht allein aus unserer organischen Schädigung, sondern auch aus deren Benennung und Bewertung durch andere (sog. sekundäre Schädigungsfolgen). Je mehr Inklusion zur gelebten Selbstverständlichkeit wird (wofür noch viel zu tun ist), desto eher dürfte der Umgang zwischen Sehenden und Sehgeschädigten gelingen. Doch können nach wie vor unzureichendes Wissen, stereotype Vorstellungen, Vorurteile und unbewusste Konnotationen Sehender einen gelingenden Kontakt weit mehr erschweren als die Sehschädigung selbst. An anderer Stelle habe ich diese Thematik eingehend untersucht (Glofke-Schulz 2007), so dass ich hier auf eine ausführlichere Darstellung verzichte. Außerdem bin ich mir sicher, dass wir alle über eine Vielzahl einschlägiger Erfahrungen verfügen: Immer wieder sind wir konfrontiert mit Unbehagen und Befangenheit, Mitleid, übertriebener Bewunderung, der Zuschreibung von Andersartigkeit oder dem Bedürfnis nach sozialer Distanz einerseits, Übergriffigkeit und Neugier andererseits. Nicht selten fühlen wir uns auf unsere Behinderung reduziert, die dann zum zentralen und vermeintlich wichtigsten Merkmal unserer Person wird. Gesprächspartner sind dann oft nur schwer davon abzubringen, uns endlos über unser Handicap auszufragen.

Der Ehrlichkeit halber müssen wir uns allerdings eingestehen, dass auch wir selbst nicht frei von Voreingenommenheiten sind - und sei es nur die unüberprüfte Überzeugung, unser Gesprächspartner werde uns mit Vorurteilen begegnen.

Normalität wagen

Angesichts dieser Situation benötigen wir eine Menge Selbstvertrauen, Intelligenz, Kreativität und Humor, um Berührungsängsten zu begegnen und befriedigende Beziehungen aufzubauen. Nicht ganz zu Unrecht mag der Eindruck entstanden sein, wieder einmal müssten wir - wie in anderen Lebensbereichen auch - mehr leisten als unsere nicht behinderten Mitmenschen. Andererseits scheinen sich manche von uns einigermaßen selbstverständlich und ohne allzu große Mühe in ihrem sozialen Umfeld zu bewegen, fühlen sich integriert und geliebt. Somit stellt sich die Frage nach Perspektiven und Gestaltungsspielräumen. Jenseits konkreter Verhaltensstrategien (derer wir zweifellos bedürfen) möchte ich hier auf die Frage des Selbstverständnisses und der eigenen inneren Haltung eingehen. Indem zwischenmenschliche Beziehung ein intersubjektives Geschehen ist, hat jedes der beteiligten Subjekte, durch die transportierte innere Haltung, Einfluss auf das Interaktionsgeschehen und die Identität des Interaktionspartners. Ohne wieder einmal die Alleinverantwortung uns Behinderten zuschieben zu wollen, liegt hierin dennoch unsere Chance.

In Abwandlung eines Satzes von Mahatma Gandhi ist meine These: Wir müssen die Veränderung sein, die wir in der Beziehung sehen wollen. Das bedeutet: Je mehr wir innerlich mit uns selbst, unserer Behinderung oder anderen Aspekten unseres Lebens hadern, je weniger wir darauf vertrauen, für andere attraktiv und liebenswert zu sein, desto geringer werden die Aussichten auf eine erfüllende zwischenmenschliche Begegnung auf Augenhöhe. Je sicherer wir uns umgekehrt unseres Wertes gewiss sind, desto weniger Ängste und Zweifel tragen wir in den Kontakt hinein.

Natürlich gibt es unverbesserliche Stigmatisierer, von denen wir uns nach Möglichkeit fernhalten werden, wenn wir nicht um einiger (vermeintlicher?) "Streicheleinheiten" willen unsere Seele verkaufen wollen. Doch auf die meisten Menschen werden unsere Selbstachtung und Offenheit positive Wirkung ausüben.

Im Übrigen gehört zu einem selbstbestimmten Leben auch die innere Freiheit, gängige Geselligkeitsnormen nicht unhinterfragt zum Maßstab des sozialen Integriertseins zu machen: Nicht jede(r) fühlt sich in größeren Menschenansammlungen wohl. Gerade Sehgeschädigte empfinden Geselligkeiten in kleinerem Rahmen oft als angenehmer. Auch mag sich im Laufe des Älterwerdens das Kontaktbedürfnis ändern, mögen Zeiten der Stille wichtiger werden. Dies ist in Ordnung und keineswegs resignativer Rückzug, der uns zwangsläufig zu Außenseitern macht und unsere Inklusion gefährdet.

Erlauben wir uns also, uns so anzunehmen, wie wir sind. Tragen wir in die Begegnung die Normalität hinein, die wir uns von unserem Interaktionspartner wünschen - Wunder werden wir damit nicht bewirken, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit Türen öffnen und den Umgang miteinander erleichtern.

Weiterführende Literatur:

Glofke-Schulz, Eva-M.: Löwin im Dschungel. Blinde und sehbehinderte Menschen zwischen Stigma und Selbstwerdung. Psychosozialverlag, Gießen 2007 (inklusive Hörbuch erhältlich beim DVBS, Birgit Stolz, Tel.: 06421 94888-17, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Zur Autorin:

Dr. Eva-Maria Glofke-Schulz, geb.1958, ist seit 1999 als psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Autorin in eigener Praxis in Rosenheim tätig. Infolge RP ist sie erblindet, seit 1980 in der Selbsthilfe aktiv.

Die Schwarzschriftausgabe enthält drei Motive:

  1. Portraitfoto von Dr. Eva-Maria Glofke-Schulz. Die Autorin ist den Betrachtenden freundlich zugewandt (Foto: privat).
  2. "Aber ich will doch die Straße gar nicht überqueren" - die Zeichnung zeigt einen Mann mit Brille und Stock, der sich sträubt, als er von einem anderen mit Verve über den Zebrastreifen geführt wird. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin aus ihrer o. g. Publikation.)
  3. "Bitte nehmen Sie Platz!" - die Zeichnung zeigt einen Mann mit Brille und Stock, der, weil er die hinweisende Gestik des Sprechenden nicht wahrnimmt, am bereit gestellten Stuhl vorbeiläuft. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin aus ihrer o. g. Publikation.)

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Christian Seuß

Erziehung in den Blinden- und Sehbehindertenschulen - Haben Blinde ein "Recht auf Blindismen"?

Unter "Blindismen" versteht man gemeinhin blindentypische Verhaltensweisen, wie etwa permanentes Hin- und Herwippen mit dem Oberkörper, Augenbohren mit ein oder zwei Händen, rhythmisches Kopfwackeln und ähnliche Bewegungsauffälligkeiten. Derartige "Blindismen" findet man nicht selten bei Menschen vor, die seit frühester Kindheit blind sind oder schon blind auf die Welt kamen. Ursachen sind in aller Regel Bewegungsdefizite und fehlende motorische Anregungen. Blinde, die häufig Sport treiben und viel Bewegung haben, leben ihren Bewegungsdrang aus. Sie sind wesentlich weniger in Gefahr, ihr persönliches Bewegungsbedürfnis in Form von "Blindismen" auszuleben.

Ganzheitliche Bildung als Grundsatz

In den Blindenanstalten früherer Zeiten konnte man bei vielen blinden Schülern die beschriebenen Anomalien feststellen, wobei es durchaus regionale Unterschiede gab. Sehende mit einem "Kennerblick" konnten an der Verhaltensweise von erwachsen gewordenen Blinden erkennen, welche Einrichtung sie durchlaufen hatten. Die Bildungseinrichtungen für Blinde der 90er Jahre unterscheiden sich durchweg grundlegend von denjenigen früherer Zeiten. Die Betreuung der Schüler ist intensiver und individueller geworden. Das gilt für den Schul- und Internatsbereich. Die Erziehung zur Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit genießt überall einen hohen Stellenwert. Neben einer möglichst guten schulischen Ausbildung sollen die blinden Schülerinnen und Schüler auch in Orientierung und Mobilität und in lebenspraktischen Fertigkeiten "fit gemacht" werden. Aktive Freizeitgestaltung, wie Sporttreiben, Theaterspielen oder Musizieren wird - mit individuellen Schwerpunkten - an den Bildungseinrichtungen praktiziert. Der Grundsatz einer "ganzheitlichen Bildung" ist heutzutage in der Blindenbildung allgemein anerkannt. Folgerichtig lautete bereits 1993 das Motto des Blindenlehrerkongresses in Marburg "Ganzheitlich bilden - Zukunft gestalten".

Anomalien doch zugestehen?

Gleichwohl muss festgestellt werden, dass es nach wie vor eine nicht geringe Anzahl blinder Schüler gibt, die wackeln, wippen oder in den Augen bohren. Sie tun das, obwohl sich Pädagogen und Therapeuten um die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bemühen. Vor kurzem wurde in einer Diskussionsrunde geäußert, es werde im Pädagogenkreis durchaus die Ansicht vertreten, blinde Kinder und Jugendliche hätten ein "Recht auf Blindismen". Wenn es ihrem Bewegungsdrang entspreche, müsse man diese Anomalien den blinden Menschen doch zugestehen. Sehende hätten schließlich auch Verhaltensweisen, die nicht allseits akzeptiert werden. Mich hat diese Auffassung sehr betroffen gemacht. Ich bin zwar kein Pädagoge, sondern allenfalls kompetent aufgrund eigener Betroffenheit, dennoch kann ich eine derartige "Akzeptanz" auf Pädagogenseite nicht gut heißen.

Blindismen verbauen Chancen!

Man stelle sich doch nur die Situation in einem Vorstellungsgespräch vor, bei dem ein blinder Bewerber - gesteigert durch die in dieser Situation natürlicherweise auftretende Nervosität - permanent mit dem Oberkörper hin- und herwippt oder gar in den Augen bohrt. Personalchefs, die durch einen derartigen abstoßenden Anblick sicherlich geschockt sind, werden wohl kaum bereit sein, dem blinden Menschen eine Chance zu geben. Auch bei der sozialen Eingliederung stehen "Blindismen" im Wege. Das sollten sich alle, die mit der Erziehung von blinden Kindern befasst sind - Pädagogen und Therapeuten genauso wie Eltern - vor Augen halten. Sie tun blinden Kindern und Jugendlichen keinen Gefallen, wenn Sie aus "falscher Rücksichtnahme" "Blindismen" akzeptieren und nichts unternehmen, diese abzubauen.

Vielfältige Möglichkeiten zu Vorsorge und Intervention

Ich halte es weder für richtig noch für aussichtsreich, bei der Erziehung mit der "Brechstange" vorzugehen und Wackeln, Wippen oder Augenbohren mit mehr oder weniger massiven Mitteln zu unterbinden.

  • Aussichtsreicher erscheint mir, schon im Kleinkindesalter gegenzusteuern und Bewegungsanreize zu geben. So könnte man etwa einem blinden Kleinkind, das sich auf einem Stuhl sitzend langweilt und zu wippen beginnt, eine Trommel oder ein sonstiges Musikinstrument in die Hand geben, so dass es das vorhandene Bewegungsbedürfnis befriedigen kann. Noch besser ist es, wenn man das Kind von frühester Kindheit an zur eigenen Bewegung im häuslichen und möglichst bald auch im außerhäuslichen Bereich motiviert.
  • Wenn diese Bemühungen nicht erfolgreich sind, sollte man mit dem Kind, sobald es über eine gewisse Einsichtsfähigkeit verfügt, sprechen und ihm die Wirkung seiner blindenspezifischen Verhaltensweise auf Sehende verdeutlichen.
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Frühförderstellen sollten auch mit den Eltern offen über die Thematik reden. Eltern müssen wissen, dass "Blindismen", bei ihrem blinden Kind nicht sein müssen, sondern häufig nur das Resultat von zu wenig körperlicher Bewegung sind.

Auch wenn der Abbau von "Blindismen" oft ein langwieriger Prozess ist und die persönliche Freiheit des blinden Kindes oder Jugendlichen in gewissem Umfang beeinträchtigt wird, halte ich diese Intervention nicht nur für gerechtfertigt, sondern in seinem eigenen Interesse sogar für erforderlich. Es muss bedacht werden, dass dem blinden Kind bei seiner persönlichen Entwicklung die Möglichkeit fehlt, sich sozialübliche Verhaltensweisen "abzuschauen" oder sozial missbilligte Verhaltensweisen selbst zu erkennen und entsprechend zu korrigieren.

Die Vermeidung und der Abbau von "Blindismen" muss ein wichtiges Ziel der Blindenpädagogik sein! Blinde Erwachsene werden es den Pädagogen, Therapeuten und nicht zuletzt den eigenen Eltern danken.

Zum Autor:

Christian Seuß ist seit 1991 Landesgeschäftsführer des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes e.V. (BBSB). Als blinder Vater zweier Jungs veröffentlichte er im horus 4/1997 einen so lebendigen wie interessanten Erfahrungsbericht. "Warum", fragten die Buben damals, "sind deine Duplo-Häuser, -Schiffe oder -Flugzeuge nur immer so kunterbunt…?". 2006 folgte der nächste: "Vaterschaft - die zweiten acht Jahre". 2013 - also in drei Jahren - wäre es an der Zeit für den dritten Teil des "Vaterschaftsberichts" ...

Die Schwarzschriftausgabe enthält zwei Motive:

  1. Portraitfoto von Christian Seuß. Der Autor trägt Anzug und Krawatte (Foto: BBSB).
  2. "Fit mit Sport und Bewegung" - Neun Jugendliche, jeweils im Vierfüßlerstand, bilden eine Pyramide und zeigen so ihr Können beim Sommerfest des BBSB (Foto: BBSB).

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Isabella Brawata

Stabiler Standpunkt - aufrechte Haltung: Nonverbale Kommunikation im Bewerbungstraining von Blinden und Sehbehinderten

Ob ein Bewerbungsgespräch erfolgreich oder erfolglos verläuft, ist für die berufliche Laufbahn entscheidend. Ein wichtiger Faktor ist das Auftreten des Berufsanwärters in einer Bewerbungssituation. "Für blinde und sehbehinderte Arbeitssuchende stellt ein Bewerbungsgespräch in mehrerer Hinsicht eine besondere Herausforderung dar", gibt Ute Mölter zu Bedenken. Die Sozialpädagogin leitet an der blista die Auszubildenden an, die einen der beiden betrieblichen Ausbildungsgänge im IT-Bereich zur Informatikkauffrau/zum Informatikkaufmann oder zur Fachinformatikerin/zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung absolvieren. Sie unterstützt die Auszubildenden sowohl bei der Suche nach einer Praktikumsstelle als auch bei der Jobsuche und führt mit ihnen ein sehr intensives Bewerbungstraining durch.

"Blinde und sehbehinderte Bewerber müssen sich sowohl ihrer eigenen Behinderung stellen, als auch den nicht selten verunsicherten Arbeitgeber von ihren Fähigkeiten überzeugen", erläutert Mölter. Die Bewerbungssituation werde dadurch erschwert, dass sie zum einen die nonverbalen Signale ihres Gegenübers nicht wahrnehmen könnten, und zum anderen sei ihnen oft nicht bewusst, welche nicht-sprachlichen Botschaften sie selbst aussenden. Die Sozialpädagogin weist auf die besondere Herausforderung hin, vor die neu erblindete Menschen gestellt werden. Sie müssten lernen, statt auf visuelle auf auditive Hinweise während eines Gesprächs zu achten. "Das ist zu Beginn nicht leicht", erklärt sie. "Insbesondere in einer größeren Gesprächsrunde ist es schwierig, ohne Blickkontakt zu wissen, wann man selber das Wort ergreifen darf und wann jemand anders reden möchte. Gerade als neu erblindeter Bewerber darf man nicht vergessen, dass es ein Gegenüber gibt, obgleich man es nicht mehr sieht, und dass man trotz aller Aufregung und Konzentration ab und an ein Lächeln zeigt, um zu vermitteln, dass man ihm wohl gesonnen ist.

Da Gestik und Mimik teilweise durch Nachahmen erlernt würden, hätten Menschen, die in früher Kindheit ihr Augenlicht ganz oder teilweise eingebüßt hätten, für manche Gefühlsäußerungen oder Gesten ihre eigenen Ausdrucksformen entwickelt, berichtet Mölter und ergänzt: "So kann es sein, dass ein Blinder oder Sehbehinderter sein Erstaunen gestisch und mimisch anders zum Ausdruck bringt, als es normalerweise unter Sehenden üblich ist." Die Sozialpädagogin sieht in dieser Tatsache jedoch keinen Nachteil für sehgeschädigte Berufsanwärterinnen und -anwärter. "Ich habe zumeist die Erfahrung gemacht, dass Arbeitgeber offen und wohlwollend mit für sie ungewohnten nonverbalen Ausdrucksweisen umgehen. Sie berücksichtigen in ihrer Beurteilung, dass eine Sinneswahrnehmung eingeschränkt ist oder gänzlich fehlt und erwarten daher auch nicht, dass sie die gleiche nonverbale Sprache wie Sehende sprechen." Daher sei es nicht Sinn und Zweck des Bewerbungstrainings, mit einem blinden oder sehbehinderten Auszubildenden Körperhaltung, Mimik und Gestik so lange zu üben, bis er sich wie die Kopie eines Sehenden verhalte, stellt Mölter fest und unterstreicht: "Man kann Elemente der Körpersprache nicht wie Vokabeln trainieren. Das wirkt dann oft gezwungen und unecht, aber ein freundliches und natürliches Auftreten ist für den Erfolg eines Bewerbungsgesprächs entscheidend."

Weitaus stärker falle die Tatsache ins Gewicht, dass Blinde und Sehbehinderte die nonverbalen Signale ihres Gegenübers nicht wahrnehmen könnten. "Wenn ein Arbeitgeber gelangweilt in seine Unterlagen schaut, ist das für sehende Bewerber und Bewerberinnen ein Fingerzeig, dass man Dinge erzählt, die nicht interessieren. Blinden oder Sehbehinderten bleibt dieser Hinweis jedoch verborgen. Daher bringen wir unseren Auszubildenden bei, sich möglichst knapp zu fassen, und lieber auf Nachfragen des Arbeitgebers zu reagieren", erklärt Mölter.
Am allerwichtigsten sei jedoch, dass Auszubildende beim Arbeitgeber einen positiven und ehrlichen Eindruck hinterließen", meint Mölter. Dafür sei es ausschlaggebend, dass der Bewerber einen Zugang zu sich selbst fände. "Wir arbeiten daran, dass jeder eine differenzierte Haltung zu sich selbst bekommt, indem wir ihn dazu veranlassen, sich folgende Aspekte bewusstzumachen: fachliche und persönliche Kompetenzen, Lernziele, Berufswünsche. Die Voraussetzung für ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch ist, dass ein Bewerber sich darüber im Klaren ist, wer er ist, was er kann und was er will."

Ein zentraler Bestandteil des Trainings ist die Analyse des Auftretens des Auszubildenden in einer Bewerbungssituation. Daher wird viel mit Video-Feedback gearbeitet. Dabei wird ein Bewerbungsgespräch nachgestellt, auf Video aufgezeichnet und anschließend ausführlich mit Mölter und den anderen Auszubildenden besprochen. Die Auswertung in der Gruppe solle sicherstellen, dass eine möglichst objektive Rückmeldung gewährleistet sei.

Aufgrund der Möglichkeit, sich von außen betrachten zu können, verbunden mit der Rückmeldung, durch andere sei das Video-Feedback für die Meisten ein Aha-Erlebnis, stellt Mölter fest. Vielen Auszubildenden werde erst dann so richtig bewusst, wie mürrisch, unsicher oder schroff manche von ihnen ihrem Arbeitgeber erscheinen müssen. Die Sozialpädagogin betont, dass sowohl ihre als auch die Hinweise aus der Gruppe lediglich als Anregungen zu verstehen seien. "Ich kann und möchte einen Menschen nicht umkrempeln. Wenn ich beispielsweise einen jungen Menschen darauf hinweise, dass seine Körperhaltung auf mich sehr starr wirkt und einige Tipps gebe, wie er oder sie ein wenig lockerer wirken könnte, indem man etwa die Hände auf den Tisch legt oder hin und wieder die Beine übereinander schlägt, steht es der betreffenden Person frei, ob sie meine Anregungen beherzigen möchte. Mir ist wichtig, dass sich der Auszubildende während des Bewerbungsgesprächs in seinem Körper wohl fühlt."

Die Sozialpädagogin legt großen Wert darauf, dass die Kritik am Auftritt eines Bewerbers auf eine wertschätzende und respektvolle Weise geschehen müsse, denn die Auseinandersetzung mit sich selbst sei oft schmerzhaft. Daher erfolge die Rückmeldung über den Verlauf des Bewerbungsgesprächs stets in einem sachlichen Ton und immer situationsbezogen. "Wir sagen nicht: "Du bist immer so schnell eingeschnappt!", sondern: "Als der Arbeitgeber Sie nicht einstellen wollte, weil Sie seiner Meinung nach keine Treppen steigen können, hätten Sie ihm erklären können, dass es Ihnen keinerlei Probleme bereitet, Treppen zu gehen, statt wortlos den Raum zu verlassen"."

Mölter ist davon überzeugt, dass Arbeitgeber an den Bewerbern am allermeisten ihre beruflichen Qualifikationen schätzen. Wenn ein Bewerber um seine beruflichen Fähigkeiten wisse, seine Kompetenzen realistisch einschätze, seine Schwächen kenne und sich seiner Stärken bewusst sei, spiegele sich das in seinem Auftreten wider: "Die Körpersprache ändert sich, weil sich die innere Einstellung wandelt."

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt Ute Mölter, während sie in der Gruppe mit drei Jugendlichen das Auftreten der Auszubildenden in einer simulierten, und als Video aufgezeichneten, Bewerbungssituation reflektiert (Foto: Michael Stock).

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Dr. Klaus-Peter Pfeiffer

Die Kunst, sich nicht zur Disposition zu stellen

Vor einiger Zeit sah ich einen Fernsehbeitrag, in dem eine behinderte Frau in der Münchner Innenstadt Passanten befragte, was sie über Behinderte denken und ob sie das für ein lebenswertes Leben hielten. Darauf antwortete eine ältere Dame sehr klar und deutlich, dass sie "behindert sein" nicht für lebenswert hielte und sie gegebenenfalls lieber tot wäre.

Die behinderte Interviewerin war schockiert, wütend, verletzt und traurig. Das war eine klare Absage an die "Gleichbehandlung" und "Integration" von Menschen mit Behinderung. Natürlich kann ich die Empörung verstehen. Dennoch habe ich mich gefragt: Warum macht sie das? Warum gibt sie ihre persönliche Macht einfach weg? Wie ein Leben zu bewerten ist, liegt einzig und allein in der Verantwortung des Einzelnen. Das kann keine andere Person übernehmen. Wer für andere die Tür so weit öffnet, dass sie derart existentiell urteilen dürfen, der muss sich auf solche Antworten gefasst machen. Nebenbei bemerkt, sah die ältere Dame so verbittert aus, ihre Körperhaltung und Sprache war so eindeutig, dass folgender Gedankengang nahe liegt: Das Leben ist an sich schon hart und unerfreulich, wenn ich dann noch behindert wäre, da wäre ich wirklich lieber tot.

Mir scheint, beim Thema Kommunikation besteht ein Grundproblem darin, dass wir dazu neigen, die Welt in Behinderte und Nichtbehinderte aufzuteilen. Und dann entsteht die Frage: "Wie komme ich rüber?" - um schlagwortartig den Titel eines Seminars zu nennen. Mit dieser scheinbar sehr fundamentalen Sichtweise - die sicher auch auf Erfahrungen beruht - kreiert man sich aber von Beginn an eine Barriere im Kopf, die dann mühsam überwunden werden muss.

Was würde geschehen, wenn wir von dem Glaubenssatz ausgingen, dass wir "dazu" gehören und uns nicht - bewusst oder unbewusst- zur Disposition stellen? Dann hätten wir die gleichen Kommunikationsprobleme und -chancen wie alle anderen. Und noch einige sehr spezielle Herausforderungen, auf die hier kurz eingegangen werden soll.

Als Sehbehinderter, dem man seine Sehbehinderung nicht sofort anmerkt, hat sich im Alltag folgendes bewährt:

  • Man muss spezielle Hinweise, Regieanweisungen geben, was man braucht: Der Hinweis, man sei behindert, führt nur dazu, dass sich "die andere Seite" allen möglichen Halluzinationen hingibt, aber nicht im Hier und Jetzt der konkreten Situation ist. Man muss sich eine bestimmte Person aussuchen, die man gezielt anspricht und der man präzise sagt, was man möchte. [Anm. des Verfassers: s. auch die sozialpsychologischen Studien von Robert Cialdini] Nicht bettelnd, nicht Anerkennung suchend, aber höflich, selbstverständlich und bestimmt.
  • Wenn ich in einem Geschäft frage, wo ein bestimmter Artikel sei, dann bekomme ich oft von den Verkäufern den läppischen Hinweis, "da hinten." Das kann überall und nirgends sein. Ich muss da schon klarer kommunizieren.
  • Wenn ich nun keine Lust habe, alle Regale durchzuwühlen oder ggf. mit Lupe den Artikel zu suchen, frage ich, ob es denn möglich wäre, dass der Verkäufer mir das zeige. Natürlich haben Verkäufer oft keine Lust, sich mit Kunden - behindert oder nicht behindert - abzugeben. Ich finde es inzwischen höchst amüsant zu beobachten, wie viele den Kundenkontakt meiden wollen. Und natürlich ist das oft auch kein schöner Job. Ich kriege aber immer, was ich will. Warum? Weil die Verkäufer es nicht schaffen, mir ins Gesicht zu sagen, dass sie das nicht interessiert. Ich versuche, auch ihre Situation zu verstehen. "Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben, aber wäre es Ihnen möglich…" Alle brauchen Anerkennung, nicht nur wir.
  • Zur Kunst, sich nicht zur Disposition zu stellen, gehört auch Flexibilität und Humor. An meinem alten Wohnort gab es im Supermarkt eine Käsetheke, an der immer ein großes Plakat hing, welcher Käse gerade im Angebot war. Ich konnte lediglich den Preis lesen, die Käseart aber war in einer etwas kleineren Schrift gedruckt, die ich nicht lesen konnte. Nun muss man dazu sagen, dass für "normale" Verhältnisse die Schrift riesig war. Bis ich mein Fernrohr in Anschlag gebracht hatte, um die Käseart ausfindig zu machen, war ich meist schon an der Reihe. Also fragte ich meine Lieblingsverkäuferin, was denn im Angebot wäre. Ich erhielt darauf die Antwort, dass das ja da stände. Das gab ich natürlich unumwunden zu und erklärte, dass ich das nicht lesen könne. Daraus entspann sich dann ein Gespräch, in dem mir gesagt wurde, dass ich dann ja wirklich nicht gut sehen könne, was ich wiederum unumwunden zugab. Diese Szene wiederholte sich in unzähligen Varianten über mehrere Jahre! Die Verkäuferin "begriff" es einfach nicht. Indem ich mich nicht angegriffen oder abgewertet fühlte, blieben wir in einem guten, ja sogar äußerst vergnüglichen Kontakt.

Das meine ich damit, sich nicht zur Disposition zu stellen: ich weiß, dass mein Anliegen aus dem normalen Ablauf herausfällt, ja die Routine stört. Ich erkenne an, dass mein Gegenüber nicht unbedingt Lust verspürt, die normale Routine zu unterbrechen. Das geht mir oft selbst so. Ich erwarte nicht, dass man mich versteht, und ich erwarte keine Anerkennung, kein Verständnis. Ich trage eine Bitte klar und präzise vor und mein Gegenüber erfüllt sie oder nicht.

Das Gegenbeispiel gibt es auch: an meinem neuen Wohnort war ich in der Bäckerei. Auch hier kann ich zwar sehen, dass es Brote im Regal gibt und ungefähr erahnen, wie sie aussehen. Aber die Schilder, auf denen steht, um welche Brote es sich handelt, kann ich nicht lesen. Das habe ich der Verkäuferin gesagt. Auch wenn ich das Geschäft nur sehr sporadisch besuche, nimmt sie die Brote aus dem Regal und zeigt sie mir aus der Nähe. Und wenn sie mich mal gerade nicht bedient, flüstert sie ihrer Kollegin zu: "Du musst dem Mann die Brote zeigen, der sieht schlecht."

Die Kunst, sich nicht zur Disposition zu stellen, beginnt mit einer Grundentscheidung. Darauf aufbauend können kommunikative Handlungskompetenzen erarbeitet werden. Dazu gehören Humor, Flexibilität, Perspektivenwechsel, Behinderung als Chance zu begreifen und so manche praktischen Tricks. [Anm. d. Verfassers: "Tricksen und Täuschen" ist der Arbeitstitel eines geplanten Seminars von Dr. Michael Richter und mir.]

Gerade als Sehbehinderter bin ich auf eine gute Kommunikation mit meiner Umwelt angewiesen. Das bedeutet für mich zweierlei:

  • Einerseits entwickle ich meine kommunikativen Kompetenzen ständig fort.
  • Zweitens ist der erhöhte Kommunikationsbedarf - Stichwort: um Hilfe bitten - eine Chance. Über die "Schiene" Behinderung komme ich spielend leicht mit anderen Menschen in Kontakt. Wenn man bedenkt, wie schwer es Menschen im Allgemein fällt, andere anzusprechen, so haben wir als Behinderte einen großen Vorteil: Wir können jeden jederzeit ansprechen und müssen uns keine seltsamen Ausreden dafür ausdenken! Wenn es dann gelingt, über das Thema Behinderung hinauszugehen - was weitere kommunikative Strategien erfordert, die hier nicht thematisiert werden können - ergeben sich ganz leicht viele interessante Kontakte. Wer weiß, vielleicht erweist sich unsere Behinderung mit den nicht zu leugnenden Kommunikationsproblemen auch als eine Chance zur besseren Kommunikation.

Zum Autor:

Dr. Klaus-Peter Pfeiffer studierte Philosophie, Vergleichende Religionswissenschaft und Theologie. Er promovierte in Philosophie über die Sinnfrage. Seit 1997 ist er selbstständig als Kommunikationstrainer & Coach. In seine Seminare, Workshops und Einzel- und Teamcoachings integriert er Konzepte und Innovationen aus Wissenschaft, Psychologie, Kunst und Spiritualität. Ein spezielles Angebot richtet sich an die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung im Bereich Kommunikation und Selbstmanagement. Daneben tritt er professionell als Zauberkünstler auf. Kontakt: Tel: 0221 4248293, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portraitfoto von Dr. Klaus-Peter Pfeiffer, der Autor trägt Anzug und Krawatte (Foto: privat).

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Monika Saßmannshausen und Karin Winkelsträter

"Wie ein Getreidefeld im Sturm" - Aus der Theaterarbeit mit blinden und sehbehinderten Jugendlichen

Wer bin ich? Wie wirke ich auf andere? Wie stelle ich mich dar? - Bewegungstheater soll helfen, sich mit Fragen der Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderzusetzen: Was will ich vermitteln? Wie signalisiere ich meiner Umwelt meine Persönlichkeit - oder die meiner Rolle? Das alles sind für Sehgeschädigte Fragen, die sich nicht einfach durch Anschauung, Imitation oder nonverbale Signale vermitteln. Wie wichtig ein offener Umgang damit ist, braucht man hier sicher nicht zu betonen: Wir sind der Spiegel unserer Schülerinnen und Schüler, einen anderen haben sie nicht.

Wie wir vorgehen

Manchmal rutscht uns ein "Versuch"s doch mal so ..." raus. Aber Imitation "is nich", also verbalisieren wir viel und arbeiten mit Bildern: "Denk mal an ein Getreidefeld im Sturm", "Stell dir vor, du hast in eine saure Zitrone gebissen", "Du bist in der Wüste ohne Wasser" ... - in der Hoffnung, dass dafür eine Vorstellung existiert. Auch da gibt es enge Grenzen. So bleibt die Erzeugung einer vertrauensvollen Atmosphäre, die "Abfühlen" und engen Körperkontakt möglich macht, so dass man Körper und Bewegungen spürt. Das geht oft nur im Verhältnis 1:1 und braucht viel Zeit. Aber wenn die Jugendlichen erst einmal ihre Scheu ("Das is ja echt behinder ...") aufgegeben, eine gegenseitige Massageeinheit uns alle geschmeidiger gemacht hat, die Musik uns inspiriert und wir uns Zeit nehmen - immer das Ziel vor Augen -, dann ist viel möglich. Oder wir probieren einen anderen Weg. Wie vermeiden wir grobmotorisches Rumstolpern auf der Bühne? Indem wir es wie Absicht aussehen lassen. Alles kann schief gehen, man kann stolpern, daneben greifen etc. - und lernt zugleich improvisieren, schlagfertig werden, "was draus zu machen".

Diese Souveränität zu vermitteln, auch das ist Probenziel. Wir bieten den Jugendlichen einen geschützten Spielplatz für (Körper-) Erfahrungen in einer mit Hindernissen gepflasterten Umwelt. Wir möchten die Lust vermitteln, auch den eigenen Körper als Spielfeld zu entdecken, denn viele, vor allem Geburtsblinde, erleben ihn eher als ein Hindernis, das ständig im Wege ist. Zu niedrigen oder zu hohen Muskeltonus? Wir kennen die Phänomene und führen sie im einen Fall auf zu wenig (körperliche) Auseinandersetzung mit der Umwelt und im anderen auf zu große Hinderniserfahrungen (auch Angst vor unbekannter Umwelt) zurück.

Offenheit gegenüber ungewohnten Ausdrucksformen

Gern würden wir ein Stück auf die Bühne bringen, das mit den Mitteln des Bewegungstheaters die Innensicht blinder und stark sehbehinderter Menschen zeigt. Wir möchten Anhänger finden - auf und vor der Bühne - für eine Form des Körperausdrucks, die vor allem unseren blinden (insbesondere den geburtsblinden) Schauspielern Raum gibt, körperliche Möglichkeiten auszuloten und - ohne sich gängigen ästhetischen Kriterien zu unterwerfen - große Ausstrahlung zu entfalten.

Derzeit arbeiten wir daran, blinde Jugendliche zu finden, die Lust auf anstrengende körperliche Entdeckungsreisen haben. Zugleich versuchen wir unser Publikum für eine Offenheit gegenüber ungewohnten Ausdrucksformen zu gewinnen. Denn nicht allein über die eingangs genannten, optisch-haptischen Bilder, sondern auch über innere Bewegungsbilder und -muster können Gefühle in Bewegung und Körperausdruck umgesetzt werden. Das aber funktioniert erst dann, wenn es "innen drin" fühlbar ist und setzt voraus, dass wir den Jugendlichen die Bewegungsmöglichkeiten ihres Körpers überhaupt erst bewusst machen. Hier lauert eine Falle für (sehende) Spielleiter: Von innen nach außen - das ist ernst zu nehmen! Bei Sehenden verlaufen Bewegung und Körperausdruck nämlich grundsätzlich entgegengesetzt: Sie zeigen Bewegungsmuster, die sie sich im Laufe des Lebens und meist unbewusst "visuell" angeeignet, abgeschaut und verinnerlicht haben. Kein geburtsblinder Mensch wird je eine Bewegung so nachahmen, wie ein Sehender sie gewohnt ist. Nur wenn ein blinder Darsteller bei totaler Verzweiflung "grinsend" aussieht, wenn also zwischen Wort und Ausdruck eine Diskrepanz entsteht, wirken wir entgegen, weil sich der Rollencharakter verwischt.

Ein Beispiel aus der Praxis: In einem unserer Stücke sollte eine geburtsblinde Spielerin großen inneren Schmerz, nämlich den Tod ihres Geliebten, tänzerisch darstellen. Nachdem wir uns alle von einem vorgefertigten Bild gelöst hatten, gelang es ihr, eine der intensivsten Szenen auf die Bühne zu bringen. Sie hatte ihre Scheu aufgegeben und den Anspruch nachzuahmen, "schön" zu spielen. Visuell erschien es als archaisches Aufbäumen, Schütteln, als Ausgeliefertsein des Körpers an unerträgliche Verzweiflung, als unerfülltes Sehnen der Haut nach Berührung, als Einsamkeit und Verzweiflung, die sich auf dem Körper ausbreitet. All das wurde so eigen und eigenwillig und mit unglaublicher körperlicher Intensität und Präsenz ausgedrückt, dass es für alle sichtbar, fühlbar, erkennbar war - ganz ohne choreografisch-ästhetische Zeichnung.

Wir wollen gutes Theater machen, mit dem uns eigenen Qualitätsanspruch. Wir wollen keinen Mitleidsbonus oder gar Applaus, wenn unsere schauspielenden Schüler die Bühne finden. Wir wollen, dass sie ihre Möglichkeiten - auch in ganz eigenen Ausdrucksformen - so einsetzen, dass das Publikum von der Inszenierung und ihrer darstellerischen Leistung berührt wird.

Zu den Autorinnen:

Monika Saßmannshausen ist Lehrerin an der Carl-Strehl-Schule. Auf ihre Initiative hin wurde 1997 mit der Theaterarbeit an der blista begonnen.

Karin Winkelsträter ist freiberufliche Theaterpädagogin und arbeitet seit über 20 Jahren mit Jugendtheatergruppen. Seit 1997 ist sie für die künstlerische Leitung der beiden Theatergruppen innerhalb der Carl-Strehl-Schule verantwortlich.

Literatur:

Monika Saßmannshausen, Karin Winkelsträter: ... blindlings auf die Bühne!? Theaterarbeit mit Blinden und Sehbehinderten. Marburger Schriftenreihe zur Rehabilitation Blinder und Sehbehinderter, Bd. 13, 2003 (erhältlich beim DVBS, Birgit Stolz, Tel.: 06421 94888-17, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Die Schwarzschriftausgabe enthält fünf Motive:

  1. Portraitfoto von Monika Saßmannshausen. Die Autorin lächelt verschmitzt über ihren Brillenrand (Foto: privat).
  2. Portraitfoto von Karin Winkelsträter. Die Co-Autorin lächelt und stützt den Kopf mit der Hand (Foto: privat).
  3. Eine Szene aus dem Stück "Rumpelröschen und die Froschprinzessin" - ein wilder Märchensalat der Gruppe "AugenSchmaus" mit Schülern der 7. - 9. Jahrgangsstufe (Foto: Monika Saßmannshausen).
  4. Abschied, Loslassen und Neubeginn: Eine Szene aus dem Stück "und dann..." der Gruppe "NachtSicht" mit Schülern der Jahrgangsstufen 10 - 13. (Foto: Monika Saßmannshausen).
  5. Die Gruppe "NachtSicht" bei einer Konzentrationsübung direkt vor der Premiere: Kopf an Kopf liegen 14 Jugendliche rücklings im Kreis auf dem Boden. (Foto: Monika Saßmannshausen).

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Bücher

Manfred Fuchs

Aus der Braille-Druckerei

Jonas, Monika: Behinderte Kinder - behinderte Mütter? Die Unzumutbarkeit einer sozial arrangierten Abhängigkeit.

Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag, ISBN 3 596 24756 X. rk., 43,00 €, 2 Bde., 260 S., Bestellnr.: 3755. D., 43,00 €, Bestellnr.: 3755.prt

Die Geburt eines behinderten Kindes bedeutet für jede betroffene Mutter eine traumatische Erfahrung. Die Autorin zeigt anhand erschütternder Lebensgeschichten, wie schwer es für eine Mutter ist, die Behinderung ihres Kindes anzunehmen. Am Beispiel der Frühberatung werden institutionelle aber auch politische Veränderungen aufgezeigt, die notwendig sind, um den betroffenen Müttern zu helfen. Die Autorin fordert die Gesellschaft auf, die Verantwortung für Mutterschaft und Kindheit zu übernehmen, damit aus Müttern behinderter Kinder nicht "behinderte Mütter" werden.

Kaster-Bieker, Hedwig/Anneliese Mayer: Berühmt - beliebt - behindert. Außerordentliche Frauen im Porträt.

Kassel: bundes organisationsstelle behinderte frauen, ISBN 3 932351 05 9. KR., 43,00 €, 2 Bde., 320 S., Bestellnr.: 4232. D., 43,00 €, Bestellnr.: 4232.prt

Trotz vieler Vorurteile und gesellschaftlicher Zwänge waren und sind behinderte Frauen erfolgreich: als Schauspielerin, Musikerin und Schriftstellerin, als Unternehmerin oder Kämpferin für soziale Projekte. 16 Porträts solch faszinierender Frauen versammelt dieses Buch. Frauen, die mit viel Selbstbewusstsein und Ausdauer, manchmal auch mit einer guten Portion Sturheit ihren eigenen, nicht immer einfachen Weg gegangen sind.

Luhn, Usch: Blind.

Wien: Ueberreuter, 2006, ISBN 3 8000 5208 3. KR., 21,50 €, 1 Bd., 150 S., Bestellnr.: 4521. D., 21,50 €, Bestellnr.: 4521.prt. D., 24,10 €, Bestellnr.: 4521-D.pdf

Seit 5 Jahren ist Merle blind, als sie die - sehenden - Geschwister Jonny und Undine kennen lernt. Die unternehmungslustigen Jugendlichen holen sie aus ihrer Isolation und provozieren Merles Auflehnung gegen die wohlmeinenden, aber überbehütenden Eltern. Flott erzählt, garniert mit einer zarten Liebesgeschichte geht es hier um die Emanzipation einer Behinderten, die am Ende in die Lage kommt, unter Bewusstwerdung der eigenen Stärken selbstbestimmter zu leben.

Sozialgesetzbuch IX.

Stand 7/2010. Sozialgesetzbuch SGB IX [SGB 9] Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 nebst Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr sowie Schwerbehinderten-Ausgleichsverordnung und Schwerbehindertenausweisverordnung

München: Beck-online. KR., 63,80 €, 2 Bde. und 1 Hbd., Bestellnr.: 5015

Unser Download-Tipp

Unsere Gesetze-Liste können Sie unter folgenden Link downloaden: www.blista.de/download/druckerei/gesetze.rtf.

Lesen Sie Blindenschriftbücher optimiert für Sprachausgabe und Braille-Zeile am PC und profitieren Sie von unseren strukturierten pdf-Dateien. Die Liste mit allen Büchern im PDF-Format können Sie unter folgenden Link downloaden: www.blista.de/download/druckerei/blindenschriftbuecher_sprachausgabe_braillezeile.pdf.

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Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Buch-Cover "Berühmt - beliebt - behindert."

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Sabine Hahn

Mein Hörtipp: Wie Romane entstehen

Ein Romanautor, der zugleich Professor für kreatives Schreiben ist - Hanns-Josef Ortheil - und sein langjähriger Lektor aus dem Luchterhand-Literaturverlag - Klaus Siblewski - haben sich zusammengetan, um Wege der Romanentstehung offen zu legen. Wie wird aus einer zunächst vagen Idee ein Roman? Wie finden verschiedene Autoren ihren Weg durch den "unübersichtlichen, labyrinthischen Bau" von Notizen, Aufzeichnungen, Skizzen, Fragmenten, Plänen oder Tagebuch-Elementen? Wie bewältigt der Romancier den Eindruck, "nie an ein Ende zu kommen" und immer wieder neue Romane entstehen zu lassen?

Und was ist die Aufgabe eines Lektors, dessen Einsatz beginnen kann, sobald der Autor mit ihm über den Roman spricht? Wie sieht seine Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller aus, die doch sehr ermutigend oder ernüchternd wirken kann? Im dauernden Hin und Her "zwischen Geheimhaltung und allmählicher Öffnung", "zwischen Rückzug und Mitteilung" stehen Autor und Lektor in einem spannenden Austausch, von den ersten Notizen bis zum druckfertigen Manuskript.

Grundlage dieses Buches waren Vorlesungen und Seminare, und es ist angenehm, dass Ortheil und Siblewski den Duktus, sich direkt an ein hörendes, öffentliches Publikum zu wenden, beibehalten haben. Ortheil, der Autor, hat im ersten Teil das Wort, Siblewski, der Lektor, übernimmt den zweiten Teil. So sind faszinierende Einblicke in verschiedene Roman-Werkstätten entstanden. Für Hörerinnen und Hörer auch ohne eigene literarische Ambitionen empfehlenswert.

Hanns-Josef Ortheil, Klaus Siblewski: Wie Romane entstehen. München: Luchterhand, 2008. Titel Nr. 6631, 8 Stunden 21 Minuten, Vorgelesen von Manfred Fenner (Teil 1) und Katharina Schulze (Teil 2), Euro 62,62.

Erhältlich beim DVBS-Textservice, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 94888-22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Buch-Cover "Wie Romane entstehen".

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Panorama

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband wählt neues Präsidium

Der Verbandstag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) hat das Führungsteam für die nächsten vier Jahre bestimmt. Am 18. Juni ging es bei der ersten Abstimmung um die Präsidentin: Renate Reymann wurde mit 89 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Kurz danach machte es ihr Vizepräsident Hans-Werner Lange aus Hannover nach, der exakt die gleiche Prozentzahl erreichte.

Anschließend wurden die folgenden sieben weiteren Präsidiumsmitglieder gewählt:

  • Peter Brass (Berlin)
  • Angela Fischer (Wallroda)
  • Klaus Hahn (Münster)
  • Dr. Thomas Kahlisch (Leipzig)
  • Hans-Joachim Krahl (Magdeburg)
  • Helga Neumann (Hohnstorf/Elbe)
  • Rudi Ullrich (Marburg)

Den Mitgliedern des neuen Präsidiums gratulieren wir herzlich und wünschen beste Erfolge! Das Präsidium besteht laut Satzung aus Präsident, Vizepräsident und sieben weiteren Mitgliedern, die blind oder sehbehindert sein müssen (Quelle: DBSV).

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: DBSV-Präsidium nach der Wahl am 18. Juni 2010 beim DBSV-Verbandstag in Berlin: Rudi Ullrich (von links), Angela Fischer, Peter Brass, Renate Reymann, Thomas Kahlisch, Klaus Hahn, Helga Neumann, Hans-Joachim Krahl, Hans-Werner Lange (Foto: DBSV - Friese).

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Nicht nur Hochschulen, auch Bund und Länder sind gefordert

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) macht deutlich, dass nicht nur die Hochschulen selbst, sondern auch der Bund und die Länder gefordert sind, damit Studierende mit Behinderung mit gleichen Chancen studieren können. Das DSW verweist insbesondere auf den dringenden Handlungsbedarf bei der Studienzulassung, bei der Studiengestaltung und bei Prüfungen sowie bei der Studienfinanzierung.

Quelle: Deutsches Studentenwerk. Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS). Tipps und Informationen Nr. 6/2010.

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Seminar "Handicap und Karriere"

Im Rahmen einer bundesweiten Initiative mit dem DVBS bietet das Studienzentrum für Sehgeschädigte des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) das Seminar "Handicap und Karriere" an. Die dreitägige Wochenendveranstaltung richtet sich an blinde und sehbehinderte Studierende, Hochschulabsolventen, Arbeitssuchende und Arbeitslose.

Seminarziel ist, das Handicap als Teil der eigenen Ressourcen zu erkennen und bewusst einzusetzen, die eigenen Fähigkeiten zu benennen und sie gezielt in eine angemessene Umsetzungsstrategie einfließen zu lassen.

Das Seminar findet vom 15. - 17. Oktober 2010 im Schwarzwald statt. Nähere Informationen sind unter www.szs.kit.edu oder über die Referentin Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 07257 931813 erhältlich.

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PatientenInfo-Service zum barrierefreien Beipackzettel - Appell an Arzneimittelhersteller

"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker..." - damit ersteres auch Blinden und Sehbehinderten möglich wird, bietet der neue PatientenInfo-Service für Blinde und sehbehinderte Menschen Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln via Internet. Die ersten Online-Beipackzettel sind seit Juni 2010 unter www.patienteninfo-service.de barrierefrei verfügbar.

Von der Rote Liste Service GmbH in enger Kooperation mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) entwickelt, gilt es nun, das einzigartige Patienteninformations-System auszubauen. Die Forderung und Bitte vom Verbandstag des DBSV und allen blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland geht daher an diejenigen Arzneimittelhersteller und -vertreiber, die sich dem PatientenInfo-Service noch nicht angeschlossen haben. Sie sind aufgefordert, sich zeitnah an diesem Dienst zu beteiligen und ihre Patienteninformationen einzustellen. Damit erfüllen sie zugleich die Auflagen der 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG), die sie dazu verpflichtet, dass "die Packungsbeilage auf Ersuchen von Patientenorganisationen bei Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, in Formaten verfügbar ist, die für blinde und sehbehinderte Personen geeignet sind" (§11 AMG Abs. 3c).

(Quelle: DBSV)

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Nur barrierefreier Internetauftritt ist vollwertiges Angebot - BIK-Beratung jetzt auch in München

Als einen "weiteren bedeutsamen Schritt zur Unterstützung von privaten und öffentlichen Internetanbietern in Bayern" bezeichnete Projektkoordinator Karsten Warnke die neue BIK-Beratungsstelle in München. Jetzt sei es leichter, Wirtschaft und Verwaltung in Süddeutschland von den Vorteilen des barrierefreien Webdesigns zu überzeugen und beim Aufbau des erforderlichen Know-hows zu unterstützen. Die Vorteile seien durchaus auch wirtschaftlich zu sehen: Hohe Kundenakzeptanz, Unabhängigkeit bei mobilen Endgeräten und besonders die Suchmaschinenfreundlichkeit.

"Nur ein barrierefreier Internetauftritt ist ein vollwertiges Angebot für die Nutzer des World Wide Web", betonte Irmgard Badura, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, zur Eröffnung.

Auf Basis einer Kooperation mit dem BIK-Beratungsverbund ist die Stiftung Pfennigparade, eines der größten Rehabilitationszentren für körperbehinderte Menschen im süddeutschen Raum, Träger der neuen Beratungsstelle. Drei Mitarbeiter des Tochterunternehmens PSG-Programmier-Service GmbH hat BIK als Prüfer des BITV-Tests zertifiziert. "Als Informatiker sind sie für Tests und Beratung nicht nur fachlich hoch qualifiziert, sondern sie können aufgrund eigener Körperbehinderung die Zugänglichkeit von Internetauftritten auch authentisch beurteilen", erklärte PSG-Geschäftsführer Joachim Hellriegel.

Für weitere Informationen: Programmier-Service-GmbH der Pfennigparade (www.psg-online.com) sowie BIK und BIK@work (www.bik-online.info).

(Quelle: BIK@work)

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Neuer Vorstandsvorsitzender bei NatKo

Die Mitgliederversammlung der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V. (NatKo) hat am 8. Mai 2010 das DVBS-Mitglied Dr. Rüdiger Leidner zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt. 1999 gegründet, besteht die NatKo heute aus elf Bundesbehindertenverbänden und setzt sich für die Verwirklichung eines barrierefreien Tourismus für Alle ein.

"Die NatKo ist von ihrem Selbstverständnis her die Schnittstelle zwischen Kunden mit besonderen Reisebedürfnissen und der Tourismuswirtschaft. Auf diesem Weg werden wir weitergehen", betonte Leidner. Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung von einem barrierefreien Tourismus profitiere. In Deutschland könne sich der Umsatz allein mit behinderten Reisenden verdoppeln, wenn die touristische Servicekette barrierefrei wäre.

Johann Kreiter, der das Amt des Vorstandsvorsitzenden fast 10 Jahre innehatte, kandidierte nicht mehr. Die Mitgliederversammlung dankte ihm für sein langjähriges Engagement.

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt die sechs Vorstandsmitglieder.

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"Woche des Sehens" fördert aktive Beteiligung!

Die Vorbereitungen zur diesjährigen Woche des Sehens sind in vollem Gang. Unter dem Motto "Augen im Blickpunkt" geht es unter anderem um die Möglichkeiten moderner Augendiagnostik (s. horus 2/2010). "Hilflose Helfer" lautet das diesjährige Thema für den "Tag des weißen Stocks". Denn, wie auch der vorliegende horus mit seinem Schwerpunktthema "Behinderte Dialoge" herausstellt, es gibt nicht nur viele Situationen, in denen blinde und sehbehinderte Menschen Hilfe benötigen, auch die potenziellen sehenden Helferinnen und Helfer sind oft gehemmt, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Hier gilt es zu informieren und aufzuklären. Mit einer Vielzahl von Aktionen werden die acht Trägerorganisationen um öffentliche Aufmerksamkeit werben.

Als eine der größten Aufklärungskampagnen im Gesundheitssektor bietet die Woche des Sehens zugleich vielfältige Möglichkeiten, sich vom 8. bis 15. Oktober aktiv zu beteiligen und öffentlichkeitswirksam auf die eigene Organisation, den Verband, die Praxis, die Klinik oder auf ein besonderes Projekt, eine wertvolle Initiative aufmerksam zu machen.

Lesen Sie mehr dazu im Aktionsleitfadender Woche des Sehens unter www.woche-des-sehens.de/fuer-veranstalter/aktionsideen.

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Mitmachaktion "Lesbare Etiketten"

Wer sich gesund oder kalorienarm ernähren möchte, muss wissen, was in Lebensmitteln enthalten ist. Doch insbesondere Senioren mahnen häufig das Kleingedruckte auf Verpackungen an: Mal werden Zutatenlisten oder Mindesthaltbarkeitsdaten zu klein gedruckt; mal fehlt der Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund oder die Abstände zwischen den Buchstaben sind zu eng.

Im Rahmen der Aktion "Lesbare Etiketten" können sich Konsumenten jetzt via Internet unter www.fitimalter.de über solche Produktauszeichnungen beschweren. Entsprechende Beispiele werden veröffentlicht und - genau wie die Positivbeispiele auch - im Internet gelistet. Die Mitmachaktion der Verbraucherzentralen und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) endet am 30. September 2010.

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Wie soll sich ein Polizist ausweisen, wenn er vor einer blinden Zeugin steht?

Um in solchen Situationen richtig handeln zu können, sollen in Rheinland-Pfalz Polizeibeamte künftig Tipps zum Umgang mit behinderten Menschen bekommen. Ein zweijähriger Aktionsplan von Polizei und Behindertenverbänden zielt darauf hin, dass angehende Polizeibeamte während der Ausbildung den Umgang mit behinderten Menschen lernen.

Im Fall der Eingangsfrage könnte der Polizist der blinden Frau beispielsweise seine Mütze reichen. Dass der darauf angebrachte Polizeistern für Sehbehinderte leicht zu ertasten und zu erkennen ist, wurde bei der Pressekonferenz zum Auftakt des Projekts in einem Rollenspiel dargestellt. "Für mich als Landesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen ist dies ein guter Tag", betonte Ottmar Miles-Paul. Die Initiative für die Vereinbarung ging von der Behindertenselbsthilfe aus. Der fünfseitige Aktionsplan soll bis zum Frühjahr 2012 umgesetzt werden.

(Quelle: dpa/lrs)

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Deutsches Musikinformationszentrum wartet mit neuen Angeboten auf

Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) hat sein Informationsangebot im Internet www.miz.org inhaltlich neu strukturiert und um vielfältige Recherchemöglichkeiten erweitert. Ein neuer Ausschreibungskalender bündelt nun alle verfügbaren Informationen zu bundes- und landesweit ausgeschriebenen Musik-Wettbewerben, -Preisen und -Stipendien und macht sie über vielfältige Suchfunktionen abrufbar.

Im ebenfalls neuen Festivalkalender informiert das MIZ fortlaufend über Musikfestspiele, Festwochen, Festivals und deckt dabei eine breite Palette musikalischer Gattungen ab. Zur gezielten Recherche stehen Interessierten differenzierte Suchkriterien und -kategorien zur Verfügung.

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EBU-Newsletter jetzt auch in deutscher Sprache erhältlich

Die Europäische Blindenunion stellt ihren Newsletter als Mail neuerdings auch in deutscher Übersetzung zur Verfügung. Ob EU-Urheberrecht, Richtlinie zur Gleichbehandlung, Informationen aus den EBU-Fachausschüssen oder Beispiele guter Praxis aus Mitgliedsstaaten - herausgegeben vom EBU-Büro in Brüssel, wartet der Newsletter im zweimonatlichen Turnus mit einer breiten Vielfalt von aktuellen Themen auf.

Interessierte können den Newsletter unter www.euroblind.org/fichiersGB/pubnews.html abonnieren. Dazu einfach in Zeile "To subscribe, please click on your chosen language" auf den Link "Deutsch" klicken. Automatisch öffnet sich dann das eigene E-Mailprogramm und die "leere" E-Mail an das Brüsseler EBU-Büro - die bereits den Betreff "EBU Newsletter abonnieren" trägt - kann kommentarlos versendet werden.

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"Endlich wieder lesen" - Ratgeber für Sehbehinderte Menschen

Zum Thema Handhabung von vergrößernden Sehhilfen hat die Wissenschaftliche Vereinigung für Augenoptik und Optometrie e. V. (WVAO) in Zusammenarbeit mit Christoph von Handorff (Beuth Hochschule Berlin) und Frank Kießling (BFW Halle) eine Hilfsmittelbroschüre für sehbehinderte Menschen herausgegeben.

Von Hand-, Aufsetz- und Standlupen über Monokulare und Brillen bis hin zu PC-Hilfen und ergänzenden Hilfsmitteln bietet der reich bebilderte Ratgeber auf 32 Seiten Hilfestellung für die zielgerichtete Orientierung. Hintergrundinformationen zur weitergehenden Beratung und Rehabilitation sowie ein Adressteil runden das Informationsangebot ab.

Die Broschüre kann bei der WVAO Geschäftstelle, Mainzer Str. 176, 55124 Mainz, Telefon: 06131 613061, E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!zum Preis von 5 Euro (zzgl. MwSt. und Versand) bestellt werden.

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt das Cover der Broschüre.

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Blinder Hund hat Blindenhund: Eine Geschichte wie im Disney-Film

Ein blinder Hund und sein Blindenhund warten in einem Tierheim im englischen Norfolk auf ein neues Zuhause. Die zwei unzertrennlichen Border Collies Bonnie und Clyde streunten bei strömendem Regen durch die Felder und Wiesen, bis sie an einer Landstraße von Mitarbeitern des Hunderettungszentrums aufgegriffen wurden. Die Tierretter wussten zunächst nicht, warum der eine Hund immer dem anderen folgt. Eine Mitarbeiterin fand schließlich heraus, dass Bonnie seinen blinden Freund Clyde führt, der wegen einer Degenerationskrankheit sein Augenlicht verlor. "Wenn Clyde sich unsicher ist, wo er ist, tastet er sich auf einmal hinter Bonnie und legt seine Schnauze auf ihren Rücken, so dass sie ihn führen kann", sagte Hunderetterin Cherie Cootes dem Sender BBC. "Er vertraut ihr völlig", sagte Cootes. Deshalb müsse für das ungewöhnliche Duo ein gemeinsames Zuhause gefunden werden. "Die Collies können ohne einander nicht leben", sagte Cootes. "Wenn sie läuft, neigt sie zum Anhalten, um sicherzugehen, dass er bei ihr ist - sie hält nach ihm Ausschau. Wenn sie dabei ist, merkt keiner, dass er blind ist, aber wenn sie weg ist, weigert er sich zu gehen."

(Mit freundlicher Genehmigung der dpa.)

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Recht

Dr. Michael Richter und Christiane Möller

"Arbeits-Recht" - Teil 2: Schutz vor Diskriminierung

Grundsätzlich ist jeder frei darin, ob und mit wem er einen Arbeitsvertrag abschließt... - genauso begann der erste Teil des dreiteiligen Beitrages, der sich mit einer Reihe von Regelungen zur Förderung der Integration behinderter Menschen in das Erwerbsleben befasst. Der aktuelle Beitrag widmet sich einer bedeutenden Einschränkung der eingangs aufgezeigten, grundsätzlichen Vertragsfreiheit - nämlich dem Schutz vor ungerechtfertigter Benachteiligung behinderter Menschen im Arbeitsleben.

I. Allgemeines zum Benachteiligungsverbot

Für den Bereich des Arbeitslebens wird der, in Artikel 3 des Grundgesetzes garantierte Schutz vor Diskriminierung, wegen einer Behinderung insbesondere durch die Regelungen des am 26.08.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) einfachgesetzlich konkretisiert. Erst nach langwierigen Verhandlungen und nicht zuletzt aufgrund des Drucks der EU konnte sich der Gesetzgeber zur Schaffung des AGG durchringen. Ziel des Gesetzes ist es - entsprechend § 1 AGG -, Benachteiligungen wegen u. a. einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen.

Für den Personenkreis der schwerbehinderten Menschen enthalten die §§ 81 ff. Sozialgesetzbuch, neuntes Buch (SGB IX) ebenfalls ein Benachteiligungsverbot, wobei in § 81 Abs. 2 für die Einzelheiten auf die Regelungen im AGG verwiesen wird.

II. Wer genießt Schutz vor Benachteiligungen?

Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Es ist also zunächst zu fragen, wer als Beschäftigter in diesem Sinne angesehen wird. Gemäß § 6 AGG sind dies insbesondere Arbeitnehmer, Auszubildende, Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis, Selbstständige (z. B. freie Mitarbeiter) oder Organmitglieder (Geschäftsführer etc.), soweit es um den Zugang zu einer Tätigkeit oder den beruflichen Aufstieg geht, sowie Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Ein Grund im Sinne von § 1 AGG ist u. a. eine Behinderung. Angeknüpft wird dabei an den Behinderungsbegriff im Sinne von § 2 SGB IX (vgl. Teil 1 des Beitrages in horus 2/2010). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) reicht es aber aus, wenn der Arbeitgeber eine Behinderung lediglich vermutet (vgl. etwa BAG v. 17.12.2009 - 8 AZR 670/08).

Was versteht man unter einer Benachteiligung im Sinne des AGG?

1. Allgemein: Wenn ein behinderter Mensch durch Vereinbarungen oder Maßnahmen (z. B. im Rahmen des Bewerbungsverfahrens, bei den Regelungen des Arbeitsvertrages etc.) schlechter gestellt wird oder ihm Verbesserungen (beruflicher Aufstieg) allein aufgrund seiner Behinderung verweigert werden, liegt eine Benachteiligung im Sinne des AGG vor. Die Behinderung muss nicht alleiniger Grund der Benachteiligung sein. Es reicht aus, dass bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme die Behinderung eine Rolle spielt, auch wenn weitere Gesichtspunkte für die Entscheidung mit maßgebend sind.

2. Besonderheiten bei Bewerbungen: Eine Eingliederung in die Arbeitswelt ist nur erreichbar, wenn behinderte Menschen überhaupt eine Chance auf Berücksichtigung erhalten. Daher verdienen die Fragestellungen rund um eine Bewerbung auf einen Arbeitsplatz unsere besondere Aufmerksamkeit.

Offenbarung der Behinderung im Rahmen einer Bewerbung

Ein Patentrezept zum Umgang mit der eigenen Behinderung im Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverhältnis gibt es nicht. Eine Akzeptanz der Behinderung und ein realistischer Umgang mit deren Auswirkungen dürfte aber eine der Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsleben bilden. Denn nicht nur für den behinderten Arbeitnehmer oder Bewerber können sich Fragen und Problemstellungen hinsichtlich des angemessenen Umgangs mit der eigenen Behinderung ergeben, sondern gerade der Arbeitgeber wird in den meisten Fällen aus reiner Unwissenheit stark verunsichert hinsichtlich der Leistungsfähigkeit eines behinderten Menschen sein.

In diesem Zusammenhang tritt häufig die Frage auf, ob und inwieweit man im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens verpflichtet ist, von sich aus auf die Behinderung hinzuweisen bzw. Fragen des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu beantworten.

  • Nach der Rechtsprechung muss ein schwerbehinderter Mensch von sich aus grundsätzlich nicht darauf hinweisen, dass er behindert/schwerbehindert ist.
  • Etwas anderes gilt ausnahmsweise,wenn die Behinderung
    • die Unfähigkeit nach sich zieht, die geschuldete Arbeitsleistung ganz oder zu einem ausschlaggebenden Anteil zu erbringen,
    • Modifikationen zur Erreichung des geforderten Arbeitsergebnisses erforderlich machen.
    • In diesen Fällen besteht konsequenterweise Informationspflicht dahingehend, ob eine Behinderung/Schwerbehinderung vorliegt und wie sich diese auswirkt.
  • Bei konkreten Fragen des Arbeitgebers nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung galt nach der Rechtsprechung des BAG bislang, dass man diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten hatte. Der Grund hierfür wurde darin gesehen, dass der Arbeitgeber an der Kenntnis über die Schwerbehinderteneigenschaft ein Interesse hat, da er gesetzlich verpflichtet ist, Schwerbehinderte auf einem bestimmten Prozentsatz der Arbeitsplätze zu beschäftigen. Diese Rechtsprechung dürfte angesichts der Regelungen zum Schutz vor Benachteiligungen aber nicht mehr haltbar sein.
  • Ein wahrheitsgemäß zu beantwortendes Fragerecht nach der gesundheitlichen Verfassung besteht nur dann, wenn eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eine entscheidende Voraussetzung für eine konkret zu erledigende Tätigkeit ist.
Konkrete Benachteiligungen

Die Vorschriften des AGG greifen ein, wenn sich eine Person ernsthaft um eine Stelle bewirbt und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt. "Objektive Geeignetheit" für die zu besetzende Stelle heißt dabei aber nicht, dass man der am besten geeignete Bewerber ist, sondern dass man das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle erfüllt. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann können Indizien für eine Benachteiligung etwa sein:

  • Die Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch. Grund hierfür ist, dass der persönliche Eindruck von einem Menschen bestehende Hemmnisse, Vorurteile und Ängste abbauen helfen kann und dem behinderten Menschen eine zusätzliche Möglichkeit geboten werden soll, im Rahmen einer persönlichen Vorstellung seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu präsentieren.
  • Die Verletzung der Mitteilungspflicht freier Stellen an die Bundesagentur für Arbeit (BA). Durch die frühzeitige Kontaktaufnahme mit der BA soll gewährleistet werden, dass Arbeitgeber Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber erhalten. Damit soll möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden.

Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Behinderung ist nach § 8 Abs. 1 AGG jedoch zulässig, soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme die Art der von dem behinderten Beschäftigten auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat und eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für diese Tätigkeit ist. Die gestellten Anforderungen müssen berechtigt und angemessen sein. Im öffentlichen Dienst gilt entsprechend § 82 SGB IX insoweit ein strengerer Maßstab, der der gesteigerten Fürsorgepflicht öffentlicher Arbeitgeber geschuldet ist.

III. Rechtsfolgen bei Benachteiligungen

Für den Fall, dass gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne von § 7 AGG verstoßen wird, hat der behinderte Benachteiligte nach § 13 AGG umfangreiche Beschwerderechte sowie nach § 15 AGG ggf. einen Schadenersatz- und/oder Entschädigungsanspruch.

  • Wird bei der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder beim beruflichen Aufstieg gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, kann der dadurch benachteiligte behinderte Bewerber nach § 15 Abs. 2 AGG eine finanzielle Entschädigung verlangen.
  • Ein Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses besteht indes nicht (§ 15 Abs. 6 AGG).

Der Anspruch auf angemessene Entschädigung wird nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG in den Fällen, in denen ein behinderter Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, auf die Höhe von höchstens drei Monatsverdiensten begrenzt. Bei der Bemessung der Höhe des Entschädigungsanspruchs sind alle Umstände des Einzelfalls - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und nicht zuletzt der generalpräventive Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG v. 22.01.2009 - 8 AZR 906/07).

Ein Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 oder 2 AGG muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Ist eine gütliche Einigung mit dem Arbeitgeber nicht möglich, so ist der Schadenersatzanspruch zwingend binnen weiterer drei Monate ab der schriftlichen Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber beim Arbeitsgericht (§ 61b Abs. 1 ArbGG) einzuklagen. Wird eine der beiden Fristen versäumt, so ist eine Durchsetzung des Ersatzanspruchs nicht mehr möglich.

Für den Fall, dass es wegen einer Benachteiligung zu einem Rechtsstreit kommt, enthält § 22 AGG eine der besonderen Situation entsprechende Beweislastregelung, um die Beweisführung für behinderte Menschen zu erleichtern. Vereinfacht bedeutet dies, dass der behinderte Beschäftigte nur die Indizien für eine Benachteiligung beweisen muss (s. o.), während der Arbeitgeber zu beweisen hat, dass er nicht gegen die Regelungen zum Schutz vor Benachteiligungen verstoßen hat:

  • An die ordnungsgemäße Beweisführung der Indizien, die eine Benachteiligung vermuten lassen, ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Es reicht aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.
  • Weniger einfach gelingt der Entlastungsbeweis für Arbeitgeber. So reicht es z.B. bei einer vermuteten Benachteiligung wegen Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch nicht aus, wenn lapidar auf Standardformulierungen in der Stellenausschreibung verwiesen wird, wonach "schwerbehinderte Bewerber bei entsprechender Eignung bevorzugt eingestellt" würden. Auch der Umstand, dass die Schwerbehindertenquote bereits erfüllt sei, kann die Vermutung der Benachteiligung allein nicht widerlegen (LAG Hessen v. 28.08.2009 - 19/3 Sa 2136/08). Öffentliche Arbeitgeber können sich zudem nicht ohne weiteres auf eine vor einem Vorstellungsgespräch erfolgte "Bestenauslese" berufen, wenn sie das Anforderungsprofil und die Auswahlkriterien nicht ausreichend und sachlich nachvollziehbar dokumentiert haben.
  • Bedient sich der Arbeitgeber schließlich bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eigener Mitarbeiter oder Dritter, so trifft ihn eine Verantwortlichkeit für deren Verhalten.

Fazit:

Für den Personenkreis der schwerbehinderten Beschäftigten (s. o.) hat sich durch die Einführung des AGG nicht viel geändert, sie waren bislang durch die Regelungen im SGB IX in ähnlicher Weise vor Benachteiligungen im Erwerbsleben geschützt. Der Wirbel um das AGG in der Öffentlichkeit dürfte aber noch einmal zu einer erhöhten Sensibilisierung für deren besonderen Belange gesorgt haben.

Der letzte Teil des Beitrages, der im nächsten horus erscheinen wird, befasst sich den staatlichen Förderinstumenten zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung behinderter Menschen. Es geht also um Bares.

Kontakt:

Die rbm gemeinnützige GmbH ist die gemeinsame Rechtsberatungsgesellschaft des DVBS und DBSV. Für Mitglieder kann die rbm die Rechtsvertretung in sozial- oder verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, die in Zusammenhang mit der Sehbehinderung/Blindheit stehen, übernehmen. Kontakt: Tel.: 06421 94844 - 90 oder -91, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.rbm-rechtsberatung.de.

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Dr. Hans Helmut Vollert

Erbfähigkeit von Untergliederungen einer Blindenselbsthilfeorganisation

Kann eine Untergliederung einer Blindenselbsthilfeorganisation Erbe oder Vermächtnisnehmer sein? Diese Frage taucht immer wieder einmal auf, wenn eine Untergliederung unserer Selbsthilfeorganisationen letztwillig bedacht wird. Zur Verdeutlichung und als Ausgangsfall sei das Beispiel gewählt, dass ein Erblasser in seinem Testament "den Landesverein X e.V., Bezirksgruppe Y" oder "den DVBS, Bezirksgruppe Z" zu seinem Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzt.

In diesen Fällen wird nach meinen Informationen unterschiedlich verfahren:

  • Teilweise verbleibt die Erbschaft oder das Vermächtnis bei der Untergliederung. Sie legt das geerbte Vermögen sicher und so gewinnbringend wie möglich an und verfügt über die Zinserträge und, bei Bedarf, auch über das Kapital.
  • In anderen Fällen zieht der Zentralverein das geerbte Vermögen an sich, etwa mit der Begründung, dass die Untergliederung nicht rechtsfähig sei und daher auch nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer sein könne. Einen unmittelbaren Zugriff auf die Erträge und das Kapital hat die Untergliederung in diesem Fall nicht. Um hier dem Willen des Erblassers gerecht zu werden, wird sich der Zentralverein sicherlich veranlasst sehen, das Kapital für die Untergliederung gesondert anzulegen und die Zinserträge sowie im Bedarfsfall auch das Kapital an sie auszukehren.

Soweit die letztere Verfahrensweise der geltenden Rechtslage entspricht, ist hiergegen natürlich nichts einzuwenden. Ob sie dem tatsächlichen Willen des Erblassers stets gerecht wird, kann jedoch im Einzelfall zweifelhaft sein, denn seine ausdrückliche Benennung der Untergliederung - wie in dem obigen Beispiel - wird in aller Regel so zu verstehen sein, dass ihr das zugedachte Erbe oder Vermächtnis unmittelbar zustehen soll.

Zur rechtlichen Einstufung

Die unterschiedlichen Verfahrensweisen haben mich veranlasst, der Frage nachzugehen, wie Untergliederungen eines eingetragenen Vereins rechtlich einzustufen und ob sie in ihrer jeweiligen Gestaltung erbfähig sind. Dabei hat sich folgendes ergeben: Die Untergliederungen eines eingetragenen Zentralvereins oder Gesamtvereins können ihrerseits die Rechtsstellung

  1. eines rechtsfähigen Vereins haben oder
  2. eines nicht rechtsfähigen Vereins oder
  3. rechtlich unselbständig sein (Palandt-Heinrichs, 68. Auflage, Rn. 21 vor § 21).

Im ersteren Fall ist die Rechtslage klar, denn ein rechtsfähiger Verein kann selbstverständlich, auch als Untergliederung in einem Gesamtverein - wie zum Beispiel die Blinden- und Sehbehindertenlandesvereine als Mitglieder im DBSV - Erbe oder Vermächtnisnehmer sein. Einer näheren Erörterung bedürfen aber die beiden anderen Alternativen.

Wie diese Untergliederungen rechtlich einzustufen sind, hängt von ihrer jeweiligen Ausgestaltung ab:

Merkmale für "nicht rechtsfähige Vereine"

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. März 1984 (BGHZ 90, 331), in dem es um die Parteifähigkeit einer Ortsgruppe der Deutschen L.-Gesellschaft ging, u. a. ausgeführt: Eine Untergliederung eines eingetragenen Vereins könne die Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins haben. Das sei der Fall, wenn die Untergliederung

  • eine körperschaftliche Verfassung besitze,
  • einen Gesamtnamen führe,
  • vom Wechsel der Mitglieder unabhängig sei und
  • neben ihrer unselbständigen Tätigkeit für den Hauptverein Aufgaben auch eigenständig wahrnehme.
  • Nicht erforderlich sei, dass Zweck und Organisation der Untergliederung in einer von ihr selbst beschlossenen Satzung festgelegt seien; sie könnten sich auch aus der Satzung des Hauptvereins ergeben.

In der Kommentierung (Heinrichs a. a. O.) heißt es dazu ergänzend: Eigene, nicht vom Gesamtverein eingesetzte Organe, selbständige Kassenführung und besonders formalisierte Mitgliederversammlungen seien Merkmale, die für eine Einstufung als nicht rechtsfähiger Verein sprechen.

Anhand dieser Merkmale ist zu prüfen, wie die Bezirksgruppen im konkreten Einzelfall rechtlich einzustufen sind. Soweit sie die dargelegten Voraussetzungen erfüllen, sind sie also nicht rechtsfähige Vereine im Gesamtverein.

In dieser Rechtsstellung sind die Bezirksgruppen auch erbfähig, das heißt, sie können sowohl Vermächtnisnehmer als auch Erbe sein (vgl. Palandt-Ellenberger a. a. O., Rn. 9 zu § 54 BGB sowie Palandt-Edenhofer, Rn. 7 zu § 1923 BGB; ferner Leipold in Münchener Kommentar, 4. Auflage, Rn. 32 f zu § 1923 BGB m. w. N.). Das bedeutet, dass das zugewandte Erbe mit dem Tode des Erblassers unmittelbar auf die Bezirksgruppe übergeht (§ 1922 BGB) bzw. ihr Anspruch als Vermächtnisnehmer mit dem Eintritt des Erbfalls zur Entstehung gelangt (§§ 2174, 2176 BGB).

Auslegung bei "rechtlich unselbständigen Untergliederungen"

Wie ist es nun aber, wenn der Erblasser eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis zugunsten einer rechtlich unselbständigen Untergliederung, etwa einer Bezirksgruppe angeordnet hat, die nicht als "nicht rechtsfähiger Verein" einzustufen ist und daher nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer werden kann? In aller Regel wird in diesen Fällen der Gesamtverein Erbe bzw. Vermächtnisnehmer, beschwert mit der Auflage des Erblassers, den Nachlass zweckentsprechend zu verwenden bzw. ihn der bedachten Untergliederung zuzuführen (Leipold, a. a. O. Rn. 6 zu § 1940 BGB; Stein in Soergel, 13. Auflage, Rn. 3 zu § 1940 BGB, jeweils m. w. N.).

So hat das Oberlandesgericht Köln (OLGZ 1986, 289) in einem Fall, in dem die Erblasserin die (nicht erbfähige) Medizinische Fakultät der Universität L. zu ihrer Erbin eingesetzt hatte, entschieden, dass es rechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn die letztwillige Einsetzung der Medizinischen Fakultät dahin ausgelegt werde, dass die rechtsfähige Universität L. zur Erbin eingesetzt werde, verbunden mit der Auflage, den Nachlass für ihre Medizinische Fakultät zu verwerten.

In gleicher Weise sind die Fälle zu beurteilen, in denen innerhalb der Untergliederung eine bestimmte (namentlich nicht benannte) Personengruppe (zum Beispiel "die Jugendlichen" oder "die Senioren") bedacht worden ist. Hier wird die letztwillige Verfügung in der Regel ebenfalls dahin auszulegen sein, dass die übergeordnete erbfähige Untergliederung oder - falls eine solche nicht vorhanden ist - der Gesamtverein Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist, jedoch beschwert mit der Auflage, den Nachlass für die bestimmte Personengruppe zu verwenden oder ihr zuzuführen (Leipold a. a. O.; Stein a. a. O.).

Willensrichtung des Erblassers

Bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen ist stets der mutmaßliche Wille des Erblassers zu ermitteln. Im Rahmen dieser Prüfung können bei nicht eindeutigem Inhalt der Verfügung neben dem Wortlaut auch Umstände und objektive Kriterien außerhalb der letztwilligen Verfügung herangezogen werden. So wird die Meinung vertreten, dass im Einzelfall eine Zuwendung, die nach dem Wortlaut einem nicht rechtsfähigen Verein gemacht werde, als Verfügung zugunsten aller Mitglieder als Einzelpersonen auszulegen sein könne (so Leipold a. a. O., Rn. 33 zu § 1923 BGB; vgl. auch Edenhofer a. a. O., Rn. 7 zu § 1923 BGB). Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wird allerdings nicht näher ausgeführt.

Von Bedeutung mögen Umstände sein, die Aufschluss darüber geben, ob der Erblasser vorrangig die Vereinszwecke allgemein fördern wollte, auch wenn dadurch die einzelnen Mitglieder häufig keinen Vorteil haben, oder ob sein Wille darauf gerichtet war, jedes einzelne Mitglied zu bedenken.

Als Anhaltspunkte für die Willensrichtung des Erblassers können unter anderem in Betracht kommen:

  • Die räumliche und persönliche Beziehung des Erblassers zu der benannten Untergliederung und deren Mitgliedern bzw. zu der benannten Personengruppe
  • ob er selbst durch Blindheit oder Sehbehinderung betroffen und
  • ob er ordentliches oder förderndes Vereinsmitglied war oder nicht.
  • Neben diesen beispielhaft erwähnten Auslegungskriterien können je nach Fallgestaltung weitere Umstände in Betracht kommen.

Abschließend sei einem Testierenden wärmstens angeraten, bei der Errichtung seines Testaments nach besten Kräften für eine klare und eindeutige Formulierung seines Willens Sorge zu tragen, um seiner Nachwelt zu ersparen, über mehrdeutige Auslegungsmöglichkeiten entscheiden zu müssen.

Zum Autor:

Dr. Hans Helmut Vollert ist pensionierter Richter am Oberlandesgericht, hat dem DVBS-Vorstand von 1974 bis 1988 angehört, war Mitglied des Gemeinsamen Fachausschusses für Umwelt und Verkehr für den DVBS von 1988 bis 2006 und ist Leiter des Bezirks Schleswig-Holstein im DVBS seit 1972. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt den Autor am Schreibtisch sitzend, er arbeitet und hat dazu sein elektronisches Notizgerät vorliegen.

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Dr. Otto Hauck

Berufsunfähigkeitsversicherung über den DVBS zu verbesserten Bedingungen

Bekanntlich gibt es die Berufsunfähigkeitsrente vom Staat nicht mehr. Geblieben ist aber das Risiko, den Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben zu können, und das trifft im Durchschnitt jeden vierten Arbeitnehmer. Es ist daher ein Gebot der Daseinsvorsorge, sich privat gegen Berufsunfähigkeit zu versichern.

Der DVBS hat deshalb mit der Bayerischen Beamtenversicherung (BBV) einen diskriminierungsfreien Rahmenvertrag für die Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, dessen Vorteile die Mitglieder des DVBS nutzen können.

Was aber geschieht, wenn der Versicherte arbeitslos oder für längere Zeit arbeitsunfähig wird und in Folge dessen die Versicherungsprämien nicht mehr zahlen kann? Lassen sich die damit verbundenen erheblichen Risiken vermeiden?

Neues "Antiblockiersystem"

Unter den folgenden Voraussetzungen ja. Neuerdings hat die BBV den Rahmenvertrag mit dem DVBS mit einem sog. "Antiblockiersystem" ausgestattet. Das bedeutet, dass die BBV im Falle der Arbeitslosigkeit oder der Arbeitsunfähigkeit (sobald die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber endet) auf die Dauer von fünf Jahren die Versicherungsprämien bis zur Höhe von 1000 Euro monatlich übernimmt. Dieser zusätzliche Schutz ist kostenlos. Er gilt allerdings zunächst nur für Verträge, die in der Zeit vom 1.6.2010 bis 31.5.2011 abgeschlossen werden. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, dass bei entsprechendem Interesse dieser Zeitraum verlängert wird.

Übrigens noch eine gute Nachricht: Die BBV hat ihr sog. "Antiblockiersystem" jetzt auch auf Verträge der Altersvorsorge einschließlich derjenigen mit staatlicher Förderung ausgedehnt.

Information und Kontakt

Wer Näheres wissen möchte, kann sich beraten lassen beim Versicherungsdienst für Blinde und Sehbehinderte (VDBS) GmbH, Postfach 1780, 35007 Marburg, Telefon: 06421 988640, Fax: 06421 988610, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Der VDBS betreut den oben genannten Rahmenvertrag des DVBS.

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"Wir haben es satt, für die verfehlte Finanzpolitik der Länder mit Sonderopfern zu bezahlen!"

... betonte Andreas Bethke, Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), angesichts der unhaltbaren Zustände bei den Blindengeldregelungen einiger Bundesländer und aktueller Kürzungspläne in Schleswig-Holstein. Der Verbandstag des DBSV verabschiedete am 17. Juni d. J. einstimmig die folgende Resolution:

Resolution für eine gerechte Blindengeldlösung

Die blinden Menschen in Deutschland haben unabhängig von ihrem Wohnort vergleichbare behinderungsbedingte Beeinträchtigungen und damit auch den gleichen Bedarf an Nachteilsausgleichen. Die Höhe dieses behinderungsbedingten Mehrbedarfs wurde im Sozialgesetzbuch XII festgestellt. Trotzdem gibt es in den Ländern völlig unterschiedliche Blindengeldbeträge. Hochgradig sehbehinderte Menschen haben in abgestufter Form vergleichbare Nachteile wie blinde Menschen und müssen deshalb ein abgestuftes Blindengeld erhalten. Dieses wird jedoch zurzeit nur in sechs Ländern gewährt.

Die blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland haben aber ein Recht darauf, dass die Leistungen in allen Ländern und in gleicher Höhe gewährt werden. Der durch das Sozialgesetzbuch XII festgestellte Mehrbedarf ist bundesweit als einkommens- und vermögensunabhängiger Nachteilsausgleich für blinde Menschen in voller Höhe und für hochgradig sehbehinderte Menschen abgestuft zu leisten. Taubblinde Menschen müssen aufgrund des wesentlich erhöhten Hilfebedarfs einen angemessen aufgestockten Nachteilsausgleich erhalten, damit sie insbesondere den hohen Aufwand an Kommunikationsassistenz finanzieren können.

Die blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland haben auch ein Recht auf Verlässlichkeit. Der Nachteilsausgleich muss ihnen garantiert werden und darf nicht Spielball eines politischen Verteilungskampfes um Haushaltsmittel sein.

Der Verbandstag des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV)

  • fordert die Länderregierungen auf, die Abwärtsspirale bei den Blindengeldleistungen zu beenden und die Leistungshöhe an den im Sozialgesetzbuch XII festgestellten Mehrbedarf anzugleichen.
  • fordert die Bundesregierung auf, ein einheitlich geltendes Leistungsgesetz zu erlassen, das die Bedarfe aller sehbehinderten und blinden Menschen entsprechend der Art und dem Maß ihrer Beeinträchtigungen durch eine einkommens- und vermögensunabhängige Leistung ausgleicht.

Die blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland stellen sich den Herausforderungen einer visuell orientierten Welt. Aber dafür brauchen sie Assistenz und technische Unterstützung, finanziert durch einen angemessenen Nachteilsausgleich.

(Quelle: DBSV e.V.)

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Nachruf

Ernst-Dietrich Lorenz

Torsten Brand ist von uns gegangen

Am 13. April 2010 starb überraschend und völlig unerwartet Torsten Brand im Alter von nur 47 Jahren. Im März 1963 in der Nähe von Hannover geboren, erblindete er im Jugendalter und studierte trotzdem mit großem Elan Mathematik und Informatik an der Universität Hannover. Dabei wurde ihm sehr schnell klar, dass die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten blinder Menschen am Computer nicht nur für ihn selbst, sondern ganz allgemein auf der Tagesordnung stand, um dem betroffenen Personenkreis ein "Mithalten" im Beruf zu ermöglichen.

Torsten Brand schrieb noch als Student das Braillezeilen-Treiberprogramm "Braille Window Professional" für einen namhaften deutschen Braillezeilenhersteller. Diese Software setzte Maßstäbe für die Arbeitsmöglichkeiten mit der Braillezeile unter dem seinerzeitigen PC-Betriebssystem MS-DOS. Er arbeitete einerseits zeitweilig selbstständig und andererseits für verschiedene Firmen im Bereich Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen.

Um die Jahrtausendwende entwickelte Torsten Brand dann TALKS, das in vielen Ländern eingesetzte Sprachausgabe- und, inzwischen auch vergrößernde, Bildschirmausleseprogramm für Handys mit dem Betriebssystem Symbian. Dieses erste und sehr erfolgreiche Programm ermöglicht vielen blinden und sehbehinderten Nutzerinnen und Nutzern weltweit einen selbstständigen Umgang mit den meisten Handyanwendungen.

Für sein erfolgreiches Schaffen zum Wohle blinder und sehbehinderter Menschen gebührt Torsten Brand unser bleibender, herzlicher Dank! Wir werden Torsten Brand als aktiven Mitstreiter für die Eingliederung blinder und Sehbehinderter Menschen in unsere Gesellschaft, besonders aber als geistreichen und netten Menschen in Erinnerung behalten.

Seiner Frau und den drei heranwachsenden Kindern wird der Ehemann und Vater besonders fehlen. Die Kinder hätten nicht nur noch viel von ihrem Vater lernen, sondern sicher auch noch manchen Spaß mit Ihrem fröhlichen Vater erleben können. Der Familie Brand gilt deshalb unser ganz besonderes Mitgefühl.

Das Motiv in der Schwarzschriftausgabe zeigt Torsten Brand auf einer Veranstaltung, bei der er ein neues, elektronisches Handheld Gerät vorstellt (Foto: Nuance Communications Inc.).

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Bildung und Forschung

Dr. Heinz Willi Bach

Eine bedeutsame Dimension der BRK - Paradigmenwechsel bei der (beruflichen) Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen

Die wenigen bekannten Studien zur beruflichen Situation sowie derjenigen auf dem Arbeitsmarkt und in Arbeitslosigkeit sehbehinderter und blinder Menschen nehmen üblicherweise zwei Beobachtungsperspektiven ein:

  1. Es wird einerseits aus der Sicht der Institutionen untersucht, welche Bedingungen für die berufliche Integration förderlich sind und welche den Personen zugeschriebenen Merkmale Relevanz für den Integrationserfolg besitzen (z.B. Schlüsselqualifikationen, Ausbildungsstand etc.).
  2. Andererseits wird die Kundenzufriedenheit gegenüber Dienstleistungen untersucht, die blinden und sehbehinderten Menschen von Institutionen erbracht werden.

Im Beitrag "Lebenslagen blinder und sehbehinderter Menschen - große Defizite in der empirischen Datenlage - Handlungsbedarf ist unabdingbar" (horus 2/2010, S. 62 ff.) wurden die wesentlichen Studien dargestellt, die sämtlich aus den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen. Durch gewisse Umfassendheit der Darstellung der Arbeits- und Lebensverhältnisse ragt dabei lediglich die Untersuchung "Blinde im Rheinland" heraus, die im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland durch das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn durchgeführt wurde.

Keine der Untersuchungen kann heute noch Anspruch auf Aktualität besitzen, denn Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Berufsstrukturen haben sich seitdem - nicht zuletzt durch den "Siegeszug" der Informations- und Medientechnik - auch für blinde und sehbehinderte Menschen stark verändert.

Diese beiden Forschungsansätze - Effizienzbedingungen und Kundenzufriedenheit - entwickeln ihre Fragestellungen hauptsächlich auf der Basis des medizinischen Paradigmas (vgl. Cloerkes, Soziologie der Behinderten, S. 10) und/oder eines betriebswirtschaftlichen Grundverständnisses von Teilhabe behinderter Menschen am Erwerbsleben. Insofern repräsentieren sie Herangehensweisen, die bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts in der Behinderten-(Berufs-)Pädagogik und der beruflichen Rehabilitation verbreitet waren.

Gesetzgebung dokumentiert Wandel bei Wahrnehmung und Selbstverständnis

Inzwischen haben sich die öffentliche Wahrnehmung und das Selbstverständnis von Menschen mit Behinderung gewandelt. Dem trug ein Perspektivwechsel auf der Ebene der Gesetzgebung Rechnung. Schlagworte wie "Teilhabe" und jüngst "Inklusion" an Stelle von "Eingliederung" oder "Integration" sowie programmatische Ansätze wie "Diversity-Management" (Verschiedenheit als Bereicherung) markieren eine neue Ausrichtung der öffentlichen Wahrnehmung.

Die vom Deutschen Bundestag sowie vom Bundesrat ratifizierte Konvention der Vereinten Nationen über die (Menschen-)Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) dokumentiert markant diesen Wahrnehmungswandel. Auszugehen ist auf dieser Ebene von einem Menschenbild, das Verschiedenartigkeit als Bereicherung und Ressource versteht. Menschen mit Behinderung werden nicht in erster Linie als Träger von Defiziten verstanden. Vielmehr werden ihnen die gleichen unabänderlichen Rechte zugestanden wie den Trägerinnen und Trägern anderer Merkmale auch.

Insofern entsteht vor diesem gesellschaftlichen und juristisch kodifizierten Hintergrund die Notwendigkeit, über die paradigmatische Verengung der oben beschriebenen Fragestellungen hinauszugehen. Berufliche und gesellschaftliche Teilhabe wird mithin im Sinne der hier entwickelten Fragestellungen nicht als "Produkt" gesehen, das es "effektiv und effizient" zu erzeugen und zu vermarkten gilt. Menschen mit Behinderung können zudem nicht in betriebswirtschaftlichen Kategorien als "Halbfertigprodukte" gesehen werden, die durch entsprechendes Fördern und Fordern "veredelt" an den Markt gebracht werden. Das verbietet schlicht die Menschenwürde. Dies unterstreicht die UN-Konvention deutlich.

Vielmehr muss nunmehr die Fragestellung lauten: Innerhalb welcher und wie gearteten Interaktionen gelingt es Menschen mit Behinderung (oder anderen, zu Diskriminierung Anlass gebenden Merkmalen - weiblich zu sein, farbig zu sein, Migrationshintergrund aufzuweisen, allein erziehender Elternteil zu sein, oder, oder, oder), sich in die Lage zu versetzen, die in den Institutionen angelegten Möglichkeiten für ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben voll zu nutzen? Dies kann man charakterisieren als die individuelle Ebene. Hinzu tritt in der Folge eine institutionelle oder Makroebene, wenn aufgrund der Ergebnisse der individuellen Ebene festgestellt werden muss, dass die institutionellen Arrangements selbst behindernd, also diskriminierend, ausschließend wirken.

Aushandlung fairer Teilhabechancen

Dabei gehen wir davon aus, dass die Akteure (Menschen mit Behinderungen) mit dem Ziel der Aushandlung fairer Teilhabechancen im Sinne von Inklusion aktiv gestaltend in gesellschaftliche Prozesse eingreifen und sich mit all ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten voll einbringen. Das (behinderte) Individuum ist demnach Handelnder, nicht Behandelter im Inklusionsprozess mit Bildungs- und Trainingseinrichtungen, Beratungs- und Vermittlungsagenturen, Arbeitgebern, Rehabilitationsträgern… (RehaFutur, S. 69 ff.).

Da dieser Aushandlungsprozess wesentlich von den Interpretationen, Einschätzungen und Wertsetzungen der Handelnden bestimmt wird, stellt sich die entscheidende Frage, wie Menschen mit Behinderung sich selbst sehen, wie sie andere (Personen und Institutionen) sehen, erleben und einschätzen. Weiterhin ist relevant, wie sie, als Person und als Träger des Persönlichkeitsmerkmals (oder der Eigenschaft) einer oder mehrerer Behinderungen, von anderen Personen und Institutionen gesehen und eingeschätzt werden. Schließlich spielt eine Rolle, wie sich (Repräsentanten von) Institutionen selbst in solchen Prozessen einschätzen, welche Philosophie sie sich gegeben haben und welche sie leben.

Forschungsrelevant: Einstellungen, Wahrnehmungen, Einschätzungen

Im Zentrum von Forschungsprojekten solcher Art zur (beruflichen) Teilhabe behinderter Menschen steht also nicht mehr die Frage nach Kundenzufriedenheit und Prozessqualität, sondern nach der Realisierung von Teilhabemöglichkeiten. Es wird vermutet, wie oben detaillierter ausgeführt, dass diese sowohl vom Selbst- und Fremdbild der Akteure, bei denen eine Behinderung vorliegt, abhängt wie auch vom Selbst- und Fremdbild der in diesem Feld tätigen (Repräsentanten der) Institutionen. Umfassende Forschungsaufgabe bedeutet daher: Zu untersuchen sind die Einstellungen, Wahrnehmungen, Einschätzungen auf individueller und institutioneller Ebene.

Zu fragen ist also innerhalb der jeweiligen biografischen Situation, wie die eigene Person und wie der Interaktionspartner seitens der beteiligten Institution konkret erlebt respektive erinnert werden, welche Modelle also hinsichtlich Selbst- und Fremdbild zur Strukturierung der Situation Verwendung finden.

Es ist viel zu tun. Packen wir's an!

Literaturquellen:

  • Cloerkes Günther: Soziologie der Behinderten, Berlin 2007.
  • RehaFutur, Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgruppe RehaFutur zur Zukunft der beruflichen Rehabilitation in Deutschland. Hrsg. Deutsche Akademie für Rehabilitation e.V., Bonn, 2009.
  • Schröder, H.: Die Beschäftigungssituation von Blinden. Ausgewählte Ergebnisse einer Befragung bei Blinden und Unternehmen. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Band 2/1997, S. 502 ff.

Zum Autor:

Dr. Heinz Willi Bach ist Diplom-Volkswirt. Er war viele Jahre Dozent und Schwerbehindertenvertreter an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Mannheim. Zuvor war er zehn Jahre in der Praxis der Arbeitsverwaltung tätig. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Oberrat beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Gegenwärtig ist er zur Hochschule der Bundesagentur für Arbeit abgeordnet und führt dort ein empirisches Forschungsprojekt durch.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Frontales Portraitfoto von Dr. Heinz Willi Bach. Er lächelt und trägt Anzug und Krawatte (Foto: Susanne Schmidt).

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Hans Junker

"Gast im Haus - Gott im Haus": 20 Jahre Schüleraustausch mit Polen

Wenn man sich auf das Abenteuer eines Schüleraustausches mit Polen einlässt, dann tut man dies natürlich vor dem Hintergrund jahrhundertealter, meist sehr tragischer und - was das 20. Jahrhundert anbetrifft - furchtbarer historischer Beziehungen und Erfahrungen zwischen Deutschen und Polen. Das war uns auf beiden Seiten bewusst, als wir das Austauschprogramm 1990 auf den Weg brachten. In diesem Jahr fand der 20. Schüleraustausch zwischen beiden Einrichtungen statt.

Wie fing alles an?

1989 fuhren zwei Klassen der Jahrgangsstufe 11 nach Auschwitz und Krakau, um ihre Kenntnisse, die sie sich im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht über die Themen Nationalsozialismus und Krieg erarbeitet hatten, vor Ort zu vertiefen.

Wir waren sehr daran interessiert, auch etwas über die soziale Lage der Blinden und Sehbehinderten in Polen vor der Wende zu erfahren. Daher besuchten wir den polnischen Blindenverband, dessen Präsident Sokolowski uns sehr gastfreundlich empfing und im darauf folgenden Jahr den Kontakt zur Blindenschule in Krakau herstellte: Ich vereinbarte mit Mieczyslaw Kozlowski, dem Direktor der Krakauer Einrichtung, einen Schüleraustausch der elften Klassen zwischen beiden Schulen durchzuführen. [Anm. des Verfassers: Mieczyslaw Kozlowski wurde 2005 als letztem Preisträger - und erstem ausländischen Preisträger überhaupt - in Würdigung seiner Verdienste um Völkerverständigung und den Ausbau der europäischen Blinden- und Sehbehindertenbildung - die Carl-Strehl-Medaille verliehen. Er ging 2008 in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin wurde Barbara Planta.]

Das Austauschprogramm

1991 begann das Austauschprojekt mit der Blinden- und Sehbehindertenschule in Krakau. Die erste polnische Austauschgruppe traf 1991 auf dem Marburger Hauptbahnhof ein. Die übermüdeten und ernsten Gesichter unserer polnischen Kolleginnen am Marburger Hauptbahnhof werde ich nie vergessen! Sie hatten, wie sie uns später berichteten, auch Gefühle der Skepsis und Angst gegenüber uns Westdeutschen gehabt. Diese anfangs vorhandene Einstellung änderte sich jedoch bereits schon am ersten Abend, als man erkannte, dass wir doch sehr lockere und wenig "preußische" Deutsche waren.

Als Deutsche lernten wir in Krakau die umwerfende Gastfreundlichkeit der Polen kennen, deren Sprichwort "Gast im Haus - Gott im Haus" uns Jahr um Jahr immer wieder aufs Neue demonstriert wurde. Hier konnten wir viel von ihnen lernen.

Die Krakauer Partnereinrichtung

Das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Krakau wurde 1948 gegründet und besteht aus einer 6-jährigen Grundschule, an der blinde Schülerinnen und Schüler aus Südpolen beschult werden, einem dreijährigen Gymnasium (Sekundarstufe I) und einem Aufbaugymnasium (Klassen 9 bis 12) mit folgenden Fachrichtungen: Allgemeines Gymnasium, Fachoberschulen für Tontechniker und Klavierstimmer sowie einer Fachschule Gartenbau. In einem Berufsausbildungszweig werden Bürotechniker ausgebildet.

Etwa 300 Schülerinnen und Schüler sind in einem zentralen Internat im Schulkomplex am Weichselufer direkt gegenüber der Altstadt untergebracht, in dem auch unsere Austauschgruppe während unseres einwöchigen Krakau-Aufenthaltes wohnt.

Die Krakauer Schule betreut auch integrativ beschulte Sehgeschädigte an Regelschulen. Sie beschult aber auch einige nicht behinderte Schülerinnen und Schüler an der Krakauer Einrichtung. Momentan besuchen etwa 500 Schülerinnen und Schüler unsere Partnereinrichtung.

Solidarität und Freundschaft

Der Ausstattungsgrad unserer Partnereinrichtung in Krakau mit Lehr- und Lernmitteln war zu Beginn unseres Austauschprogramms - gemessen an dem unserer Einrichtung - sehr bescheiden. Deshalb brachten wir unseren Freunden in Krakau ab dem Jahre 1990, zu Beginn unserer gegenseitigen Beziehungen, als Gastgeschenke Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte mit. Mittlerweile hat sich der Ausstattungsgrad der Krakauer Schule dank der Managementkompetenz von Mieczyslaw Kozlowski qualitativ sehr verbessert. Innerhalb von zehn Jahren war man auch im Bereich der Computertechnologie auf dem europäischen Spitzenniveau angelangt.

Das Weichsel-Hochwasser im Mai traf die Blinden- und Sehbehindertenschule in Krakau mit voller Wucht. Es entstand ein Schaden von einer halben Million Euro. Als wir von den immensen Verlusten hörten, war es für uns eine Selbstverständlichkeit, unserer Partnereinrichtung in Krakau zu helfen.

Der Ablauf der Austauschprogramme

Das Austauschprojekt wird in den Fächern Geschichte sowie Politik und Wirtschaft vorbereitet. Bei dem Aufenthalt in Polen besuchen die deutschen Gruppen auch für zwei Tage die Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau, um Einblicke in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu bekommen.

Im Mittelpunkt steht jedoch die Begegnung mit den gleichaltrigen Jugendlichen beider Nationen, das gemeinsame Gespräch, gemeinsame Ausflüge, Singen und Tanzen. Man lernt die Kultur des Nachbarlandes kennen und die spezifischen Probleme Blinder und Sehbehinderter in Polen.

Beim Gegenbesuch in Marburg versuchen wir, die überwältigende Gastfreundschaft unserer polnischen Freunde zu erwidern. Neben den obligatorischen Programmpunkten wie Schul- und Stadtbesichtigung stehen auch immer zwei Tagesausflüge auf dem Programm, an denen alle Schüler teilnehmen. In diesem Jahr führten sie uns zur Marksburg an den Rhein sowie zum Point Alpha, dem Grenzmuseum an der ehemaligen Grenze zur DDR.

Großer Zuspruch für den Austausch

Es stimmt uns froh, dass wir jedes Jahr keine Probleme haben, Austauschgruppen für den Schüleraustausch mit Polen zusammenzustellen. Ganz offensichtlich trägt dazu auch die gute Mund-zu-Mund-Propaganda der Schülerinnen und Schüler bei. Sicherlich spielt dabei eine Rolle, dass wir mit Krakau auch die schönste Stadt Polens besuchen und unsere polnischen Freunde keine Kosten oder Mühen scheuen, uns ein ansprechendes kulturelles, aber auch touristisches Programm - mit Ausflügen in die Tatra oder in das Salzbergwerk von Wielicka - zu bieten.

Es erfüllt uns mit einem gewissen Stolz, dass wir in diesem Jahr auf 20 Jahre Schüleraustausch zurückblicken können. Das Austauschprojekt ist ein fester Bestandteil des Schulprogramms beider Schulen. Beide Institutionen lernen voneinander und helfen sich gegenseitig, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Für die Schülerinnen und Schüler beider Länder stellt der gegenseitige Austausch eine wichtige und tief greifende Erfahrung dar und zwischen den Lehrern und Betreuern beiderseits der Grenze sind Während dieser 20 Jahre dauerhafte und herzliche Freundschaften gewachsen.

Beim diesjährigen Sommerfest der blista fand eine Festveranstaltung zum 20. Jahrestag des Schüleraustausches statt, bei der neben Barbara Planta, der Direktorin der Krakauer Einrichtung, auch der Oberbürgermeister der Stadt Marburg anwesend war. Oberbürgermeister Vaupel, der - neben dem Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf - das Austauschprojekt seit Jahren finanziell unterstützt, sagte der Krakauer Schule eine Soforthilfe in Höhe von 5000 Euro zu. Die Spendenaktion für Krakau erbrachte mit den Erlösen des Sommerfestes insgesamt 11 000 Euro. Die Gelder sollen neben Sachspenden, die parallel gesammelt werden, unseren Freunden in Krakau helfen, den Neustart für die von der Überschwemmung betroffenen Abteilungen zu erleichtern.

Zum Autor:

Hans Junker ist seit 31 Jahren Lehrer an der Carl-Strehl-Schule und dort verantwortlich für das Austauschprogramm mit Krakau.

Die Schwarzschriftausgabe enthält drei Motive:

  1. Die 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Austauschprogramm 2005 schauen fröhlich und tragen alle ein weißes T-Shirt mit Pager Motiv (Foto: Hans Junker).
  2. Eine Gruppe von acht polnischen Schülerinnen und Schülern in der Übungsfirma der Informatikkaufleute. Moritz Wohlfahrt sitzt vor einem PC und erläutert ihnen ein Spiele-Programm, das er für das blista-Sommerfest 2010 entwickelt hat (Foto: Hans Junker).
  3. 23 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Austauschgruppe 2007 auf dem Frankfurter Main-Tower in 200 m Höhe (Foto: Hans Junker).

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Barrierefreiheit und Mobilität

BIK@work-Interview mit Sabine Lohner

Das Ziel: barrierefreie Dokumente am Arbeitsplatz

BIK@work: Frau Lohner, Sie sind stellvertretende Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim Hessischen Rundfunk (hr). Sie sind Vorstandsmitglied im Selbsthilfe-Verein "Bildung Ohne Barrieren (BOB)". Sie haben am Workshop "Barrierefreie Dokumente" teilgenommen, den BIK@work zusammen mit BOB und dem Büro für barrierefreie Bildung im Mai veranstaltet hat. Was war Ihr Interesse daran?

Sabine Lohner: Als Schwerbehindertenvertreterin setze ich mich im Unternehmen für die Belange von Menschen mit Behinderung ein. Dazu zählt auch, die Barrierefreiheit herzustellen. Häufig wird, wenn man von Barrierefreiheit spricht, nur an Mobilitätsbarrieren gedacht, z. B. Rampen oder Aufzüge, die nicht vorhanden sind, für mobilitätseingeschränkte Menschen aber erforderlich sind. Die Barrierefreiheit betrifft aber genauso Information und Kommunikation, in diesem Bereich engagiere ich mich im hr. PDF-Dokumente sind ein sehr weit verbreitetes und gern genutztes Format. Es ist das Ziel der Schwerbehindertenvertretung, den Zugang zu PDF-Dokumenten für alle Kolleginnen und Kollegen sicher zu stellen. Wichtig ist, dass wir zunächst selbst gut informiert darüber sein müssen, wie Dokumente zu gestalten sind, damit sie die Voraussetzungen für die Barrierefreiheit erfüllen, um konkrete Vorschläge an die Autoren weitergeben zu können. Z. B. sollten Word-Dokumente, die anschließend in eine PDF-Datei umgewandelt werden, sinnvoll strukturiert werden. So sollten lange Texte ein Inhaltsverzeichnis enthalten, um einfacher im Gesamttext navigieren zu können.

Was unternimmt die Schwerbehindertenvertretung im hr, um die Barrierefreiheit zu erreichen?

Sabine Lohner: Bereits im letzten Jahr fand, auf unsere Initiative hin, für Schwerbehindertenvertreter und Personalräte der ARD ein Workshop von BIK@work "Barrierefreie Intranetlösungen" in Hamburg statt, um die Grundlagen der Barrierefreiheit zu vermitteln. Interessenvertreter müssen wissen, wovon sie sprechen, was Barrierefreiheit bedeutet, konkrete Antworten geben können bzw. wissen, welche Experten sie zu Rate ziehen können, wenn Probleme bei der Zugänglichkeit auftreten.

Der kürzlich stattgefundene Workshop zu barrierefreien Dokumenten hat einen weiteren Aspekt abgebildet. Es handelte sich um eine Einführung in Problem und Problemlösung. Für eigene praktische Übungen, sprich die Erstellung eines barrierefreien PDF-Dokuments von Anfang bis Ende, fehlte leider die Zeit sowie die dafür benötigte Software, der Adobe Acrobat Pro. Deshalb rege ich an, für die praktische Umsetzung ergänzend einen Tagesworkshop durchzuführen, in dem unter Anleitung an einer umfangreichen Beispieldatei Vorbereitungen am Ursprungsdokument und die Umwandlung in ein barrierefreies PDF-Dokument geübt werden kann.

Warum sind barrierefreie Dokumente im hr so wichtig?

Sabine Lohner: Gut strukturierte Dokumente sind für alle Kolleginnen und Kollegen besser navigierbar. Für blinde und sehbehinderte Menschen sind diese Anforderungen an Dokumente jedoch unerlässlich, um gleichberechtigt in Arbeitsabläufe eingebunden zu sein und um die an sie gestellten Arbeitsanforderungen im Alltag erfüllen zu können.

Welche Aufgaben haben Sie konkret derzeit als Schwerbehindertenvertreterin?

Sabine Lohner: Meine Aufgaben liegen in den Bereichen Information, Kommunikation und Software. Der hr hat z. B. ein neues Content Management System für die Erstellung des Intranetangebotes eingeführt. Unser Intranetangebot wird im Juni von BIK@work in Abstimmung mit Interessenvertretern und der Fachabteilung geprüft. Der BITV-Test von BIK wird einen ersten Einblick geben, Kriterien der Usuability müssen jedoch aus unserer Sicht ergänzt werden. Wir arbeiten seit einiger Zeit mit BIK@work in unterschiedlichen Projekten zusammen und schätzen die Unterstützung der Experten.

 

Welche Ziele hat die Schwerbehindertenvertretung im hr für die nächsten Jahre?

Sabine Lohner: Wir sind auf einem guten Weg, schon seit einigen Jahren sensibilisieren wir Verantwortliche und Entscheidungsträger im Haus für die Umsetzung der Barrierefreiheit. Es ist entscheidend, dass wir frühzeitig und rechtzeitig, von Beginn an, eingebunden werden, wenn es um Auswahl, Neuanschaffungen und Updates von Software, Datenbanken etc. geht. Nachbesserungen hinsichtlich der Zugänglichkeit sind teuer und aufwendig, führen häufig zu "Insellösungen", und in vielen Fällen ist es gar nicht möglich, die Barrierefreiheit herzustellen. Wir müssen alle Kolleginnen und Kollegen von der Notwendigkeit der gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben überzeugen und auch - z. B. was PDF-Dokumente betrifft - die Schulung von Autoren anregen.

Mein Wunsch ist, dass es langfristig selbstverständlich ist, dass die Belange aller Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von einer Behinderung, von Anfang an berücksichtigt werden und wir in einer 'Gesellschaft für alle' gemeinsam barrierefrei leben und arbeiten können. Alle Menschen profitieren von Barrierefreiheit.

 

Zum Abschluss noch die Frage, welche Aufgabe hat der Verein Bildung Ohne Barrieren e. V.?

Sabine Lohner: Wir bieten Fort- und Weiterbildung für Beruf und Freizeit an. Angefangen von speziellen PC-Kursen für blinde und sehbehinderte Menschen, über Angebote aus dem Bereich Rhetorik bis hin zu Seminaren für Umgangsformen in Beruf und Alltag. Freizeitwochenenden (Reiten, Motorradfahren, Architektur und Städtebau u. a.) runden unser derzeitiges Angebot ab. Mir persönlich ist wichtig, dass wir die Anforderungen, die an blinde und sehbehinderte Menschen vor allem im Berufsalltag gestellt werden, erkennen und daraus passende Angebote entwickeln, die dazu beitragen, die Qualifikation dieses Personenkreises am Arbeitsmarkt und im Beruf zu verbessern.

Das Interview führte Sigrid Meißner.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von BIK@work (www.bik-online.info).

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Christina Schababerle

Emotionale Befindlichkeit blinder und sehbehinderter Menschen bei der eigenständigen Orientierung

Blinde und sehbehinderte Menschen berichten nicht selten von negativen Gefühlen beim eigenständigen Zurücklegen von Wegstrecken. Vielen gelingt es dennoch, regelmäßig alleine unterwegs zu sein, während andere ganz oder teilweise darauf verzichten.

Im Folgenden möchte ich die Ergebnisse einer von mir durchgeführten E-Mail-Befragung unter blinden und sehbehinderten Menschen zur emotionalen Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung darstellen.

Ein für die Untersuchung erstellter Fragebogen erfasste:

  • Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Grad der Sehschädigung, Beginn der Sehschädigung, Wohnsituation, Berufssituation,
  • die Zahl und Art bisheriger Orientierungs- und Mobilitätstrainings,
  • die aktuell eingesetzten Mobilitätshilfen,
  • den aktuellen Grad der Mobilität,
  • die aktuelle emotionale Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung,
  • frühere bereits ganz oder teilweise überwundene emotionale Belastungen und
  • als hilfreich empfundene Faktoren für die Bewältigung.

Die Befragung wurde in mehreren Mailinglisten und Foren zu Blinden- und Sehbehindertenthemen angekündigt. Zwischen September und November 2009 nahmen 77 Personen teil.

Zum Profil der Befragten

Die Teilnehmer der Befragung

  • waren zwischen 16 und 71 Jahren alt mit einem durchschnittlichen Alter von 36,6 Jahren,
  • setzten sich aus 45 Frauen und 32 Männern zusammen,
  • hatten zu 66,2% Fachhochschulreife oder einen höheren Abschluss,
  • waren zu 75,3% berufstätig oder befanden sich in Ausbildung,
  • und lebten überwiegend in Mehrpersonenhaushalten.

Sie unterschieden sich im Grad der Sehbehinderung und im Beginn ihrer Sehschädigung:

  • 68,8% waren vollblind.
  • Alle anderen hatten einen Sehrest unter 60%.
  • 70,1% hatten ihre Sehschädigung in der aktuellen Stärke von Geburt an, oder ihre Sehschädigung hatte sich ab einem Zeitpunkt vor dem Alter von 10 Jahren entwickelt. Diese wurden als Personen mit einem frühen Beginn der Sehschädigung bezeichnet.
  • Bei den restlichen 29,9% hatte sich die Sehschädigung ab einem Zeitpunkt nach dem Alter von 10 Jahren entwickelt. Diese wurden als Personen mit einem späten Beginn der Sehschädigung bezeichnet.

Zur Mobilität der Befragten

  • 87,0% hatten schon mindestens ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert, und 92,2% nutzten Mobilitätshilfen, wobei sich der Blindenlangstock mit 80,5% an erster Stelle befand. Als weitere Mobilitätshilfen wurden der Blindenführhund mit 15,6%, Navigationsgeräte mit 5,2% und sonstige Mobilitätshilfen wie Brillen, Monokulare oder ein Kompass mit 9,1% genannt.
  • 87,0% gaben an, zumindest mehrmals pro Woche alleine unterwegs zu sein, und die Befragten bewältigten größtenteils regelmäßig Wege in anspruchsvoller städtischer Umgebung.
  • 62,3% gaben an, zumindest immer mal wieder alleine unbekannte Wege zu gehen.
  • 58,4% gaben an, zumindest immer mal wieder neue Wege mit einer sehenden Person zu üben.
  • 65,0% äußerten den Wunsch, öfter Wege von einer sehenden Person gezeigt zu bekommen.

Aktuelle Zufriedenheit und Schwierigkeiten

  • Die Zufriedenheit mit der eigenen Mobilität wurde im Durchschnitt als mäßig hoch beurteilt.
  • Die Beeinträchtigung durch unüberwindbare blindheits- oder sehbehinderungsbedingte Grenzen in der Mobilität und die Angst vor Verirren auf unbekannten Wegen wurden als mittelmäßig stark beurteilt.
  • 83,1% gaben an, sich über unangemessenes Verhalten von Passanten zu ärgern.
  • Bezüglich des eigenen Umgangs mit dem Verirren gaben 97,4% an, Ruhe zu bewahren, zu überlegen, woher sie gekommen sind und wie sie zurückfinden könnten und um Hilfe zu bitten, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen.
  • Jedoch erlebten 35,1% beim Verirren emotionale Belastungen, bevor sie handeln können. Diese umfassten: Scham, wie hilflos sie herumlaufen (20,8%), Ärger über sich selbst, weil sie den Weg eigentlich alleine schaffen wollten (15,6%), Traurigkeit über ihr Schicksal (7,8%) und selbst nicht mehr weiter zu wissen und sofort um Hilfe bitten zu müssen (2,6%).
  • Beim Bitten um Hilfe erlebten 44,2% emotionale Belastungen. Diese umfassten: Angst, ins Leere zu sprechen, weil sie nicht merken, ob jemand in ihrer Nähe ist (27,3%), Angst, von den Passanten ignoriert zu werden (11,7%), Angst, sich beim Bitten um Hilfe ungeschickt anzustellen (7,8%), Scham, weil sie es nötig haben, um Hilfe zu bitten (7,8%), Traurigkeit über ihr Schicksal (7,8%), Angst, dass Passanten einen dummen Kommentar abgeben, wenn sie um Hilfe bitten (6,5%) und Angst, dass Passanten die Blindheit oder Sehbehinderung ausnutzen und sie absichtlich in eine falsche Richtung schicken (2,6%).
  • Die Ängste, sich auf bekannten Wegen zu verirren, sich zu verletzen oder angefahren zu werden oder überfallen oder angegriffen zu werden und die Scham, weil andere an den Mobilitätshilfen die Blindheit oder Sehbehinderung erkennen können, wurden eher als gering beurteilt.
  • 49,4% gaben an, dass es in ihrer Umgebung Menschen gibt, die ihnen weniger Mobilität zutrauen als sie sich selbst, wobei sich der Großteil dieser Befragten von diesen Menschen jedoch nicht abhalten ließ, alleine Wegstrecken zurückzulegen.

Frühere Schwierigkeiten und deren Bewältigung

76,6% gaben an, früher Schwierigkeiten gehabt zu haben, die jetzt nicht mehr im gleichen Ausmaß vorhanden sind.

Die Befragten hatten:

  • sich früher weniger Mobilität zugetraut (37,7%),
  • früher größere Angst, sich zu verirren (36,4%),
  • früher größere Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten (36,4%),
  • früher größere Schwierigkeiten, wenn sie sich verirrt hatten (31,2%),
  • früher größere Schwierigkeiten, mit unangemessenem Verhalten von Passanten umzugehen (29,9%),
  • früher größere Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen (27,3%),
  • sich früher mehr geschämt, weil andere an ihren Mobilitätshilfen ihre Blindheit oder Sehbehinderung erkennen konnten (26,0%)
  • früher größere Angst, sich zu verletzen oder angefahren zu werden (19,5%),
  • sich früher häufiger von anderen abhalten lassen, alleine zu gehen (13,0%),
  • und früher größere Angst, überfallen oder angegriffen zu werden (11,7%).

Hilfreich für die Reduktion früherer Schwierigkeiten fanden die Befragten:

  • mehr Sicherheit durch Übung (55,8%),
  • den Austausch mit anderen Blinden und Sehbehinderten (42,9%),
  • die Ermutigung durch einen Orientierungs- und Mobilitätstrainer (39,0%)
  • die Ermutigung durch die Familie oder Freunde (26,0%),
  • mehr Sicherheit durch ihren Führhund (91,7% der Führhundhalter),
  • eine professionelle Beratung oder Therapie (7,8%)
  • und weitere hilfreiche Faktoren, die hauptsächlich in eigenen gedanklichen Veränderungen bestanden (26,0%).

Früh oder spät erworbene Sehschädigung

Um Unterschiede zwischen Personen mit einem frühen und Personen mit einem späten Beginn der Sehschädigung zu untersuchen, wurden für die 23 Befragten mit einem späten Beginn 23 vergleichbare Personen mit einem frühen Beginn ausgewählt.

Ein Gruppenvergleich zeigte:

  • keine statistisch bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der aktuellen emotionalen Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung und teilweise sogar tendenziell weniger Schwierigkeiten bei den Befragten mit einem späten Beginn,
  • ebenfalls keine statistisch bedeutsamen Unterschiede beim Vergleich ganz oder teilweise überwundener früherer Schwierigkeiten,
  • und als einzigen statistisch bedeutsamen Unterschied, dass Personen mit einem späten Beginn häufiger alleine unbekannte Wegstrecken zurücklegten als Personen mit einem frühen Beginn.

Blind oder sehbehindert

Um Unterschiede zwischen blinden und sehbehinderten Personen zu untersuchen, wurden für die 24 sehbehinderten Personen 24 vergleichbare blinde Personen ausgewählt. Ein Gruppenvergleich zeigte:

  • statistisch bedeutsame Unterschiede bei der Angst, sich auf bekannten Wegen zu verirren, und bei der Angst, angegriffen oder überfallen zu werden: Blinde äußerten größere Angst, sich auf bekannten Wegen zu verirren. Sehbehinderte äußerten größere Angst, unterwegs überfallen oder angegriffen zu werden.
  • durchweg mehr frühere ganz oder teilweise überwundene Schwierigkeiten bei blinden Personen: Statistisch bedeutsam waren die Unterschiede bei der Angst, sich zu verirren, bei den Schwierigkeiten, wenn man sich verirrt hatte, und bei den Schwierigkeiten, mit unangemessenem Verhalten von Passanten umzugehen.

Fazit

Die Befragten gaben durchschnittlich eine mäßige emotionale Belastung bei der eigenständigen Orientierung an, wobei sich kaum Unterschiede zwischen den verglichenen Untergruppen zeigten. Auch wenn aufgrund der internetbasierten Durchführung der Befragung unter den Teilnehmern jüngere, besser gebildete, mobilere und vermutlich auch aktivere Blinde und Sehbehinderte überrepräsentiert sind, lassen sich aus den Ergebnissen wesentliche Schlussfolgerungen ableiten: Emotionale Belastungen bei der eigenständigen Orientierung beschränken sich nicht auf Personen, die erst später im Leben blind oder sehbehindert geworden sind. Und vor allem vollständige Blindheit ist in der frühen Phase der eigenständigen Orientierung mit emotionalen Belastungen verbunden.

Dass es den meisten Befragten gelungen ist, frühere Schwierigkeiten zu reduzieren, und dass vor allem die eigene Übung, die Ermutigung durch Orientierungs- und Mobilitätstrainer, durch andere Blinde und Sehbehinderte und durch nahe stehende Personen dafür als hilfreich erlebt wurden, lässt vermuten, dass sich die gezielte Erfassung von emotionalen Belastungen und der gezielte Einsatz von Bewältigungsstrategien im Rahmen von Orientierungs- und Mobilitätstrainings als förderlich für die weitere Mobilität erweisen könnten.

Zur Autorin

Christina Schababerle ist 1981 geboren, ist seit ihrem 14. Lebensjahr blind, studierte von 2002 bis 2008 Psychologie in Tübingen und befindet sich aktuell in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin bei der Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie. Weitere Details der Befragung sind im Internet unter "horus 3/2010" online einsehbar, Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Motiv in der Schwarzschriftausgabe: Portraitfoto von Christina Schababerle. Die Autorin schaut freundlich in Richtung der Betrachtenden (Foto: privat).

horus-Additiv

Zur Langfassung des Beitrags geht es über diesen internen Link.

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Aus der Arbeit des DVBS

Michael Herbst

Die DVBS-Selbsthilfetage - ein Notizzettel füllt sich

Ich bin schon ein bisschen nervös, als ich von der Vorstandssitzung kommend, den blista-Speisesaal betrete. Erstmals bin ich als Geschäftsführer allein verantwortlich für die DVBS-Selbsthilfetage. Es ist doch noch eine erkleckliche Zahl von Anmeldungen geworden. Rund 80 Leute sind beim Stelldichein, und dank familiärer Unterstützung sind diesmal offenbar ausreichend Helferinnen und Helfer vorhanden. Ein Mitglied trägt mir die Idee vor, eine DVD-Reihe mit Atemübungen im Textservice zu vertreiben. Man käme auch ohne Bild aus, sagt sie, schließlich sei sie mit der Autorin befreundet. Wir verabreden uns zum Telefonieren. Notiert! Ein anderes Mitglied bitte ich, uns für den Rest des Jahres bei der Produktion von Beiträgen für "Ansicht" und "Intern" zu helfen. Viel Hoffnung mache ich mir nicht, andere haben inzwischen auch gemerkt, was er kann. Aber zu meiner großen Freude ist er nicht nur bereit dazu, er freut sich regelrecht darauf. Erst recht notiert. Die Stimmung ist gut, scheint mir, auch wenn einige "Stammgäste" dieses Mal leider absagen mussten. Gegen Mitternacht geht"s nach Hause: runterkommen, einschlafen und ziemlich früh wieder aufwachen.

Bei der Fachgruppe "Medien" wird Freitagmorgen um 9:00 Uhr die DAISY-Broschüre "Blinde und Sehbehinderte in Medienberufen" vorgestellt. Was ich höre, klingt gelungen. Während man in der Fachgruppe zu der Einsicht gelangt, dass man die Mailingliste nur revitalisiert, wenn mindestens ein Mitglied regelmäßig inhaltlichen Input gibt, wechsele ich zur Fachgruppe "MINT".

Die dort versammelten Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker überraschen mich mit der Nachricht, sie wollten in einer Arbeitsgruppe die Aufspracheregeln für wissenschaftliche Literatur überarbeiten und damit ins DAISY-Zeitalter befördern. Die Übernahme der anfallenden Kosten kann ich zusagen und rege an, sich die "DAISY-Standards" anzusehen, die die "Mediengemeinschaft für Blinde und Sehbehinderte" entwickelt hat. Außerdem schlage ich vor, ein Mitglied des Textservice-Teams einzubeziehen. Weniger fällt mir zur neuen Zertifizierungspraxis des JAWS-Herstellers Freedom Scientific für Braillezeilentreiber ein. Man einigt sich darauf abzuwarten, bis man sagen kann, wie viele Zeilen wegen fehlender Treiber unter "Jaws 11.0" tatsächlich nicht laufen, ehe man ggf. aus dem DVBS heraus die Stimme erhebt.

Ab zur Fachgruppe "Sozialwesen". Dort diskutiert man engagiert über die Unwägbarkeiten der Berufsvermittlung Blinder und Sehbehinderter im "Post-Hartz-IV-Zeitalter". Ich lerne, dass es auch blinde Berufsvermittler gibt. Drei von ihnen sind anwesend. Noch bevor ich hier einen Arbeitsauftrag einsammeln kann, holt mich mein Vorsitzender per Mobiltelefon in den Speisesaal.

Dort stellt er mir Andreas Carstens vor. Der hat den DVBS auf dem im September in Saarbrücken stattfindenden EDV-Gerichtstag inhaltlich und mit einem Infostand untergebracht. Prima! Jetzt geht es um logistische und personelle Unterstützung durch die Geschäftsstelle. Ich sage ihm eine Fragenliste zu, die er sich mit dem Veranstalter abzuarbeiten bereit erklärt, und wechsle zu Carla Schopmans und Lisa Dyck, die für 2011 ein einwöchiges "Psychodrama-Seminar" vorbereiten. Das Programm harrt der lyrischen Überarbeitung und wir brauchen einen Kosten- und Finanzierungsplan, ehe wir uns an die Förderanträge machen können. Aufgabenverteilung, Aufbruch... - da klingelt mein Handy: Der Berufsverband der Augenärzte hat doch noch einen Kollegen gefunden, der an der Podiumsdiskussion am Samstagnachmittag teilnimmt.

Für eine Stunde geht"s an den Schreibtisch in der Geschäftsstelle: E-Mails prüfen und letzte Vorbereitungen für die MV, dann geht es zurück an die blista zum Treffen der FI-Redakteure. Nein, ein Seminar zu Audiobearbeitung wünschen sich die Macherinnen und Macher unserer Fachinformationsdienste nicht unbedingt, aber ein Kurs in Sprecherziehung wäre schön, höre ich in schwäbisch gefärbtem Deutsch. Ob man denn die FIs nicht viermal jährlich auf einer einzigen CD veröffentlichen könnte, wird gefragt. Eine spannende Idee und eine, über die nicht nur ich etwas länger nachdenken muss.

Erneuter Ortswechsel und ein Moment der Ruhe, des Zuhörens: Im Softwarecenter ist der Bühnenaufbau für den kulturellen Abend schon fertig. Lothar Littmann singt und spielt sich ein. Bandkollege Ronny Peterburs betreut die Technik, ich habe einen Mitschnitt versprochen. Am Ende sind wir begeistert vom Auftritt, der Künstler hingegen ist an diesem Abend nicht zufrieden mit seiner Leistung: ein Perfektionist. Wieder ist es spät geworden. Bevor ich ins Taxi steige, bittet mich ein Mitglied darum, mich um Marburger Taxifahrer zu kümmern, die - aus welchen Gründen auch immer - keine Blindenführhunde transportieren wollen. Vermerkt.

Noch eine eher kurze Nacht. Dann sitze ich im Bürgerhaus Marbach, denn Cappel war dieses Mal nicht zu bekommen. Ich schreibe Protokollnotizen, darf hin und wieder auch etwas sagen und moderiere am Nachmittag die Podiumsdiskussion. Hernach vereinbare ich mit SPD-Politiker Dr. Spies das weitere Vorgehen in Sachen "kleine Anfrage zur Hilfsmittelversorgung Blinder und Sehbehinderter durch die gesetzlichen Krankenkassen". Auf dem Rückweg meldet sich ein Mitglied zur Mitarbeit im "Gemeinsamen Fachausschuss für Umwelt und Verkehr" an, auch er landet auf meinem Notizzettel.

Dann ist"s geschafft. Das beinahe vollständige Geschäftsstellenteam sitzt mit dem Vorstand beim traditionellen "Eisessen danach". Ein Vorstandsmitglied und ich schleichen uns nach nebenan und nehmen ein Pils. Die Themen, die Ideen der letzten 48 Stunden ziehen an uns vorbei. Inspiriert und motiviert schauen wir nach vorne. Ein Blick auf den Notizzettel verrät, es ist noch viel zu tun.

Wahlergebnisse vom 26.05.2010

Gewählt wurden die folgenden Fachgruppenleiterinnen und -leiter:

Ausbildung
  • Lisa-Janina Dyck, 37083 Göttingen
  • Hanna Hagenauer, Eschersheimer Landstr. 80, 60322 Frankfurt, Telefon: 069 26405012
  • Immanuel Kühnle, Ernst-Lemmer-Str. 101, 35041 Marburg, Telefon: 06421 499065
  • Marc Schlarb, Ernst-Lemmer-Str. 101, App. 208, 35041 Marburg, Telefon: 06421 590641

Mailadresse des Leitungsteams: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Fachgruppe Erziehung und Wissenschaft
  • Werner Gläser, Wittbecker Str. 9, 29229 Celle, Telefon: 05086 1627, E-Mail: werner-glaeser(at)hustedt-celle.de
  • Alexandra Grünauer, Universitätsstr. 49, 35037 Marburg, Telefon: 06421 163125, E-Mail: al.gruenauer(at)gmx.de
Fachgruppe Jura
  • Harald Schoen, Swinemünder Str. 19, 10435 Berlin, Telefon: 030 42085880, E-Mail: fg-jura(at)harald-schoen.de
  • Katrin Auer, Prinz-Albert-Str. 19, 53113 Bonn, E-Mail: auer.katrin(at)email.de
  • Klaus Düsterhöft, Bahnhofstr. 21, 19205 Gadebusch, Telefon: 03886 3240, E-Mail: ra-duesterhoeft(at)t-online.de
MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)
  • Ernst-Dietrich Lorenz, Rotkehlchenweg 22, 30627 Hannover, Telefon: 0511 573453
  • Andreas Althoff, Am Schützenrain 3, 35091 Cölbe, Telefon: 06421 484448
  • Oliver Nadig, Sachsenring 4, 35041 Marburg, Telefon: 06421 1664602

Mailadresse des Leitungsteams: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Medien
  • Heiko Kunert, BSVH Hamburg e. V., Holsteinischer Kamp 26, 22081 Hamburg, Telefon: 040 20940429, E-Mail: heiko.kunert(at)hamburg.de
  • Andrea Katemann, Ernst-Lemmer-Str. 14, 35041 Marburg, Telefon: 06421 85388, E-Mail: andrea.katemann(at)gmx.de
  • Stefan Müller, Klarenbachstr. 10, 10553 Berlin, Telefon: 030 43729040, E-Mail: steve_m2(at)gmx.de
  • Rudolf Ullrich, Am Schlag 8, 35037 Marburg, Telefon: 06421 606235, E-Mail: oea(at)blista.de

Die Schwarzschriftausgabe enthält Motive, die unter dem Stichwort "BU: Impressionen von den DVBS-Selbsthilfetagen 2010" zusammengestellt sind: Karsten Warnke und Uwe Boysen, Claus Duncker, Brigitte Faber, Uwe Bruchmüller, Andrea Katemann, Dr. Johannes-Jürgen Meister sowie Lothar Littmann, der seine "Ohrenzeugen" am Freitagabend begeisterte, auf dem Foto zugleich lesend und vortragend (Fotos: DVBS itrol).

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Terminvorschau

  • 22. bis 29. August 2010: Kulturwoche Hamburg: Blinde, sehbehinderte und sehende Künstler aus ganz Deutschland zu Gast in Hamburg. Veranstaltungstipp: "Sunday Morning Tea Party" - Rock von Adams bis ZZ-Top. Getragen von der markanten Stimme ihres blinden Frontmannes Michael Herbst spielt die Marburger Band Hits aus vier Rockdekaden. Mittwoch 25.08., Markthalle, 21.00 Uhr.
  • 4. September 2010:DVBS-Vorstandssitzung, Marburg.
  • 10. bis 11. September 2010: Symposium "Europa blind verstehen" - die Einbindung der Organisation der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe in die Arbeit der Europäischen Blindenunion und ihre Gremien, Marburg.
  • 17. bis 19. September 2010:Bundesweites Treffen blinder und sehbehinderter Studierender der DVBS-Fachgruppe Ausbildung, Osnabrück
  • 8. bis 15. Oktober 2010: Woche des Sehens
  • 9. bis 16. Oktober 2010:Seminar "Altern und Blindheit" der DVBS-Gruppe Ruhestand, Saulgrub.
  • 13. November 2010: Sitzung des Arbeitsausschusses des DVBS, Marburg.
  • 19. bis 21. November 2010:Seminar zur Auseinandersetzung mit dem Sehverlust, DVBS-Fachgruppe Sozialwesen, Bad Endorf.
  • 24. bis 28. Januar 2011: Orchesterleitungsseminar der DVBS-Fachgruppe Musik, Hannover
  • 28. bis 29. Januar 2011: Notennetzwerktreffen der DVBS-Fachgruppe Musik, Hannover
  • 10. bis 13. Februar 2011: Seminar "Nicht sehend - nicht blind" der DVBS-Fachgruppe Sehbehinderte, Herrenberg

Weitere Informationen zu den Terminen finden Sie unter www.dvbs-online.de/php/aktuell.php

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Aus der blista

Absolventen der Carl-Strehl-Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista), Marburg

Beste Glückwünsche nach Wangerland in Niedersachsen bis Hauzenberg in Bayern: Zum Bestehen ihrer Prüfungen gratulieren wir unseren erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen und ihren stolzen Familien!

Gymnasium:

Dzeneta Bajrektarevic, Josef Bauer, Fabian Baur, Rena de Buhr, Christian Drews, Leonie Finke, Christian Gröting, Lydia Hänsel, Mirko Hasse, Sophie Heidemann, Bianca Höfer, Richard Hurtienne, Timo Janssen, David Knors, Silke Köstler, Christian Krautschneider, Andreas Kup, Hendrik Langenfurth, Christina Müller, Tim Peters, Ricarda Ramünke, Anja Remus, Thade Rosenfeldt, Jens Sakelsek, Gesa Schierwater, Detlef-Engelbert Schneider, Nora Schotten, Demet Seven, David Volkmann, Oliver Weyershäuser.

Berufl. Gymnasium - FR Wirtschaft:

Ömer Akyurt, Denise Evers, Christian Fuchs, Denise Gatzweiler, Livia Kinel, Sarah-Melina Kurz, Kian Mohebbian, Andre Platen, Karl Sander, Tobias Walter.

Fachoberschule - FR Sozialwesen:

Nina Arndt, Lisa Brunner, Melanie Fleischmann, Anastasia Fritzler, Mandy Groß, Dominic Konrad Rettke, Gina Röttel, Naina Singh, Lennart Suchanek, Florian Richard Weiß, Nina Zeiler.

Fachoberschule -FR Wirtschaft:

Josephine Krtschil, Jennifer Mai, Edgar Schneider, Matthias Schuler.

Abschlussprüfung zur Kaufmännischen Assistentin für Fremdsprachensekretariate:

Miriam Löber und Melanie Pelka.

IT-Absolventen:

Arthur Rakk, Oliver Decker, Ali Savas, Annika Hein und Andreas Becker.

Die Schwarzschriftausgabe enthält zwei Motive, das eine zeigt die fünf IT-Absolventen, das andere alle weiteren erfolgreichen Abgänger der blista.

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Impressum

Herausgeber:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion:

  • für den DVBS: Michael Herbst, Andrea Katemann und Dr. Imke Troltenier
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Rudi Ullrich und Marika Winkel

Koordination:

Dr. Imke Troltenier, Geschäftsstelle des DVBS, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Telefon: 06421 9488813, Fax: 06421 9488810, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.):

Michael Herbst (DVBS) und Rudi Ullrich (blista)

Erscheinungsweise:

Der "horus" erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

Jahresbezugspreis:

22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe, 5 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres.

Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonten des DVBS:

Sparkasse Marburg-Biedenkopf, (BLZ 533 500 00), Konto 280

Commerzbank AG Marburg, (BLZ 533 400 24), Konto 3 922 945

Postbank Frankfurt, (BLZ 500 100 60) Konto, 149 949 607

Verlag:

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg | ISSN 0724-7389

  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Die Herausgabe der Zeitschrift "horus" wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der "Glücksspirale" unterstützt.

Titelbild

Behinderte Dialoge: Szenen aus der Theaterarbeit mit blinden und sehbehinderten Jugendlichen innerhalb der Carl-Strehl-Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista). Vergleiche hierzu auch den Artikel "Wie ein Getreidefeld im Sturm" ... Fotos: Monika Saßmannshausen (blista)

Layout: Dr. Imke Troltenier

Nächste Ausgabe (horus 4/2010):

Schwerpunktthema: "BRK konkret"

Erscheinungstermin: 15. November 2010

Anzeigenannahmeschluss: 15. Oktober 2010

Redaktionsschluss: 24. September 2010

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Leserbriefe

Erwin Boldt

Horus 2/2010 - Punktschriftanalyse

Hallo, guten Tag Herr Dr. Hahn,

mit großer Freude habe ich Ihren außerordentlich gründlich und nach allen Seiten durchdachten Beitrag über L. Brailles Punktschrift angehört. Ihre Analyse des Systems und wie es eventuell noch logischer hätte erstellt werden können, war umfassend und sehr schön nachvollziehbar. Wie tiefgehend er (L. B.) und Sie über das letztlich so oder so ideale System nachgedacht und Schlussfolgerungen gezogen haben, ist mir nach Ihrem Beitrag erst so richtig aufgegangen!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr "Punktschriftliebhaber" Erwin Boldt (71 J., Angestellter beim Amtsgericht Kiel seit 1956 und Rentner seit 1999)

PS: Zu einer weiteren nicht ganz unbedeutenden Facette seiner großartigen Erfindung, nämlich der Blindenschachschrift, habe auch ich im letztjährigen "horus" in meinem Beitrag Louis Braille ein Denkmal gesetzt.

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Dieter Somann

Windows 7 in der 64-Bit-Version unter Cobra

In seinem Artikel "Windows 7 - Was hat es mit diesem Betriebssystemnachfolger von Windows Vista auf sich?" aus "Horus" 2/2010 schreibt Herr Krauße: "Wie ich bereits weiter oben schrieb, teste ich Windows 7 64-BIT sowie die angegebenen Anwendungen mit den Screenreadern "JAWS", "WINDOW-EYES" und "COBRA". Nachdem mir im Sommer 2009 Windows Vista Enterprise 32-BIT und Mitte Dezember Windows 7 Enterprise 64-BIT bei der Installation von jeweils einer neuen Beta von COBRA zerstört wurde, so dass ich den Rechner neu aufsetzen musste, habe ich den Test mit COBRA eingestellt. Der Fehler äußerte sich dahingehend, dass sich der Windows Explorer nicht mehr starten ließ; auch eine System-wiederherstellung war nicht durchzuführen."

Auch ich zähle seit langem zu den Beta-Testern der Firma Baum-Retec und ihrem Produkt Cobra. Die von Herrn Krauße geschilderten Probleme sind für mich *NICHT* nachvollziehbar. Auch aus dem Kreise anderer Beta-Tester sind mir derartige Schwierigkeiten nicht bekannt geworden.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang natürlich erst einmal, dass es sich um *BETA*-Tests handelte - bei denen naturgemäß mit dem Auftreten von Problemen zu rechnen ist. Da ich aber davon ausgehe, das einem versierten User - und ich denke mal, nur ein solcher wird sich auf einen Beta-Test einlassen - diese Tatsache bekannt ist, dürften hier wohl entsprechende Vorkehrungen für einen unproblematischen Restore eines Systems getroffen worden sein.

Seit langem wird von mir Windows 7 in der 64-Bit-Version unter Cobra auf mehreren PC eingesetzt und ich konnte hier bisher keinerlei Probleme feststellen- weder in den von Herrn Krauße angesprochenen Beta-Versionen und erst recht nicht mit der aktuell veröffentlichten Cobra-Version 9.0. Die Nichtberücksichtigung (aufgrund zweier *BETA*-Tests) eines ernst zu nehmenden Screenreaders wie Cobra ihn darstellt halte ich für problematisch.

Mit freundlichem Gruß

Dieter Somann

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ADDITIV

Christina Schababerle

Langfassung: Emotionale Befindlichkeit blinder und sehbehinderter Menschen bei der eigenständigen Orientierung

- Ausführlicher Bericht -

Nicht selten berichten blinde und sehbehinderte Menschen, im Zusammenhang mit dem eigenständigen Zurücklegen von Wegstrecken, von negativen Gefühlen wie Angst, Scham, Ärger oder Traurigkeit. Die Angst, sich zu verirren, Scham aufgrund der eigenen Einschränkung und Ärger über unangemessenes Verhalten von Passanten sind nur einige Beispiele. Vielen blinden und sehbehinderten Menschen gelingt es dennoch, Wegstrecken eigenständig zurückzulegen. Andere wiederum erleben trotz eines erfolgreich absolvierten Orientierungs- und Mobilitätstrainings die eigenständige Orientierung als so belastend, dass sie weitestgehend oder ganz darauf verzichten.

In diesem Bericht möchte ich die Ergebnisse einer von mir durchgeführten E-Mail-Befragung unter blinden und sehbehinderten Menschen zur emotionalen Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung darstellen. Das Ziel bestand darin, den Einfluss von Grad und Beginn der Sehschädigung zu erforschen und Anregungen für Strategien zur Bewältigung eventueller emotionaler Belastungen zu gewinnen.

Ein eigens für die Untersuchung erstellter Fragebogen erfasste:

  • allgemeine Angaben wie Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Grad der Sehschädigung, Beginn der Sehschädigung, Wohnsituation, Berufssituation,
  • die Zahl und Art bisheriger Orientierungs- und Mobilitätstrainings,
  • die aktuell eingesetzten Mobilitätshilfen,
  • den aktuellen Grad der Mobilität,
  • die aktuelle emotionale Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung,
  • frühere bereits ganz oder teilweise überwundene emotionale Belastungen und
  • als hilfreich empfundene Faktoren für die Bewältigung.

Die Beantwortung der Fragen erfolgte durch Ankreuzen zutreffender Antwortalternativen oder eines Zahlenwertes auf einer fünfstufigen Skala. Anfang September 2009 wurde die Befragung in mehreren Mailinglisten und Foren zu Blinden- und Sehbehindertenthemen angekündigt. Interessierte erhielten den Fragebogen per E-Mail zugeschickt. Eine vertrauliche Behandlung personenbezogener Informationen und eine anonymisierte Auswertung der Daten wurde versichert. Zwischen September und November 2009 nahmen 77 blinde und sehbehinderte Personen an der Befragung teil.

Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung des sehr umfangreichen Ergebnismaterials.

Zum Profil der Befragten

  • Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Befragung waren zwischen 16 und 71 Jahren alt mit einem durchschnittlichen Alter von 36,6 Jahren,
  • setzten sich aus 45 Frauen und 32 Männern zusammen,
  • wiesen mehrheitlich einen hohen Bildungsgrad auf (Nur 33,8% hatten einen Schulabschluss unterhalb der Fachhochschulreife.),
  • waren zu 75,3% berufstätig oder befanden sich in einer Ausbildung oder in einem Studium,
  • und lebten überwiegend in Mehrpersonenhaushalten (29,9% lebten alleine).

Die Gruppe der Befragten war damit deutlich jünger, deutlich besser gebildet und deutlich häufiger berufstätig als die Grundgesamtheit der blinden und sehbehinderten Personen.
Die Befragten unterschieden sich im Grad der Sehbehinderung und im Beginn ihrer Sehschädigung:

  • 68,8% bezeichneten sich als vollblind.
  • Alle anderen hatten einen Sehrest unter 60%.
  • 70,1% hatten ihre Sehschädigung in der aktuellen Stärke von Geburt an, oder ihre Sehschädigung hatte sich ab einem Zeitpunkt vor dem Alter von 10 Jahren entwickelt. Diese Personen wurden in der Untersuchung als Personen mit einem frühen Beginn der Sehschädigung bezeichnet.
  • Bei den restlichen 29,9% hatte sich die Sehschädigung ab einem Zeitpunkt nach dem Alter von 10 Jahren entwickelt. Diese Personen wurden als Personen mit einem späten Beginn der Sehschädigung bezeichnet.

Zur Mobilität der Befragten

  • 87,0% der Befragten hatten schon mindestens ein Orientierungs- und Mobilitätstraining absolviert, und 92,2% nutzten Mobilitätshilfen, wobei sich der Blindenlangstock mit 80,5% an erster Stelle befand. Als weitere Mobilitätshilfen wurden der Blindenführhund mit 15,6%, Navigationsgeräte mit 5,2% und sonstige Mobilitätshilfen wie Brillen, Monokulare oder ein Kompass mit 9,1% genannt.
  • 87,0% der Befragten gaben an, zumindest mehrmals pro Woche alleine unterwegs zu sein, und die Befragten bewältigten größtenteils regelmäßig Wege in anspruchsvoller städtischer Umgebung.
  • 62,3% gaben an, zumindest immer mal wieder alleine unbekannte Wege zu gehen.
  • 58,4% gaben an, zumindest immer mal wieder neue Wege mit einer sehenden Person zu üben.
  • 65,0% äußerten den Wunsch, öfter Wege von einer sehenden Person gezeigt zu bekommen.

Aktuelle Zufriedenheit und Schwierigkeiten

Insgesamt zeigte sich, dass sich die Befragten bei der eigenständigen Orientierung einer mäßigen emotionalen Belastung ausgesetzt fühlten.

  • Die Zufriedenheit mit der eigenen Mobilität wurde im Durchschnitt als mäßig hoch beurteilt.
  • Die Beeinträchtigung durch unüberwindbare blindheits- oder sehbehinderungsbedingte Grenzen in der Mobilität und die Angst vor Verirren auf unbekannten Wegen wurden als mittelmäßig stark beurteilt.
  • 83,1% der Befragten gaben an, sich über unangemessenes Verhalten von Passanten zu ärgern.
  • Bezüglich des eigenen Umgangs mit dem Verirren gaben 97,4% der Befragten an, Ruhe zu bewahren, zu überlegen, woher sie gekommen sind und wie sie zurückfinden könnten und um Hilfe zu bitten, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen.
  • Jedoch erlebten 35,1% beim Verirren emotionale Belastungen, bevor sie handeln können. Diese umfassten: Scham, wie hilflos sie herum laufen (20,8%), Ärger über sich selbst, weil sie den Weg eigentlich alleine schaffen wollten (15,6%), Traurigkeit über ihr Schicksal (7,8%) und selbst nicht mehr weiter zu wissen und sofort um Hilfe bitten zu müssen (2,6%).
  • Beim Bitten um Hilfe erlebten 44,2% der Befragten emotionale Belastungen. Diese umfassten: Angst, ins Leere zu sprechen, weil sie nicht merken, ob jemand in ihrer Nähe ist (27,3%), Angst, von den Passanten ignoriert zu werden (11,7%), Angst, sich beim Bitten um Hilfe ungeschickt anzustellen (7,8%), Scham, weil sie es nötig haben, um Hilfe zu bitten (7,8%), Traurigkeit über ihr Schicksal (7,8%), Angst, dass Passanten einen dummen Kommentar abgeben, wenn sie um Hilfe bitten (6,5%) und Angst, dass Passanten die Blindheit oder Sehbehinderung ausnutzen und sie absichtlich in eine falsche Richtung schicken (2,6%).
  • Die Ängste, sich auf bekannten Wegen zu verirren, sich zu verletzen oder angefahren zu werden oder überfallen oder angegriffen zu werden und die Scham, weil andere an den Mobilitätshilfen die Blindheit oder Sehbehinderung erkennen können, wurden eher als gering beurteilt.
  • 49,4% gaben an, dass es in ihrer Umgebung Menschen gibt, die ihnen weniger Mobilität zutrauen als sie sich selbst, wobei sich der Großteil dieser Befragten von diesen Menschen jedoch nicht abhalten ließ, alleine Wegstrecken zurückzulegen.

Frühere Schwierigkeiten und deren Bewältigung

76,6% gaben an, früher Schwierigkeiten gehabt zu haben, die jetzt nicht mehr im gleichen Ausmaß vorhanden sind.

Die Befragten hatten:

  • sich früher weniger Mobilität zugetraut (37,7%),
  • früher größere Angst, sich zu verirren (36,4%),
  • früher größere Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten (36,4%),
  • früher größere Schwierigkeiten, wenn sie sich verirrt hatten (31,2%),
  • früher größere Schwierigkeiten, mit unangemessenem Verhalten von Passanten umzugehen (29,9%),
  • früher größere Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen (27,3%),
  • sich früher mehr geschämt, weil andere an ihren Mobilitätshilfen ihre Blindheit oder Sehbehinderung erkennen konnten (26,0%),
  • früher größere Angst, sich zu verletzen oder angefahren zu werden (19,5%),
  • sich früher häufiger von anderen abhalten lassen, alleine zu gehen (13,0%),
  • und früher größere Angst, überfallen oder angegriffen zu werden (11,7%).

In der frühen Phase der eigenständigen Orientierung waren somit zahlreiche emotionale Belastungen vorhanden, die die heute sehr mobilen Befragten recht erfolgreich bewältigen konnten.

Als Antwort auf die Frage, was für die Reduktion früherer Schwierigkeiten als hilfreich empfunden wurde, nannten die Befragten:

  • mehr Sicherheit durch Übung (55,8%),
  • den Austausch mit anderen Blinden und Sehbehinderten (42,9%),
  • die Ermutigung durch einen Orientierungs- und Mobilitätstrainer (39,0%),
  • die Ermutigung durch die Familie oder Freunde (26,0%),
  • mehr Sicherheit durch ihren Führhund (91,7% der Führhundhalter),
  • eine professionelle Beratung oder Therapie (7,8%),
  • und weitere hilfreiche Faktoren, die hauptsächlich in eigenen gedanklichen Veränderungen bestanden (26,0%).

Gruppenvergleich: früh oder spät erworbene Sehschädigung

Um Unterschiede zwischen Personen mit einem frühen Beginn der Sehschädigung und Personen mit einem späten Beginn der Sehschädigung zu untersuchen, wurden für die 23 Befragten mit einem späten Beginn aus der größeren Gruppe der Personen mit einem frühen Beginn 23 vergleichbare Personen ausgewählt. Als vergleichbar galt eine Person, wenn keine oder fast keine Unterschiede im Geschlecht, im Alter, im Grad der Sehschädigung und im Bildungsgrad bestanden. Beispielsweise wurde für eine 35-jährige spät erblindete Frau mit Realschulabschluss eine 38-jährige geburtsblinde Frau mit Realschulabschluss als vergleichbar betrachtet.

Ein Vergleich der beiden Gruppen ergab

  • keine statistisch bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der aktuellen emotionalen Befindlichkeit bei der eigenständigen Orientierung und teilweise sogar tendenziell weniger Schwierigkeiten bei den Befragten mit einem späten Beginn,
  • ebenfalls keine statistisch bedeutsamen Unterschiede beim Vergleich ganz oder teilweise überwundener früherer Schwierigkeiten,
  • und als einzigen statistisch bedeutsamen Unterschied, dass Personen mit einem späten Beginn häufiger alleine unbekannte Wegstrecken zurücklegten als Personen mit einem frühen Beginn, was damit begründet werden könnte, dass Menschen, bei denen die Sehschädigung erst später im Leben aufgetreten ist, zuvor eine höhere Mobilität hatten und deshalb möglicherweise mehr Motivation entwickelten, sich viele Wege zu erarbeiten.

Gruppenvergleich: blind oder sehbehindert

Um Unterschiede zwischen blinden und sehbehinderten Personen zu untersuchen, wurden für die 24 sehbehinderten Personen aus der größeren Gruppe der blinden Personen nach dem beschriebenen Verfahren (s. o.) 24 vergleichbare blinde Befragte ausgewählt.

Ein Vergleich der beiden Gruppen zeigte:

  • statistisch bedeutsame Unterschiede bei der Angst, sich auf bekannten Wegen zu verirren, und bei der Angst, angegriffen oder überfallen zu werden: Blinde äußerten größere Angst, sich auf bekannten Wegen zu verirren als Sehbehinderte. Dies kann damit begründet werden, dass eine Sehbehinderung in erster Linie in unbekannter Umgebung eine Beeinträchtigung darstellt. Interessanterweise gaben sehbehinderte Personen eine stärkere Angst an, unterwegs überfallen oder angegriffen zu werden.
  • durchweg mehr frühere ganz oder teilweise überwundene Schwierigkeiten bei blinden Personen: Statistisch bedeutsam waren die Unterschiede bei der Angst, sich zu verirren, bei den Schwierigkeiten, wenn man sich verirrt hatte, und bei den Schwierigkeiten, mit unangemessenem Verhalten von Passanten umzugehen.

Fazit

Die Befragten gaben im Durchschnitt eine mäßige emotionale Belastung bei der eigenständigen Orientierung an, wobei sich kaum bedeutsame Unterschiede zwischen den verglichenen Untergruppen zeigten. Auch wenn aufgrund der internetbasierten Durchführung der Befragung unter den Teilnehmern jüngere, besser gebildete und mobilere Blinde und Sehbehinderte, und vermutlich auch solche, die sich mit ihrer Behinderung aktiv auseinandersetzen, überrepräsentiert sind, lassen sich aus den Ergebnissen doch wesentliche Schlussfolgerungen ableiten: Emotionale Belastungen bei der eigenständigen Orientierung treten auch bei Personen mit einem frühen Beginn der Sehschädigung auf und beschränken sich nicht auf Personen, die später im Leben blind oder sehbehindert geworden sind. Und vor allem das vollständige Fehlen visueller Informationen ist in der frühen Phase der eigenständigen Orientierung mit emotionalen Belastungen verbunden, die im Lauf der Zeit bewältigt werden müssen.

Dass es der Mehrzahl der befragten Personen gelungen ist, frühere Schwierigkeiten zu reduzieren, und dass vor allem die eigene Übung, die Ermutigung durch Orientierungs- und Mobilitätstrainer, durch andere Blinde und Sehbehinderte und durch nahe stehende Personen dafür als sehr hilfreich erlebt wurden, lässt vermuten, dass sich die gezielte Erfassung von emotionalen Belastungen und der gezielte Einsatz von Bewältigungsstrategien im Rahmen von Orientierungs- und Mobilitätstrainings als förderlich für die weitere Mobilität erweisen könnten.

Zur Autorin

Christina Schababerle ist 1981 geboren, ist seit ihrem 14. Lebensjahr blind, studierte von 2002 bis 2008 Psychologie in Tübingen und befindet sich aktuell in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin bei der Tübinger Akademie für Verhaltenstherapie. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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