Horus 3/2016

Schwerpunkt-Thema Horus 3/2016: "Punktschrift".

Titelbild: Punktschriftlernen während der Blindentechnischen Grundrehabilitation. Foto: blista/Bruno Axhausen. Das Foto zeigt einen Ausschnitt der Unterrichtssituation: Fünf Personen sitzen gemeinsam an einem Tisch, im Vordergrund rechts hat ein jugendlicher Schüler Papier in die blaue, handliche "Eurotype" Braille-Schreibmaschine, die vor ihm auf dem Tisch steht, eingespannt. Er trägt ein dunkelblaues Sweatshirt. Im Hintergrund sind seine Mitschüler und ihre mechanischen Braille-Maschinen nur unscharf oder teilweise zu sehen. Eine Hand holt mit langem Arm aus einem Karton in der Mitte des Tisches neues Punktschrift-Papier.

Inhalt

Vorangestellt

Liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich kaum zu glauben, was man mit sechs Punkten alles darstellen kann. Die Leistungen von Louis Braille mit der Erfindung der Brailleschrift sind gar nicht hoch genug zu bewerten. Es ist die einzige universelle Schrift, die ich kenne. Selbst die arabischen Ziffern haben weltweit nicht diese Verbreitung. Ob in Korea oder den USA, in Spanien oder Tibet, alle blinden Menschen können mit diesen sechs Punkten kommunizieren.

Dennoch höre ich immer die Frage: „Wieso arbeitet ihr an der blista eigentlich noch mit der Punktschrift?“ Bei all den neuen technischen Errungenschaften, die jetzt für blinde und sehbehinderte Menschen zur Verfügung stehen. Faszinierende Möglichkeiten ergeben sich durch Apps für Smartphones, Sprachausgaben und Spracherkennungen.

Einen lebendigen Beweis, wie aktuell und spannend Punktschrift sein kann, konnten die 4000 Besucher des „Louis Braille Festival“ erleben. Lesungen von Joana Zimmer und Sabriye Tenberken, Aktionen zur Blinden-Notenschrift und „Der Längste Wunschzettel der Welt“, bei dem die Festivalbesucher ihre Wünsche für eine inklusive Zukunft auf einem Streifenschreiber notieren konnten. Die sechs Punkte von Louis Braille waren überall präsent und sind weiterhin die Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe, ob im Unterricht an der blista oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Davon erzählen auch die Beiträge in diesem horus. So berichten Vivian Aldridge und Richard Heuer in ihren Fachbeiträgen darüber, wie die Blindenkurzschrift stetig modernisiert und für den Lesenden vereinfacht wird. Fanny Bui und Ralph Binnewerg lenken unseren Fokus auf die koreanische Halbinsel. Sie beschreiben den Punktschriftgebrauch speziell in Nordkorea und wie dort erst allmählich die technischen Errungenschaften wie Braillezeilen und Sprachausgaben ankommen.

Das „Louis Braille Festival“ war sicher ein Höhepunkt unserer Jubiläumsfeierlichkeiten 2016. Einige Impressionen aus dem bunten, vielfältigen Festivalgeschehen finden Sie in dieser Ausgabe. Ein weiterer Höhepunkt wird der gemeinsam von blista und DVBS am Donnerstag, dem 22. September ausgerichtete Festakt „100 Jahre 100 Talente“ werden.

Dazu laden wir Sie herzlich in die frisch eröffnete Marburger Stadthalle ein, Der Schirmherr unseres Jubiläumsjahres, Altbundespräsident Horst Köhler, hat sein Kommen ebenso zugesagt wie die „Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen“ der Bundesregierung, Verena Bentele.

Ich freue mich darauf, viele von Ihnen bei diesem Anlass im September wiederzutreffen. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Spaß und Erkenntnis bei der Lektüre dieser Ausgabe!

Herzlichst,

Ihr

Claus Duncker

Foto mit Bildunterschrift: "Claus Duncker ist Direktor der blista. Foto: Bruno Axhausen. " Bildbeschreibung: Ein Mann mit grauen Haaren, Brille, einem gemusterten Hemd, roter Krawatte und dunklem Jackett.

In eigener Sache

Mirien Carvalho Rodrigues neu in der horus-Redaktion

Aus heiterem Himmel kam der Anruf von Andrea Katemann und die Frage, ob ich in der horus-Redaktion mitarbeiten wollte. So nehme ich, Jahrgang 1969 und seit 25 Jahren DVBS-Mitglied, mit Begeisterung einen alten Faden in veränderter Form wieder auf. Während meines Dolmetscherstudiums hatte ich die Redaktion des FI Ausbildung eine Zeit lang inne.

Meine Liebe zu Sprachen machte ich zum Beruf und erfüllte mir als freiberufliche Konferenzdolmetscherin mit dem Schwerpunkt Brasilien einen lang gehegten Traum.

Zahlreiche prägende Auslandsaufenthalte gaben mir die Möglichkeit, immer neue Denkweisen und Lebenswelten kennen zu lernen, nicht zuletzt auch auf dem Gebiet der Behindertenselbsthilfe, auf dem mich ein Praktikum bei der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung in Irland 1999 einen großen Schritt nach vorne brachte. Während der Fußball-WM 2014 berichtete ich aus Brasilien für die Aktion Mensch über die Situation von Menschen mit Behinderungen im Gastgeberland.

Meine wichtigsten Weiterbildungen machte ich im Bereich barrierefreier Tourismus und – erst im letzten Jahr – zur Schriftdolmetscherin. Letztere führte zu einer erdrutschartigen Veränderung – seit diesem Frühjahr bin ich hauptberuflich als angestellte Schriftdolmetscherin tätig.

Als Mitglied der horus-Redaktion freue ich mich auf einen anregenden Gedankenaustausch mit der übrigen Redaktion, vor allem aber auch mit Euch und Ihnen.

Foto mit Bildunterschrift: "Mirien Carvalho Rodrigues ist neues Mitglied in der horus-Redaktion. Foto: privat." Bildbeschreibung: Eine Frau mit grauen Haaren steht, mit einer schwarzen Bluse und einem grauen Kostüm bekleidet, am Fußgänger-Überweg des Marburger Bahnhofs und lächelt in die Kamera.

DVBS-Downloadlösung implementiert

Pünktlich zum Louis Braille Festival hat auch der DVBS ein wichtiges Projekt abgeschlossen: die Downloadlösung für Abonnements. Wie zahlreiche interne Tests sowie ein aktueller Testlauf exklusiv für Abonnentinnen und Abonnenten von horus digital gezeigt haben, ist die Lösung voll funktionsfähig und einsatzbereit. Nach Empfang einer E-Mail mit Download-Link können Interessierte nun einfach, sicher und schnell größere Datenmengen oder Dateien erhalten. "Die Alternative zur herkömmlichen CD-ROM spart Zeit und Ressourcen", freut sich Projektleiter Willi Gerike. Die horus-Redaktion gratuliert herzlich zum erfolgreichen Projektabschluss!

Wenn auch Sie den horus künftig im Download-Abo beziehen möchten, senden Sie eine E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Wer momentan horus digital erhält und eine E-Mail-Adresse hinterlegt hat, findet nähere Infos bereits in seinem Postfach.

horus 4/2016: "Megatrend Digitalisierung"

Das Schwerpunktthema der Ausgabe 4/2016 lautet "Megatrend Digitalisierung". Dies ist auch das Thema der DVBS-Fachtagung am 23. September 2016 im Rahmen des 100-jährigen Bestehens von DVBS und blista. horus 4/2016 wird thematisch vor allem auf die Fachtagung eingehen und sich mit der aktuellen Arbeitswelt beschäftigen, die durch Digitalisierung geprägt ist. Die Ausgabe gibt dabei etwa Antworten auf die Fragen: „Wie gelingt es Blinden und Sehbehinderten, diese zu nutzen?“ und „Welche Strategien, Hilfsmittel und Einflussmöglichkeiten gibt es, um spezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen, damit mehr Betroffene gute Arbeit leisten können?“

Senden Sie uns Ihre Beiträge per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Texte für den Schwerpunkt können bis zu 10.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) lang sein, allgemeine Berichte bis zu 4.000 Zeichen, kürzere Meldungen bitte nicht länger als 2.000 Zeichen. Redaktionsschluss ist der 4. Oktober 2016.

Ihr und Euer

André Badouin

Schwerpunkt Punktschrift

Ralph Binnewerg und Fanny Bui

Brailleschrift auf der koreanischen Halbinsel

Die von Louis Braille erfundene Blindenschrift beruht auf den lateinischen Buchstaben. Doch nicht jede Sprache der Welt nutzt dieses Alphabet. Die koreanische Schrift zum Beispiel ist ganz anders. Trotzdem wird auf der koreanischen Halbinsel Braille sehr aktiv verwendet, und zwar in beiden Teilen.

Woher wir das wissen? Wir engagieren uns im Verein "ZUSAMMEN - Bildungszentrum für Gehörlose, Blinde und Nichtbehinderte Kinder Hamhung e.V.", kurz – ZUSAMMEN-Hamhung. Unsere Organisation bemüht sich um Entwicklungszusammenarbeit für und mit gehörlosen und blinden Menschen in Nordkorea. Im Rahmen dieses Engagements haben wir uns unter anderem mit dem Thema Braille befasst. Natürlich haben wir durch die Vereinsarbeit mehr Informationen zur Situation im Norden als zu der im Süden. Deshalb wird sich dieser Artikel auch auf den Norden konzentrieren. Beginnen möchten wir aber dennoch mit ein paar interessanten Informationen zu den Anfängen der koreanischen Brailleschrift, die wir auf der südkoreanischen Website von KBS World Radio gefunden haben. In einem Artikel vom 19.04.2012 heißt es dort unter anderem:

Die Anfänge der Brailleschrift in Korea

"...Es dauerte bis zum Jahr 1926, dass eine Punktschrift für die koreanische Schrift Hangeul entwickelt wurde. (...) Erschaffer der Schrift war Park Du-seong. Park Du-seong wurde am 26. April 1888 auf der Gyodong-Insel vor Incheon geboren. (...) 1913 wurde er als Lehrer an die Abteilung für Blinde in der Bildungseinrichtung Jesaengwon berufen, dem Vorgänger der heutigen Nationalen Blindenschule Seoul. Noch im selben Jahr ließ er eine Prägemaschine aus Japan kommen und zunächst Lehrbücher in der japanischen Brailleschrift drucken. Als die japanischen Machthaber nach der Unabhängigkeitsbewegung vom 1. März 1919 den Koreanischunterricht in den Schulen abschaffen wollten, protestierte Park aufs heftigste dagegen. „Die Sehenden können mit ein wenig Anstrengung immer lesen und schreiben lernen, aber die Blinden? Wenn man ihnen ihre Muttersprache nimmt, dann werden sie auch noch stumm. Ist es das, was ihr wollt?“, waren seine Worte. Ein Jahr später gründete er gemeinsam mit einigen seiner Schüler ein geheimes Komitee zur Entwicklung einer koreanischen Brailleschrift. Nach sechsjährigen Studien und Experimenten wurde die Schrift am 4. November 1926 der Öffentlichkeit präsentiert. Es war der Jahrestag der Verkündung des koreanischen Alphabetes durch König Sejong im Jahr 1446. Mit dieser Schrift konnten nun alle Vokale und Konsonanten der koreanischen Schrift mit Hilfe von sechs Punkten dargestellt werden. Zur Verbreitung der Schrift verschickte Park Du-seong unter anderem Lehrmaterialien an blinde Menschen, die sich keinen Schulbesuch leisten konnten, und bot ihnen Fernunterricht an. (...) Park Du-seong starb am 25. August 1963 im Alter von 75 Jahren. (...) Nach seinem Tod wurde die von ihm erfundene koreanische Brailleschrift von seinen Schülern weiterentwickelt und nach einer Reihe von Verbesserungen und Ergänzungen 1994 offiziell als Standard der koreanischen Blindenschrift anerkannt."

Die koreanische Brailleschrift ist in ihrer Umsetzung mit keiner anderen Brailleschrift vergleichbar. So sehen zum Beispiel gleich gesprochene Konsonanten in Braille vom Punktmuster her immer gleich aus, aber weil die koreanische Schrift Hangul zwischen Anfangs- und Endkonsonanten unterscheidet, musste dieser Unterschied auch in der Brailleschrift umgesetzt werden. Ob es sich um einen Anfangs- oder Endkonsonanten handelt, erkennt der koreanische Braille-Leser daran, wo er platziert ist. Bei Konsonanten, die nur aus einer Kombination der drei senkrechten Punkte bestehen, steht der Endkonsonant links (also z.B. Punkte 1 und 2), der Anfangskonsonant rechts (also Punkte 4 5). Braucht ein Konsonant die ganze Breite des Sechserfeldes, steht der Konsonant oben (z.B. Punkte 1 2 4), wenn er am Anfang des Wortes gesprochen wird. Er steht unten (also in diesem Fall Punkte 2 3 5), wenn er am Ende stehen soll.

Fanny Bui in Korea

Dass Süd- und Nordkorea sich zwar eigentlich nach einer Wiedervereinigung sehnen, derzeit aber zwei Staaten mit komplett unterschiedlichen Gesellschaftssystemen sind, die sich eher feindlich gegenüberstehen und wenig voneinander wissen, schlägt sich auch beim Thema Braille nieder. Im November 2014 hatte Fanny Bui im Rahmen einer Veranstaltung der Weltblindenunion Asia Pacific die Möglichkeit, einigen Vertretern des südkoreanischen Blindenverbandes ein paar nordkoreanische Brailledruckerzeugnisse zu übergeben. Sie erinnert sich noch sehr gut an die fast kindliche Freude und Spannung, mit der die Südkoreaner diese "in Fingerschein" nahmen. Mit glücklichem Erstaunen stellten sie fest, dass sie die Schrift der Nordkoreaner lesen konnten und sie sich nur ganz wenig von ihrer eigenen Schrift unterschied.

Die Brailleschrift in Nord- und Südkorea

Tatsächlich unterscheidet sich die nordkoreanische Punktschrift lediglich in zwei Zeichen von der südkoreanischen. Doch die Nordkoreaner legen auf diesen Unterschied sehr viel wert. Im Norden leben die Menschen nämlich nach der "Juche-Ideologie". Diese betont ihre Souveränität und Unabhängigkeit. In Sachen Braille nimmt das zum Teil schon skurrile Züge an. Denn man weigert sich strikt, südkoreanische Entwicklungen für sich in größerem Umfang zu verwenden. Dies führt dazu, dass es bisher weder einen Screenreader noch ein Übersetzungsprogramm für Brailledrucker in Nordkorea gibt, obwohl beides im Süden längst existiert.

Dennoch wird in Nordkorea sehr viel Wert auf die Brailleschrift gelegt. Es gibt drei Blindenschulen im Land mit Schülern zwischen 6 und 21 Jahren. Jeder Schüler, der in eine dieser Schulen eingeschult wird, hat mit der ersten Klasse zu beginnen. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Ziel ist, dass jeder von ihnen zunächst Braille lesen und schreiben lernt. Später können dann gern auch Klassen übersprungen werden, aber die Beherrschung der Brailleschrift ist dafür die unbedingte Voraussetzung. Wer erst im Erwachsenenalter erblindet, erlernt die Punktschrift in einer der landesweit 63 Werkstätten für Blinde, an denen es auch kleine Blindenbibliotheken gibt.

Nach allem, was wir bei unseren Besuchen in Nordkorea (Fanny Bui 2014 und Ralph Binnewerg 2016) erfahren haben, gehen wir bei weitem nicht davon aus, dass tatsächlich alle Betroffenen im Land von den staatlichen Institutionen erreicht werden. Doch während bei der Förderung blinder Menschen auf die Entwicklung von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bisher kaum wert gelegt wird, spielt die Bildung für die Verantwortlichen eine große Rolle und die Alphabetisierung der Blinden genießt hohe Priorität.

Der Brailleverlag in Nordkorea

Wir hatten auch beide die Möglichkeit, uns den Brailleverlag des Landes sowie Blindenschulen anzusehen. An den Schulen wird noch immer vorrangig mit Punktschrifttafeln geschrieben, und das Schreibtempo hat uns beide wirklich beeindruckt. Punktschriftmaschinen gibt es nur sehr wenige und uns schien, dass sie nicht häufig genutzt werden. Im Brailleverlag sind die Konsequenzen des unbedingten Unabhängigkeitswillens der Nordkoreaner jedoch am deutlichsten zu sehen. Da die Eigenentwicklung der Software noch nicht beendet wurde, ist bisher nur ein durch unseren Verein gespendeter Drucker gelegentlich in Betrieb. Ansonsten wird noch nach der alten Druckmethode mit Blechmatrizen verfahren. Man hat sich von uns unbedingt größere und effizientere Drucker gewünscht. Ohne eine entsprechende, funktionsfähige Software hätten diese allerdings wenig Chancen auf Einsatz. Ein weiteres Problem bereitet die Haltbarkeit des verwendeten einheimischen Papiers.

Als Betrieb ist der Brailleverlag sehr interessant. Hier arbeiten Menschen mit verschiedenen Behinderungen gemeinsam mit Nichtbehinderten. Der Vizedirektor, der bereits seit über 40 Jahren in der 1962 gegründeten Institution tätig ist, ist selbst blind. Vorrangig werden Lehrbücher für die Schulen gedruckt und natürlich haben auch die Werke der inzwischen drei großen nordkoreanischen Führer Kim Il Sung, Kim Jong Il und Kim Jong Un hohe Priorität. Aber auch Romane, Notenbücher oder wissenschaftliche Werke werden hergestellt. Daneben bringt der Verlag auch drei Zeitschriften heraus, die zum Teil von blinden Journalisten zusammengestellt werden. Dazu fahren sie in die Blindenwerkstätten und besuchen Schulen, um aktuelle Themen zu recherchieren.

Von der Möglichkeit, Brailleschrift am Computer über Brailledisplays zu lesen, haben die Nordkoreaner erstmals durch ein Projekt des Vereins ZUSAMMEN- Hamhung im Jahr 2013 erfahren. Ein blinder Mitarbeiter eines Hilfsmittelherstellers gab damals einen Kurs für ausgewählte Schüler der drei Blindenschulen und Mitarbeiter des Brailleverlages. Eine Verbreitung der Technologie scheitert derzeit jedoch, da es immer noch keinen mit den in Nordkorea üblicherweise genutzten Programmen kompatiblen Screenreader gibt.

Insgesamt lässt sich sagen, dass es einiges zu tun gäbe, um die Nordkoreaner in ihrem Anliegen zu unterstützen, die Brailleschrift zu erhalten und weiter zu verbreiten. Leider schränkt jedoch das von den Verantwortlichen strikt vertretene Unabhängigkeitsprinzip die Möglichkeiten einer sinnvollen Unterstützung stark ein. Technische Geräte können ohne entsprechende Software nicht genutzt werden. Schreibtafeln für die Schulen und haltbares Papier für den Brailleverlag könnten durchaus hilfreich sein. Als Sachspenden kommen diese Dinge direkt den blinden Menschen zugute. Wer uns diesbezüglich unterstützen möchte, findet Informationen auf unserer Website www.together-hamhung.org.

Zu den Autoren:

Fanny Bui, geboren am 11.3.1978, ist von Geburt an blind. Nach dem Abitur absolvierte sie erfolgreich ihr Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Mittweida und ist heute als Vermittlerin im Jobcenter Chemnitz tätig. Ehrenamtlich engagiert sich Bui in der Entwicklungszusammenarbeit beim Verein "Zusammen Hamhung" e.V., dem es darum geht, blinden und gehörlosen Menschen in Nordkorea zu helfen. 2014 besuchte sie im Rahmen einer Delegation der Weltblindenunion Nordkorea und hatte den Vereinsvorsitz von ZUSAMMEN-Hamhung e.V. von 2014 bis 2016 inne.

Ralph Binnewerg ist Promotionsstudent der Geschichte an der TU Chemnitz und wurde am 24.01.1977 geboren. Er engagiert sich in seiner Heimatstadt Chemnitz u.a. bei einem ehrenamtlichen Begleitservice für blinde Menschen sowie im Patenprogramm für ausländische Studierende der technischen Universität Chemnitz. Sein besonderes Interesse für Ostasien im Allgemeinen und Nordkorea im Speziellen brachte ihn zum Verein "Zusammen Hamhung e.V.", dessen Vorsitz er derzeit innehat. In diesem Rahmen besuchte er im Juni und Juli 2016 Nordkorea, China und Japan, um u.a. die Lebenswelt blinder Menschen in diesen Ländern kennen zu lernen und neue Kontakte zu knüpfen.

Der Beitrag enthält vier Fotos.

Foto 1 mit Unterschrift: "Der Brailleverlag in Nordkorea. Foto: privat." Bildbeschreibung: Eine koreanische Mitarbeiterin und ein koreanischer Mitarbeiter des Brailleverlages vervielfältigen Punktschrifterzeugnisse nach der alten Druckmethode mit Hilfe von Blechmatrizen.

Foto 2: Unterschrift: "Ein Reliefkalender für Blinde aus dem Jahr 1989 - zu DDR-Zeiten arbeitete man mit der DZB Leipzig zusammen. Foto: privat."

Bildbeschreibung: Auf dem Bild ist ein Wandkalender für Blinde aus dem Jahr 1989 zu sehen. Der Untertitel lautet: „Blühende Zimmerpflanzen“. Als Herausgeber ist die „Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig“ genannt.

Foto 3 Autorenfoto. Unterschrift: "Fanny Bui (links) während ihres Besuchs in Nordkorea 2014 mit dem Vizedirektor des Brailleverlages. Foto: privat." Beschreibung: Auf der linken Seite befindet sich eine junge Frau mit dunkelblonden, langen Haaren, einem dunkelblauen Oberteil und einer schwarzen Umhängetasche. Sie schüttelt die Hand des Vizedirektors des Brailleverlages, der – auf der rechten Seite des Bildes stehend - eine Sonnenbrille, ein dunkelblaues, kurzärmliges Hemd sowie einen roten Anstecker mit zwei Gesichtern, die nicht erkennbar sind, trägt.

Foto 4 Autorenfoto. Unterschrift: "Ralph Binnewerg bei seinem Besuch in Nordkorea. Foto: privat." Beschreibung: Ein junger Mann mit Brille und Umhängetasche in dunkler Kleidung schaut vor der Kulisse einer Großstadt mit einem verschmitzten Ausdruck direkt in die Kamera.

Richard Heuer gen. Hallmann

Neuerungen im deutschen Punktschriftsystem 2016

Menschliche Sprache lebt. Sie ist einem ständigen Änderungsprozess unterworfen, unabhängig davon, ob sie gesprochen und gehört oder geschrieben und gelesen wird. Auch die Schriftsprache blinder Menschen – „Brailleschrift“, „Braille“, „Punktschrift“ oder „Blindenschrift“ genannt – muss sich diesen Änderungen anpassen.

Das Brailleschriftkomitee

Das zuletzt 1998 veröffentlichte Regelwerk zur deutschen Brailleschrift wurde in den vergangenen Jahren vom „Brailleschriftkomitee der Deutschsprachigen Länder“ (BSKDL) grundlegend überarbeitet. Im Brailleschriftkomitee vertreten sind:

  • Vivian Aldridge, Basel, Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS),
  • Marlies Bochsler (Schriftführerin), Zürich, Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte (SBS),
  • Richard Heuer gen. Hallmann (Vorsitzender), Dortmund, Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS),
  • Anja Lehmann, Leipzig, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV),
  • Ernst-Dietrich Lorenz, Hannover, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV),
  • Gisela Lütgens, Marburg, Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen (MEDIBUS),
  • Rose-Marie Lüthi, Zürich, Deutschschweizer Blindenschriftkommission (DBK),
  • Erich Schmid, Wien, Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ).

Mit Beschluss vom 14. November 2015 in Frankfurt wurde ein überarbeitetes Regelwerk angenommen, das im Laufe dieses Jahres als Braille- und Schwarzschriftdruckausgabe veröffentlicht werden soll. Diese Ausgaben sind dann zu beziehen bei:

  • Deutsche Blindenstudienanstalt, Am Schlag 2-12, 35037 Marburg/Lahn, Tel.: +(49)-06421/606-0 und
  • Deutsche Zentralbücherei für Blinde, DZB, Gustav-Adolf-Straße 7, D-04105 Leipzig, Tel.: +(49)-0341/7113-0.

Die Brailledruckausgabe der aktualisierten Systematik erscheint weiterhin in zwei Bänden, die aber jetzt insgesamt etwa 130 Seiten mehr Text umfassen.

Elektronische Fassungen werden auf der Webseite des BSKDL zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt: www.bskdl.org.

Nach einer längeren Anpassungszeit, in der sowohl das System von 1998 als auch das System von 2015 angewandt werden dürfen, soll ab 1. Januar 2018 nur noch das neue Regelwerk zum Einsatz gelangen. Grundlegende Änderungen gibt es nicht, da sich das bisherige System in Ausbildung, Beruf und Freizeit bewährt hat. Einige Korrekturen, Modifikationen, Ergänzungen und Klarstellungen sind aus heutiger Perspektive jedoch wünschenswert und mussten in das Regelwerk aufgenommen werden. Die 2005 vom Brailleschriftkomitee vorgenommenen Korrekturen und Ergänzungen zur Ausgabe von 1998 sind in das überarbeitete Regelwerk ebenso eingearbeitet wie die 2011/2012 in verschiedenen Zeitschriften der Blindenselbsthilfe publizierten Neuerungen zur Brailleschriftsystematik.

Ergänzungen 2015

Verglichen mit der Systematik von 1998 enthält das überarbeitete Brailleschriftregelwerk für den deutschsprachigen Raum folgende Erweiterungen bzw. Ergänzungen:

  1. Regeln zur Wiedergabe zusätzlicher Klammersymbole und anderer Zeichen der Schwarzschrift,
  2. Zusammenstellung einer Liste mit brailleschrifttechnischen Hilfs- und Zusatzzeichen,
  3. Vorschriften für Brailleschriftübertragungsklammern zur einheitlichen Kennzeichnung von Anmerkungen der Punktschriftübertragerin bzw. des Punktschriftübertragers,
  4. Festlegung eines Symbols zur Wiedergabe eines zweiten (alternativen) Aufzählungszeichens,
  5. Einführung einer Technik für eine zweite (alternative) Hervorhebung,
  6. Einführung eines Zeichens zur Wiedergabe von Binnengroßschreibung,
  7. Aufnahme einer Liste von Buchstaben mit diakritischen Zeichen bzw. von Ligaturen aus dem Französischen und Italienischen (Amtssprachen in der Schweiz) in das Kapitel über Akzentbuchstaben,
  8. Erweiterung des Kapitels über Computerbraille um eine tabellarische Darstellung der wichtigsten Zeichen des Computerbraillesystems auf 6-Punkt-Basis,
  9. Festlegung von Regeln zur Wiedergabe von Satzzeichen in Wörtern,
  10. Aufnahme eines Kapitels, das sich mit allgemeinen Fragen der Übertragung von Schwarzschrift in Brailleschrift beschäftigt.

Änderungen 2015

Wichtige Änderungen im Vergleich zur Systematik von 1998 sind:

  1. Die Kurzschriftregeln zur Wiedergabe von Texten in alter Rechtschreibung (Orthografieregeln vor 1998) werden aufgegeben. Es gilt nun nur noch ein Übertragungsregelwerk, unabhängig davon, in welcher Rechtschreibvariante die Vorlage verfasst ist.
  2. Die Regeln im Hinblick auf Kürzungen vor und nach Wortstämmen werden geringfügig geändert:
  • Die Kürzung für die Buchstabenfolge „aus“ vor Wortstämmen entfällt.
  • Die Regeln zur Anwendung der Kürzungen für „ex“ und „pro“ werden geändert. Bisher war es unklar, ob diese Buchstabenfolgen nur vor Wortstämmen angewandt werden durften. Jetzt sind „ex“ und „pro“ Lautgruppenkürzungen, die bedeutungsunabhängig am Wortanfang genutzt werden. Deshalb werden diese beiden Kürzungen nun in dem Kapitel aufgeführt, das sich mit Lautgruppen beschäftigt.
  • Die Kürzungen für „mal“ und „wärts“ im Anschluss an Wortstämme dürfen bei zusammengesetzten Wörtern nicht mehr im Wortinneren verwendet werden.
  1. Nachdem die Kürzung für „ion“ bereits 1984 in ihrer Anwendung eingeschränkt wurde, wird sie nun abgeschafft. Insbesondere in Eigennamen hat sie häufig zu Verständnisunsicherheiten geführt.
  2. Auf sechs zweiformige Wortkürzungen wird künftig verzichtet:
  • Da die Buchstabenfolgen „BL“, „FR“, „PH“ und „SP“ häufig am Wortanfang vorkommen, hat die Anwendung der zweiformigen Kürzungen für „blind“, „frag“, „philosoph“ und „sprach“ insbesondere bei zusammengesetzten Wörtern häufig zu Leseschwierigkeiten geführt. Ob die Buchstabenfolge oder die Kürzung gemeint ist, war für zeichenweise lesende Menschen in vielen Fällen nicht auf Anhieb erkennbar. Diese Kürzungen werden nun abgeschafft.
  • Auch die zweiformige Kürzung für „nichtig“ hat sich in der Praxis nicht bewährt und wird aufgegeben. Damit entfällt die Sonderregel für die Wiedergabe des westafrikanischen Staats- und Flussnamens „Niger“ in Kurzschrift.
  • Auf die Kürzung „MN“ für „Mann“ wird künftig verzichtet, weil das Teilwort „mann“ Bestandteil vieler Namen ist, dort aber zweiformige Wortkürzungen nicht angewandt werden dürfen. Außerdem war es in Wörtern manchmal zu Leseschwierigkeiten gekommen, die die Buchstabenfolge „mn“ enthalten.
  1. Die Regeln zur Anwendung des Umlautungspunkts werden geringfügig eingeschränkt: Die Kürzungen für „auf“, „hab“, „hoff“, „kapital“, „soll“ und „woll“ dürfen künftig nicht mehr „umgelautet“ werden.
  2. Im Hinblick auf die Frage, ob Kürzungen angewandt werden dürfen oder nicht, gewinnt die Beachtung von Wortstämmen wieder an Bedeutung. So dürfen beispielsweise die Buchstabenketten „Hab“ in „Habicht“, „Lang“ in „Languste“, „sind“ in „Gesinde“ und „stell“ in „Pastellfarbe“ nicht gekürzt werden, weil sie dort keine Wortstämme sind. Die Buchstabenfolge „em“ darf in „Management“ nicht gekürzt werden, weil eine Wortstammgrenze (hier zum Suffix „ment“) ignoriert würde. Die 1998 angestrebte Aufweichung sprachmorphologischer Grundsätze hat sich in der Praxis nicht bewährt.
  3. Die für die Textschrift relevanten Neuregelungen des 2015 vom Brailleschriftkomitee der Deutschsprachigen Länder neu herausgegebenen Systems der Mathematikschrift in der deutschen Brailleschrift sind in das neue Regelwerk eingearbeitet. Auch für „Nichtmathematiker“ sind einige Änderungen von Bedeutung:
  • Analog zur Textschrift kündigt das Braillezeichen ⠿⠘ (punkte 4,5) nun auch in der Mathematikschrift lateinische Großbuchstaben an. Das Zeichen ⠿⠨ (punkte 4,6) besagt jetzt auch in der Mathematikschrift, dass es sich beim nächsten Buchstaben um einen lateinischen Großbuchstaben handelt, an den sich ein oder mehrere lateinische Kleinbuchstaben anschließen.
  • Griechische Buchstaben werden in der Text- und der Mathematikschrift einheitlich durch Voranstellen des Zeichens ⠿⠰ (Punkte 5,6) gekennzeichnet. Griechischen Großbuchstaben wird zusätzlich das Zeichen ⠿⠘ (Punkte 4,5) oder ⠿⠨ (Punkte 4,6) vorangestellt; das Großbuchstabenkennzeichen wird unmittelbar vor den ersten Großbuchstaben gesetzt.
  • Die Regel, dass in der deutschen Brailleschrift bei Hochstellung zwischen Exponenten und hinteren oberen Indizes unterschieden werden muss, wird aufgegeben. Das bislang zur Ankündigung von Exponenten angewandte Zeichen ⠿⠬ (Punkte 3,4,6) wird abgeschafft. Das Braillezeichen ⠿⠌ (Punkte 3,4) gilt künftig einheitlich als Ankündigungszeichen sowohl für Exponenten als auch für obere Indizes, also allgemein für Hochstellungen.
  • Durften bei Hoch- und Tiefstellungen bislang nur ganze positive Zahlen in „gesenkter“ Form dargestellt werden, so wird diese Möglichkeit künftig auf negative ganze Zahlen ausgeweitet.
  • Das Gradzeichen wird in der Text- und in der Mathematikschrift einheitlich mit ⠿⠈⠴ (Punkte 4-3,5,6) wiedergegeben.
  1. Das in der Blindenschriftsystematik von 1998 aufgeführte Zeichen ⠸⠇ (Punkte 4,5,6-1,2,3) für den senkrechten Strich entfällt. Im Zuge der Einführung eines alternativen (zweiten) Aufzählungszeichens wird er nun durch ⠿⠐⠤ (Punkte 5-3,6) dargestellt.
  2. Die Weltlautschrift für Blinde, deren deutsches Regelwerk in der Schriftenreihe „Marburger Systematiken der Blindenschrift“ 1938 erschienen ist, wurde von einer Arbeitsgruppe des „International Council on English Braillle“ (ICEB) vor einigen Jahren überarbeitet und als „IPA Braille: An Updated Tactile Representation of the International Phonetic Alphabet“ 2008 im ICEB-Auftrag vom „Canadian National Institute for the Blind“ (CNIB) veröffentlicht. Um dieses internationale Lautschriftsystem für den deutschen Sprachraum übernehmen zu können, muss die Darstellung phonetischer Klammern – bisher einheitlich Punkte 5,6-2,3,5,6 für öffnende und schließende Klammer – geändert werden.
  3. Als vermeidbare Sonderregeln der Brailleschrift im Vergleich zur Schwarzschrift werden aufgegeben:
  • Die Empfehlung, Maßeinheiten nach Möglichkeit ohne Leerfeld unmittelbar an Zahlen anschließen zu lassen,
  • Das Artikelzeichen, weil es in Schwarzschrift nicht existiert,
  • Die Sonderregelung in Bezug auf Binnengroßschreibung, wenn durch ein großes I gleichzeitig die weibliche und männliche Form angezeigt wird, das I durch einen Schrägstrich mit nachfolgendem kleinen i zu ersetzen.

Die Aufgabe, „Das System der deutschen Brailleschrift“ neu herauszugeben, wurde selbstverständlich als Chance genutzt, das bisherige Regelwerk redaktionell und sprachlich grundlegend zu überarbeiten. Es wurden zahlreiche Beispiele hinzugefügt, das Literaturverzeichnis und die Kontaktdaten der Blindenschriftverlage aktualisiert sowie Tippfehler und andere „Ungereimtheiten“ vermindert.

Zum Autor:

Richard Heuer gen. Hallmann, Jahrgang 1955, ist Diplompolitologe und Diplompädagoge. Seit 1984 arbeitet er an der FernUniversität in Hagen und leitet dort den Arbeitsbereich "Audiotaktile Medien" im Zentrum für Medien und IT.

Insidern ist Richard Heuer auch unter dem Spitznamen "Genannt" bekannt. In der Tat verbirgt sich hinter der ungewöhnlichen - geburtsurkundlich dokumentierten und insoweit rechtlich unumstrittenen - Form seines Doppelnamens eine originelle Familiengeschichte, deren Tradition man daher auch für die nachfolgende Generation bewahrt hat.

Foto mit Bildunterschrift: "Im Jahr 2015 erfuhr die Punktschrift einige Änderungen. Foto: DVBS." Bildbeschreibung: Zu sehen ist eine Hand, die eine Punktschriftseite liest.

Friederike Kaivers

Die Vermittlung der Punktschrift – Bericht aus der Praxis einer Rehabilitationslehrerin für blinde und sehbehinderte Menschen

Als ich selbst mit zwölf Jahren 1968 durch einen Autounfall erblindet war, brachten mir meine Eltern das Punktschrift-ABC mit ins Krankenhaus und ich begann zu lernen. Endlich hatte ich etwas Geisterfüllendes zu tun! Aus dem Krankenhaus entlassen, kam der Verbindungslehrer aus Düren und brachte mir die Lernfibel von Heimers. Eine Punktschriftmaschine kauften meine Eltern und bis zum Eintritt in die Blindenschule hatte ich mit ihrer Unterstützung die Vollschrift erlernt. Nur hatte mir niemand das beidhändige Lesen erklärt, so dass ich erst Jahre später auch meine zweite Hand ausbildete und damit mein Lesetempo steigern konnte.

Nach meinem Studium der Sozialpädagogik absolvierte ich beim Institut IRIS in Hamburg die Ausbildung zur Reha-Lehrerin in LPF. Deren Bestandteil war auch die Vermittlung der Brailleschrift. Das war für mich natürlich kein Thema mehr bis auf das Erlernen und die Vermittlung des beidhändigen Lesens. In der Praxis ist häufig das beidhändige Lesen nicht möglich, wenn ein Schlaganfall oder eine Spastik die Armbewegung verhindert.

Sollen „lebenspraktische Fähigkeiten“ (LPF) unterrichtet werden, so ist der Bereich Kommunikationsfähigkeit einer der am häufigsten gewählten Schwerpunkte. Im telefonischen Erstkontakt mit blinden oder sehbehinderten Menschen spielt der Verlust des Nicht-mehr-lesen- und -schreiben-könnens eine wesentliche Rolle.

Für das Lernen ist man nie zu alt

Auch für das Erlernen der Punktschrift gibt es keine Altersgrenze. Hier kommt es vielmehr auf die Motivation und auf die Lust zu lernen an. Dies kann zum Beispiel den Wunsch, sich wieder eigene Notizen wie Adressen und Telefonnummern zu machen, sich Lebensmittel- und Medikamentenverpackungen oder CDs zu beschriften, betreffen. Oder auch ein Tagebuch zu führen und schließlich wieder Bücher und Zeitschriften, Kochrezepte oder das Radio- und TV-Programm lesen zu können. Das Lesetempo eines sehenden Menschen wird zwar nicht mehr erreicht werden; es genügt aber, um sinnvoll und zufriedenstellend langweilende Stunden auszufüllen.

Meine älteste Lernpartnerin hat mit 81 Jahren die Vollschrift, und zwar in Jumbo-Schrift, erlernt. Diese Schrift zeichnet sich durch den größeren Abstand zwischen den einzelnen Punkten aus, die Punkte selbst sind nicht vergrößert.

Punktschrift als Bereich der Frühförderung

In meiner jetzt fast dreißigjährigen Tätigkeit als Reha-Lehrerin hatte ich im Rahmen der Frühförderung regelmäßigen Kontakt zu blinden Kindern im Vorschulalter. Sehenden Kindern wird die Schrift, die sog. Schwarzschrift (schwarz auf weiß), bereits seit ihrer frühen Kindheit ohne Mühen seitens der Eltern nahegebracht. Überall begegnen sehende Kinder ihrer Schrift: über herumliegende Zeitungen und Bücher, das Fernsehen, das Namensschild an der Haustür und bei den großen Buchstaben der Eisfahne vor dem Eissalon. Diese ganz frühen Schrifteindrücke bleiben dem blinden und auch oft dem sehbehinderten Kind verborgen. Es ist nicht erforderlich, dem blinden Kind das Punktschrift-Alphabet bis zum Eintritt in die Schule beigebracht zu haben. Vielmehr ist es wichtig, dem Kind spielerisch Punkte und Pünktchen in verschiedenen Materialien nahezubringen. Das Kind nimmt die verschiedenen Formen der Punktanordnung wahr. Ganz wichtig ist das gemeinsame Lesen und Vorlesen von Punktschriftbilderbüchern. Das Bilderbuch in der dreidimensionalen Gestaltung - manchmal auch gemeinsam hergestellt - vermittelt den Kindern die Bewegung der Hände, indem ihre kleinen Hände auf meinen Lesehänden sitzen. Die Kinder können dabei hören, dass das Vorlesen der Punktschrift Geräusche verursacht.

Die Bezugspersonen in den Kindergärten erhielten eine Einführung im Umgang mit der Punktschrifttafel, so dass das Namensschild oder andere Orientierungspunkte mit Dymoband angefertigt und aufgeklebt werden konnten. Einem eben erblindeten Gymnasialschüler konnte ich innerhalb kürzester Zeit nicht nur die deutsche, sondern auch die englische Kurzschrift vermitteln. Er konnte wunschgemäß an seinem Gymnasium bleiben, wurde nur durch einen Krankenhausaufenthalt und entsprechende Reha-Maßnahmen um ein Jahr zurückversetzt und schaffte sein Abitur.

Der Unterricht in lebenspraktischen Fähigkeiten findet grundsätzlich im Einzelunterricht statt und ermöglicht ein individuelles Lernen. Während der Vermittlung der Brailleschrift tauchen in den Gesprächspausen meistens weitere Schulungswünsche auf: das Anfertigen von Notizen, das Telefonieren, der Umgang mit dem iPhone sowie das Erkennen von Euromünzen und -Scheinen. Diese Lerninhalte kann ich natürlich auch gerne vermitteln. Manche Rehabilitanden oder Rehabilitandinnen interessieren sich auch für die Arbeit am PC. Hier gewähre ich nur einen „Tast-Einblick“ auf meiner Braillezeile und vermittle weiter an die spezialisierten IT-Hilfsmittelfirmen. Wenn auch noch Unterricht in den Bereichen Nahrungszubereitung, Nahrungsaufnahme oder Haushaltsfertigkeiten auf dem Programm steht, dann müssen die interessierten „Punktschriftschüler / Punktschriftschülerinnen“ intensiv lernen, denn die Reha-Maßnahme umfasst nur 100 Zeitstunden und kann nur in begründeten Fällen verlängert werden.

Finanzierung des LPF-Lehrgangs

Noch immer herrscht keine klare Gesetzgebung zur Kostenübernahme eines Lehrgangs in “lebenspraktischen Fähigkeiten“ (LPF). Viele potentielle Rehabilitanden haben auf dem Weg zu einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse oder das Amt für soziale Dienste ihre Lernmotivation verloren und frustriert aufgegeben. Noch bis 2017 werde ich meinen sehr geliebten Beruf ausüben und hoffe, die jetzigen Rehabilitanden und Rehabilitandinnen bis zu meinem Fortgang zu deren selbst gesetztem Ziel führen zu können.

Sabriye Tenberken hat in ihrem Buch „Die Traumwerkstatt von Kerala“ die Bedeutung der Brailleschrift überzeugend betont. Zwei kleine Abschnitte möchte ich aus ihrem Buch zitieren:

Aus Kapitel 10 „Barrieren überwinden“:

„...Das erste, was Besucher bei uns (an der Blindenschule in Tibet) sehen, ist ein bunt geschmücktes Schultor mit zwei vorgelagerten Holzsäulen. Paul hatte sie mit ertastbaren tibetischen und lateinischen Schriftzeichen verzieren lassen. Unter jedem Schriftzeichen steht das entsprechende Brailleschrift-Symbol. Die Botschaft ist jedem sofort klar: dies ist ein Ort, wo das Lesen und Schreiben der Brailleschrift an oberster Stelle steht. Das ist für eine Blindenschule heute nicht mehr selbstverständlich. Selbst viele Sonderpädagogen sind der Meinung, die computergesteuerte Sprachausgabe mache die antiquierte Brailleschrift überflüssig. Unserer Meinung nach ist aber eine wirkliche Alphabetisierung blinder Menschen nur durch das Erlernen dieser Schrift möglich. Die Sprachausgabe gibt die äußere Struktur eines Textes nicht richtig wieder. Absätze, Überschriften und Fußnoten können nur unzureichend über die Sprachausgabe erfasst werden. Auch die Rechtschreibung bleibt bei blinden Kindern, die niemals Braille gelernt haben, meist auf der Strecke...“

Aus Kapitel 13 „Die Kraft der Sonne“

„...die blinden Kinder in der englischen Schule waren unheimlich schnell mit ihren Computern und Sprachausgaben. Aber als wir sie fragten, ob sie auch die Brailleschrift lesen konnten, lachte einer der Lehrer und meinte: „Braille ist out, ist einfach zu langsam.“ Das wurmte uns, denn wir waren mit der Brailleschrift groß geworden. Erst durch sie waren wir alphabetisiert worden. Wir haben den englischen Schülern von unseren Heimatregionen erzählt. Dort sind die meisten Analphabeten. Wir gehören zu den Gebildeten in unseren Dörfern und das nicht zuletzt auf Grund der Brailleschrift. Ich habe ihnen folgendes erklärt: „Hörbücher sind prima für Taxifahrer. Wenn wir das Lesen und Schreiben wirklich beherrschen wollen und strukturiertes Denken lernen wollen, können wir uns nicht allein auf Hörbücher und Sprachsynthesizer verlassen.“ Die Schüler und die Lehrer waren wohl ein bisschen überrascht. Schließlich kamen wir aus dem wilden Tibet und da war es komisch, dass wir den zivilisierten Europäern erklären mussten, wie wichtig lesen und schreiben ist.", (sagte einer der Schüler).

Infokasten

Hier eine Liste der von mir benutzten Punktschrift-Lehrbücher:

  1. Leseschule für Späterblindete, Vollschrift, 1 Band, von Sebald Donadt, Blindenschriftverlag und -Druckerei Pauline von Mallinckrodt, Paderborn
  2. Pluspunkt, Lehrbuch der Braillevollschrift für Erwachsene, von Hanni Wüthrich-Ehrat und Regula Schütz, 2 Ordner, Druck: SBV Bern
  3. Kurzschrift für alle, von Anita Häni, Vivian Aldridge, Petra Gansauge, 3 Bände
  4. Wieder lesen und schreiben können, Jumbo-Braille, 1 Band, von Karl-Heinz Walter, Druck: Braillepress Zürich
  5. Lehr- und Lesebuch der Blindenschrift für Späterblindete, ein Lehrgang der Blindenvollschrift mit Einbeziehung einfacher Wortkürzungen der Blindenkurzschrift, von Waltraud Strohmaier und Jutta Wiesenhofer, 2 Bände
  6. Einführung in die Blindenkurzschrift, ein Lehr- und Lesebuch der deutschen Blindenkurzschrift, von Waltraud Strohmaier, 1 Ordner, Erstellung und Druck: Eigenverlag, Linz 2007

Zur Autorin:

Friederike Kaivers, Jahrgang 1955, ist beim Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen e. V. als Rehabilitationslehrerin angestellt.

Foto zum Beitrag mit Bildunterschrift: "Lust zum Lernen - Für Reha-Lehrerin Friederike Kaivers gehört die Punktschrift mit dazu. Foto: privat." Beschreibung: Das Foto zeigt eine ältere Frau mit weißen Haaren und Sonnenbrille, die – mit einem weißen Oberteil bekleidet und an einem Gewässer stehend – lächelnd in die Kamera blickt.

Vivian Aldridge

Punktuelle Erfahrungen abgeschaut bzw. abgetastet – Was wir von Unified English Braille (UEB) lernen können

Die Brailleschriften für verschiedene europäische Sprachen erfuhren in den letzten Jahrzehnten markante Überarbeitungen. Eine Schatztruhe voller Erfahrungen im Umgang mit Veränderungsprozessen wartet darauf, für die deutsche Brailleschrift ausgewertet zu werden. Im Folgenden rücken drei Aspekte der jüngsten englischen Brailleschriftreform ins Blickfeld.

Zielsetzung, Planung und Entwicklung

Das 2004 weitgehend fertigentwickelte Unified English Braille (UEB) ist eine Vereinheitlichung englischer Brailleschriften. Es ist nicht das Ergebnis von natürlicher Evolution, sondern von solider Planung und Entwicklungsarbeit.

Der Anstoß kam vor 25 Jahren von zwei altgedienten Eminenzen der Brailleschrift in den USA, Tim Cranmer und Abraham Nemeth. Sie träumten von einer zweifachen Vereinheitlichung. Nicht nur sollten die eher geringfügigen Unterschiede zwischen der amerikanischen und der britischen Ausprägung der englischen Textschrift ausgeräumt werden. Ein Dorn im Auge waren ihnen ebenfalls die unterschiedlichen Schriftsysteme für allgemeinen Text, Mathematik und Naturwissenschaften, Computernotation und den Spezialcode für Formate in Lehrmitteln. Eines ihrer Beispiele trifft ebenfalls auf die deutsche Brailleschrift zu: eckige Klammern werden unterschiedlich dargestellt, je nachdem ob sie in Text, in der Mathematik oder in Computernotation erscheinen.

Bereits zwei Jahre später formulierte der neu gegründete International Council on English Braille (ICEB) Ziele. Gemäß Darleen Bogart, die zwei Jahrzehnte lang das Projekt leitete, sollte ein Sechspunktesystem ohne große Änderungen in der Kurzschrift entwickelt werden, die alle notwendigen Schriftelemente für Schulbücher sowie mathematische, Computer- und andere technische Texte (mit Ausnahme der Musik) beinhaltet. Ohne die Lesbarkeit zu beeinträchtigen, sollte die Computerumwandlung vereinfacht werden.

Die solide Arbeitsweise der ICEB erkennt man beispielsweise an der Dokumentation zur Frage der optimalen Wiedergabe von Zahlen. Detailliert ausgelotet wurden Vor- und Nachteile dreier Systeme etwa in der Frage des Platzbedarfs für die Abgrenzung von darauffolgenden Symbolen. Anhand einer Analyse von über 8000 Lehrmittelseiten wurde gezeigt, dass auf Zahlen häufiger Interpunktionen als Buchstaben folgen.

Neuerungen

Bei der Durchsicht des Regelwerks sind nicht nur neue Zeichen zu entdecken, sondern ebenfalls neue Lösungsansätze für alte Probleme. Augen- oder eben fingerfällig ist eine weitgehend kontextunabhängige Darstellung von Symbolen. Dies erleichtert die Erkennung, führt aber auch zu einer Vereinfachung und einer Reduktion der Fehleranfälligkeit bei der computergestützten Übertragung. Hier nur zwei Beispiele:

Beim Verzicht auf eine separate Mathematikschrift wurden Vereinheitlichung und Eindeutigkeit höher gewichtet als die Kürze. Die früheren Zeichen für runde Klammern (gleich wie in der deutschen Brailleschrift) unterschieden nicht zwischen öffnenden und schließenden Formen und waren daher für die Mathematik und für Computercode untauglich. Die UEB-Zeichen bestehen nunmehr aus zwei Braillezeichen, sind dafür eindeutig und überall anwendbar. Aus ähnlichen Überlegungen wurde die Darstellung von runden Klammern auch in den Brailleschriften für Französisch, Niederländisch, Schwedisch, die anderen skandinavischen Sprachen, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und einige weitere Sprachen geändert.

Wie in den meisten Brailleschriften war in der englischen nur eine Kennzeichnung für Hervorhebungen vorgesehen, die keinerlei Hinweis auf die Art der Hervorhebung gibt. Um der zunehmenden Komplexität des Hervorhebungsgebrauchs etwa in Lehrmaterialien nachzukommen, wurde in den Brailleschriften für Deutsch und Schwedisch die Möglichkeit geschaffen, zwei unterschiedliche Hervorhebungen auszuzeichnen, in Französisch sogar drei. UEB geht noch differenzierter vor und zeigt Fettdruck, Kursivdruck, Unterstreichung, Handschrift sowie zwei frei definierbare Hervorhebungsarten mit eigenen, konsequent strukturierten Zeichen an.

Da naturgemäß immer noch nur die 63 verschiedenen 6-Punkte-Braillezeichen zur Verfügung stehen, werden diese nach wie vor mit mehreren Bedeutungen belegt. Um deren richtige Interpretation zu erleichtern, werden jedoch Ankündigungszeichen nicht mehr zusätzlich für Kürzungen oder anderes gebraucht. Zwei Beispiele dieser Entflechtung:

  • Außer am Anfang eines "Wortes" stellte das Zahlenzeichen früher die Buchstabenfolge "ble" dar, hat aber nunmehr nur noch die Funktion der Zahlenkennzeichnung. In der englischen Brailleschrift wird Großschreibung mit Punkt 6 angezeigt.

Es gab zwei Kürzungen für Endungen, die mit Punkt 6 und einem Buchstaben gebildet wurden. Sie wurden ersatzlos gestrichen.

Die Symbole der Schwarzschrift werden präziser abgebildet als früher – zum Teil unter bewusstem Verzicht auf die Kürze. Werfen wir einen Blick zum Beispiel auf die Akzentbuchstaben:

  • Den auch in der deutschen Brailleschrift bekannten unspezifischen Hinweis auf irgendein Akzentzeichen durch Punkt 4 vor dem betreffenden Grundbuchstaben kennt UEB im Gegensatz zu den früheren Schriften nicht.
  • Jedes Akzentzeichen wird aus zwei bzw. drei Braillezeichen gebildet und dem Buchstaben vorangestellt. Zum Beispiel werden die deutschen Umlaut-Punkte mit den Zeichen Punkte 4,5 und 2,5 geschrieben und ein kleines ü besteht daher aus den Zeichen Punkte 4,5; 2,5; 1,3,6.

Gemäß eine britischen Studie von 2008 sind die Druckerzeugnisse mit UEB länger als mit den alten Schriftsystemen, bei literarischen Texten vielleicht um eine Seite auf 50; bei technischem Material deutlich mehr. Informelle Rückmeldungen weisen hingegen auf signifikant kürzere Übertragungszeiten und folglich tiefere Produktionskosten - insbesondere bei Lehrmitteln für Mathematik und Naturwissenschaften - hin.

Einführung der neuen Schrift

Bei der Herausgabe des ersten Regelwerks 2010 hatten schon Australien, Kanada, Neuseeland, Nigeria und Südafrika mit der Einführung begonnen. 2011 folgten das Vereinigte Königreich, 2012 die Vereinigten Staaten (außer für Mathematik und Naturwissenschaften) und 2013 Irland.

2011 erschien ein britischer Bericht über die Entwicklung und Umsetzung von UEB und erwähnen die positive Auswirkung folgender Maßnahmen:

  • Musterdokumente für die persönliche Einarbeitung in UEB.
  • Informationen über vorgesehene Änderungen und Rückfragemöglichkeiten für betroffene Gruppen ("Stakeholders"), die so besser am Prozess beteiligt werden.
  • Die längerfristige Einführung in Schulen, um die Auswirkungen zu minimieren.
  • Das Beilegen von Symbollisten in UEB-Druckerzeugnissen.

Ebenfalls 2011 schickte das britische RNIB eine Sammlung von Aufsätzen in UEB an 165 Abonnentinnen und Abonnenten von Braillezeitschriften. Innerhalb von zehn Tagen wurden in 107 Telefoninterviews Meinungen zur Lesbarkeit im Allgemeinen und von einzelnen Elementen erhoben, aber ebenfalls, welche Fragen ein FAQ-Dokument beinhalten sollte. Die Befragten waren positiver eingestellt als bei einem allgemeinen Aufruf zur Stellungnahme ohne konkrete Beispiele von 2008.

Vor allem in der Schule hat(te) der Umstieg auf UEB große Auswirkungen. Daher verwundert die vielen detaillierten Planungsdokumente nicht, zum Beispiel der Zweijahresplan des US-Bundesstaats Maryland oder der Plan für den Umstieg für wichtige Prüfungen in Großbritannien.

Erkenntnisse für die deutsche Brailleschrift

Mit Blick auf die deutsche Brailleschrift kann viel aus den Erfahrungen mit UEB gelernt werden, zum Beispiel:

  • Große Reformen brauchen viel Zeit und müssen langfristig geplant werden.
  • Wir sollten uns ermutigt fühlen, unsere Brailleschrift(en) ebenfalls aus großer Flughöhe kritisch zu betrachten und richtungsweisende Ziele auszustecken.
  • Es gilt vieles abzuwägen: kürzere Darstellung gegen genauere Wiedergabe, Mehrfachbedeutung vieler Zeichen gegen Lernaufwand und Deutungssicherheit, Investitionskosten für die Umstellung gegen schnellere und weniger fehlerhafte Produktion u.v.m. Bei der Ermittlung einer zweckdienlichen Gewichtung bei so komplexen Sachverhalten hilft manchmal nur die Empirie.
  • Tiefgreifende Änderungen führen nicht zwingend zur Unlesbarkeit der alten Schrift oder zu einem großen Aufwand beim Umstieg auf die neue.
  • Enger Kontakt mit der Gemeinschaft der Nutzenden und gestaffelte Einführungszeiten können die Akzeptanz einer neuen Schrift signifikant erhöhen.

Auch das Neue wird einmal alt

2010 ging in Australien ein fünf Jahre dauernder Umstieg auf UEB zu Ende. Einem britischen Bericht über Interviews mit australischen Braillenutzenden zufolge ging der Übergang verhältnismäßig reibungslos vonstatten. Auch wenn er für einige der älteren Generationen manchmal schwierig gewesen sei, hätten junge Neulernende eine Schrift, die einfacher zu lernen ist und besser die Schwarzschrift abbildet. Und irgendwann ist die Umstellung Geschichte und das Neue wird zum alten Bewährten.

***

Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines in "blind-sehbehinderten" erschienenen Artikels (136. Jahrgang, Ausgabe 2/2016, Seiten 129-135).

Zum Autor:

Vivian Aldridge vertritt den Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (VBS) im Brailleschriftkomitee der deutschsprachigen Länder (BSKDL). Er arbeitet bei der Sehbehindertenhilfe Basel in der beruflichen Rehabilitation.

Mit Autorenfoto. Unterschrift: "Vivian Aldrige. Foto: privat." Beschreibung: Ein dunkelblonder Mann mit hellem Hemd, Dreitagebart und Brille hält einen Punktschriftausdruck in der Hand und lächelt.

Zwei Fotos illustrieren den Beitrag.

Foto 1: Unterschrift: "Eine Nahaufnahme einer UEB-Punktdruckseite: Vivian Aldridge. Foto: privat." Beschreibung: Eine UEB-Punktdruckseite, die - von unten rechts aufgenommen – sehr an die Schrift heranzoomt, so dass die einzelnen Punkte erkennbar sind.

Foto 2: Unterschrift: "Eine Beispielseite eines WEB-Regelwerkes. Foto: privat." Beschreibung: Gezeigt wird eine Beispielseite eines WEB-Regelwerkes mit Punktschrift auf der linken und der dementsprechenden Bedeutung auf der Mitte der Seite.

Michael Doogs, aufgeschrieben von Isabella Brawata

Ohne Punktschrift geht es auch!

Ich habe die juvenile Form der Makuladegeneration. Mit neun Jahren verlor ich etwa 80 Prozent meiner Sehkraft. Mein Sehen reichte aber noch aus, um mit dem Füller schreiben und mit einer Lupe gut lesen zu können. In Limburg auf dem Gymnasium in meinem Heimatort war es super. Ich hatte viele Freunde. Wir gingen gemeinsam in die Disko oder spielten Doppelkopf. Wenn wir den letzten Bus verpassten, sind wir einfach getrampt oder gelaufen.

Doch meine Noten waren nicht so berauschend. Ich musste eine Ehrenrunde drehen. Als die nächste Ehrenrunde bevorstand, schickte man mich an die blista. Dort wollte ich überhaupt nicht hin. Ich ging in die totale Opposition. Im Nachhinein denke ich, dass ich es auf der Regelschule hätte schaffen können, wenn ich, die Lehrer und meine Eltern miteinander über meine Sehbehinderung gesprochen hätten. Aber damals handelten alle nach dem Prinzip, so zu tun, als wäre nichts.

In der blista fand ich es schrecklich. Meine Mitschüler sind im Internat groß geworden. Für sie gab es „die blista“ und „da draußen“. Sie kamen mir vor wie aus einer anderen Welt und hatten völlig andere Interessen als ich. Daher war ich zu meiner blista-Zeit „auf Krawall gebürstet“ - ich lehnte alles ab.

Trotz meines guten Sehrestes wurde ich gezwungen, die Punktschrift und Schreibmaschineschreiben zu Lernen. Mir wurde sogar bescheinigt, dass ich zu dicke Finger zum Maschineschreiben hätte, damit ich nicht weiter unterrichtet werden musste. Es gab keinerlei psychologische Betreuung. Über die Bewältigungsphasen eines Sehverlustes machte man sich damals keine Gedanken.

So lernte ich die Punktschrift nie. Bis vor wenigen Jahren habe ich noch mit Schwarzschrift gearbeitet. Der Computer und die Vergrößerungssoftware ermöglichten mir, mein verbliebenes Sehvermögen gut zu nutzen. Allmählich verschlechterte sich mein Sehen und ich gebrauchte zunehmend die Sprachausgabe.

Obwohl ich die Punktschrift nie gelernt habe, komme ich beruflich und privat ohne sie zurecht. Ich arbeite mit dem Pronto und einer Schwarzschrifttastatur. Bevor ich einen Vortrag halte oder ein Seminar durchführe, bereite ich mich sehr intensiv vor. Ich erstelle mir eine gut durchdachte Gliederung und unterteile den Text in Überschriften und Unterüberschriften, damit ich schnell zu der Stelle springen kann, zu der ich wechseln möchte. Ich beziehe meine Zuhörerschaft mit ein. Wenn für einen Vortrag ein langes Zitat eine wichtige Rolle spielt, lasse ich es von einem der Teilnehmenden vorlesen. So kommt mehr Abwechslung in den Workshop, weil die Zuhörer eine neue Stimme hören. Wenn ich Fortbildungen gebe, rede ich ausschließlich frei. Ich lese kaum ab. Allerdings ist „lesen“ der falsche Begriff, denn ich habe einen kleinen Kopfhörer in einem Ohr, in das ich mir von meinem Pronto etwas einflüstern lasse. Ich gestalte meine Workshops und Fortbildungen stets interaktiv. Davon profitiere ich, weil ich die Leute fragen oder auffordern kann. Mein Publikum profitiert ebenfalls, weil ich besser auf es eingehen kann.

Auch meinen Terminkalender und meine Kontakte verwalte ich mit Sprachausgabe. Als Projektkoordinator von Blickpunkt Auge habe ich oft mit Zahlen zu tun. Ich muss beispielsweise berechnen, welche Kosten für eine Beratungsstelle einzuplanen sind. Ich arbeite dafür gerne mit Excel, weil ich in diesem Programm gut in Tabellen navigieren kann. Ich habe eine Vorstellung im Kopf, wie eine von mir erzeugte Tabelle aussehen soll und lasse Excel die notwendigen Rechenoperationen vornehmen.

So lebe ich schon viele Jahre ohne Punktschrift und sie fehlt mir nicht. Ich habe mir Techniken erarbeitet, mit denen ich effektiv bin und ich habe vor allem kein Problem damit, meinen Mund aufzumachen, wenn ich etwas möchte.

Ich halte die Punktschrift jedoch für sehr wichtig. Ich finde, damit Kinder richtig lesen und schreiben lernen, müssen sie die Punktschrift können. Ich habe die Punktschrift nicht gelernt, weil mir als späterblindetem Erwachsenen der Aufwand zu groß ist und ich mit Sprachausgabe und Diktiergerät prima zurechtkomme. Dennoch bin ich ein absoluter Befürworter der Punktschrift.

Zum Autor:

Michael Doogs, Jahrgang 1961, ist Mitglied im Landesvorstand des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen sowie Projekt- und Ausbildungskoordinator für Blickpunkt Auge.

Beitrag mit Foto. Unterschrift: "Punktschrift zu lernen und zu können ist für viele blinde und sehbehinderte Menschen ein Muss – der Autor hat sie jedoch nie gelernt. Foto: blista." Beschreibung: Zu sehen sind zwei Hände einer männlichen Person, die eine Punktschrift-Seite halten und diese einem Stapel mit anderen Punktschrift-Seiten zuordnen.

Birthe Klementowski

Knack den Code – spielerisch Blindenschrift lernen für Sehende

Die Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista) bietet mit „Knack den Code“ ein neues Lernheft, das sehenden Kindern und Jugendlichen inklusiver Schulklassen spielerisch die Blindenschrift beibringt. Das 34 Seiten umfassende Büchlein kann direkt mit einem Stift bearbeitet werden und ist nicht nur für Schülerinnen und Schüler eine tolle Erfahrung, sondern auch für Eltern und Lehrer.

Autorin Heidi Theiß-Klee, die seit vielen Jahren erfolgreich Punktschriftkurse für Sehende an der blista anbietet, zeigt auf kompaktem Format, wie einfach es ist, die Schrift der Blinden zu erlernen. Anschaulich führen viele unterhaltsame Minirätsel und Aufgaben wie Bild-Wort-Puzzle oder Übungsgeschichten durch das Lernheft und ermöglichen es, schon nach kurzer Zeit Worte und einfache Sätze zu lesen. Mit dem Lösungsteil auf den letzten Seiten kann die eigene Leistung jederzeit überprüft werden. So gelingt es schnell, die spannende Schrift zu erlernen.

Ziel von „Knack den Code“ ist es, auf eine vergnügliche Art Barrieren abzubauen und das gegenseitige Verständnis unter Kindern und Jugendlichen zu fördern. Sehende Eltern, die die Punktschrift lesen und schreiben können, sind besser in der Lage, ihrem Kind mit Sehbehinderung oder Blindheit bei den Schulaufgaben zu helfen und dessen Bildung bedarfsgerecht zu begleiten. Wer die Welt der Blindenschrift noch weiter erkunden möchte, findet im Anschluss an die Übungen hilfreiche Links zu Selbsthilfeverbänden, Informationsportalen, einen YouTube-Link zu einer Dokumentation über Louis Braille, den Erfinder der Blindenschrift, sowie Hinweise für Smartphone-Nutzer.

Gestaltet wurde das Lernheft mit farbigen Icons und Grafiken im aktuellen 2D-Flat-Design. Fotos aus alltäglichen Lebensbereichen blinder und sehbehinderter Kinder und Jugendlicher veranschaulichen zusätzlich, wo uns im Alltag Punktschrift begleitet, beispielsweise auf Uhren, an Ampeln oder an Braille-Zeilen für den Laptop. „Knack den Code“ ist im Eigenverlag der blista erschienen und für 4,95 Euro über den blista-Hilfsmittelshop erhältlich.

Zur Autorin:

Die Journalistin Birthe Klementowski ist Mitglied der horus-Redaktion und Mitarbeiterin der blista-Öffentlichkeitsarbeit.

Foto mit Unterschrift: "Das neue Lernheft „Knack den Code“ bringt Sehenden spielerisch die Blindenschrift bei. Foto: blista/Klementowski." Beschreibung: Die Aufnahme zeigt die Titelseite des Buches „Knack den Code“ von Heidi Theiß-Klee, auf der drei Bilder (Braillezeile, Punktschriftseite und ein Blinden-Führhund) abgebildet sind.

Rückblick auf das Louis Braille Festival

Dr. Christina Ernst und Beate Schultes

„Wenn ein Blinder einen Blinden führt, dann kann man was erleben.“

Predigt der Pastorin Dr. Christina Ernst und Beate Schultes zu Mt 5,13-16: Licht der Welt und Salz der Erde am 03.07.2016 - Gottesdienst in der Elisabethkirche anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von DVBS und blista

Dr. Christina Ernst:

Liebe Gemeinde!

Wenn ein Blinder einen Blinden führt, dann kann man was erleben. Wenn ich gemeinsam mit jemand anderem losmarschiere, der oder die auch blind ist, ist das oft ein besonderes Erlebnis. Mir geht es so, dass ich mich zu zweit gleich sicherer fühle, auch wenn wir beide z.B. den Weg nicht kennen. Sich zu zweit durchzufragen, macht mehr Spaß, als allein herumzustochern. Gerade mit Beate Schultes am Arm, jede mit ihrem Blindenstock in der Hand, ist es spannend und witzig.

Beate Schultes:

Eine Sache, die wir beide wohl nie vergessen werden, ist unser Besuch in einem indischen Restaurant. Dazu nehme ich Sie aus diesem hellen Sommertag jetzt einmal gedanklich mit in eine dunklere Jahreszeit: in den Januar 2014. An einem Samstagabend in jenem Januar saßen Christina und ich beim Inder in Celle. Sie lebte damals dort und ich besuchte sie. Betört vom Geruch indischer Gewürze freuten wir uns schon auf die Auswahl des Essens. Diese wurde aber erschwert, weil das Personal nicht bereit war, uns die Karte vorzulesen. Wir wählten dann aus der Speisenauswahl, die wir dem Kellner entlocken konnten. Während wir dort saßen und auf das Essen warteten, stellte ich fest, dass auf unserem Tisch zwar eine Kerze stand, diese aber nicht brannte. Auf meine Frage, warum nicht, erhielten wir die Antwort: „Wir dachten, das brauchen Sie nicht“. Da haben wir natürlich heftig widersprochen: „Auch blinde Menschen zünden sich eine Kerze an!" Und unsere Kerze wurde angezündet.

Dr. Christina Ernst:

Naja, ich zünde nicht unbedingt Kerzen an, außer wenn Beate zu Besuch ist. Wie ist das denn bei Ihnen, die sehbehindert oder blind sind? Mir ist offenes Feuer unheimlich, wenn ich allein damit bin. Dann noch den Docht der Kerze finden. Als Dekoration mag ich Kerzen gern, aber bei mir verstauben sie dann eher…

Beate Schultes:

Ist vielleicht auch was Katholisches, sich abends eine Kerze anzuzünden. Mir ist das wichtig. Das hat so was Gemütliches und auch was Spirituelles - nur Duftkerzen, die kommen mir nicht ins Haus!

Dr. Christina Ernst:

Bestimmt können diejenigen von Ihnen, die selbst sehbehindert oder blind sind, ähnliche Geschichten erzählen wie bei unserem Erlebnis beim Inder. Wir alle haben solche Geschichten auf Lager: manche sind zum kaputtlachen, manche handeln von ganz rührenden, tollen Begegnungen, manche machen einen noch Jahre später richtig wütend. Der Grund, weshalb wir solche Geschichten erleben und erzählen können, ist: als blinder oder stark sehbehinderter Mensch fallen wir besonders auf. Wir müssen vermehrt nachfragen und um Hilfe bitten als andere. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, einfach mal in der Masse mitschwimmen zu können - nicht immer wieder so aufzufallen, besonders behandelt zu werden oder darum kämpfen zu müssen, als Kundin beim Bäcker nicht übergangen zu werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen: sich zurückziehen und Konfrontationen vermeiden oder den Mut zusammennehmen und immer wieder rausgehen, unter die Leute gehen und die eigenen Wünsche weiterverfolgen.

Beate Schultes:

"Ihr seid das Licht der Welt!" Diesen Vers verstehe ich als Ermutigung, sich nicht klein machen zu lassen, sondern an sich zu glauben. Manche von uns fühlen sich wie kleine Lichter. Kleine Lichter beim Kampf mit den Behörden oder bei einer Behandlung im Krankenhaus, kleine Lichter bei den Hindernissen im Alltag. Kleine Lichter im Kampf um Teilhabe. Kleine Lichter, wenn man bewundert wird, aber ansonsten das Interesse schnell verloren geht. - "Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel!" Wie viele von uns tun das? Wie vielen von uns ist das beigebracht worden? Sei bescheiden, dann erreichst du mehr. Wie viele von uns machen sich selber klein? Sie haben es so gelernt in der Familie, durch Erziehung, in der Gesellschaft. Trotzdem gab es immer auch Menschen, die gegen diese Strukturen des Klein-Haltens aufgestanden sind und ihr Leben dafür eingesetzt haben, die Gesellschaft zu verändern.

Dr. Christina Ernst:

Louis Braille war einer dieser Vorkämpfer, der nicht aufgegeben hat. Seine Erfindung der Brailleschrift war wahrlich revolutionär. Diese Schrift hat keine Ähnlichkeit mit den lateinischen Buchstaben. Sie ist einfach aufgebaut und ermöglicht gerade dadurch so viel Freiheit: Briefe schreiben und Notizen machen, rechnen und Formeln darstellen. Viele Bücher sind in diese Schrift übertragen worden. Damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, war das nicht erwünscht. Eine eigene Schrift und damit Selbstständigkeit, Bildungsteilhabe, Kommunikation von Blinden untereinander und unabhängig von Sehenden - auch nach der Aufklärung und der französischen Revolution mit ihren Idealen war solche Gleichberechtigung nicht vorgesehen. Louis Brailles Schrift bedrohte die Machtstrukturen in der Betreuung blinder Menschen. Sie wurde lange bekämpft - und setzte sich dann doch durch. - Und heute kämpfen wir wieder dafür, dass blinde Kinder die Brailleschrift lernen und sich nicht ausschließlich auf die Sprachausgaben der Computer verlassen. Denn lesen und schreiben zu können in einer eigenen Schrift, ist wohl eine der wichtigsten Grundlagen für gesellschaftliche Teilhabe.

Beate Schultes:

Ein anderer Vorkämpfer war Carl Strehl, der vor 100 Jahren die Deutsche Blindenstudienanstalt gründete und unseren Selbsthilfeverein für Blinde Akademiker (heute auch Akademikerinnen) ins Leben rief. "Stellt Euer Licht auf den Leuchter, dann leuchtet es allen im Haus." Ich weiß nicht, ob Carl Strehl ein gläubiger Christ war oder ob er in seiner Tätigkeit je daran gedacht hat, dass das, was er tut, auch dem Matthäusevangelium entsprechen könnte. Vielleicht hatte es auch mit seinem mangelnden Augenlicht zu tun. Jedenfalls hat er erkannt, dass das Licht, das in einem Menschen steckt, zum Leuchten gebracht werden muss. Bildung ist ein Weg, dies möglich zu machen. "Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben." Wer sich hier in Marburg auskennt, dem fällt da ein bestimmter Berg ein. Das, was dort oben ist, hat zwar eher Dorfcharakter von der Größe her, lebt aber auch von und mit moderner Technik, wie sie in Städten kreiert worden ist. Ich selbst bin sieben Jahre lang diesen Berg hinauf- und hinuntergelaufen und das, was ich an Gutem dort empfangen habe, ist sicher nicht verborgen geblieben. Für mich, die ich Ende der Siebziger Jahre nach Marburg kam, war die blista wichtig. Ich habe dort gelernt, mit meiner Behinderung Freundschaft zu schließen. Eine freie und selbstständige Entwicklung war mir möglich. Ich hatte Zugang zu Bildung und wurde mobil. Zu Hause wäre das damals in dieser Form für mich nicht möglich gewesen. Dafür bin ich dankbar, auch wenn ich heute, 30 Jahre nach meiner Zeit in Marburg, manches sicher kritisch sehe. Ich glaube, dass diese Institution vielen sehgeschädigten Kindern und Jugendlichen ein Lebenslicht anzündet, das nicht nur sie erfasst, sondern ausstrahlt in unsere Gesellschaft, in der Behinderung noch weithin als eine dunkle Seite des Lebens angesehen wird. Das habe ich nach meiner blista-Zeit erlebt in meinem Kampf um berufliche Anerkennung und Beschäftigung. In der Reaktion vieler Menschen auf meine Ehe mit einem sehenden Mann und auf meine Person als Mutter von vier Kindern, in so manchem, was ich in meiner Gemeinde, in der ich seit 16 Jahren arbeite, zu hören bekommen habe. Dem mit Mut entgegenzutreten, hat mich manchmal viel Kraft gekostet. Aber zusammengebrochen bin ich noch nicht, wie man sehen und hören kann. Das hat auch damit zu tun, dass es viele gibt, für die meine Behinderung etwas ganz Normales ist, was zu mir gehört.

Dr. Christina Ernst:

Mein Weg war ein anderer: meine Eltern und ich entschieden uns Anfang der 90er für eine Beschulung vor Ort. Inklusion. Dank meiner engagierten Lehrer und meiner hartnäckigen Eltern und dank der Unterstützung durch Begleitlehrer von der Blindenschule Hannover hatte ich an meinem Heimatort ein ideales Lernumfeld. Mit meinen Freunden aus dem Kindergarten konnte ich weiter gemeinsam aufwachsen, mich nach der Schule treffen, mit ihnen gemeinsam lernen. Für mich war das eine gute Basis, die mir Mut und Stärke gab, um dann auf eigene Faust die Welt zu entdecken und in ihr als Licht zu leuchten. Vielleicht hätte es mir an der ein oder anderen Stelle gutgetan, mehr Zeit mit anderen Kindern zu verbringen, die ebenfalls blind waren, mit denen ich in diesem Punkt auf einer Ebene hätte umgehen können. In der Inklusion war ich oft Botschafterin, die darauf aufmerksam macht: Es gibt immer Menschen, die anders sind, die besondere Bedürfnisse haben. Menschen, die nicht von der Tafel ablesen können oder die gegen halb geöffnete Türen rennen. "Stell dein Licht nicht unter den Scheffel!" - Wie oft hat meine Französischlehrerin das zu mir gesagt, weil ich mich zu selten meldete. Ich wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen als ohnehin schon. Immer zu leuchten, kann anstrengend sein. Es kann einen zur Zielscheibe machen von Neid, hohen Erwartungen, Bewunderung meiner Leistungen, die doch mich als Menschen übersieht. - Die Aufgabe, vor der wir alle stehen, ist, uns in eine Gesellschaft, in gemeinschaftliche Strukturen einzufügen und zugleich unsere besonderen Bedürfnisse, persönlichen Wünsche und individuellen Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Dazu gehört auch, die Besonderheiten der anderen um uns herum wahrzunehmen auf eine angemessene Art, die nicht gleich in Schubladen einsortiert: sehend/blind, schwarz/weiß, Frau/Mann, hässlich/hübsch, interessant/langweilig. Jeder von uns weicht in verschiedenen Punkten von der allgemeinen Norm ab und macht die Erfahrung: dieser oder jener Punkt an mir ist besonders. So ging es auch den Jüngern Jesu, denen er in seiner Bergpredigt die Worte vom Licht und vom Salz mitgibt.

Beate Schultes:

(Pfarrerin Dr. Anna-Karena Müller stellt Gefäß mit Salz und Kerze auf dem Altar ab): "Ihr seid das Salz der Erde! - Ihr seid das Licht der Welt! - So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen!" (Es folgt eine kurze Pause.) Genau wie das Licht brauchen wir das Salz zum Leben. Es reguliert unseren Körperhaushalt. Es gibt Geschmack ans Essen, bringt Würze ins Leben. In Kombination mit Salz kann sich manch anderer Geschmack entfalten. Das Licht bringt Farbe in unsere Welt. Wo es in unterschiedlichen Wellenlängen auftrifft und sich bricht, kommt die bunte Farbenvielfalt unserer Welt zum Vorschein.

Salz der Erde, Licht der Welt sein, heißt für uns, das Leben zu entdecken mit all seinen vielen Facetten. Jede und jeder von uns hört, sieht und schmeckt etwas Anderes dabei. Es ist wichtig, dass wir einander berichten von unseren jeweiligen, ganz persönlichen Wahrnehmungen. Nur so teilen wir miteinander den Reichtum des Lebens.

Dr. Christina Ernst:

Den Reichtum der Schöpfung Gottes, so nehmen wir aus dem Blickwinkel unseres Glaubens die Welt wahr. - Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, bedeutet auch, von unserem Glauben zu erzählen, ihn im Alltag zu leben und nach Gott zu fragen, den wir nicht sehen oder hören, aber manchmal spüren. Mit seinen Bildern sagt Jesus uns: ihr könnt gar nicht anders, als Gott in eurem Leben Raum zu geben. Auch wenn ihr damit aneckt, sogar verfolgt werdet für euren Glauben, oder wenn der Glaube euch gleichgültig ist, so gehört er doch zu eurem Wesen. Ihr würdet euch selbst - euren Geschmack, euren Schein - verleugnen und auch der Welt um euch herum würde die Basis verloren gehen.

Beate Schultes:

Unsere guten Werke sollen vor allen leuchten. Wir sind nicht nur Lichter für uns selbst und für unsere Mitmenschen, sondern auch für Gott, unseren Vater im Himmel. Durch uns wird er verherrlicht, der uns geschaffen hat, jede und jeden einzigartig, jede Lebensgeschichte mit ihren persönlichen Licht- und Schattenseiten. Für die von uns, die als Christinnen und Christen an ihn glauben, ist es eine Lebensaufgabe, ihn in unserem Leben zu verherrlichen, das heißt, ihm Raum zu geben bei uns. Das können wir mit und ohne Augenlicht tun. Wir können ihn alle nicht sehen, aber er verbindet uns miteinander.

Amen.

Zwei Fotos illustrieren den Beitrag.

Foto 1: Unterschrift: "Die Marburger Elisabethkirche beim Gottesdienst am 03. Juli 2016. Foto: DBSV/Ziebe."Beschreibung: Das Foto, das den Innenraum der Elisabethkirche zeigt, wurde von hinten rechts mit Blickrichtung auf den Altar aufgenommen und zeigt die komplett bis auf den letzten Platz gefüllte Kirche.

Foto 2: Unterschrift: "Die Pastorin Dr. Christina Ernst (links) und Beate Schultes hielten die Predigt während des DVBS-Gottesdienstes. Foto: DBSV/Ziebe". Beschreibung: Das Bild ist eine Momentaufnahme der Predigt in der Elisabethkirche am 03. Juli. Pastorin Dr. Christina Ernst spricht und Beate Schultes lächelt die zahlreichen Zuhörer an.

André Badouin

DVBS-Team gewinnt Samstagabendshow

Was keiner für möglich gehalten hätte, wurde Realität: Die „Hundertjährigen“, das Team, das der DVBS für das Spiel ohne Grenzen am Samstag ins Rennen geschickt und dessen Name sich an das 100-jährige Jubiläum des Vereins in diesem Jahr anlehnt, hat die große Samstagabendshow des Louis Braille Festivals gewonnen und 7.500 Euro erspielt.

Die Hundertjährigen qualifizierten sich nachmittags als eines von drei Teams aus dem Neuner-Teilnehmerfeld u.a. beim Pedalo- und Tandemfahren, Rasenski und Pyramiden-Dosenwerfen mit starken Leistungen für die große Samstagabendshow. Ab 19.00 Uhr ging es dann für die Mitspieler um Teamkapitänin Rita Schroll (Mary Schürkmann, Kai Kortus, Dr. Michael Richter, Birgit Stolz, André Badouin sowie Ersatzmann Josef Speckmann) darum, Schnelligkeit und Wissen am Buzzer zu demonstrieren, Märchen der Gebrüder Grimm in einem Beutel zu erraten oder einen Kettcar schnellstmöglich durch einen ovalen Parcour zu manövrieren.

Nach vier von fünf Spielen lag man gleichauf mit dem Team aus Bayern und hatte 32 Punkte auf dem Konto. Beim abschließenden „Heißen Stuhl“ bewies Dr. Michael Richter Nervenstärke und konnte den DVBS mit 42 Punkten zum Sieg führen.

Ein toller Wettkampf mit einem glücklichen Ende, dessen Erlös von 7.500 Euro dem Solidaritätsfond der Seminare des DVBS zugutekommt. Mit dem Fond wird einkommens- oder sozialschwachen DVBS-Mitgliedern die Teilnahme an den Seminaren ermöglicht.

Zum Autor:

André Badouin ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher des DVBS.

Foto. Unterschrift: "Die 100-jährigen um Teamkapitänin Rita Schroll (am Mikrofon) in Aktion. Foto: DBSV/Ziebe." Bildbeschreibung: An einem Ratepult mit Buzzer stehen drei Männer und drei Frauen in blauen T-Shirts. Die zweite Frau von rechts hält ein Mikrofon in der Hand und spricht hinein, während rechts neben dem Ratepult Samstagabend-Moderator Alexander Mazza aufmerksam zuhört.

Dr. Imke Troltenier

Das Louis Braille Festival in Zahlen

Am 03. Juli 2016 ist in Marburg das dreitägige Louis Braille Festival zu Ende gegangen. Beim größten Zusammentreffen blinder und sehbehinderter Menschen in Europa hatten fast 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Wahl zwischen 76 Einzelveranstaltungen – von der Tanzperformance für nicht sehende Zuschauer über den Schmink-Workshop bis zur „Ultimativen Samstagabendshow“. Zahlreiche Sportangebote standen blindengerecht auf dem Programm, wie beispielsweise Klettern, Schießen und Kanufahren, dazu Aktionen zum Mitmachen, der „Markt der Begegnung“, das „Spiel ohne Grenzen“, Ausstellungen und vieles mehr. Auch die Vierbeiner kamen nicht zu kurz – sie wurden in einer Führhundlounge verwöhnt.

0 … Quadrat-Zentimeter Platz bot ab Mitte Juli die blista-Pressewand am Schlag 8. Das große Medienecho auf das Louis Braille Festival ist durchweg positiv.

2 … Veranstalter richteten das Festival gemeinsam aus: der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista).

3,5 … Tonnen Material wurden im Stadion ausgelegt, um eine „Barrierefreie Oase“ (Irmgard Badura, Bayerische Behindertenbeauftragte) zu gestalten.

4 … Hände haben die beiden blista-Kolleginnen leider nur, die Folgendes berichten: „Unser Schminkworkshop war schon im Vorfeld bis auf den letzten Platz ausgebucht. Auf der Warteliste hatten sich noch zwölf Interessentinnen angemeldet und spontan wollten auch noch einige Damen mitmachen. Also, wir hatten äußerst regen Zulauf und mussten die enttäuschen, die sich zu spät angemeldet hatten. Die Stimmung war bestens und trotz kleiner Wartezeiten hat jede Teilnehmerin etwas für sich mitnehmen können und konnte dezent geschminkt und gut gelaunt den weiteren Verlauf des Festivals genießen.“

5 … Tore erzielte die SSG Blista Marburg in ihren beiden Spielen beim Blindenfußball-Turnier gegen den Avoy Brno (2:0) und im Finale gegen Schalke 04 (3:0). Damit sicherte sich das Team von Trainer Peter Gößmann den Siegerpokal.

5…wurde auch zur Glückszahl von Zoé. Bei der Punktschrift-Lesung von Sängerin Joana Zimmer beantwortete die Sechstklässlerin der Carl-Strehl-Schule die Frage nach der Anzahl der veröffentlichten Alben der Künstlerin richtig und sicherte sich ein Punktschriftexemplar von Zimmers Buch „Blind Date“. Die persönliche Widmung samt Erinnerungsfoto machten Zoés Glück perfekt.

6 … „Ach, wenn doch jedes Wochenende Louis Braille Festival wäre…“, lautet die nette Bilanz der 6. Klasse der Carl-Strehl-Schule über das vergangene Wochenende. Die Bilanz von DBSV-Präsidentin Renate Reymann: „Wir haben blinde und sehbehinderte Menschen eingeladen, das Festival aktiv mitzugestalten. So konnten wir eine große Vielfalt kultureller und sportlicher Möglichkeiten präsentieren, die ich außerordentlich beeindruckend fand. Wir haben gezeigt, was alles geht, und viele Teilnehmer haben mir bestätigt, wie viel Energie sie nun mit nach Hause nehmen.“

9 … Gesprächsrunden à 4 Minuten absolvierten die 18 Teilnehmer des Speed-Datings. Nach jeder Runde rückten die Konversationspartner einen Platz weiter und lernten so eine neue Person kennen. Die Gespräche waren oft so intensiv, dass die Teilnehmer an den Platzwechsel erinnert werden mussten.

10 … Minuten lang schrieben die Teilnehmenden der „HÖRWELTEN“-Vernissage am 1. Juli ein Hörprotokoll über das akustische Geschehen im Marburger Kunstverein. Die Ausstellung, ein Kooperationsprojekt der Künstlerin Mirja Wellmann, des Kulturamtes der Stadt Marburg und der blista, ist bis 18. August in den Räumen am Gerhard-Jahn-Platz 5 zu sehen – und zu hören!

10:24 … Minuten dauert der Film „With a little help…“, den die blista parallel zum Louis Braille Festival fertig produziert hat und der auf unterhaltsame Art und Weise für ein harmonisches Miteinander von Blinden, Sehbehinderten und Sehenden im Alltag wirbt.

12,5 x 9 … Meter maß der „Wunder-Pool“, in dem sich so manch ein Festivalteilnehmer einen lang gehegten Wunsch erfüllte: „Ich hab als Kind mal surfen lernen wollen, ich hab auch ein Surfbrett gehabt, konnte es aber nicht machen wegen der Erkrankung“, erzählte Oliver Dietrich. Er ist sehbehindert und war mit seiner blinden Freundin Daniela unterwegs.

31 … Haltestellen steuerten die Festival-Shuttles an, um die Gäste im Umkreis von bis zu 17 Kilometern um Marburg von ihren Hotels zum Festivalgelände, zum blista-Campus und zurück zu fahren. Der Einsatz der Busfahrerinnen und -fahrer war beherzt und kooperativ. Da wurden auch schon mal zusätzliche Runden gedreht, um die Wünsche der Fahrgäste zu berücksichtigen.

37 … Kilogramm Eis wurden verkauft.

50 … Über 50 Fahrrad-Tandems rollten zur Eröffnung des Festivals nach Marburg, unter ihnen Verena Bentele, ehemalige blista-Schülerin und heutige Bundesbehindertenbeauftragte.

61… Tasten hat ein Keyboard. Bei einem Stand beim „Markt der Begegnung“ in der kleinen Halle am Samstag konnten sich die Besucher an den schwarz-weißen Rechtecken ausprobieren. blista-Schüler Steve schwärmt: „Ich konnte meinen eigenen Track produzieren. Man konnte Drums einspielen und ein realistisches Piano und konnte aus einer Reihe von Synthesizern auswählen, also seine ganzen musikalischen Talente entfalten.“ Zudem war Steve happy darüber, mit einem Fachmann über Musikproduktion zu sprechen und Kontakte zu knüpfen.

100 … Die blista feiert in diesem Jahr ihr einhundertjähriges Bestehen. Am Freitagabend stand die blista im Mittelpunkt einer bunten Revue unter dem Motto „100 Jahre – 100 Talente“. „Dieser Titel bringt für mich auf den Punkt, was die blista ausmacht“, sagte Claus Duncker. „Von hier aus sind immer wieder Menschen aufgebrochen, die das gelebt haben, was sie an Talenten besitzen. Und genau das muss doch das Ziel von Bildung sein.“

106 … Besucherinnen und Besucher haben sich am Freitag und Samstag der Herausforderung gestellt, ein Kopfkissen schnellstmöglich zu beziehen, aus einem Wäschekorb ein T-Shirt und ein zusammengehöriges Paar Socken zu suchen und aus einem Beutel 20 Gegenstände - allein nur so zum Spaß. Mütter gegen Töchter oder Söhne, alt gegen jung, Frau gegen Mann, Geschwister, Freunde und Kollegen gegeneinander. Durchschnittlich 4,36 Minuten wurde für den kleinen Parcours gebraucht, die schnellste Teilnehmerin legte mit sagenhaften 2 Minuten und 25 Sekunden am Freitagabend eine mit Abstand uneinholbare Zeit vor!

112,83 … Meter Nachrichten wurden im Aktionszelt „Längster Wunschzettel“ auf einem Streifenschreiber getippt. Auch Ehrengast Bischof Martin Hein platzierte hier gern seine Wünsche für eine inklusive Gesellschaft.

137 … ehrenamtliche Helfer unterstützten die Mobilität der Gäste, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Novartis, Auszubildende der Sparkasse Marburg-Biedenkopf, junge Rotarier, Pfadfinder, Schüler … und rund 50 Kollegen aus der blista. Die Zahl der „begleiteten“ Kilometer konnten wir nicht ermitteln, sie dürfte jedoch angesichts der Weitläufigkeit des Georg-Gaßmann-Stadions mehrere Marathon-Strecken umfassen.

168… Kilometer liegt Köln von Marburg entfernt. blista-Schüler Tulga brachte die Rhein-Metropole im Rahmen der Ausstellung von Schüler-Projekten zum Thema Architektur dennoch ganz nah auf den blista-Campus. Die Modell-Wohnung im Maßstab 1:12,5, eine korrekte Nachbildung seiner Heimat in Köln, sorgte für einen großen „Wow“-Effekt.

250 … Gäste machten sich am Samstag via Festival-Shuttle auf den Weg zum blista-Reitstall in Wehrda, um sich von den umfangreichen Angeboten rund ums therapeutische Reiten ein Bild zu machen. Dabei trauten sich viele zum ersten Mal auf ein Pferd - die älteste Premieren-Teilnehmerin war 56, der jüngste 2 Jahre alt. Sechs Pferde waren im Einsatz, um den Besuchern diese besondere Erfahrung zu ermöglichen.

1000 … Briefe standen im Mittelpunkt einer der zahlreichen Geschichten beim Erzählcafé. Jürgen Hertlein, ehemaliger blista-Vorstand, berichtete, dass er eben diese Zahl an Dokumenten im Rahmen einer Spendenaktion persönlich unterschrieb. Die Mitarbeiter der Verwaltung nutzten dies, um ihm einen Brief unterzujubeln, der eine Einladung zu Gegrilltem und Fassbier für die Mitarbeiter vorsah. Hertlein unterschrieb auch das und stand später zu seinem – nicht ganz freiwillig – gegebenen Wort.

1100 … Fußballfans in der großen Halle verfolgten via Großbildschirm und Audiodeskription den Sieg Deutschlands gegen Italien nach 18 Elfmetern im Viertelfinale der Europameisterschaft. Nachdem bislang das Mantra galt, dass Deutschland noch nie bei einem großen Turnier gegen Italien gewonnen hat, kann es nun heißen: Beim Louis Braille Festival hat Deutschland IMMER gegen Italien gewonnen. Auch die Busfahrerin des Louis Brailleshuttles der Stadtwerke war sich dieses historischen Augenblicks bewusst und erklärte sich spontan bereit, bis nach dem finalen Schuss von Jonas Hector zu warten.

1949 … in diesem Jahr legte ein Besucher des Ehemaligen-Tages sein Abitur ab und war damit vermutlich der Älteste unter den rund 250 Teilnehmern, die am Freitag auf dem blista-Campus waren. In geselliger Atmosphäre machten sich die Besucher durch Führungen, Unterrichts-„Proben“ und einen Abstecher in eine Wohngruppe ein Bild von der blista, wie sie heute ist.

Fast 4000 … Teilnehmende waren insgesamt vor Ort. Viele entschieden sich kurzfristig und spontan: In den letzten 2 Wochen kamen 876 neue Anmeldungen hinzu.

Zur Autorin:

Imke Troltenier ist Leiterin Öffentlichkeitsarbeit der blista.

Mit Autorinnenfoto. Foto: blista. Bildbeschreibung: Eine dunkelblonde Frau mit Brille und dunklem Blazer lächelt mit verschränkten Armen in die Kamera.

Der Beitrag wird durch weitere drei Fotos ergänzt.

Foto 1: Bildunterschrift: "Das Louis Braille Festival besuchten fast 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: blista." Bildbeschreibung: Das Bild zeigt eine Vielzahl an Menschen, die sich am Eingang des Georg-Gaßmann-Stadions in Marburg befinden. In der Mitte wird ein kleines Kind von zwei Frauen an den Armen gehalten, während es sich lachend nach hinten fallen lässt.

Foto 2: Bildunterschrift: "Interessiert verfolgte Ehrengast Bischof Hein (rechts) das Endspiel im Blindenfußball-Turnier in Begleitung von blista-Direktor Claus Duncker (von links nach rechts), DBSV-Präsidentin Renate Reymann und Trainer Manfred Duensing. Foto: blista." Bildbeschreibung: Neben dem Fußballfeld im Georg-Gaßmann-Stadion in Marburg: ein grau melierter Herr in weißem Hemd und dunklem Jackett, eine lächelnde, blonde Frau mit Sonnenbrille, cremefarbenem Mantel und rotem Blindenstock, ein ergrauter, älterer Herr mit türkisfarbenem Hemd und ein auf das Spielfeld zeigender Herr mit Brille, weißem Hemd, dunklem Jackett und einer orangefarbenen Krawatte

Foto 3: Bildunterschrift: "Das Aktionszelt "Längster Wunschzettel". Foto: blista." Bildbeschreibung: Der längste Wunschzettel der Welt: eine Frau in einer dunkelblauen Jacke spricht mit einer blonden Frau mit Brille, die einen Beitrag zum Weltrekordversuch schreibt.

Klasse 6a der Carl-Strehl-Schule der blista

„Ach, wenn doch jedes Wochenende Louis Braille Festival wäre…“

Im Jubiläumsjahr hat die blista das schönste und größte Fest der bundesweiten Selbsthilfe nach Marburg geholt, jetzt liegt das Louis Braille Festival 2016 hinter uns und verknüpft sich für viele mit bunten, unterhaltsamen Erlebnissen und vergnügten Erinnerungen. Nachfolgend berichtet die Klasse 6a der Carl-Strehl-Schule auszugsweise.

Etwas Mutiges ausprobiert: Lina-Sophie, Klasse 6a der Carl-Strehl-Schule

Den Anfang macht Daryll: „Am Wochenende, dem 1. bis 3. Juli, war, wie ihr wisst, das Louis Braille Festival. Davon werde ich euch berichten. Wir gingen zuerst ins Tischtenniszelt und spielten dort Tischball. Das ist Tischtennis für Blinde. Das funktioniert so: Es gibt einen Tisch und zwei Tornetze, in die der Ball reinrollen muss. Es gab zwei Schläger und in der Mitte des Tisches war eine Holzplatte, die das Netz ersetzte. Man bekam einen Ball und eine Augenbinde für die, die sehen konnten. Ich durfte dort nur einmal spielen J. Dann gingen Berkay, Elisabeth und ich zum Gokartfahren. Wir haben viele Crashs gemacht, das war lustig J. Am Mittag kamen meine Mutter und meine Schwester und wir gingen zusammen zum Tandemfahren. Dort fuhren meine Schwester und ich Tandem, das war cool J.“

„Ich habe etwas Mutiges ausprobiert“, berichtet Lina-Sophie: „Ich bin gesurft. Ich habe mich das unter anderem getraut, weil der Sportlehrer, der das ganze erklärte, Herr Berland, mir schon viele coole Sachen gezeigt hat. Herr Arnold war auch dabei. Das Surfen probierte ich erst an einem Simulator aus. Das war gar nicht so schwer. Dann musste ich mir einen Neoprenanzug anziehen. Das war sehr kompliziert und umständlich. Dann ging es auf das Brett. Beim Aufsteigen machte ich einen Schritt ins Leere. Platsch! Das Wasser war wärmer als die Luft. Dann schaffte ich es, auf das Brett zu steigen, die Füße zu positionieren, aufzustehen und in Grundstellung zu gehen. Ich schaffte es auch, das Segel hochzuziehen. Dann musste ich einen sicheren Stand finden. Als ich das geschafft hatte, richtete ich das Brett aus und legte meine Hände an den Gabelbaum und dann ging es los. Schließlich war ich bis zur anderen Seite. Dann drehte ich das Brett und fuhr zurück …“

„Mein größtes Erlebnis war als Sehender, LPF (Lebenspraktische Fähigkeiten) zu machen mit einer Augenbinde. Man musste ein Kopfkissen beziehen und die Knöpfe zumachen. Dann musste man Wäsche aufhängen und Sachen in einer Tüte suchen. Ich habe 5 Minuten und 33 Sekunden gebraucht. Mein Lehrer, Herr Schütt, irgendwas mit 6 Minuten, “ erzählt Berkay und fährt fort: „Dann war ich klettern, ich bin an allen Routen, wo ich hochgeklettert bin, auch nach ganz oben gekommen.“

Mein herausforderndstes Erlebnis: Emely, Klasse 6a der Carl-Strehl-Schule

Von ihrem Tag in der Reithalle berichtet Emely: “Als Erstes gab es eine Voltigier-Vorführung, dann kam die Gruppe "spielerisch reiten lernen". Als nächstes kam die Quadrille, das ist eine Gruppe von 4 Reitern, die synchron reiten. Zum Schluss waren wir, die blista-Reitgruppe, dran. Wir zeigten den Leuten, wie eine normale Reitstunde bei uns abläuft. Danach kam der zweite Teil unserer Aufführung, in dem wir zwei Schulpferde verabschiedeten, die in Rente gehen. Das ist schade, denn ich habe beide sehr gemocht. Alles in allem war es ein sehr schöner Tag.“

„Wir hatten unseren Spaß“, lacht Zoé: „Wir gingen zu einem Tandem-Stand. Bei unserem Rad war die Lenkung kaputt und Mama hatte Angst. Ich wollte schnell fahren und ärgerte sie. Ich trat schnell in die Pedale und Mama bekam einen Herzkasper. Ich lachte mich kaputt! Nach dem Tandemfahren gingen wir zu der Lesung von Joana Zimmer. Sie ist eine blinde Sängerin. Sie berührte mich mit ihrer Stimme. Sie sang einen Song, dann las sie wieder. Am Ende wurde eine Quizfrage gestellt, wie viele Alben sie schon veröffentlicht hatte. "5!" war die richtige Antwort. Ich schrie die Zahl in die große Runde im kleinen Zelt und gewann ein Punktschriftexemplar ihres Buches „Blind date“!. Es wurde sogar von ihr persönlich signiert und danach gab es noch ein von Mama gemachtes Foto mit Joana Zimmer, Steve, Maxima und mir!!!“

„Es gab außerdem den längsten Wunschzettel der Welt“, erzählt Lina-Sophie. „Da konnte jeder Festival-Besucher seinen größten Wunsch aufschreiben. Ich schrieb: "Ich wünsche mir, dass Krieg, Gewalt, Terror und Angst in der Welt endlich ein Ende finden." Dann war ich noch auf einer besonders guten Vorlesung. Außerdem ging ich mit meiner Maske im Gesicht übers Gelände.“

„Ich finde, das Beste war die Gokartbahn,“ meint Keano: „Aber auch gut waren das Mini-Trampolin und Tischball. Die Fressbude war ebenfalls super J. Da gab es Cola, Sprite, Wasser, Bratwurst, Flammkuchen und noch vieles mehr. Es sind sogar bekannte Bands und Musiker aufgetreten.“

Zu den Autoren:

Der Artikel wurde von Schülerinnen und Schüler der Klasse 6a der Marburger Carl-Strehl-Schule der blista verfasst..

Foto 1: Unterschrift: "Teilweise kostete es die Teilnehmer einige Überwindung, die angebotenen Aufgaben zu bewältigen – wie etwa beim Surfen. Foto: blista." Bildbeschreibung: Ein Mädchen in einem schwarzen Neoprenanzug zieht das noch im Wasser liegende Segel eines Surfbretts zu sich heran, während zwei Männer das Surfbrett festhalten und unterstützen.

Foto 2: Unterschrift: "Reiten und Voltigieren bzw. auch der Umgang mit Pferden gehören zu den absoluten Highlights bei den Freizeitaktivitäten vieler Mädchen und Jugendlichen. Foto: blista." Bildbeschreibung: In einer Reithalle trainieren vier junge Mädchen das Reiten auf einem braunen Pferd sowie einem Schimmel.

Bildung und Wissenschaft

Prof. Dr. Kurt Jacobs

Kritische Schlaglichter zur qualitätsorientierten schulischen Inklusion

1. Ressourcenprobleme

Die Qualität und Stabilität des gemeinsamen Unterrichts sind stets abhängig von den pädagogisch erforderlichen personellen, sächlichen, räumlichen sowie finanziellen Ressourcen. Das in den anfänglichen Schulversuchen zum integrativen Unterricht praktizierte didaktisch-methodische Prinzip des Team-Teachings als unterrichtliches Kooperationsmodell zwischen Regelschullehrer und Förderschullehrer wurde aus finanziellen Ersparnisgründen schon vor Jahren abgelöst von dem vorherrschenden Ein-Lehrer-System. Hierbei wird der Regelschullehrer durch einen Förderschullehrer in der Funktion eines Ambulanzlehrers unterstützt, und zwar mit einem begrenzten Wochenstundenkontingent von in der Regel zwei bis maximal vier Wochenstunden. Große Klassen und ein inzwischen akut eingetretener Lehrermangel – vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern – destabilisieren auf Dauer die Qualität des gemeinsamen Unterrichts.

2. Didaktisch-methodische Probleme im inklusiven Grundschulsektor

Beim Erlernen des Schreibens und des Lesens sind blinde Grundschüler ausnahmslos und unbedingt auf das Erlernen und die Anwendung der Blindenschrift angewiesen. Regelschullehrer, die vielleicht im Rahmen des gemeinsamen Unterrichts zum ersten Mal einem blinden Kind begegnen, verfügen gewöhnlich über keinerlei Kenntnisse der Blindenschrift. Damit ist der Regelschullehrer nicht in der Lage, bei dem blinden Schüler den Leselernprozess auf der Grundlage der Blindenschrift anzubahnen und weiterhin zu beurteilen, ob der blinde Grundschüler einen bestimmten Buchstaben oder ein bestimmtes Wort in Blindenschrift richtig schreibt. Eine Unterstützung kann hierbei nur durch einen ausgebildeten Blindenpädagogen erfolgen, wobei die Kontinuierlichkeit der Vermittlung der Kulturtechniken auf der Grundlage der Blindenschrift durch die immer mehr gekürzte Wochenstundenzahl des Ambulanzlehrers gefährdet ist. Im gemeinsamen Unterricht verschärft sich dieses Problem nochmals, wenn es im weiterführenden Schulbereich, zum Beispiel auf dem Gymnasium, um das Erlernen und die Anwendung der speziellen Blinden-Notenschrift im Musikunterricht sowie um die Blinden-Mathematikschrift, die Blinden-Chemieschrift sowie die Blinden-Physikschrift geht.

Einer unverzichtbaren Unterstützung des Regelschullehrers durch einen sehbehindertenpädagogisch ausgebildeten Ambulanzlehrer bedarf es auch bei der Vermittlung der Kulturtechniken. Das Wissen um die differenzierte Bandbreite von verschiedenen Sehbehinderungsarten und –graden kann und muss dem Regelschullehrer durch den speziell sehbehindertenpädagogisch ausgebildeten Ambulanzlehrer vermittelt werden. Dazu muss er in den entsprechenden Beratungsprozessen über die in jedem individuellen Fall notwendigen Sehhilfen, technischen Hilfsmittel und die entsprechenden sehbehindertenpädagogisch relevanten, didaktisch-methodischen Unterrichtsmaterialien aufgeklärt werden.

Schmerzvolle Erfahrungen der Ausgrenzung auch im Gemeinsamen Unterricht (GU) müssen blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Sportunterrichts häufig erleben. Als Beispiel hierfür seien alle sportlichen Ballspiele genannt, bei denen ein voll ausgebildetes Sehvermögen in der Regel die Voraussetzung für den Einsatz des eigenen Reaktionsvermögens ist. Blinden- und Sehbehindertenschulen haben Abhilfe geschaffen. Hier spielen die sehgeschädigten Schüler mit einem Klingelball, so dass sie sich akustisch in Bezug auf die jeweilige Ballposition orientieren können. Eine solche Maßnahme wäre auch im GU denkbar.

3. Mobilitäts- und Orientierungsprobleme

Eine Beeinträchtigung des inklusiven Schulklimas besteht zum Beispiel in dem hohen Lärmpegel in vielen Regelschulen. So haben durchgeführte Messungen an manchen Regelschulen in den Pausen einen Lärmpegel von 85 Dezibel ergeben, was dem Motorengeräusch eines mittelgroßen Motorrades entspricht. Da blinde und hochgradig sehbehinderte Schüler bei ihrer Orientierung aber auch in großem Maße auf ihr Gehör angewiesen sind, führt dies zu Orientierungsschwierigkeiten und Mobilitätseinschränkungen.

Die fehlende blendfreie Beleuchtung im Klassenraum und im übrigen Schulgebäude, Türschilder mit zu kleiner und nicht kontrastreich dargestellter Schrift, fehlende Bodenindikatoren zu wichtigen Funktionsräumen als Orientierungsleitlinie für blinde Schüler sowie ein unzureichend ausgeleuchteter Arbeitsplatz sind weitere negative Rahmenbedingungen, die das inklusive Schulklima beeinträchtigen.

4. Verschlechterung des schulischen Sozialklimas durch den gesellschaftlichen Wertewandel

Spricht man heutzutage von gesellschaftlichem Wertewandel, so ist vor allem damit gemeint, dass zu früheren Zeiten selbstverständliche menschliche Sozialtugenden wie Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme, Solidarität und Einfühlsamkeit in die Situation des Schwächeren im alltäglichen gesellschaftlichen Miteinander immer mehr dahinschwinden. Stattdessen ist eine Respektlosigkeit von jüngeren Kindern gegenüber älteren Jugendlichen und Erwachsenen in Form von Beschimpfungen mit Vulgärausdrücken und ein sich verstärkendes Potential von psychischen und körperlichen Aggressionen zu beobachten. Neben der Gefahr von körperlichen Angriffen, die blinde und sehbehinderte Schüler plötzlich und unvermittelt treffen, weil sie solche Angriffe nicht kommen sehen, sind es im Schulalltag vor allem Hänseleien, die in verletzenden und diskriminierenden Äußerungen gegenüber blinden oder sehbehinderten Schülern zutage treten. „Schielauge“ oder „Blindschlange“ sind hierbei noch die harmloseren Äußerungen. Aus solchen Hänseleien erwachsen zuweilen regelrechte Mobbing-Prozesse, die, wie Eltern bestätigen, zu einer geradezu unerträglichen psychischen Belastung für die ganze Familie werden können. So hätte sicherlich auch der Hauptschüler, der im Jahr 2008 an einer Hauptschule in Kassel-Bettenhausen einen Lehrer zusammengeschlagen hat, auch vor einem blinden Schüler nicht halt gemacht.

5. Fazit

Die aufgezeigten Aspekte und Schwierigkeiten zeigen deutlich, welche Probleme und Hemmnisse in Gestalt eines steinigen Weges zur Durchsetzung und Etablierung eines inklusiven Schulwesens bestehen. Geradezu ein Felsbrocken auf diesem steinigen Weg besteht in der gegenwärtigen Finanzpolitik der Bundesregierung. Auch wenn immer wieder von unserer Bundeskanzlerin beteuert wird, dass sich Deutschland zu einer Bildungsrepublik entwickeln wird, ist nicht zu übersehen, dass sich im Rahmen einer globalisierten Wettbewerbshysterie der Schwerpunkt der staatlichen Investitionen inzwischen auf die Elitebildung verlagert hat, mit der der Anteil der Höher- und Höchstqualifizierten durch eine anspruchsvolle Primärausbildung systematisch gesteigert werden soll.

Vor diesem Hintergrund kann man sich vorstellen, wie es um die Chancen für eine Verbesserung des Bildungssystems im Allgemeinen und im Besonderen unter dem Aspekt von inklusiver Beschulung hierzulande bestellt ist. Jedenfalls wird unter dem Primat der auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten UN-BRK die Bundesrepublik Deutschland langfristig nicht umhin können, durch eine geänderte und angepasste Fiskalpolitik dem in der UN-BRK verankerten Menschenrecht auf inklusive Schulbildung durch die Verfügbarkeit entsprechend notwendiger Finanzmittel zu entsprechen. So wird die Überprüfung des alle zwei Jahre fälligen Staatenberichts über die Umsetzung der UN-BRK durch den zuständigen UNO-Ausschuss stetig die Erkenntnis bei der Bundesregierung und den einzelnen Bundesländern wachsen lassen, dass schulische Inklusion nicht zum Spartarif, aber ganz bestimmt nicht zum Nulltarif zu bekommen ist. Schon heute existiert in allen Schulformen ein erheblicher Lehrermangel, der sich innerhalb der nächsten fünf Jahre durch eine anstehende Pensionierungswelle noch erheblich verstärken wird. Ob unsere Politiker dieses anstehende Dilemma überhaupt schon gesehen oder dafür vielleicht schon Lösungen bereit haben, muss als Problem offen bleiben, da sie darüber noch nichts haben verlauten lassen.

Wenn man Eltern behinderter Kinder auf der Basis der UN-BRK das Recht zugesteht, frei wählen zu können, ob ihr behindertes Kind im allgemeinbildenden Schulwesen inklusiv oder auf einer Förderschule beschult wird, so kann dies gewisse Probleme zur Folge haben. Diese können darin bestehen, dass dann Eltern nichtbehinderter Kinder, die ihr Kind nicht gemeinsam mit behinderten Kindern unterrichtet sehen wollen, sich zu „Integrationsflüchtlingen“ formieren und das jetzt schon gut ausgebaute Privatschulwesen in Gestalt einer „schulischen Parallelgesellschaft“ weiter ausdehnen.

Festzuhalten bleibt: Nur, wenn alle aufgezeigten, wesentlichen Probleme und Hemmnisse auf dem „steinigen Weg zur inklusiven Schulbildung“ langfristig gelöst sind, ist Inklusion verantwortbar. Für diesen Fall besteht Grund für vorsichtigen Optimismus in Bezug auf die weitere Entwicklung schulischer Inklusion und damit langfristig auch einer inklusiven Gesellschaft.

Damit wird deutlich, dass Inklusion nur auf der Basis entsprechender Bedingungen gelingen kann und dass diese nicht im Handumdrehen geschaffen werden können. Beharrlichkeit, Geduld, persönliches Engagement und Überzeugungskraft sind innerhalb dieses Prozesses wohl die besten Garanten dafür, langfristig erfolgreich an einer inklusiven Gesellschaft zu bauen.

Zum Autor:

Prof. Dr. Kurt Jacobs ist Vorsitzender des Beirats für die Belange von Menschen mit Behinderung der Kreisstadt Hofheim am Taunus und Mitglied des Inklusionsbeirats der Hessischen Landesregierung. Kontakt: Katzenlückstr. 39, 65719 Hofheim am Taunus, Telefon: 06192 5455, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Foto zum Beitrag mit Bildunterschrift: "Miteinander oder gegeneinander? Schulische Inklusion braucht gute Voraussetzungen. Foto: pixelio.de/Dieter Schütz." Beschreibung: Die Fäuste zweier Kinder berühren sich waagrecht, dicht an dicht.

Horus-Zeitreisen

Technischer Fortschritt ist etwas, das sich wie ein roter Faden durch viele Ausgaben unserer Zeitschrift schlängelt. Wir besuchen ihn – passgenau zum Schwerpunkt dieses Heftes – bei der Entwicklung des automatisierten Punktschriftdrucks in den frühen 1960er Jahren und lernen etwas über Lochkarten.

Quelle: Seibt, Peter / Dost, Winfried: Automatische Übertragung von Schwarzschrifttexten in Blindenpunktschrift mit elektronischen Rechenanlagen Erschienen in: Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen, 1964, H. 5/6, S. 128-143 (PS) – für die jetzige Ausgabe gekürzt.

Peter Seibt und Winfried Dost

Automatische Übertragung von Schwarzschrifttexten in Blindenpunktschrift mit elektronischen Rechenanlagen

In der Mai-Juni-Ausgabe (Nr. 3, 1963) des "Blindenfreund" hat Herr Karl Britz (Marburg) auf die Notwendigkeit einer Reform der deutschen Blindenkurzschrift hingewiesen. Zur Begründung führte Herr Britz u.a. an, dass damit die automatische Übertragung von Schwarzschrifttexten in Blindenschrift ermöglicht werde und man so dem drohenden Mangel an Fachkräften für die deutschen Blindendruckereien wirksam begegnen könne. Herr Britz wies auf erfolgreiche Versuche in den USA hin.

Seit zwei Jahren werden auch in Deutschland, am Institut für angewandte Mathematik der Universität Hamburg, unter Leitung von Herrn Dozent Dr. Helmut Werner im Rahmen eines Forschungsauftrags der Deutschen Forschungsgemeinschaft solche Versuche durchgeführt.

Die Arbeiten werden, vor allem in Fragen, die die deutsche Blindenkurzschrift und die Lesbarkeit der automatisch hergestellten Punktschrifttexte für Blinde betreffen, unterstützt durch Herrn Blindenoberlehrer Mansholt in Hannover und den "Hamburger Arbeitskreis Blindenkurzschrift", zu dem sich Lehrerinnen und Lehrer der Schule für Blinde und Sehbehinderte in Hamburg zusammengeschlossen haben.

Die automatische Übertragung der Schwarzschrifttexte in Punktschrift erfolgt in drei Schritten:

  1. Der Schwarzschrifttext wird mittels eines Kartenlochers, der wie eine Schreibmaschine zu bedienen ist, in Lochkarten gestanzt. Für diese Arbeit ist keine Kenntnis der Punktschrift erforderlich; man könnte sie mit fortschreitender technischer Entwicklung automatischen Lesegeräten übertragen.
  2. Die Lochkarten, die verschlüsselt den Schwarzschrifttext enthalten, werden von einer elektronischen Rechenanlage gelesen. In der Rechenanlage erfolgt die Umwandlung des Schwarzschrifttextes in Punktschrift. Die Rechenanlage stanzt als Ergebnis andere Lochkarten, die den verschlüsselten Punktschrifttext enthalten.
  3. Mit diesen Lochkarten wird eine automatische Punzieranlage gesteuert, die die Metallplatten für den Druck des Punktschrifttextes punziert. Solche automatischen Punzieranlagen sind in den USA vom American Printing House for the Blind (APH) in Louisville (Kentucky) in Zusammenarbeit mit der IBM entwickelt worden und dort seit einiger Zeit in Betrieb. Dadurch werden beim Blindendruck erhebliche Kosten eingespart. In Europa gibt es mit Lochstreifen gesteuerte Braille-Schreibmaschinen in Eindhoven und Leidschendam in den Niederlanden.

Der entscheidende Schritt der automatischen Übertragung ist die Umwandlung des Schwarzschrifttextes in Punktschrift in der elektronischen Rechenanlage. Die anderen Schritte werfen nur technische Probleme auf, die gelöst werden können. Die Geschwindigkeit der Übertragung wird allerdings diktiert durch die mechanischen Arbeitsgänge: das Lochen der Karten (Schreibmaschinengeschwindigkeit) und das Punzieren der Metallplatten (12 Seiten je Stunde); die Umwandlung in der Rechenanlage erfolgt wesentlich schneller (10 Punktschriftseiten je Minute).

Die Umwandlung in der Rechenanlage erfolgt nach einem "Programm", einer Folge von Instruktionen, die den Arbeitsablauf in der Rechenanlage genau regelt. Die grundsätzlichen Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden sind, liegen in der Natur der Rechenanlage. Der Schwarzschrifttext ist für die Rechenanlage nur eine Folge von Zeichen (Buchstaben, Satzzeichen, Ziffern, Zwischenräume), die sie voneinander unterscheidet und in der üblichen Reihenfolge (von links nach rechts) liest, mit denen sie aber - im Gegensatz zum menschlichen Leser - keinen Sinn verknüpft. Die automatische Umwandlung ist also ganz auf das vorliegende Schwarzschriftbild angewiesen.

Ohne jede Schwierigkeit kann man den Schwarzschrifttext Zeichen für Zeichen in Punktschrift übertragen, so dass jedem Schwarzschriftzeichen genau ein Punktschriftzeichen entspricht. Das ist nahezu der Fall in der Brailleschen Vollschrift. Um die Kürzungen der Blindenkurzschrift bei der Übertragung zu berücksichtigen, arbeitet die Rechenanlage mit einem "Wörterbuch". Darin ist jedes Schwarzschriftzeichen und jede Folge von Schwarzschriftzeichen, die gekürzt werden soll, mit der entsprechenden Punktschriftübersetzung und einfachen Regeln über ihren Gebrauch aufgeführt. Bei der Umwandlung vergleicht die Rechenanlage den Anfang des vorliegenden Schwarzschrifttextes mit den Zeichenfolgen im Wörterbuch und setzt für die längste Zeichenfolge des Wörterbuches, die mit dem Anfang des Schwarzschrifttextes übereinstimmt, die entsprechende Punktschriftübersetzung ein unter Berücksichtigung der im Wörterbuch aufgeführten Regeln. Mit den verbleibenden Zeichen des Schwarzschrifttextes wird in der gleichen Weise fortgefahren, bis der ganze Schwarzschrifttext in Punktschrift umgewandelt ist. Dieses Verfahren benutzt nur das vorliegende Schwarzschriftbild, kann also von der Rechenanlage durchgeführt werden.

Der Gebrauch der Kürzungen ist aber durch eine Anzahl Regeln eingeschränkt, die sich zu einem großen Teil auf den Sinn des Schwarzschrifttextes beziehen. Die Probleme, die die Berücksichtigung dieser Regeln aufwirft, sollen hier, nach steigender Schwierigkeit geordnet, behandelt werden. Es werden nur einige charakteristische Regeln ausgewählt, an denen die auftretenden Probleme deutlich werden. [Anmerkung: Bei den in den folgenden Regeln angegebenen Braille-Darstellungen kündigt das in Brailleschrift aus sechs Punkten bestehende Zeichen "%", wenn es am Wortanfang steht, ein Braille-Zeichen an.]

  1. Ein Teil der Laut- und Silbenkürzungen darf nicht am Anfang oder am Ende eines Wortes verwendet werden. Die Rechenanlage erkennt Wortanfang bzw. Wortende daran, dass das vorausgehende bzw. folgende Zeichen kein Buchstabe ist. Z.B. wird al, wenn das folgende Zeichen kein Buchstabe ist, (d.h. am Wortende) nicht durch %: [Braille-Darstellung], sondern durch "al" übersetzt. Die oben erwähnten einfachen Regeln, die im Wörterbuch mit aufgeführt sind, sind diese und ähnliche Regeln.
  2. Für Laut- und Silbenkürzungen, deren Gebrauch sich überschneidet, gibt es Vorrangregeln, die das Punktschriftbild eines Wortes eindeutig festlegen. Man kürzt [Braille-Darstellung]: baq, nicht b:l [Ball]; b7g, nicht ;rg [Berg].

Da die Rechenanlage den Schwarzschrifttext von links nach rechts überträgt, käme gerade das falsche Punktschriftbild heraus. Um das zu vermeiden, erweitert man das Wörterbuch, indem man die kritischen Kombinationen mit der richtigen Punktschriftübersetzung aufnimmt, also z.B. "all" mit der Übersetzung aq, "ber" mit der Übersetzung b7 und ebenso alle anderen kritischen Kombinationen, die sich aufgrund der Vorrangregeln ergeben.

Bei der nächsten und noch mehr bei den folgenden Regeln wird auf den Sinn des Schwarzschrifttextes zurückgegriffen und es treten erheblich größere Schwierigkeiten auf. (…)

  1. Eine große Zahl einschränkender Regeln gilt für die Wortkürzungen. Die Rechenanlage kann aufgrund des Schwarzschrift- und Punktschriftbildes einformige Wortkürzungen, zweiformige Wortkürzungen, Kommakürzungen, Vorsilben und Endungen unterscheiden (allerdings mit Einschränkungen, wie wir gleich sehen werden; zum Teil wurde bereits bei den Vorsilben be und ge darauf hingewiesen) und damit die richtigen Trennungszeichen setzen. Die Unterscheidung von Wörtern, die aus zwei und solchen, die aus mehr als zwei Wörtern zusammengesetzt sind, erfordert allerdings ein zweimaliges Lesen zusammengesetzter Wörter; einmal, um die Zahl der Teilwörter festzustellen, und ein zweites Mal, um das Wort in Punktschrift zu übertragen.

Nun wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Rechenanlage den Sinn eines Textes nicht versteht und ihn nur aufgrund der formalen Zeichenfolge überträgt. Es würde also "auf" immer als einformige Wortkürzung übertragen werden, auch in Wörtern wie: laufen, kaufen, schnaufen, Schaufel, ebenso "und" in Hund, Stunde, "war" in warten, "den" in reden usw. Ein Text, in dem solche Kürzungen vorkommen, stört mindestens das Sprachgefühl und oft auch die Lesbarkeit.

Der einfachste Weg, diese Schwierigkeit zu überwinden, ist, die einformigen Wortkürzungen nur alleinstehend zu verwenden und in Zusammensetzungen auszuschreiben. (Wollte man die Ausnahmen ins Wörterbuch aufnehmen, würde dieses zu umfangreich.) Lediglich Deklinations- und Konjugationsendungen sollen zugelassen sein (z.B. bei "hätte, welcher"). Man hätte damit gleichzeitig die deutsche Blindenkurzschrift wesentlich vereinfacht, indem die recht komplizierten Regeln für die einformigen Wortkürzungen in Wortverbindungen wegfallen. Dieser doppelte Gewinn dürfte die Verlängerung des Punktschrifttextes von etwa 0,4 Prozent aufwiegen.

Alle bisherigen Schwierigkeiten könnte man überwinden, indem man jedes Wort der deutschen Sprache mit der richtigen Punktschriftübersetzung in das Wörterbuch aufnähme. Dieses Verfahren scheitert daran, dass das Fassungsvermögen der Rechenanlage begrenzt ist. Außerdem lebt die Sprache, und es werden immer wieder neue Wörter gebildet, d.h. es sind immer wieder Fehlerquellen zu beseitigen.

Am Ende einer Zeile geht oft viel Platz verloren, weil die Rechenanlage keine Silbentrennung durchführt. Der Verlust beträgt im Deutschen wegen der Häufigkeit langer Wörter bis zu 5 Prozent. Allerdings werden z.Z. im Zusammenhang mit anderen Problemen Versuche zur automatischen Silbentrennung durchgeführt, die später auch dem automatischen Blindendruck zugutekommen werden. (…)

Hierzu ein Foto mit Bildunterschrift: "Ein Blick in die Druckerei der blista. Foto: blista." Beschreibung: Eine Rolle aus Metall, auf der Punktschriftzeichen zu erkennen sind.

Bücher

André Badouin

Buchtipp

Rüdiger Leidner: Einfach geradeaus – Ist es besser, früher oder später zu erblinden?

Asaro Verlag, Sprokensehl-Hagen, ISBN: 978-3-95509-083-8, 1 Bd., 11,90 Euro (in Papier oder E-Book erhältlich)

Leidner schildert nicht nur die Hindernisse und Erfahrungen auf seinem Weg, sondern geht nach dieser chronologischen Darstellung wie in einem Interview auf Fragen ein, die ihm im Laufe seines Lebens immer wieder gestellt wurden. Diese lauten etwa: „Wie geht das im Büro?“, „Wie konnten Sie ohne elektronische Hilfsmittel studieren“ und „Wurden Sie aufgrund der Behinderung schon einmal benachteiligt?“

Andrea Katemann

50.000 Hörbücher stehen zum Download bereit: Online-Katalog der blista bietet Lieferung ohne Wartezeiten

Seit dem 18.07.2016 ist es bei der Deutschen Blindenstudienanstalt v. V. (blista) möglich, kostenlos aus einem Angebot von 50.000 Hörbüchern auszuwählen und diese direkt per Download zu erhalten. Es ist keine Installation von Zusatzsoftware nötig. Die eventuell durch den Postversand entstehenden Wartezeiten entfallen somit. Über unseren barrierefrei und mit Smartphones bedienbaren Onlinekatalog, erreichbar unter www.katalog.blista.de, lassen sich Bücher bequem laden. Dabei spielt es keine Rolle, ob man einen PC mit dem Betriebssystem Windows oder Mac, ein Tablet, ein iPhone oder ein Smartphone mit dem Betriebssystem Android benutzt.

Wer noch nicht Mitglied in unserer Hörbücherei ist, findet auf der Startseite des Kataloges den Link "Anmelden". Dort können sich blinde und sehbehinderte Menschen sowohl als Neukunden als auch Benutzer des Kataloges registrieren. Neben der Option, Bücher per CD auszuleihen, gibt es nun im Katalog den zusätzlichen Link "Download". Wählt man diesen aus, wird man nach der Frage "Wirklich herunterladen" auf die Download-Ausleihliste geleitet. Nach einer kurzen Verarbeitungszeit wird ein Downloadlink bereitgestellt. Betätigt man diesen und bestätigt, dass man die Datei speichern möchte, wird das Buch heruntergeladen.

Die heruntergeladene Datei ist eine ZIP-Datei. Für einen Standard-Daisyplayer muss sie entpackt werden. Zum Abspielen am PC empfehlen wir die Software Max Daisyplayer oder Legantoo. Für Smartphones eignet sich der Voice Dream Reader. Diesen gibt es für IOS und Androidgeräte. Die Bücher müssen für das Smartphone nicht entpackt werden, und sie lassen sich nach dem Herunterladen vergleichsweise leicht finden.

Wir freuen uns immer über Rückfragen, Anregungen, Lob und Kritik. Dazu melden Sie sich gerne telefonisch bei der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) unter Telefon: 06421 6060 oder schicken eine Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Thorsten Büchner

Buchtipps aus der blista

Jojo Moyes: Die Tage in Paris

Rowohlt, Reinbek, Bestellnummer: 4832, 1 Bd., KR, 21,50 Euro (in Papier, für Braillezeile und mit synthetischer Stimme erhältlich)

Sophie heiratet in der Belle Époque den Pariser Maler Édouard. Im Trubel der Hauptstadt muss sie lernen, seine Armut mit ihm zu teilen. Ein anderes Paar verbringt 100 Jahre später seine Flitterwochen in Paris: Liv und David haben Hals über Kopf geheiratet.

Foto zum Beitrag mit Bildunterschrift: "In Moyes Roman ist Paris der Handlungsort. Foto: pixelio.de/Wilfried Giesers." Beschreibung: Auf dem Bild ist der Eiffelturm – fotografiert aus einer Häuserschlucht heraus – zu sehen.

Theodor Fontane: Effi Briest

Anaconda, Köln, 2014, Bestellnummer: 4825, 3 Bde., K98, 64,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

Effi wird als 17-jähriges Mädchen mit dem Jugendfreund ihrer Mutter verheiratet. Sie scheitert in ihrer Ehe an der Verständnislosigkeit ihres Mannes, der starr an dem überlebten und unmenschlichen Ehrenkodex des Adels festhält. Durch einen Zufall gerät diesem ein Bündel Briefe in die Hand. Es sind Briefe, die an seine Frau gerichtet sind. Aus einer landläufigen Ehebruchsaffäre schuf Fontane einen bedeutenden Gesellschaftsroman.

Jürgen Todenhöfer: Inside IS – 10 Tage im „Islamischen Staat“

Bertelsmann, München, 2015, Bestellnummer: 4837, 3 Bde., KR, 64,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

Zehn Tage war der Publizist Todenhöfer im "Islamischen Staat" unterwegs und beobachtete den Alltag unter der Herrschaft des IS, sprach mit Kämpfern des IS, um deren Beweggründe kennen zu lernen. In einer Art Tagebuch berichtet er vom Verlauf seiner Reise. Einen großen Teil des Buches nimmt ein Interview über Skype mit dem deutschen Kämpfer Abu Qatadah, eine Art Medienbeauftragter des IS, ein. Für ihn, wie für Todenhöfer, der sich immer wieder dezidiert gegen Gewalt als unislamisch ausspricht, sind die Schuldigen klar: Der Westen, insbesondere die Amerikaner, hätten mit ihrer Gewalt und ihrer Demütigung der islamischen Welt die Basis für den Krieg des IS gegen alle Ungläubigen gelegt.

Jan Weiler: Das Pubertier

Kindler, Reinbek, 2014, Bestellnummer: 4840, 1 Bd., KR, 21,50 Euro (in Papier, für Braillezeile und mit synthetischer Stimme erhältlich)

Sie waren süß. Sie waren niedlich. Jeden Milchzahn hat man als Meilenstein gefeiert. Doch irgendwann mutieren die Kinder in rasender Geschwindigkeit von fröhlichen, neugierigen und nett anzuschauenden Mädchen und Jungen zu muffeligen, maulfaulen und hysterischen Pubertieren. Aus rosigen Kindergesichtern werden Pickelplantagen. Nasen, Beine und Hinterteile wachsen in beängstigendem Tempo. Stimmen klingen wie verstimmte Dudelsäcke, aber die Kommunikation scheint ohnehin phasenweise unmöglich, denn das Hirn ist wegen Umbaus vorübergehend geschlossen. Und doch ist da ein guter Kern. Irgendwo im Pubertier schlummert ein erwachsenes Wesen voller Güte und Vernunft. Man muss nur Geduld haben, bis es sich durch Berge von Klamotten und leeren Puddingbechern ans Tageslicht gewühlt hat.

Heike Buchter: BlackRock – Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld

Campus-Verlag, Frankfurt/Main, 2015, Bestellnummer: 4815, 3 Bde., KR, 64,50 Euro (in Papier und für Braillezeile erhältlich)

BlackRock ist der weltweit größte Vermögensverwalter und dennoch nur Insidern bekannt. Die "Zeit"-Journalistin zeichnet den Aufstieg des Unternehmens und seine Machtfülle als Berater von Regierungen und Finanzinstituten nach und gibt zugleich Einblick in die Funktionsweise des Finanzkapitalismus.

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Panorama

Uwe Boysen

Sechs gemeinsame Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz
Zum Referentenentwurf vom 26. April 2016

Der Deutsche Behindertenrat hat auf Grund des Referentenentwurfs zu einem Bundesteilhabegesetz sechs Kernforderungen aufgestellt. Sie sind auch nach nunmehr erfolgter Vorlage des Kabinettsentwurfs, der voraussichtlich im September im Bundestag behandelt wird, größtenteils weiter aktuell. Wir dokumentieren Auszüge.

(…)

Wir fordern, Einkommen und Vermögen nicht mehr heranzuziehen.

  • Behinderung darf nicht arm machen. Auch bei im Laufe des Lebens erworbenen Behinderungen dürfen die Menschen nicht zu einem Leben in Armut gezwungen werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung Leistungen zur Unterstützung bekommen, insbesondere Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Blindenhilfe. Deshalb fordern wir im Sinne eines Nachteilsausgleichs den Verzicht auf die Einkommens- und Vermögensheranziehung.
  • Zumindest muss jetzt der spürbare und verbindliche Ausstieg im Gesetz festgeschrieben werden. Bei der Heranziehung insbesondere von Einkommen sind dazu in jährlichen Stufen deutliche Verbesserungen vorzusehen.
  • Die aktuelle Regelung, wonach Familien und Ehepartner mit ihrem Einkommen und Vermögen mit herangezogen werden, muss unmittelbar aufgehoben werden.
  • Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen gemeinschaftlich leben, muss weiterhin ein Geldbetrag zur persönlichen Verfügung verbleiben.

Wir sagen NEIN zu Leistungskürzungen und –einschränkungen.

  • Das Bundesteilhabegesetz muss Leistungen für die Betroffenen verbessern und darf nicht Personenkreise ausschließen oder Leistungen einschränken.
  • Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in 5 von 9 Lebensbereichen bestehen muss. Die Folge wäre, dass notwendige Unterstützung in einzelnen Lebensbereichen (z. B. bei Bildung oder Kommunikation) trotz bestehenden Hilfebedarfs nicht mehr gewährt wird. Das ist umso problematischer, als bei Personen ohne wesentliche Behinderung bisherige Ermessensleistungen gestrichen werden sollen.
  • Die Aufgabe der Eingliederungshilfe wird im neuen Gesetz deutlich enger gefasst, ihre rehabilitative Ausrichtung ist damit nicht mehr gewährleistet, hier schafft auch ein offener Leistungskatalog keine Abhilfe.
  • Es drohen Einschränkungen bei der sozialen Teilhabe in Bereichen wie Freizeit, Kultur und Ehrenamt, bei gesundheitsbezogenen Teilhabeleistungen, Hilfsmittelversorgung, bei Bildung und Mobilität. Das betrifft auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Dazu darf es nicht kommen.
  • Im gesellschaftlich zentralen Bereich der Bildung sind Verbesserungen dringender denn je. Statt Restriktionen oder gar Rückschritte braucht es hier besonders niederschwelligen Zugang und umfassende Leistungsinhalte. Einheitlich hohe Standards für inklusive Bildung, einschließlich Unterstützungsleistungen, sind jetzt zu schaffen.
  • Notwendige Leistungen der Pflege sind gleichberechtigt neben der Eingliederungshilfe zu gewähren. Ein Vorrang von Pflegeleistungen, mit dem Eingliederungshilfeleistungen ausgeschlossen werden, ist abzulehnen. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht wegen ihres Unterstützungsbedarfs auf Pflegeeinrichtungen verwiesen werden.

Wir fordern ein Verfahrensrecht, das Leistungen zügig, abgestimmt und wie aus einer Hand für Betroffene ermöglicht und nicht hinter erreichte SGB IX-Gesetzesstandards zurückfällt.

  • Der Zugang zu Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe muss für alle Menschen umfassend in allen Lebenslagen ermöglicht werden. Daran müssen alle Rehabilitationsträger abgestimmt mitwirken. Die Eingliederungshilfe muss sich hier einpassen und denselben Verfahrensregelungen folgen. Die durch das SGB IX bereits erzielten Fortschritte sind zu bewahren und auszubauen.
  • Zugang, Umfang und Inhalt der Teilhabeleistungen sind für alle Rehabilitationsträger auf einheitlich hohem qualitativen Niveau zu garantieren. Das SGB IX, 1. Teil gibt hier den Rahmen, er muss auch für die Eingliederungshilfe verbindlich werden.

Wir fordern mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben.

  • Damit mehr schwerbehinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigungschancen erhalten, muss die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die trotz Gesetzespflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, deutlich angehoben werden. 320 Euro im Monat setzen hier zu wenig Anreiz, rechtswidriges Verhalten zu ändern.
  • Schwerbehindertenvertretungen (SBV) in Unternehmen verdienen mehr Unterstützung. Freistellungs- und Heranziehungsregelungen sowie Fortbildungsansprüche für sie müssen verbessert werden. Trifft ein Unternehmen Entscheidungen mit Wirkung für schwerbehinderte Beschäftigte ohne gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der SBV, darf diese Entscheidung erst wirksam werden, wenn die Beteiligung nachgeholt wurde.
  • Zugleich sind die Mitbestimmungsrechte für Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen auszubauen; dies muss auch für alternative Leistungsanbieter gelten. Für Werkstattbeschäftigte braucht es mehr Wahlmöglichkeiten, wie zum Beispiel das vorgesehene Budget für Arbeit, um auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können. Auch für Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf ist Teilhabe am Arbeitsleben sicherzustellen, ohne dies auf Leistungen der Werkstatt zu beschränken.

Wir fordern, Betroffenenrechte nicht indirekt, z.B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, zu beschneiden.

  • Die geplante Trennung von existenzsichernden Leistungen und Teilhabeleistungen darf nicht zu Leistungslücken zulasten der behinderten Menschen führen. Kosten der Unterkunft und des Lebensunterhalts sind weiter umfassend zu finanzieren – unabhängig vom Lebensort.
  • Das neue Recht darf auch nicht zu enormer Bürokratisierung bei den behinderten Menschen bzw. Leistungserbringern führen. Die Qualität der Dienste und Einrichtungen darf nicht über eine Abwärtsspirale der Finanzierung gefährdet werden – im Interesse der Menschen mit Behinderungen.
  • Das von der Bundesregierung geplante Durchbrechen der Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe darf zudem nicht dazu führen, dass Leistungen abgebaut werden oder die Tarifbindung der Leistungserbringer ausgehöhlt wird.

Ute Sonnenberg

Blinde und sehbehinderte Menschen haben ein Recht auf Bücher

Das Deutsche Institut für Menschenrechte forderte die Bundesregierung anlässlich des Welttags des Buches (23. April) auf, den „Vertrag von Marrakesch“ umzusetzen. Dieses völkerrechtliche Übereinkommen aus dem Jahr 2013 sichert Menschen mit Lese- und Sehbehinderungen den Zugang zu Büchern und kulturellen Werken in barrierefreien Formaten wie Brailleschrift, Großdruck oder Hörbuch. Obwohl die Bundesregierung den Vertrag unterstützt, hat sie ihn noch nicht ratifiziert. Grund dafür ist ein Streit mit der EU-Kommission über die Frage, wer für die Umsetzung des Vertrags zuständig ist.

Blinde, seh- und lesebehinderte Menschen haben in Deutschland Zugang zu maximal fünf Prozent aller hierzulande verlegten Werke der Literatur, Kunst und Wissenschaft. Grund dafür sind Regelungen im deutschen Urheberrecht und die geringen Gewinnaussichten für die Verlage bei der Produktion für kleinste Abnehmerkreise. Der Vertrag von Marrakesch sieht gesetzliche Regelungen vor, die es möglich machen, Werke ohne Zustimmung der Rechtsinhaber in wahrnehmbare Formate zu überführen. Darüber hinaus enthält er ein Regelwerk für den Austausch von barrierefreien Werken über Ländergrenzen hinweg. Er wurde im Rahmen der Weltorganisation für intellektuelles Eigentum (WIPO) erarbeitet und am 27. Juni 2013 verabschiedet.

Die Europäische Kommission hat im September 2015 beim Europäischen Gerichtshof die Klärung der Frage beantragt, ob ausschließlich die EU für den Abschluss des Vertrags von Marrakesch zuständig ist. Bis zur Klärung dieser Frage können Jahre vergehen. Aufgrund der ungeklärten Rechtslage sind bislang weder die Mitgliedstaaten noch die Europäische Union dem Übereinkommen beigetreten.

Weitere Informationen:

Valentin Aichele (2016): Mehr barrierefreie Bücher. Warum der Vertrag von Marrakesch endlich umgesetzt werden muss. Position Nr. 1. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.

Rita Schroll

Studie zu sexualisierter Gewalt an Schulen: Jugendliche mit Behinderungen werden nicht befragt

Frauen mit Behinderung werden in Kindheit und Jugend zwei- bis dreimal häufiger Opfer von sexualisierter Gewalt. Das geht aus einer Studie hervor, die das Bundesfamilienministerium im Jahr 2013 veröffentlicht hat. Trotz dieser alarmierenden Zahlen schließt das Hessische Kultusministerium jetzt gerade diese besonders gefährdete Gruppe von einer Studie zum Thema sexualisierte Gewalt an Schulen aus. Bei einer repräsentativen Befragung im laufenden Schulhalbjahr sollen Förderschülerinnen außen vor bleiben. Durchgeführt wird die Erhebung nur in den Jahrgangsstufen 8 bis 10 an Regelschulen, was der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Hessen kritisiert.

„Dies ist nicht verantwortbar und widerspricht ganz klar der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie schreibt in Artikel 16 vor, dass sicherzustellen ist, dass Fälle von Gewalt und Missbrauch gegenüber behinderten Menschen erkannt und untersucht werden“, erklärt Günter Woltering, Landesgeschäftsführer des PARITÄTISCHEN Hessen. Bereits im vorigen Herbst hatte der PARITÄTISCHE Hessen dem Kultusministerium seine Bedenken am Zuschnitt der Studie in einem Schreiben mitgeteilt. In seiner Antwort begründete das Land Hessen den Ausschluss von Jugendlichen mit Behinderungen mit „inhaltlichen, methodischen und finanziellen Erwägungen“.

Der PARITÄTISCHE Hessen fordert das Land Hessen auf, in die Befragung zu sexualisierter Gewalt auch Jugendliche mit Behinderungen einzubeziehen und die Studie auf Förderschulen auszuweiten, und zwar ungeachtet der zusätzlichen Kosten für eine barrierefreie Erhebung.

Anja Brockhagen

Mobil und barrierefrei: Neues Layout bei REHADAT

Unter www.rehadat-gkv.de ist das Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei REHADAT im neuen Design, barrierefrei und mit mobilen Endgeräten abrufbar.

Die neue Internetseite passt sich automatisch der Größe und Auflösung des Displays an und ist somit mit Desktop-Computern, Tablets oder Smartphones barrierefrei nutzbar. Aufbau und Programmierung der Seiten sind für die Anwendung mit Screenreadern optimiert. Das Hilfsmittelverzeichnis wird vom GKV-Spitzenverband erstellt und regelmäßig fortgeschrieben. Darin sind Produkte gelistet, die prinzipiell unter die Leistungspflicht der Gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung fallen. REHADAT übernimmt die im Bundesanzeiger veröffentlichten Aktualisierungen des Verzeichnisses.

Im GKV-Hilfsmittelverzeichnis bei REHADAT kann über die Klassifikation oder über Eingabefelder nach Hersteller, Positionsnummer oder Produkt gesucht werden. Nutzer können sich zudem per E-Mail benachrichtigen lassen, wenn Aktualisierungen im Verzeichnis bei REHADAT aufrufbar sind. Das GKV-Hilfsmittelverzeichnis ist in das Internetportal REHADAT-Hilfsmittel eingebunden, das weiterführende Informationen zu Produkten, Rechtsprechung und Beispiele von Arbeitsplatzgestaltung mit Hilfsmitteln enthält.

Foto mit Bildunterschrift: "Das GKV-Hilfsmittelverzeichnis im neuen Gewand. Foto: Institut der Deutschen Wirtschaft." Beschreibung: Zu sehen ist ein Screenshot des neuen GKV-Hilfsmittelverzeichnisses, der etwa die Produktgruppen, Anwendungsorte und die Produktarten auflistet.

Cathrin Kameni

Stärkerer Zugang für Rechte von Menschen mit Behinderungen bei Justizministerkonferenz gefordert

Das Deutsche Institut für Menschenrechte forderte anlässlich der Frühjahrstagung der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) die Justizministerinnen und -minister auf, sich stärker für einen verbesserten Zugang zum Recht von Menschen mit Behinderungen einzusetzen.

"Unzugängliche Gerichtsgebäude, juristische Fachsprache oder unflexible Abläufe in rechtlichen Verfahren stellen Menschen mit Beeinträchtigungen vor oftmals unüberwindbare Barrieren", erklärte Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Instituts. "Trotz vereinzelter Initiativen ist es nach wie vor für Menschen mit Behinderungen viel schwieriger, ihre Rechte vor Gericht durchzusetzen."

Gerade die Justizministerinnen und -minister müssten sich verstärkt dafür einsetzen, dass sich das ändere. Es gebe zwar einige Vorarbeiten der JuMiKo zum Zugang zum Recht von Menschen mit Hör- und Sprachproblemen aus dem Jahr 2014, doch weitere Anstrengungen seien nötig. Die JuMiKo solle eine weitere Bund-Länder-Arbeitsgruppe einsetzen, die mit Blick auf den Zugang zum Recht für alle Menschen mit Behinderungen Reformvorschläge erarbeite.

Die Vereinten Nationen haben 2015 nach der Prüfung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland weitreichende Kritik geübt und auf den dringenden Handlungsbedarf beim Zugang zum Recht für Menschen mit Behinderungen hingewiesen. Beispielsweise wurde Deutschland aufgefordert, die besonderen Bedarfe von Menschen mit geistigen oder psychosozialen Behinderungen, taubblinden Menschen und Kindern mit Behinderungen in Gerichtsverfahren stärker zu berücksichtigen.

Irene E. Girschner

Kooperation zur verbesserten Inklusion von blinden und sehbehinderten Menschen im Arbeitsmarkt gestartet

Auf der Geschäftsführerkonferenz des Bundesverbandes der Berufsförderungswerke Deutschlands am 09.06.2016 in Würzburg unterzeichneten die Stiftung MyHandicap und die auf Blindheit und Sehbehinderung spezialisierten Berufsförderungswerke (BFW) aus Halle (Saale), Düren, Mainz und Würzburg ihre Vereinbarung zur Zusammenarbeit. Geplant ist eine umfassende Informationsaufbereitung über die Plattform von www.myhandicap.de, die sich an Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung wendet.

Mit der Erfahrung und der Expertise der vier spezialisierten Berufsförderungswerke werden sowohl Betroffene und deren Umfeld als auch Unternehmen über Hilfen und berufliche Möglichkeiten zuverlässig informiert. Um die Vernetzung von Arbeitgebern mit gut ausgebildeten Menschen mit einer Seheinschränkung weiter zu verbessern, werden die Absolventen der Berufsförderungswerke und deren Angebote in die Jobbörse von MyHandicap eingebunden. Damit wird ein Beitrag zur verbesserten Inklusion von Menschen im ersten Arbeitsmarkt geleistet.

Ziel von MyHandicap ist es, Menschen mit Behinderung den Lebensalltag zu erleichtern und ihnen in privaten und beruflichen Belangen zum Erfolg zu verhelfen. Dazu gehört es auch, Unternehmen und Arbeitssuchende bei allen Fragen rund um Job, Ausbildung und Inklusion bestmöglich zu unterstützen. Die MyHandicap-Jobbörse ist ein weiterer Beitrag auf dem Weg in eine inklusive Arbeitswelt. Ziel der Berufsförderungswerke ist die zeitnahe Wiedereingliederung der erwachsenen Teilnehmer in das berufliche und gesellschaftliche Leben, denn der Großteil der Lehrgangsteilnehmer war vor der Sehschädigung berufstätig.

Bei der Vertragsunterzeichnung in Würzburg äußerten die beteiligten Geschäftsführer ihre Freude über die Zusammenarbeit. „Durch die Kooperation mit den vier Berufsförderungswerken können wir auf unserer Plattform www.myhandicap.de Arbeitgebern eine wichtige Quelle zur Rekrutierung von gut ausgebildetem Fachpersonal aufzeigen und Ratsuchende, seien es Betroffene, deren Angehörige oder auch Unternehmen, direkt mit ausgewiesenen Fachexperten im Bereich Sehbehinderung und Blindheit vernetzen“, so Robert Freumuth, Geschäftsführer von MyHandicap Deutschland.

Dr. Hans-Joachim Zeißig, Geschäftsführer BFW Düren, und Hans-Dieter Herter, Geschäftsführer BFW Mainz, verweisen auf die vielen Erfolgsgeschichten zur Integration von Menschen mit Sehbehinderung. „Das Internet und Plattformen wie MyHandicap stellen eine gute Möglichkeit dar, diese Erfolgsgeschichten wirksam zu platzieren", so Dr. Zeißig. Wichtig sei es, so Herter weiter, „dass wir die vielen Möglichkeiten der Inklusion der breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, denn viele Unternehmen wissen gar nicht, dass wir BFWs für den Bedarf im ersten Arbeitsmarkt ausbilden!"

Foto. Bildunterschrift: Der Startpunkt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit wurde gesetzt: (v.l.n.r.): Christoph Wutz (Würzburg), Hans-Dieter Herter (Mainz), Kerstin Kölzner aus Halle (Saale), Dr. Hans-Joachim Zeißig (Düren) und Robert Freumuth, Geschäftsführer der Stiftung MyHandicap. Foto: BFW Würzburg, Winkelhardt. Bildbeschreibung: Vier Männer und eine Frau lächeln und halten jeweils ein Schriftstück vor sich. Die fünf Schriftstücke überkreuzen sich in der Mitte vor ihnen.

Bea Graff

BFW Mainz informiert über Berufe

Berufsinformationsmesse für Berufe im Bereich Gesundheit und Soziales - Inklusion kann gelingen!

Was haben die beiden Teile der Überschrift gemeinsam? Eine Berufsinformationsveranstaltung in einer spezifischen Einrichtung und Inklusion – wie hängt dies zusammen?

Unter Inklusion versteht das BFW Mainz, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, unterschiedlicher Nationalität, mit Behinderung und ohne Behinderung gemeinsam lernen, leben, einen beruflichen Abschluss oder Studienabschluss erlangen und arbeiten.

Das Berufsförderungswerk Mainz, Bildungsinstitut für Gesundheit und Soziales, bildet seit 50 Jahren Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen des Sehens aus. Seit 50 Jahren gelingt es, mit dem Angebot der Gesundheitsberufe erfolgreich Absolventen vollwertig in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

Am 5. November 2016 von 9.30 bis 17.00 Uhr findet im BFW Mainz eine Berufsinformationsveranstaltung statt. Hier kann man sich umfangreich in Beratungsgesprächen, Vorträgen und Workshops rund um die Frage der Berufe im Gesundheitswesen informieren. Vorgestellt werden die Ausbildungsgänge zum Physiotherapeuten, Masseur, med. Bademeister und Podologen. Weiterhin werden die Qualifikation zum Alltagsbegleiter sowie der B.C. Studiengang Medizinalfachberufe vorgestellt.

Foto. Bildunterschrift: "Beim BFW in Mainz wird Inklusion groß geschrieben. Foto: BFW Mainz." Beschreibung: Drei junge Menschen, zwei Männer links und rechts sowie eine Frau in der Mitte, lachen sich bei einem Gespräch an. Der Mann rechts hält einen Blindenstock in seiner rechten Hand.

Birthe Klementowski

Dot Watch – Die erste Smartwatch für Blinde

Von einem südkoreanischen Startup soll bald die erste Smartwatch für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung auf den Markt kommen: Die Dot Watch verfügt über ein taktiles Brailledisplay und vereint typische Funktionen einer herkömmlichen Smartwatch. So können Nutzer Nachrichten, Tweets und Messages abrufen, die Smartwatch als Fitnesstracker einsetzen, E-Books lesen, Anrufe checken und Google Maps abrufen.

Via Bluetooth 4.1 lässt sich die Dot Watch mit dem Smartphone verbinden und jede Art von Textinformation von Apps wie E-Mails, Nachrichtendienste, Messages, Tweets und mehr abrufen. Außerdem zeigt sie selbstverständlich die Uhrzeit an, verfügt über einen Timer, eine Stoppuhr- und Weckerfunktion, einen Beschleunigungssensor, Gyroskop und einen Touchsensor in einem 42-Millimeter-Gehäuse. Die Batterie soll, einmal aufgeladen, sieben Tage durchhalten, bevor sie wieder an die Ladestation muss. Eingehende Anrufe zeigt die Dot Watch mit Hilfe eines Vibrationsmechanismus an. Ein besonderes Feature ist der Braille-Lernmodus. So kann die Punktschrift mit Hilfe der Dot Watch entweder von der Pike auf erlernt oder das eigene Wissen aufgefrischt werden.

Ende 2016 soll die Dot Watch für 290 US-Dollar erhältlich sein. Wann genau sie in Europa Einzug hält, ist noch nicht bekannt. Die Smartwatch ist sowohl mit iOS- als auch mit Android-Geräten kompatibel. Weitere Infos auf http://www.dotincorp.com/

Barrierefreiheit und Mobilität

Marike Götz

Schneiden, Mischen, Mastern - Etablierte Audioschnittprogramme im Test

Ein wichtiger Aspekt zur Sicherstellung von Arbeitsplätzen von Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit der Anwendungssoftware, die in ihrem Arbeitsalltag Verwendung findet. Das Projekt BIT inklusiv setzt sich mit der Etablierung von Kompetenzstellen und -zentren für den Transfer von Fachwissen im Bereich barrierefreie IT ein. So vermittelte BIT inklusiv IT-Expertenwissen im Südwestfunk und im Hessischen und Norddeutschen Rundfunk. In diesem Zusammenhang testete der Kirchenmusiker, Musiklehrer und Betreiber eines kleinen kommerziellen Tonstudios, Michael Kuhlmann, als freier Mitarbeiter des Projektes verschiedene Audioschnittprogramme auf ihre barrierefreie Bedienbarkeit im Produktionsprozess. Im Interview mit BIT inklusiv stellt er seine Ergebnisse vor und verdeutlicht, worauf bei der Nutzung dieser Anwendungssoftware geachtet werden muss.

Herr Kuhlmann, was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit Audioschnittprogrammen?

Ursprünglich bin ich Kirchenmusiker. Computertechnik und die Realisierung von Arbeitsabläufen am Computer waren schon immer mein Hobby. Als technisch interessierter Musiker bin ich an Möglichkeiten interessiert, Musik zum guten Ton zu verhelfen. Beispielsweise wenn es darum geht, eigene Musik aufzunehmen. In diesem Zusammenhang bin ich mit Audiosoftware in Berührung gekommen.

Im Rahmen von BIT inklusiv testeten Sie verschiedene Programme auf ihre barrierefreie Bedienbarkeit. Was war das Ziel Ihrer Umfrage?

Zunächst einmal war dies, blinden und sehbehinderten Menschen die Möglichkeit zu geben, im Pro-Audio-Bereich zu arbeiten. Dieser Bereich ist bislang aufgrund der schlechten Zugänglichkeit nur wenig erschlossen. Im Rahmen der Etablierung eines Kompetenzzentrums beim Hessischen Rundfunk wollte ich herausfinden, welche Programme in Rundfunkanstalten verwendet werden und wie barrierefrei diese sind. Meine Befragungen führte ich mit mehreren Interviewpartnern auch beim Norddeutschen Rundfunk und beim Südwestfunk durch. Im Fokus meines Interesses lag die Frage, ob es für einen blinden oder stark sehbehinderten Pro-Audio-Techniker möglich ist, einen Hauptberuf in diesem Bereich auszuüben und ob die Hilfstechnologie inzwischen so weit entwickelt ist, dass er dies auch konkurrenzfähig machen kann.

Welche Softwareprogramme werden im Produktionsalltag von Rundfunkanstalten genutzt?

Im Rundfunk gibt es verschiedene Richtungen, in denen produziert wird. Beispielsweise wenn Konzerte mitgeschnitten und übertragen werden oder bei der Produktion von Trailern oder Jingles bei populärmusikalisch orientierten Sendern. Auf dem Markt gibt es derzeit mehr als 40 Produkte, die zur Audio-Bearbeitung verwendet werden. In der Praxis sind mir Avid Pro Tools und Magix Sequoia am häufigsten begegnet.

Welchen Anforderungen muss Audiosoftware gerecht werden, damit sie barrierefrei ist?

Die Betriebssysteme von Apple und Windows bieten Screenreader mit Softwareschnittstellen an, die sozusagen eine kommunikative Brücke zwischen Bildschirm und Software bilden. Es muss gewährleistet sein, dass die Audioschnittprogramme mit den Schnittstellen so kompatibel sind, dass der Screenreader seinerseits alle notwendigen Informationen abgreifen und für den Nutzer verwertbar machen kann. Barrierefreiheit ist meiner Meinung nach dann gegeben, wenn der Nutzer das Programm starten und loslegen kann. Deshalb sehe ich die Bedienbarkeit der Programme ohne vorherige Anpassung der Screenreader als eine Hauptanforderung an die Barrierefreiheit einer Software.

Konnten Sie Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bei der Handhabung der geprüften Audioschnittprogramme feststellen?

Pro Tools, der Marktführer, ist auf dem Mac ziemlich barrierefrei. Hier ist eine große Zugänglichkeit gegeben, wenn man mal von ein paar Schaltern absieht, die vielleicht nicht beschriftet sind. Auf dem PC sieht das leider ganz anders aus: Bis auf die Menüleiste kann ich auf dem Bildschirm mit meinen Hilfsmitteln überhaupt nichts lesen und mit den Inhalten des Programms nicht interagieren. Hier konnte ich einen krassen Unterschied von ein und demselben Programm von sehr zugänglich beim Mac bis überhaupt nicht zugänglich auf dem PC feststellen.

Welche Möglichkeiten der individuellen Anpassung bieten die einzelnen Anwendungen?

Die Anwendungen selber bieten nur wenige Möglichkeiten der individuellen Anpassung. Man kann die Oberfläche geringfügig umstellen, beispielsweise wenn es um die Auflistung der einzelnen Tonspuren geht. Eine Tabelle zeigt alle Tonspuren, die ich habe und auch Informationen darüber, welche Eigenschaften die einzelnen Spuren haben. Anhand einer so genannten Track-Liste kann ich auf einen Blick sehen, welche Spur zur Bearbeitung ausgewählt ist. Außerdem ist ganz genau ersichtlich, welcher Takt der Tonspur gerade ausgewählt ist und ich kann diesen bearbeiten. Mit Hilfe von Short-Cuts kann ich mich innerhalb der Takte fortbewegen.

Welche markanten Schwierigkeiten konnten Sie im Umgang mit den getesteten Programmen feststellen?

Probleme treten beispielsweise auf, wenn es um die Verwendung von Tastenkombinationen geht. Hierbei würde ich mir ein größeres, hörbares Feedback seitens der Programme wünschen. Bei einigen Short-Cuts – wie beispielsweise copy and paste – bekomme ich eine direkte, akustische Rückmeldung darüber, dass ich gerade einen Part eingefügt habe. Bei anderen Tastenkombinationen ist dies nicht der Fall und es kostes unnötige (Arbeits-)Zeit zu überprüfen, ob der Befehl tatsächlich ausgeführt wurde. Über die Schnittstellen ist es technisch durchaus möglich, eine Funktion einzubauen, um mehr akustisches Feedback zu den Short-Cuts zu bekommen. Das ist eine Barriere, die ganz einfach abzubauen wäre.

Welches der Audioschnittprogramme würden Sie auf Basis Ihrer Tests für den Produktionsalltag empfehlen?

Ganz uneingeschränkt würde ich Avid Pro Tools empfehlen; allerdings nur in der Anwendung auf dem Mac. PC-Nutzern empfehle ich Sequoia von Magix. Ein Audio-Profiwerkzeug, das auch für Konzertmitschnitte verwendet wird. Für den privaten Bereich oder auch bei einem kleineren Budget tendiere ich zu dem Freeware-Programm Audacity, das in Rundfunkanstalten, aber auch in Privathaushalten viel genutzt wird. Diese kostenlose Open Source-Software ist auf dem PC sehr zugänglich. Eine weitere Empfehlung ist die relativ junge Digital Audio Workstation „Reaper“ von den Winamp-Entwicklern. Sie ist inzwischen international sehr bekannt und mit knapp 60 Dollar für ein professionelles Audioprogramm sehr günstig. Das Tolle an Reaper ist ein Zugänglichkeits-Plug-In, das von einem der Screenreader-Entwickler von Windows bereitgestellt wird und das Programm wirklich zugänglich macht.

Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihren Tests mit?

In keinem anderen mir bekannten Bereich hängt die Qualität einer Arbeit so sehr vom Gehör ab. Man sagt uns Sehbehinderten und Blinden ein gut ausgeprägtes Gehör nach – insofern ist es paradox, dass wir Programme, bei denen das Gelingen der Arbeit genau davon abhängt, nicht bedienen können. Insofern würde ich mir wünschen, dass noch mehr Programme für uns zugänglich und bedienbar werden. Als Fernziel wünsche ich mir für Sehende als auch für Blinde, dass die Programme für alle gleichermaßen zugänglich werden. Denn festzuhalten ist, dass trotz einiger Fortschritte bei der Barrierefreiheit der professionellen Audiowerkzeuge noch einiges zu tun ist, um eine komfortable und vor allem gleichberechtigte Arbeit mit den Programmen zu ermöglichen. Die Entwicklung darf in diesem Bereich nicht stehen bleiben. Zudem müssen alle Programme sowohl für Mac als auch für PC zugänglich sein, damit wir blinden und sehbehinderten Nutzer nicht total in die Röhre gucken.

Zusatzinformation:

Eine Audiodatei des vollständigen Interviews inklusive Tonbeispiele sowie den ausführlichen Testbericht von Michael Kuhlmann finden Sie online unter www.bit-inklusiv.de

Der Beitrag enthält ein Foto von Michael Kuhlmann. Unterschrift: "Michael Kuhlmann testete Audioschnittprogramme. Foto: privat." Das Bild zeigt einen jüngeren Mann mit braunem Haar, Sonnenbrille, rot-weiß-gestreiftem Hemd und hellem, gemusterten Jackett.

Michael Große-Drenkpohl

Inklusion mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln

Auswirkung der Digitalisierung auf die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Behinderung

Die Digitalisierung der Arbeitswelt bietet für alle Menschen Chancen und Risiken – damit für Menschen mit Behinderungen nicht nur Risiken bestehen, sind bestimmte Voraussetzungen zu schaffen. Beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) sind Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf bei der Informationsaufnahme (Menschen mit Sehbehinderungen) und Kommunikation (Menschen mit Hörbehinderung) besonders betroffen. Die Auswirkungen von Barrieren hängen von der Stärke der individuellen Einschränkung, der Kompetenz im Umgang mit assistiver Technik und der Implementierung im gesamten Arbeitsprozess ab.

Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Sinnesbehinderungen

Aus fachdienstlicher Sicht verbessern sich die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Sehbehinderung durch die Digitalisierung nicht – Fachanwendungen sind nicht barrierefrei nutzbar. Wie geht es dann weiter? – Assistive Technologien wie z.B. Bildschirmleseprogramme (Screenreader) werden so umprogrammiert, dass betroffene Menschen über Umwege die erforderlichen Informationen bekommen. Dieses Verfahren ist aus der Not geboren, teuer, nicht nachhaltig und stellt häufig nur den Zugang für bestimmte Arbeitsabläufe sicher. Jedes Update, jede Änderung im Ablauf und jede neu hinzugekommene Maske erfordert das Nachentwickeln der Anpassung mit allen verbundenen Kosten und Ausfallzeiten. Die technischen Zusammenhänge sind komplex und nicht leicht zu vermitteln. So kann z.B. eine Software selber zugänglich sein, die technische Implementierung aber den Zugang für assistive Technologien verbauen (Anwendungs- und Terminalserver etc.).

Entscheidend für eine gute Einbindung in die Arbeitsprozesse ist nicht nur die Barrierefreiheit – diese ist zunächst die elementare Voraussetzung für den Zugang zu Informationen. Genauso wichtig ist die Gebrauchstauglichkeit der Anwendung in Kombination mit assistiven Technologien. So sind z.B. Kurztastenbefehle für die schnelle Interaktion entscheidend. Der Zugang zu visuellen Informationen über das Auge mit Lupensoftware, synthetische Sprachausgabe oder taktile Hilfen (Braillezeile) ist für Menschen mit Sehbehinderung immer eine zusätzliche Leistung – ein Hilfsmittel ersetzt eben nicht das volle Sehvermögen. Damit mit guten Kompensationsstrategien effizient gearbeitet werden kann, sind daher weitere Maßnahmen erforderlich. Dies sind keine neuen Erkenntnisse – schon vor ca. 30 Jahren waren es häufig Menschen mit einer Sehbehinderung/Erblindung, die mit geeigneter Computertechnik kompetent und effektiv arbeiten konnten. Der breite Einsatz von Computertechnik an Arbeitsplätzen, sei es im Büro oder mobil, die Vernetzung sowie die Einführung neuer Prozesse sorgen jedoch für eine erhebliche Verdichtung der Informationsmengen, kurze Reaktionszeiten und eine große Komplexität und Vielfalt installierter Systeme im IKT-Bereich. Schon bei der Ausschreibung von Softwareprojekten müssen die Anforderungen an die Barrierefreiheit möglichst exakt beschrieben werden. Es reicht z.B. nicht aus, einfach eine „barrierefreie“ Software zu bestellen – ohne genauere Definition können Menschen mit spezifischen Behinderungen ausgeschlossen werden.

Ein Beispiel

Dokumentenmanagementsysteme (DMS) ermöglichen die Verknüpfung von Fachanwendungen mit den dazugehörigen Dokumenten – diese werden i.d.R. eingescannt und Vorgängen zugeordnet. Für Menschen mit Einschränkungen in der Mobilität eine wesentliche Hilfe – es entfällt das Aktenhandling, alle Informationen sind direkt am Arbeitsplatz verfügbar. Das Einrichten von Tele- oder Heimarbeitsplätzen ist dadurch problemlos möglich.

Für Menschen mit Sehbehinderung ist es dagegen komplexer – der Zugang zu schriftlichen Informationen über Bildschirmlesegeräte war vor der Einführung von DMS-Lösungen ein gut funktionierender Weg. Mit der digitalen Darstellung der Dokumente auf einem Bildschirm kann sich bei kleineren Vergrößerungen der Zugang vereinfachen – abhängig von der Qualität der technischen Umsetzung. Bei einem stärkeren Vergrößerungsbedarf erschwert sich der Zugang, da die digital dargestellten Dokumente nicht mehr in der gewohnten Qualität und Geschwindigkeit zugänglich sind. Wenn dann noch der gesamte Zugang durch eine virtualisierte Darstellung (Anwendungsserver) gelöst wird, sind die Arbeitsplätze häufig für Menschen mit einer wesentlichen Sehbehinderung nicht mehr geeignet.

Für blinde Menschen verändert sich zunächst einmal nicht viel – gedruckte und handschriftliche Unterlagen sind per se nicht direkt zugänglich. Das Einscannen und die Darstellung des digitalisierten Bildes eines Dokumentes verändern zunächst einmal nichts in Bezug auf die Zugänglichkeit. Der Einsatz von OCR-Anwendungen (optische Zeichenerkennung) und die Zuordnung von Dokumenten zu Vorgängen in Fachanwendungen kann eine Hilfe darstellen, kommt in der Praxis aber so gut wie nie vor. So ist z.B. die automatisierte Schrifterkennung nicht verlässlich sicher und braucht bei Ungereimtheiten immer noch die Kontrolle durch sehende Kräfte. Die Konsequenz an vielen Arbeitsplätzen ist ein steigender Assistenzbedarf, nicht nur für den Zugang zu Dokumenten, sondern auch für Anwendungen selber.

Konsequenzen in der Praxis

Ein weiteres Beispiel: Nach der abgeschlossenen Ausbildung einer Verwaltungsfachkraft wird der zukünftige Einsatz nicht durch das fachliche Können der blinden Mitarbeiterin, sondern durch die am wenigsten mit Barrieren belastete Software (Bereich Bildung und Teilhabe, Zugang mit Screenreader-Skripten und Anpassung) bestimmt.

Die Herstellung der Barrierefreiheit von Softwareprodukten ist bei frühzeitiger Planung sowie klaren Vorgaben bei der Beschaffung möglich und mit dem geringsten Aufwand verbunden. Nach Schätzung eines Mitarbeiters des Software-Unternehmens SAP ist am Beispiel der Entwicklung einer CRM-Software (Kunden-Management) mit etwa 5 Prozent höheren Herstellungskosten zu rechnen, wenn ein Programm von vornherein barrierefrei konzipiert wird. Grundsätzlich gilt, dass die Planung der Zugänglichkeit von Soft- und Hardware von Anfang an mitgedacht und umgesetzt werden muss. Schon die Auswahl der Betriebssysteme, Programmierwerkzeuge und technischen Plattformen stellt entscheidende Weichen. Die nachträgliche Herstellung des Zugangs ist ineffektiv, teuer, unzuverlässig, einschränkend, nicht nachhaltig und die letzte aller Möglichkeiten – leider aber immer noch der Standard in den Arbeitsprozessen. Im Extremfall gefährdet der nicht vorhandene oder ineffektive Zugang zu den digitalen Arbeitsprozessen den Arbeitsplatz.

Das Mitdenken eines Zugangs für alle Menschen ist grundsätzlich keine technische Hürde. Als positives Beispiel ist die Firma Apple zu nennen, die ihre Produkte (Smartphone, Tablets, Notebooks, Desktop-Computer und weitere Geräte wie Uhren und TV-Adapter) von Beginn an mit assistiven Technologien wie Screenreadern ausstattet und den Anschluss weiterer assistiver Technologien wie z.B. geeigneter Braille-Zeilen unproblematisch ermöglicht. Ein solches „Design für alle“ sollte üblich werden, bildet bisher aber noch die Ausnahme.

Schulungen zur selbstverständlichen Nutzung bestehender Möglichkeiten

Der Umgang mit assistiven Technologien und der damit verbundenen persönlichen Kompetenz sollte insbesondere bei Menschen mit Behinderung möglichst früh in einer geeigneten Form vermittelt werden. Die Implementierung sollte bereits in der Schule und beruflichen Ausbildung eingeübt werden, ist aber in den Pädagogik-Lehrplänen noch nicht enthalten. Die entsprechende Technik ist einsatzbereit, aber es bedarf noch umfassender Schulungen. In einem Modellprojekt in NRW wurde mit Förderung des LWL-Integrationsamts Westfalen der Einsatz von iPads mit Braille-Zeilen und der integrierten Zugangstechnik erprobt. Pädagoginnen mit Einschränkung im Sehvermögen sowie betroffene Schülerinnen und Schüler nahmen teil. Es wurde bereits im Grundschulbereich eine hohe Motivation der Schülerinnen und Schüler beim Einsatz der Arbeitsmittel und eine Steigerung der Hilfsmittelkompetenz festgestellt.

Weiterbildungsangebote im Arbeitsleben sind mit entscheidend für die Teilhabe am Arbeitsleben. Die Nutzung und der effektive Einsatz der unterstützenden Technologien sowie geeignete Angebote zur Verbesserung der Stellung im Erwerbsleben erfordern auch einen barrierefreien Zugang zu den unterschiedlichsten Fortbildungsangeboten, z.B. eLearnings, Web Based Training (WBT), etc.

Fazit

Die Digitalisierung der Arbeitswelt bringt für alle Menschen Chancen und Risiken mit sich, aber wenn die Zugänglichkeit wesentlich eingeschränkt ist, überwiegen für viele Menschen mit Schwerbehinderung die Risiken. Die im SGB IX vorgesehene Anpassung des Arbeitsplatzes ist in allen Fällen einfacher, wenn die Barrieren in der (Arbeits-) Umgebung im Sinne eines „Design für alle“ von vornherein abgesenkt würden. Assistive Technologien stehen zwar in vielen Bereichen zur Verfügung, sie können aber nur wirken, wenn sie a) hinreichend unterstützt werden, b) alle Schnittstellen im Arbeitsprozess beachtet werden und c) durch weitere Rahmenbedingungen wie optimale Abläufe und Organisationsstrukturen im Hinblick auf den Zugang für Menschen mit Behinderungen eingebunden sind.

Entscheidend ist die Implementierung einer geeigneten Definition von Barrierefreiheit (in Bezug auf die technischen Herausforderungen – siehe WCAG 2.0, BITV, EN 301549, Normenreihe EN ISO 9241 und weitere) am Anfang aller Entwicklungs-, Planungs- und Beschaffungsprozesse. Dies erfordert ein Verständnis für die durchaus komplexen und technisch anspruchsvollen Anforderungen sowie die selbstverständliche Bereitschaft, den inklusiven Ansatz in die Tat umzusetzen. Handhabbare und zielführende Regelungen, z.B. bei der Beschaffung von Software, Unterstützung bei Ausschreibungsvorlagen etc., sind hilfreich und erforderlich. Die Sicherung der angestrebten Qualität der Zugänglichkeit erfordert ein belastbares und flexibles System, das auch dem Innovationstempo gewachsen ist. Dies erfordert auch eine professionelle Beratungs- und Unterstützungsinfrastruktur, um die Anforderungen durch die neuen Prozesse und Technologien praxisrelevant zu verankern.

Zum Autor:

Michael Große-Drenkpohl
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)
Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung
LWL-Integrationsamt Westfalen
Von-Vincke-Str. 23-25
48133 Münster
Tel.: 0251 591-4611
Fax: 0251 591-8119
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Foto zum Beitrag mit der Bildunterschrift: "Die Digitalisierung bringt leider nicht automatisch bessere Zugangschancen auf dem Arbeitsmarkt mit sich. Foto: pixelio.de/Tim Reckmann". Bildbeschreibung: Das Stecker-Ende eines weißen Netzwerkkabels liegt frei

Berichte und Schilderungen

Hendrik Lonnemann

Zeitenwende – vom Leben nach der blista - Das Jurastudium in Marburg - aus dem Leben eines blinden Paragraphenreiters

Als ich nach sieben Jahren an der Carl-Strehl-Schule 2011 mein Abitur machte, hatte ich schon seit geraumer Zeit eine sehr konkrete Vorstellung von meiner näheren Zukunft: ich wollte Jura studieren. Grund für die Studienwahl waren unter anderem zwei Eigenschaften, die mir schon zu Schulzeiten nachgesagt wurden und die meiner Ansicht nach für ein Jurastudium durchaus hilfreich sind: Zum einen verbale Ausdrucksstärke und zum anderen strukturiertes Denken. Dass diese beiden Eigenschaften auch für eine spätere Berufstätigkeit in diesem Bereich wichtig sein könnten, hatte sich schon während eines vierzehntägigen Praktikums in der zehnten Klasse gezeigt, das ich in einer Marburger Anwaltskanzlei absolviert hatte. Dort erhielt ich einen Einblick in die juristische Arbeitsweise und durfte auch an Gerichtsterminen teilnehmen.

Einer der Gründe für ein Studium in Marburg war, dass zwei meiner Mitschüler sich ebenfalls früh entschieden, ihr Studium dort aufzunehmen, und so beschlossen wir, eine Wohngemeinschaft zu gründen. Für mich sprach auch die Nähe zur blista für Marburg. Ich hatte zu den meisten Lehrern und Betreuern gute Beziehungen, und irgendwie erhoffte ich mir, dass Besuche in meiner alten WG den Start in einen vollkommen neuen Lebensabschnitt erleichtern würden. Diese Hoffnung sollte sich erfüllen, denn meine ehemaligen Mitbewohner und Betreuer hatten immer ein offenes Ohr für meine Erlebnisse an der Uni und häufig auch nützliche Tipps für den Studienalltag.

Weichenstellung - vieles will berücksichtigt werden

Nachdem ich also schon ziemlich frühzeitig wusste, wohin der Weg gehen sollte, galt es nun, konkret die Weichen Richtung Studium zu stellen. Eine WG-geeignete Wohnung in Marburg zu finden, erwies sich allerdings als enorme Herausforderung. Zum Beispiel mussten wir an einem der wenigen echten Sommertage des Jahres 2011 auf der Suche nach einer Wohnung unbefestigte Waldwege überqueren und fanden dann Räumlichkeiten vor, die theoretisch als Wohnraum gedacht waren, praktisch aber einer Großbaustelle glichen. Wir mussten drei bis vier Monate suchen und haben in dieser Zeit 13 Wohnungen besichtigt, bis wir etwas gefunden hatten, das unseren Vorstellungen entsprach und für uns auch finanzierbar war. Als absolute Notlösung hatte ich parallel zur Wohnungssuche einen Antrag auf einen Platz im Studentenwohnheim gestellt.

Außerdem galt es nun noch, eine Hilfsmittelausstattung fürs Studium zu bekommen. Neben einem Laptop und einer Braille-Zeile beantragte ich auch einen Drucker und einen Scanner sowie die entsprechenden Sprach- und Scanprogramme. Im Vorfeld hatte ich mich diesbezüglich von einer Hilfsmittelfirma beraten lassen. Dort erfuhr ich, dass man zunächst eine Absage von der Krankenkasse benötigt, um die Hilfsmittel dann beim Sozialamt beantragen zu können. Denn nur das Sozialamt bewilligt Hilfsmittel, die fürs Studium benötigt werden. Alle notwendigen Hilfsmittel wurden glücklicherweise problemlos und rechtzeitig bewilligt, und ich erhielt meine Ausstattung noch vor Studienbeginn.

Auch in Sachen Orientierung und Mobilität benötigte ich Unterstützung. Denn große und teilweise unübersichtliche Unigebäude waren für mich nicht so einfach zu überblicken. Zu diesem Zweck beantragte ich entsprechende Trainingsstunden bei der Krankenkasse. Da sich dieser Prozess jedoch in die Länge zog, versprachen meine Eltern, in Vorleistung zu treten, damit die Erkundung der neuen Räumlichkeiten rechtzeitig durchgeführt werden konnte. Dieser Vorschlag wurde von der Krankenkasse angenommen und die Bezahlung der beantragten Stunden wurde schließlich auch im Nachhinein genehmigt.

Der Studienbeginn - Humor ist, wenn man trotzdem lacht

So begann ich Mitte Oktober 2011 mein Jurastudium. In den Einführungsveranstaltungen saßen nach offiziellen Angaben 554 weitere Kommilitonen gemeinsam mit mir im Hörsaal. Anfangs war ich absolut überfordert von den Menschenmengen in den Fluren und der Stimmgewalt in den Hörsälen, die häufig auch während der Vorlesungen nicht abnahm. Außerdem gestaltete sich für mich auch die Kontaktaufnahme zu anderen Studenten schwierig. Manchmal kam ich mit der einen oder dem anderen gut ins Gespräch. Bei der nächsten Vorlesung hatte ich aber wegen der Lautstärke im Hörsaal keine Chance, irgendjemanden wiederzufinden, und war auf die Kontaktaufnahme der anderen angewiesen. Diese blieb dann allerdings in 95 Prozent der Fälle aus. Diejenigen, mit denen ich dann tatsächlich häufiger ins Gespräch kam, öffneten sich Stück für Stück. Sie hatten bezüglich meiner Blindheit viele Fragen, trauten sich aber meistens nicht, diese zu stellen. Also war es an mir, aktiv meine Behinderung anzusprechen.

Dabei kam es manchmal zu merkwürdigen Situationen. Unvergessen bleibt für mich die allererste Stunde in der Arbeitsgemeinschaft zur Einführungsvorlesung im Strafrecht. Dort wird in Kleingruppen gearbeitet und der Vorlesungsstoff anhand konkreter Fälle vermittelt. Schon vor Beginn der Stunde war mir aufgefallen, dass einige unsicher waren, wie sie mit mir umgehen sollten. Deshalb beschloss ich, mich von Anfang an aktiv einzubringen. Die AG-Leiterin sagte: „Wie würdet ihr an folgenden Fall herangehen? A erschlägt B mit einem Stock.“ Ich meldete mich und sagte: „Ich würde erst mal gucken, ob es sich dabei um einen Blindenstock handelt. Wenn ja, dann ist das wohl ein klarer Missbrauch von Hilfsmitteln.“ Ich hatte gehofft, ein befreites Lachen zu ernten. Stattdessen entstand eine kurze, peinliche Pause, bevor die AG-Leiterin sagte: „Das spielt hier keine Rolle.“ Anschließend nahm sie einen anderen dran, der eine humorfreie und fachlich umfassende Antwort zu geben wusste. Dieses Erlebnis vermittelte bei mir einen Eindruck, der sich auch im Verlauf des Studiums immer wieder bestätigte: Nicht jeder war in der Lage, zu verstehen, dass eine gesunde Portion Humor im Umgang mit einer Behinderung möglich ist.

Der Lehr- und Lernalltag - Risiken und Nebenwirkungen juristischer Arbeit

Wenn ich also schon nicht zwischenmenschlich überzeugen konnte, wollte ich unbedingt fachlich mithalten. Also schrieb ich in den Vorlesungen eifrig mit und überarbeitete meine Mitschriften im Anschluss sehr sorgfältig. Diese Arbeitsweise ist allerdings nicht immer ganz einfach, wenn über den Kopfhörer das Sprachprogramm JAWS zu hören ist, hinter einem ein angeregtes Gespräch zweier Kommilitonen über das vergangene Wochenende stattfindet, während vorne der Dozent den Vorlesungsstoff vermittelt. Diese Methode hat mich allerdings durchaus weitergebracht. Die Materialien, die allen Studenten zur Verfügung gestellt werden, sind weitgehend barrierefrei. Das ist bei juristischen Materialien insbesondere deshalb der Fall, weil es sich um eine Textwissenschaft handelt, die überwiegend frei von Tabellen und Grafiken ist.

Außerdem stellte sich ein weiterer, von mir nicht bedachter Vorteil des Studienstandorts Marburg schnell heraus. Schon einige andere ehemalige blista-Schüler studierten Jura und boten mir sehr bald ihre Hilfe an. Sie unterstützten mich in der Anfangszeit beispielsweise bei der Beschaffung digitaler Materialien. Auch für die Erstellung von Hausarbeiten, die im Jurastudium regelmäßig anfallen, fand ich alsbald eine zuverlässige Vorlesekraft. Jeder Student mit Sehbehinderung hat einen Anspruch auf eine solche Assistenz. Zuständig für die Beantragung einer entsprechenden Hilfsperson ist das Sozialamt. Die Vorlesekräfte erhalten den gesetzlichen Mindestlohn (8,50€ pro Stunde).

Nicht verschweigen sollte man allerdings den zusätzlichen Aufwand, den ein Jurastudium mit Sehbehinderung mit sich bringt. So kann zum Beispiel die Erstellung von Hausarbeiten wesentlich zeitaufwendiger als bei anderen Studenten sein. Schließlich ist es nicht ohne weiteres möglich, einen langen Aufsatz, ein umfangreiches Gerichtsurteil oder gar ein komplettes Lehrbuch schnell zu überfliegen und festzustellen, ob die genannten Quellen etwas Brauchbares für die zu erarbeitende Falllösung enthalten. Deshalb gab es viele Tage, an denen mein Vorleser und ich über einen langen Zeitraum Literatur bearbeiteten, um schließlich festzustellen, dass diese für meine Fallbearbeitung irrelevant war.

Die harte Realität - Frustrationsmomente des Studiums

Unabhängig von der Sehbehinderung sollte man wissen, dass man für ein Jurastudium auch eine hohe Frustrationstoleranz braucht. Diese ist schon wegen der relativ strengen Notengebung im Fach Jura erforderlich.

Eine ausreichende Arbeit wird mit 4 Punkten bewertet, eine sehr gute mit 18 Punkten. Wenn 200 Arbeiten abgegeben werden, sieht das Ergebnis meistens in etwa so aus: 90 Arbeiten zwischen 0 und 3 Punkten, 70 zwischen 4 und 6, 30 Arbeiten zwischen 7 und 9 und die restlichen 10 Arbeiten im unteren zweistelligen Punktebereich. Mir war das zu Beginn nicht bewusst und ich war entsprechend ernüchtert, als ich, nach über 100 Stunden Arbeitsaufwand, meine erste Hausarbeit mit 5 Punkten und damit nur knapp bestanden zurückbekam.

Außerdem sollte man beachten, dass es bei den Juristen eine Zwischenprüfung gibt. Innerhalb der ersten fünf Semester, also im Grundstudium, müssen drei Scheine in den drei Rechtsgebieten Straf-, Öffentliches und Zivilrecht erworben werden. Für jeden Schein müssen eine Hausarbeit und eine Klausur bestanden werden, d.h. man muss mindestens 4 Punkte sowohl in der Klausur als auch in der Hausarbeit erreichen – eine Wiederholung von Klausur und Hausarbeit ist aber möglich. Außerdem muss noch im ersten Semester ein Schein in Rechtsgeschichte erworben werden, auch hier muss man die Abschlussklausur mit mindestens 4 Punkten bestehen. Besteht man diese Zwischenprüfung nicht, wird man nicht nur vor Ort exmatrikuliert, sondern ist deutschlandweit nicht mehr zur Fortsetzung des Jurastudiums berechtigt. Aufgrund meiner angesprochenen Probleme bei der Anfertigung von Hausarbeiten befand ich mich in genau dieser Situation und schaffte es - wie viele andere auch - erst im allerletzten Versuch, die notwendigen Hausarbeiten und somit die Zwischenprüfung zu bestehen, so dass ich das Hauptstudium in Angriff nehmen konnte. Diese Zeit war sehr schwer und hat mich persönlich und inhaltlich an meine Grenzen gebracht. Nicht wenige Studierende halten diesem Druck nicht stand und geben das Studium auf, ohne bereits endgültig durch die Zwischenprüfung gefallen zu sein. Doch dank sehr guter Unterstützung meines privaten Umfeldes und vor allem meines Vorlesers bin ich gestärkt aus dieser Zeit hervorgegangen.

Rückblick und Ausblick - was war, was ist und was wird?

Die weiteren Scheine im Hauptstudium zu erwerben, fiel mir ohne den Druck einer drohenden Exmatrikulierung deutlich leichter. Denn die Wiederholung einer Studienleistung zum Erwerb eines Scheins ist hier im Prinzip unbegrenzt möglich – es gibt keine Einschränkungen bei der Anzahl der Versuche. Aktuell bin ich dabei, meinen Schwerpunkt Recht der Privatperson, der vor allem erb- und familienrechtliche Vertiefungsveranstaltungen umfasst, und die Vorbereitung für das erste Staatsexamen voranzutreiben. Daneben arbeite ich seit kurzem 20 Stunden pro Monat als studentische Hilfskraft an einem Lehrstuhl des Fachbereichs. Dort wirke ich beispielsweise bei der Erstellung von Skripten für Lehrveranstaltungen mit.

Ich hoffe, dass ich das erste Staatsexamen kommenden Februar absolvieren werde. Daran würde sich ein 20-monatiges Referendariat anschließen, an das sich das zweite Staatsexamen anschließt.

Rückblickend fällt meine Bilanz sehr gemischt aus. Momentan bereichert mich mein Studium sehr und ich kann mir eine Zukunft in der Juristerei durchaus vorstellen. Vor allem die ersten Semester waren aber nicht einfach – geholfen hat mir sowohl ein offener Umgang mit meiner Sehbehinderung und meinen Kommilitonen als auch eine Prise Ehrgeiz, ein ehrliches Interesse an der Sache und vor allem Disziplin. Mit diesen Eigenschaften kann man ein Jurastudium ganz gut bewältigen.

Zum Autor:

Hendrik Lonnemann war Schüler der Carl-Strehl-Schule und studiert Rechtswissenschaften in Marburg.

Foto zum Beitrag mit der Bildunterschrift: "Sehbehinderte benötigen für ein erfolgreiches Jura-Studium eine gute Hilfmittelausstattung - häufig mehr als eine Handlupe. Foto: pixelio.de/Thorben Wengert." Bildbeschreibung: Unter einem runden Lupenglas ist ein großes, verschwommenes Paragrafensymbol sichtbar.

Mirien Carvalho Rodrigues

„Stolz zu lehren, was wir lieben“

Ein Selbsthilfeportal der besonderen Art streckt seine Fühler in die Welt aus

Ein internationaler Kongress der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe via Internet, ein Portal, bei dem ausschließlich blinde und sehbehinderte Expertinnen und Experten ihre Kompetenzen an andere Betroffene weitergeben, und schließlich eine Silvesterfeier mit touristischem Rahmenprogramm für die Begegnung in der realen Welt – das alles fand bereits im vergangenen Jahr mit großem Zulauf statt. Der Sitz des „Portal da deficiência visual“ - Blinden- und Sehbehindertenportal - befindet sich im südbrasilianischen Bento Gonçalves, wo sein Gründer, Wagner Maia, zu Hause ist.

Die größte Antriebskraft des stark sehbehinderten Mittdreißigers ist der Wunsch, anderen blinden und sehbehinderten Menschen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Hierzu hat sich der Pädagoge ständig im Bereich IT fortgebildet und mit unterschiedlichsten Fachleuten vernetzt, um schließlich mit seinem eigenen Portal Menschen in ganz Brasilien und weltweit mit seinen Angeboten erreichen zu können.

Die Vernetzung führte schnell zu einem durchschlagenden Erfolg. Anfangs boten blinde und sehbehinderte Profis Sprachkurse, Gesangsunterricht und EDV-Workshops an. Das Portal wagt sich allerdings auch in Bereiche vor, die online eher ungewöhnlich sind und von denen viele sagen würden, dass Betroffene sie nicht von Betroffenen erlernen können. Das beeindruckendste Beispiel hierfür ist der Kurs in Orientierung und Mobilität. In 40 Unterrichtseinheiten erfahren die Teilnehmenden hier alles über Langstock, Führhund und Navigationssysteme, Orientierung in der Stadt, auf dem Land, am Strand und bei Regen.

Die psychologische Komponente wird von Anfang an mit berücksichtigt. Man kann hier schrittweise lernen, eigene Ängste zu überwinden und sich gegen die überbehütende Familie durchzusetzen; man kann die Erfahrung machen, sich eigenverantwortlich zu verlaufen und die Situation selbst wieder in den Griff zu bekommen.

Eine blinde Physiotherapeutin begleitet den Kurs. Sie hilft den Schülern von Anfang an dabei, selbst ein Gefühl für ihre Körperhaltung zu bekommen und durch konkrete Nachfragen und Hinweise selbst die Fähigkeit zu entwickeln, Fehlhaltungen oder ungenügenden Schutz durch den Langstock selbst zu erkennen.

„Wir sind stolz darauf zu lehren, was wir täglich leben“, wird Wagner Maia nicht müde zu erklären.

So bietet das Portal den einen die Möglichkeit, auf unterschiedlichen Gebieten selbstständiger zu werden, für die anderen stellt es eine Einnahmequelle dar und trägt so ebenfalls zu ihrer Unabhängigkeit und Teilhabe bei. Viele Kunden des Portals finden es logisch, dass jemand, der die Praktiken selbst täglich anwendet, sie auch am besten anderen vermitteln kann.

Das Angebot wird ständig erweitert. Erst kürzlich konnte man im virtuellen Raum etwa lernen, professionell Pralinen herzustellen, was im brasilianischen Nordosten vielen Menschen den Lebensunterhalt sichert.

Wagner Maia, der selbst Auslandserfahrung gesammelt und u. a. auch zwei Jahre in Deutschland verbracht hat, wollte aktive blinde und sehbehinderte Menschen in aller Welt erreichen. Gleich der erste Kongress rief 40 Experten in eigener Sache auf den Plan, die nach Angaben des Portals Teilnehmende aus 48 Ländern erreichten; unter ihnen Sabriye Tenberken und Daniel Kish. Per Teamtalk konnten die Teilnehmenden nach den Vorträgen in drei Sprachen mit den Referenten diskutieren, Erfahrungen austauschen und Ideen sammeln.

Es gab Vorträge zu Navigations-Apps, Mathematikschrift für Blinde oder Screenreadern, man konnte erfahren, wie man sein eigenes Projekt auf die Beine stellen oder sich künstlerisch wie sportlich betätigen kann. Ebenso gab es Raum für Themen wie die fatalen Folgen von Überbehütung oder Kindererziehung als blinde Eltern.

Die zweite Auflage des Kongresses wird im Dezember 2016 stattfinden. Alle Vorträge werden auf Englisch, Portugiesisch und Spanisch zu hören sein. Die Internetadresse des Selbsthilfeportals lautet: www.deficienciavisual.com.br

Mit Foto. Bildunterschrift: "Ein Screenshot des Selbsthilfeportals mit Sitz in Bento Gonçalves. Foto: DVBS." Bildbeschreibung: Ein Screenshot zeigt das „Portal da deficiência visual“, ein Blinden- und Sehbehindertenportal, das Wagner Maia ins Leben gerufen hat. Die Webseite ist in portugiesischer Sprache gehalten.

Birthe Klementowski und Monika Häusler

Zwischen Hörnestern und Hörkabinen

Vernissage von Mirja Wellmanns „Hörwelten“

Im Rahmen des Louis Braille Festivals startete am 1. Juli 2016 mit „Hörwelten“ eine Werkschau der Klangkünstlerin und Bildhauerin Mirja Wellmann. Bis zum 18. August lädt der Marburger Kunstverein dazu ein, die Arbeiten, die das Phänomen des Hörens zum Thema haben, anzusehen und zu erleben.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) war diese Ausstellung eine Koproduktion zwischen der Künstlerin, dem Kulturamt Marburg und der blista. Dabei wurde großer Wert darauf gelegt, die Ausstellung für Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit barrierefrei zu gestalten. Ein taktiler Plan und eine Leitlinie führten durch die Werke. Erstmals präsentierte Wellmann in dieser Ausstellung auch fünf neue Arbeiten, die ihre Hörerfahrungen taktil erfahrbar machten.

Rund 50 Kunstinteressierte lockte die Vernissage in die Hallen des Kunstvereins. Zur Begrüßung sprachen die Marburger Kulturdezernentin Dr. Kerstin Weinbach und blista-Direktor Claus Duncker. Werner Meyer, Direktor der Kunsthalle Göppingen, gab eine Einführung in die Arbeiten Mirja Wellmanns. Seit vielen Jahren schon untersucht sie das Phänomen des Hörens. An Hörhelmen aus buntem Kunststoff und in Hörkabinen können Besucherinnen und Besucher der Ausstellung ihre eigenen Erfahrungen mit dem Hör-Raum machen und neue Sinneseindrücke sammeln. Teil der Vernissage war auch eine zehnminütige Hörsession, bei der die Besucherinnen und Besucher zu Papier bringen konnten, was sie jeweils auf dem rechten und dem linken Ohr wahrnahmen.

Während der gesamten Ausstellung luden schwarze Hocker, auf denen Papier und Stift lagen, dazu ein, sich Zeit zu nehmen und die Geräusche des Raums zu erkunden. Blinde und sehbehinderte Kunstbegeisterte konnten ihre Hörprotokolle entweder direkt über eine Punktschriftmaschine eingeben oder auf einer speziellen Prägefolie mittels eines Griffels auf einer Schreibtafel. Anschließend wurden die Hörprotokolle an einer großen Wand zur Schau gestellt und komplettierten somit das Konzept der barrierefreien und interaktiven Kunstausstellung.

Zur Autorin:

Die Journalistin Birthe Klementowski ist Mitglied der horus-Redaktion und Mitarbeiterin der blista-Öffentlichkeitsarbeit.

Ein Stück stille Gemeinschaft

Der Grundgedanke der Künstlerin, die Wahrnehmungsbereiche "Sehen", "Hören" und die Umsetzung von Gehörtem in Sprache oder in eine Zeichnung zusammenzubringen, hat mir gut gefallen. Ich erkenne darin ein Streben nach Miteinander, weg von Trennung und Wertung - etwas, was unsere Gesellschaft dringend nötig hat.

Die Aufforderung an die Besucher, gemeinsam in die Stille zu gehen, zu lauschen und die Geräusche, die jeder von uns wahrnimmt, in der einen oder anderen Form wiederzugeben, schafft ein Stück stille Gemeinschaft und führt zum spielerischen Schärfen des Hörsinns, zum kreativen Zeichnen oder Sprachgebrauch.

Zu hören waren unter anderem Geräusche in der Nähe wie das Rascheln von Kleidungsstücken, Räuspern, Husten usw., in der Ferne Fahrgeräusche von Auto, Bus oder Motorrad, menschliche Stimmen und Vogelgezwitscher.

Gegen Ende der Veranstaltung hatte ich viel Spaß dabei, einige der in Worten niedergeschriebenen Hörprotokolle in Blindenschrift umzusetzen. Manche Teilnehmer beschrieben eher sachlich, was sie in den zehn Minuten gehört hatten, andere gaben Geräusche durch lautmalerische Worte wieder, so z.B. Husten oder Niesen durch "Öcha, Öcha". Auch gab es ein reges Interesse an der Punktschrift, wie die Blindenschrift auch genannt wird.

Ich freue mich, an dieser Vernissage teilgenommen zu haben und wünsche der Künstlerin noch viel Erfolg bei ihren weiteren Arbeiten.

Zur Autorin:

Monika Häusler ist seit 1986 Mitarbeiterin im Medienzentrum der Carl-Strehl-Schule. Von Geburt an blind, hat sie einen geringen Sehrest mit Farbwahrnehmung.

Der Beitrag enthält zwei Fotos.

Foto 1 mit Unterschrift: "Werner Meyer, Direktor der Kunsthalle Göppingen, erläuterte bei der gut besuchten Vernissage das künstlerische Schaffen Wellmanns. Foto: blista/Klementowski." Bildbeschreibung: Ein älterer Herr mit Brille, weißem Hemd und dunklem Jackett spricht vor einem Rednerpult zu einer Gruppe von rund 30 Personen, die - ihm aufmerksam zuhörend - auf Stühlen in einem hellen Raum sitzen.

Foto 2 mit Unterschrift: "Mirja Wellmann präsentierte in der Ausstellung unter anderem vier Hörhelme aus Kunststoff, zwei davon durch feine Gravuren verziert. Foto: blista/Klementowski. " Bildbeschreibung: Zu sehen sind vier durchsichtige Helme in den Farben rot, gelb, orange und komplett transparent, die auf hellen Sockeln in einem Raum ausgestellt sind.

Aus der Arbeit des DVBS

Manfred Tretter und Bianka Rey

Einmal im Leben Coupvray

Wenn man in Marburg Jubiläum feiert, unternimmt man auch im Südwesten etwas Besonderes: die Idee einer Parisreise stand schon länger im Raum. Einmal an die Wiege der Blindenbildung und -schrift zu fahren, fand großen Zuspruch in der Gruppe. So nahm man Kontakt zum Stuttgarter Reiseveranstalter „Tour de Sens“ auf und besprach schon vor etwa einem Jahr die Einzelheiten nach den Wünschen der Reisegruppe.

Die Woche nach Ostern - Mittwoch bis Sonntag - wurde als Reisezeit gewählt. „Tour de Sens“ übernahm die Organisation, Reiseleiterin war Gisela Moser aus Oberursel. Im TGV nach Paris saßen dann schließlich 15 Teilnehmer, neun aus dem DVBS und sechs Begleitpersonen. Das kleine Manko zuerst: es war ziemlich kühl und regnete immer wieder. Aber das wurde wettgemacht durch die interessanten Eindrücke und die wunderbare Stimmung in der Gruppe. Sprachlich gab es keine Engpässe, denn drei Damen aus der Gruppe sprachen exzellent Französisch. Das touristische Grundprogramm wollten wir natürlich auch erleben: Kirchen, Museen, Stadtquartiere, Straßen und Plätze. Beim besonderen Teil muss man das Rodin-Museum erwähnen, wo ausgewählte Skulpturen des Bildhauers August Rodin berührt werden durften.

Ein Höhepunkt war das Treffen mit den französischen Partnern von der Groupement des Intellectuels Aveugles ou amblyopes (GIAA) in einem Bistro zum Abendessen.

Die Freunde in Frankreich schlagen sich mit den gleichen Problemen herum wie die Teilnehmer: z. B. der Berufseinstieg, Mobilität in der Großstadt oder die Literaturversorgung. Es konnten einige Worte der Solidarität in politisch schwieriger Zeit übermittelt werden. Die politischen Gedanken wurden sehr gut aufgenommen, kamen dabei doch die Lebenserfahrungen dreier Generationen zum Ausdruck. Die jüngste Teilnehmerin der Gruppe, die unsere Begrüßungsworte übersetzt hatte und französisch vortrug, war 19 Jahre alt; am anderen biografischen Ende befanden sich die vitalen Senioren.

Samstag stand der Landausflug nach Coupvray auf dem Programm, in das Herkunftsdorf von Louis Braille. Dort konnte man die Sattlerei des Vaters und die winzige Wohnung der Familie, die aus sechs Personen bestand, besichtigen.

Auf dem kleinen Dorffriedhof befindet sich das Grab von Louis Braille, von dem dann 100 Jahre nach seinem Tod (1952) die sterblichen Überreste ins Pantheon nach Paris überführt wurden. Die Hände blieben als Symbol seiner Erfindung im Grab. Am letzten Tag der Reise ging es auf den Eiffelturm und anschließend mit dem Schiff auf die Seine. Bei nun schönstem Frühlingswetter konnte man die Lage der Stadtviertel und der Sehenswürdigkeiten, die zuvor besucht wurden, noch einmal Revue passieren lassen.

Nach der Ankunft zu Hause, musste jeder zunächst wieder im Alltag ankommen. Man hatte das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Für Ernest Hemingway waren seine Pariser Jahre ein Fest fürs Leben. Die Reisegruppe war nur fünf Tage dort und hat einen starken Eindruck vom Pariser Leben vermittelt bekommen. Ein Fest mit Erinnerungen fürs ganze Leben. Die starke Polizeipräsenz in der Stadt zeigte die aktuellen Spannungen, doch spürte man immer wieder die kulturell vielfach überlieferte Leichtigkeit des Seins in der Stadt der Liebe.

Foto mit Bildunterschrift "In der Stadt der Liebe: die Bezirksgruppe Baden Württemberg Foto: Bezirksgruppe Baden Württemberg." Beschreibung: Eine Gruppe Menschen posiert auf einem großen Platz. Alle Abgebildeten lachen in die Kamera.

Klaus Winger

Vor Vollendung der Tatsachen

Mit der Fachtagung „Megatrend Digitalisierung …“ will der DVBS sehbeeinträchtigte Menschen in Ausbildung, Studium und Beruf, aber auch Arbeitgeber, Politiker und insbesondere Entwickler und Entscheider der Digitalisierungsindustrie auf qualifizierte Teilhabeforderungen blinder und sehbehinderter Anwender aufmerksam machen. Am 23. September 2016 werden im Technologie- und Tagungszentrum Marburg überwiegend selbst durch Sehbeeinträchtigung betroffene Fachleute aus verschiedenen Berufsfeldern in Impulsreferaten zu fünf Themenworkshops ihre Erfahrungen, Erwartungen und Forderungen darlegen. Vor dem Hintergrund der Impulsreferate erwarten wir in den Workshops eine kompetente und engagierte Diskussion um die Fragestellung: „Welche Chancen und Risiken für die Teilhabe sehbeeinträchtigter Menschen gibt es im Kontext der Digitalisierung?“.

Den aktuellen Diskussionsstand zum Thema umreißt Prof. Dr. F. Schönefeld, HWT Dresden und Mitglied der Geschäftsleitung von T-Systems Multimedia Solutions GmbH, zu Beginn der Tagung. Noch ist längst nicht sicher, in welche Richtung sich die technische Digitalisierung weiterentwickelt. Die Auswirkungen auf Unternehmens- und Arbeitsorganisation, Berufsbilder, Qualifikationsanforderungen und das gesellschaftliche Zusammenleben schlechthin stellen sich angesichts der rasanten Entwicklungen fast monatlich neu dar. Der DVBS will mit der Fachtagung gerade deshalb die Entwicklung adäquater Teilhabeanforderungen frühzeitig voranbringen und in die Öffentlichkeit tragen. Vor Vollendung der Tatsachen soll so weit wie möglich Einfluss genommen werden auf die Entwicklung vorteilhafter technischer Lösungen, etwa für bessere Mobilität. Es geht aber auch um die Sicherstellung demokratischer Teilhabe als Bürger angesichts zunehmenden e-Governments. Weiter wird thematisiert, wie souveränes Kundenverhalten ermöglicht wird angesichts der Digitalisierung der Käufer-Anbieterbeziehungen und insbesondere auch die barrierefreie Möglichkeit der lebenslangen Wissens- und Qualifikationsaneignung aufgezeigt. Die Tagungsergebnisse werden veröffentlicht und sollen die Basis bilden für ein immer wichtigeres Selbsthilfepolitikfeld des DVBS: das Ringen um inklusive Ausbildung, inklusives Studium, inklusive Beschäftigung und lebenslange gemeinsam mögliche Weiterbildung von Menschen mit und ohne Behinderung im Megatrend Digitalisierung. Denn Bildung wird ein wesentlicher Schlüssel sein für eine erfolgreiche Teilhabe an den durch zunehmende Digitalisierung bewirkten Veränderungen technischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Art.

Die Fachtagung „Megatrend Digitalisierung in Arbeitswelt, Staat und Gesellschaft – Chancen und Risiken für die Teilhabe sehbehinderter und blinder Menschen in Ausbildung, Studium, Beruf und Bildung“ findet statt am 23.09. 2016 von 10.00 bis 16.00 Uhr im TTZ in Marburg. Eingeladen sind neben den Mitgliedern des DVBS Interessenten aus Wirtschaft, Verwaltung, Technik und Politik. Anfragen richten Sie bitte an die Geschäftsstelle des DVBS: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und 06421 948880.

Mit Foto. Bildunterschrift: "DVBS-Geschäftsführer Klaus Winger gibt einen Ausblick auf die Fachtagung „Megatrend Digitalisierung“ im September. Foto: fotoagentur-friese.de." Beschreibung: Ein Mann mit grauen Haaren, Vollbart und Brille blickt aufmerksam in die Kamera.

Klaus Winger

DVBS Mentoring 2016/2017 – Auftaktseminar zur zweiten Runde

Mit zehn Mentoringteams startete das DVBS-Mentoringprojekt TriTeam in die zweite Runde. Im Auftaktseminar am 08. und 09. Juli 2016 in der Tagungsstätte Kloster Hünfeld lernten sich die Mentees und Mentoren persönlich kennen. Vorher hatten sie miteinander telefoniert, sich gegenseitig akzeptiert und auf erste Mentoringziele geeinigt. Vier Mentees sind Abiturienten und starten ins Studium, drei von ihnen haben ein inklusives Abi gemacht. Zwei Mentoringteams waren schon im ersten Durchlauf dabei und haben die Weiterarbeit verabredet, weil bei den Mentees konkrete Um- bzw. Neuorientierungen anstehen. Die Studienfächer der Mentees, unter ihnen vier Frauen, reichen von verschiedenen Sprachen, Lehramt, Physik und Ingenieurwissenschaften bis zu Computerlinguistik, Verwaltungswissenschaft, Wirtschaftsinformatik, Jura und Sozialpädagogik. Die Studienbeginner wünschen von ihren Mentorinnen und Mentoren die Unterstützung erfahrener ähnlich Betroffener bei der Studiengestaltung, der Hilfsmittelauswahl und -nutzung sowie der pragmatischen Forderung nach und der Umsetzung von Nachteilsausgleichen. Etwa die Hälfte der Mentees, besonders auch die inklusiv beschulten, suchen insbesondere die Vernetzung zu ähnlich Betroffenen für den Erfahrungsaustausch und die gegenseitige Unterstützung. Die älteren Semester suchen naturgemäß nach Unterstützung beim Finden geeigneter Berufsziele und dem Übergang ins Berufsleben.

Das Auftaktseminar hatte zwei wesentliche Ziele: zum einen führte das vertiefte Kennenlernen von Mentees und Mentoren zu einer guten Fundierung der einzelnen Mentoringteams und der konkreten Planung ihrer jeweiligen nächsten Arbeitsschritte. Zum anderen bearbeiteten Mentoren und Mentees als Gruppen und im Plenum ihre jeweiligen Rollenverständnisse und -erwartungen. Dabei halfen ein Referat von Peer-to-Peer Beraterin und Ausbilderin Evelyn Schön sowie die Gespräche mit ihr. Schließlich sollen und wollen die Mentoren ja nicht wie Evangelisten die scheinbare Wahrheit verkünden und die Mentees sich von ihrer Erfahrung und Weisheit betanken lassen. Das Peer-to-Peer Beratungskonzept geht davon aus, dass sich ähnlich betroffene Menschen auf gleicher Augenhöhe begegnen, ihre An- und Einsichten austauschen und beide dafür sorgen, dass die Antworten, Problemlösungsperspektiven und Ratschläge den Fragenden, insb. den Mentees angemessen, für sie nachvollziehbar und hilfreich sind. Die Mentoren aus dem ersten Mentoringdurchlauf 2015 -2016 berichteten im Abschlussseminar im Februar 2016, dass auch sie selbst durch die Gespräche mit ihren Mentees zu neuen Einsichten und Fragen gekommen seien. Das ist ein gutes Zeichen für ein gelungenes Mentoring. Weil alle Seminarteilnehmer ein großes Interesse an Vernetzung geäußert haben, hat die DVBS-Geschäftsstelle umgehend eine Mailingliste für sie eingerichtet. Möge sie häufig genutzt werden und die intensive Selbsthilfevernetzung gelingen.

Foto mit Bildunterschrift: "Pause: Nach intensivem Arbeiten sind auch Erholungszeiten notwendig, die zum näheren persönlichen Kennenlernen genutzt werden können. Foto: DVBS-Archiv." Beschreibung: Zahlreiche Teilnehmer des Seminars - darunter DVBS-Geschäftsführer Klaus Winger und Ex-DVBS-Geschäftsführer Michael Herbst – sitzen auf Bänken in einem sonnendurchfluteten Innenhof an einem Brunnen.

Andreas Wohnig

Seminarvorschau

8. bis 15. Oktober 2016, Timmendorfer Strand

Zum 29. Mal findet das Seminar der Gruppe Ruhestand im DVBS statt. Unter dem Motto „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ werden in Referaten und Workshops gesellschaftspolitische Themen, gesundheitsbezogene sowie selbsthilferelevante Inhalte bearbeitet. Auch neue technische Entwicklungen und deren Bedeutung für ältere blinde und sehbehinderte Menschen werden betrachtet.

13. bis 16. Oktober 2016, Herrenberg

„Reden und Präsentieren für große und kleine Gruppen“: Freie Rede und Präsentation vor Gruppen will gelernt sein. Ungeachtet dessen gehört Reden und Präsentieren zum Aufgabenkatalog anspruchsvoller Berufe. Dies kann aber Freude machen, wenn man einige Grundlagen kennt, Verhaltensregeln einübt und durch Übung in der Gruppe mit Supervision Zutrauen zu sich und seinem Auftreten fasst.

6. bis 10. Februar 2017, Stuttgart

Die Fachgruppe Musik im DVBS führt ein Fortbildungsseminar zum Thema Chorleitung durch. An drei Vormittagen und zwei Abenden steht der Landeskirchenmusikdirektor Matthias Hanke als Chorleitungsdozent für Dirigierunterricht in der Gruppe und Chorproben zur Verfügung. An den Nachmittagen stehen Workshops über Spezialfragen der Braillenotenschrift, Notensatz am PC (Braille-Editor) bzw. Audiobearbeitung am PC zur Wahl (Lothar Littmann, Stefan Albertshauser, Michael Kuhlmann). Im Anschluss an das Seminar findet ab 10.2. nachmittags die Sitzung der Fachgruppe Musik (Wahl des Leitungsteams) und die alljährliche Notennetzwerktagung statt.

30. März bis 2. April 2017, Herrenberg

Fortbildungsseminar der Fachgruppe Wirtschaft, der inhaltliche Schwerpunkt ist noch offen.

7. bis 9. April 2017, Hünfeld

Fortbildungsseminar der Fachgruppe Soziale Berufe und Psychologie, die inhaltlichen Schwerpunkte stehen noch nicht fest.

11. bis 14. Mai, Herrenberg

Die Fachgruppe Sehbehinderte bietet beim Seminar „Nicht sehend - nicht blind“ in drei Workshops besonders sehbehinderten Mitgliedern und Interessenten spannende Angebote zur beruflichen Bildung. Die Themenbereiche werden im kommenden Frühjahr veröffentlicht.

Die jeweiligen ausführlichen Ausschreibungen finden Sie in der Rubrik "Seminare" auf der Homepage des DVBS: www.dvbs-online.de/php/aktuell.php
Weitere Veranstaltungen sind in Planung und werden so bald wie möglich veröffentlicht.

Aus der blista

Angelina Fichtner

Just back from Ohio

Er war aufregend, irgendwie sensationell und im Jahr unseres 100-jährigen Jubiläums für die drei beteiligten sehbehinderten Blistaner neu: der Schüleraustausch mit der Loveland High School im Bundesstaat Ohio.

Der vierwöchige Aufenthalt fand im Rahmen des Austauschprogramms "The Friendship Connection" statt. Das Programm richtet sich primär an Gymnasiasten und basiert auf einem Matching-Verfahren. Dabei werden Partner mit ähnlichen Hobbies und Interessen auf Basis eines Fragebogens zusammengebracht, wodurch sich dann die Gastfamilie und damit der individuelle Austauschort ergibt.

Um den besonderen Bedürfnissen von blinden und sehbehinderten Schülern/innen gerecht werden zu können, wurde hier im vergangenen Jahr von Herrn Markus Biber, der das Austauschprogramm seit 12 Jahren auf deutscher Seite betreut, eine Kooperation mit der Loveland High School, einer Regelschule etwa 30 Minuten nördlich von Cincinnati, Ohio, als feste Partnerschule geschlossen. Lara Jahns, Angelina Fichtner und Lukas Gruber waren die ersten Blistaner, die an dem Programm teilnahmen. Den nachfolgenden Bericht hat Angelina Fichtner verfasst:

„Bevor ich in die USA geflogen bin, hätte ich nicht einmal erahnen können, was für eine schöne Zeit es doch werden würde …“

„Meine Gastfamilie hat mich von Anfang an sehr offen und herzlich empfangen und aufgenommen. Die Chemie zwischen uns allen hat gestimmt und ich hatte eine Menge Spaß mit ihnen. Ein großer Vorteil war, dass meine Gastschwester ein Drilling ist und wir somit vier Mädchen im selben Alter waren. Die drei teilen sich gemeinsam zwei Autos, mit denen wir jeden Morgen zur Schule gefahren sind. Manchmal haben wir dann noch einen kleinen Umweg zu „Dunkin‘ Donuts“ oder „Starbucks“ gemacht.

Auch in der Schule wurde ich sehr gut aufgenommen. Jeder war freundlich und hilfsbereit. Der Deutschlehrer der Loveland High School hat mir auch geholfen, meinen eigenen Stundenplan zu entwerfen. In diesem Schulsystem hat man jeden Tag dieselben vier Blöcke, die jeweils 90 Minuten dauern. In der Fotografie-Klasse konnte ich mit einer alten Kamera Portraits schießen und diese dann in der Dunkelkammer entwickeln. Meine Keramik-Klasse war meine Lieblingsklasse, da ich dort sehr viel frei und kreativ arbeiten konnte. Dort habe ich auch eine sehr gute Freundin kennen gelernt, die auch Deutsch lernt.

Im Sportunterricht hatte ich die Chance, viele amerikanische Sportarten kennen zu lernen und mich neben dem vielen Essen auch mal bewegen zu können. Auch in der Deutsch-Klasse habe ich mich wohlgefühlt. Das Deutsch der dort lernenden Schüler ist zwar bei weitem nicht auf dem Stand, den deutsche Schüler im gleichen Alter in Englisch haben, aber man hat gemerkt, dass viele interessiert daran waren, Deutsch zu lernen. Während der vier Wochen hatten wir auch eine Woche „Spring Break“. In dieser Zeit haben wir uns alle noch einmal viel besser kennen gelernt. Ich und meine Gastschwestern waren sehr oft gemeinsam Bowlen und danach Eis essen. Es wurde fast schon zur Tradition. Nebenbei habe ich auch noch den Cincinnati Zoo gesehen und das Aquarium.

An meinem letzten Wochenende war ich mit meiner Gastfamilie im Nachbarstaat Kentucky und habe dort ein Pferderennen gesehen. Wir hatten eine Menge Spaß und haben im Anschluss noch die Schwester meiner Gastmutter besucht. Ich vermisse alle wirklich sehr und bin voller Hoffnung, sie eines Tages wiederzutreffen. Es war eine der schönsten und lehrreichsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben machen konnte und ich werde diese Zeit und die Menschen, die ich kennen lernen durfte, für immer in Erinnerung halten.“

“I have enjoyed every moment…”

Mitte Juni konnten wir die amerikanische Schülerin Kristen Bailey bei uns an der blista im Rahmen des vierwöchigen Rückbesuchs begrüßen. Ein Auszug aus einer Nachricht, die sie am Abreisetag Herrn Biber zukommen ließ, spricht für sich: “Thank you so much! You have made my stay here unforgettable and for that I am very grateful. I have enjoyed every moment here and it’s very hard to say good-bye to everyone. I am holding back my tears as I hug everyone good-bye. I will definitely make sure to get students excited for the exchange. Thank you again.”

Zur Autorin:

Angelina Fichtner ist Schülerin der Carl-Strehl-Schule.

Foto mit Bildunterschrift: "Eindrucksvolle Erlebnisse in der Schule, Pferderennen, Bowlen, Eis essen: die Zeit in Ohio war ein unvergessliches Erlebnis mit vielen Highlights. Foto: Privat." Beschreibung: Zwei junge Frauen und ein junger Mann stehen lächelnd vor einer Flagge und halten ein Relief der Vereinigten Staaten von Amerika in den Händen.

Tamara Njah

Migration von Flüchtlingen in Deutschland

Am Mittwoch, dem 15. Juni 2016, begann der Morgen etwas anders als sonst. Zwar sind einige der Schüler der AG-Klassen 11a und 11c ganz normal aufgestanden und zur Schule gegangen, aber sie hatten keinen gewöhnlichen Unterricht, sondern trafen Vorbereitungen für die Führung durch eine Ausstellung, die sie zusammen mit Herrn Christian Roos im Rahmen des Politikunterrichts auf die Beine gestellt haben.

Bei der Ausstellung ging es hauptsächlich um das Thema „Migration von Flüchtlingen in Deutschland“. Es wurden in diesem Rahmen bestimmte Themen vorgegeben, zu denen die Schüler recherchieren konnten. Diese lauteten etwa: „Woher kommen die Flüchtlinge?“, „Wie kommen sie nach Deutschland“ bis hin zur „Integration von Flüchtlingen im Deutschen Arbeitsmarkt“. Die Themen wurden den beiden Klassen vorerst von ihrem Politikwissenschaft (PoWi)-Lehrer vorgestellt, sodass sich innerhalb beider Klassen die Schüler mischten und nach Interessengebiet verteilen konnten.

Nach der Themenwahl haben sich die Schüler mit Hilfe ihres PoWi-Lehrers Gedanken zu ihren einzelnen Themen gemacht und mit Hilfe von eventuellen Vorkenntnissen, aber auch mit Arbeitsmaterial, das im Rahmen des Unterrichts erhalten wurde, gearbeitet. Später entstanden daraus von den Schülern eigenständig entwickelte Plakate, Steckbriefe und sogar Arbeitsblätter, welche im Anschluss an verschiedenen Stationen ausgestellt wurden. Mit Unterstützung von Bau-Technik wurde die Ausstellung verschönert und auch eine Migrationsklasse, die aus Flüchtlingen besteht, hat ihren Teil dazu beigetragen und künstlerische Eindrücke auf eine ganz eigene Art vermittelt.

„Woher kommen die Flüchtlinge?“ blista-Schülerinnen und Schüler informieren den Bundestagsabgeordneten Dr. Stefan Heck

Bei der Führung durch die Ausstellung begann eine Mitschülerin, die sich stellvertretend für das Schüler-Organisationsteam bereit erklärt hatte, den Bundestagsabgeordneten Dr. Stefan Heck darüber zu informieren, worum es sich bei diesem Projekt handelte. Darauf folgend begann die Führung bei ihrem Startpunkt, an dem sich einige Schüler auf folgende Punkte spezialisiert haben: „Warum gibt es überhaupt Flüchtlinge?“ und „Wie kommen sie hierher?“.

Eine Schülerin erläuterte an zwei Fallbeispielen, wie es dazu kommen kann, dass sich etwa Menschen aus Syrien oder Afghanistan dazu entscheiden , nach Europa zu flüchten.

„Flüchtlinge im deutschen Arbeitsmarkt – Pro und Contra“

An der nächsten Station ging es darum, eine Richtlinie zu finden, an der man „festlegen“ konnte, ob es eventuell gut oder schlecht wäre, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt in Deutschland aufzunehmen. Ebenfalls wurde untersucht, welche Auswirkungen der Flüchtlingszuzug auf den demografischen Wandel haben würde. Es ging dabei um eine neutrale Bewertung. Somit wurden sowohl geeignete positive als auch negative Aspekte aufgezählt und gegeneinander abgewogen.

An der letzten Station wurden von einem Schüler Länder, die sich in Krisensituationen befinden, anhand von Steckbriefen dargestellt. Dazu wurden die geografische Lage sowie weitere Fakten zu diesen Ländern aufgezeigt. Der Schüler erläuterte sowohl die kritische Lage in den Ländern als auch einige eigene Erfahrungen, die er durch seine Eltern erfahren hatte.

Im Anschluss an die Führung der Ausstellung fand eine Fragerunde statt, bei der der gesamte Jahrgang 11 dem CDU-Abgeordneten Dr. Heck allerlei Fragen zu seinem beruflichen Werdegang, aber auch zu seiner persönlichen Einstellung zu politischen Themen stellen durfte.

Nach dieser aufregenden Ausnahme vom regulären Unterricht, später gingen die Schüler dann ihrem gewohnten Unterricht nach.

Zur Autorin:

Tamara Njah ist Schülerin der Carl-Strehl-Schule in der Klasse 11a.

Foto mit Bildunterschrift: "Der Bundestagsabgeordnete Dr. Stefan Heck (links) im Gespräch mit blista-Schülern und Klassenlehrer Dr. Christian Roos. Foto: blista." Bildbeschreibung: Ein Mann mit hellem Hemd und dunklem Jackett spricht mit zwei Jungen und zwei Mädchen, die etwas aufgeregt, aber sehr interessiert zuhören.

Wir gratulieren unseren Absolventen!

Gymnasium

Am 25. Juni 2016 bestandene Reifeprüfung

Cantarutti; Elena

Dickmann; Christin

Dietz; Jessica

Gruber; Jakob

Grünebaum; Tanja

Habersetzer; Oliver

Hermann; Markus

Hilbel; David

Hirsch; Amelie

Hofmann; Dennis

Karl; Luisa

Khan; Khaula

Knipfer; Rose Marie

Koch; Carina

Kornau; Cindy Anne

Kuppler; Viktoria

Kuxdorf; Sabine

Langer, Lilly Florina

Lichel, Marla

Müller, Yasha

Naß, Jelena

Rieger, Elisabeth

Sailer, Christoph

Schlosser, Moritz

Seifert, Patrick

Theissen, Kyra

Traugott, Sarah

Tröbs, Florian

von der Lieth, Sarah

von Kopp, Luca Marian

Weigand, Dominik

Zahn, Sebastian

Berufl. Gymnasium - FR Wirtschaft -

Am 25. Juni 2016 bestandene Reifeprüfung

Aregger, Marc Andre

Behrens, Bryan

Blum, Desiree

Fabian, Nico

Gebert, Yannik

Janischak, Dave

Schmidt, Fabian

Mit der Abschlussprüfung erreichten am 25. Juni 2016 die Fachhochschulreife in der Fachoberschule - FR Sozialwesen -

Garis, Rony

Göbhardt, Yannick

Nguyen Thu, Huyen

Schmidt, Philipp

Yildirim, Dilara

Mit der Abschlussprüfung erreichten am 25. Juni 2016 die Fachhochschulreife in der Fachoberschule - FR Wirtschaft -

Becher, Moritz-José

Choi, Cindy

Dul, Dennis

Dworzak, Helene

Helber, Willy

Kayar, Ugur

Schieren, Christiane

Mit der Abschlussprüfung wurden am 22. Juni 2016
Kaufmännische Assistenten für Informationsverarbeitung

Acikgöz, Burak

Cornehl, Christoph

Ibisi, Ahmed

Masinovic, Almir

Yilmaz, Abdullah

Foto mit Bildunterschrift: "Rückblick auf die schönsten Momente der Schulzeit im Rahmen der Abschlussfeier. Foto: blista." Bildbeschreibung: Vor einem Mikrofon stehen eine blonde und zwei dunkelhaarige junge Frauen. Die junge Frau mit der Brille ganz rechts spricht in das Mikrofon, die beiden anderen lächeln verschmitzt.

Herzlichen Glückwunsch!

Fachinformatiker Anwendungsentwicklung

Mischa Fürst

Christopher Weber

Bernd Kerseboom

Andreas Kup

 

Informatikkaufmann/frau

Marco Hornbacher

Janneke Langenfurth

Lukas Rehfeldt

Jann Rotermund

Jaqueline Laws

Bruno Gessner

Peter Knoche

Foto mit Bildunterschrift: "Die IT-Absolventen der blista freuen sich über das erfolgreiche Ende ihrer Ausbildungszeit. Foto: blista." Bildbeschreibung: Eine Gruppe junger Menschen schaut – vor einem Backsteingebäude stehend – lächelnd in die Kamera.

Thorsten Büchner

blista-Bildungsangebote 2016

Erste Hilfe – Lehrgang für blinde und sehbehinderte Interessierte ab 16 Jahren.

Die Grundlagen der Ersten Hilfe besitzen auch für blinde und sehbehinderte Personen Bedeutung. Sie leben ebenfalls in der Welt, in der Unfälle passieren und sie können ebenso im Notfall Erste Hilfe leisten. Es will nur gelernt sein. In diesem Lehrgang vermitteln wir die Grundlagen der lebensrettenden Sofortmaßnahmen. Dabei legen wir besonderen Wert auf eine praxisnahe und zielgruppengerechte Ausbildung. Materialien und Vermittlungsmethoden sind speziell auf die Bedarfe von blinden und sehbehinderten Lernenden abgestimmt. Die Teilnehmer erhalten eine „Erste-Hilfe-Fibel“ als DAISY-CD.

Termin: 05.11.2016 und 06.11.2016

Anmeldeschluss: 04.10.2016

Teilnahmebeitrag: 95 €

Weitere Informationen und die barrierefreie Anmeldung finden Sie im Internet auf www.blista.de/bildungsangebote

RehaFair 2016 – EDV-Ausstellung am 18. November

Namhafte Firmen zeigen ihre neuesten Produkte auf dem blista-Campus

Die RehaFair 2016 am 18. November richtet sich an Jung und Alt und lässt sich anlässlich des Jubiläums der blista durch das Motto "100 Jahre - 100 Talente" inspirieren. Besucher der etablierten Hilfsmittelausstellung können in diesem Jahr die neuesten Trends und Produkte kennen lernen, die Arbeit und Alltag erleichtern, sei es beim Lesen, Einkaufen oder rund um die Orientierung.

Darüber hinaus sind in der blista-Sporthalle einige Schätze und Fundstücke aus den Archiven der blista zu sehen, die die Entwicklung der Hilfsmittel der vergangenen Jahrzehnte veranschaulichen - bis hinein in die Gegenwart. Denn die Besucherinnen und Besucher der RehaFair 2016 können auch das frisch installierte digitale Leit- und Informationssystem ausprobieren. Bei der RehaFair 2016 werden über 20 Hilfsmittelfirmen genauso vor Ort präsent sein wie die Rechtsberatungsgesellschaft rbm gGmbH - Rechte behinderter Menschen, das Reha-Beratungszentrum und die Seniorenberatung der blista.

Die Ausstellung findet am 18. November 2016 von 10-16 Uhr in der Sporthalle der Carl-Strehl-Schule auf dem blista-Campus (Am Schlag 8a, 35037 Marburg) statt. Der Eintritt ist frei.

Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!,
Koordination: Manfred Duensing

Leserbriefe

Marianne Webel

Blindengeld in der DDR

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Zuge der Aufarbeitung meiner liegen gebliebenen Zeitschriften habe ich im Heft 3/15 des "horus" die "Resolution des DBSV für ein bundeseinheitliches Blindengeld" gelesen. Dabei sind mir zwei Unrichtigkeiten aufgefallen:

Im Abschnitt "Warum Bund und Länder endlich aktiv werden müssen" steht unter dem ersten Anstrich: Gipfel der Einsparungen war die vorübergehende Abschaffung des Landesblindengeldes in Niedersachsen, die zur Folge hatte, dass..." Auch in Thüringen war das Blindengeld für zwei Jahre abgeschafft. Das wurde aber nicht erwähnt.

Unter dem 4. Anstrich steht: "Mit Schaffung der neuen Länder wurden auch dort Blindengeldleistungen eingeführt." Viele Politiker und Menschen in den alten Bundesländern wissen nicht, dass es auch in der DDR ein Blindengeld gab: Sehgeschädigte (so hieß das damals) bekamen 30, praktisch Blinde 60 und Vollblinde 120 Mark. Dann gab es noch die Stufen IV, V und VI, die - je nach weiteren Behinderungen - immer 40 Mark mehr bekamen. Ich als Diabetiker hatte die Stufe IV mit 160 Mark. Taubblinde bekamen 240 Mark, also das doppelte Blindengeld eines Vollblinden mit Stufe III, 120 Mark.

Da Hilfsmittel massiv subventioniert waren bzw. von der Sozialversicherung bezahlt wurden - z. B. alle 5 Jahre eine Uhr -, reichte das Blindengeld damals weiter als heute, wo man für eine Punktschriftmaschine seine Ersparnisse aufbringen muss. Und wenn man keine hat, lerne man bitteschön Tafelschreiben...

Ich habe den Eindruck, dass die Blinden in den neuen Ländern oft nicht im Blickpunkt sind.

Als 1990 die D-Mark eingeführt wurde, kümmerte sich niemand darum, ob und wie wir Blinden die neuen Münzen und Scheine erkannten. Als der Euro dann die D-Mark ablöste, gab es eine große Kampagne dafür, dass Blinde sich mit dem neuen Geld vertraut machten. Man muss das nicht begründen; es ist Geschichte.

Mit freundlichen Grüßen

  1. Webel

Erika Reischle-Schedler

Leserbrief zu horus 2/2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich beziehe mich auf 2 Artikel des Schwerpunktthemas: Hörbar lebendig.

Frau Thorstensen schreibt, dass man als Blinder auswendig lernen müsse, während der Sehende seine Noten zur Verfügung habe. Dies soll nicht unkommentiert stehen bleiben. Als Sängerin im Nebenberuf habe ich manches Konzert gesungen. Liederabende singen auch Sehende grundsätzlich auswendig, weil es sich besser gestalten lässt, als wenn man an den Noten klebt. Im Ensemble-Bereich singt kein Sehender auswendig, und als Blinde muss ich es auch nicht, wenn ich es nicht ausdrücklich will. Ich nutze Braillenoten, die ich mir entweder selber schreibe oder bei einem einschlägigen Institut schreiben lasse. Ich lege sie auf einen Notenständer und lese auf der rechten Seite mit der rechten Hand die Noten und auf der linken Seite mit der linken Hand synchron den Text (oder umgekehrt, wenn mir das lieber ist). Selbstverständlich steht mir frei, auswendig zu singen, wenn ich das will – aber dass ich nur deshalb, weil ich blind bin, alles auswendig lernen müsste, stimmt einfach so nicht und sollte deshalb im horus nicht unkorrigiert stehenbleiben.

Eine ganz andere Sache ist das Interview mit der „Künstlerin“ Elena: Ich habe jede Menge Verständnis für jugendliche Träume – als Abiturientin träumte ich davon, bei einem (aus heutiger Sicht gesehen ziemlich zweifelhaften) Rundfunksender für Klavierbegleitungen zuständig zu werden (nach 10 Jahren Klavierunterricht allerdings). Aber ich wäre wohl nicht auf die Idee gekommen, dass das einen horus-Artikel wert wäre! Ich verstehe also die Redaktion an diesem Punkt nicht: Bisher dachte ich immer, der horus stehe für ein gewisses Niveau. Wenn da aber eine Schülerin mit gesteigertem Selbstbewusstsein stolz darauf ist, dass sie 4 Akkorde auf der Gitarre spielen kann, dann gehört das meiner Meinung nach nicht in diese Zeitschrift. Jeder seriöse Musiker, egal auf welchem Instrument oder mit der Stimme, weiß, welch langjähriger, mit Anstrengung und Disziplin verbundener Prozess es ist, ein Instrument bzw. die eigene Stimme beherrschen zu lernen. Gerade für uns als blinde Menschen kann es doch nicht um schnellen Erfolg und schnelles Geld gehen, sondern um seriöse Arbeit, diszipliniertes Lernen, Wachsen an so mancher Durststrecke und schließlich Erfolge auf einer soliden, durch Fleiß und Können erworbenen Grundlage.

An anderer Stelle ist im horus immer wieder von solchen jungen Menschen berichtet worden, die mit Mut und Selbstdisziplin ihren Weg durchs Studium hinein in den Beruf gefunden haben. Als langjähriges DVBS-Mitglied kenne ich noch den alten Untertitel des horus: Da hieß es seinerzeit: „Marburger Beiträge zum Blindenbildungswesen“. Als „Beitrag zur Integration Sehgeschädigter“ im weitesten Sinn des Wortes könnte das Interview mit Elena gelesen werden – mit Bildung hat es m. E. nichts zu tun. Auch wenn sie aus dem Untertitel verschwunden ist, ist sie doch, bislang zumindest, und aus meiner Sicht zumindest, das Markenzeichen des horus geblieben, in Unterscheidung zu anderen Zeitschriften des Blindenwesens. Dies sollte meiner Ansicht nach auch in Zukunft unbedingt so bleiben!

Erika Reischle-Schedler

Traueranzeige für eine barrierefreie Gesellschaft

Inkl. der folgenden Stern-Nachricht:

* Am 12.5.2016 verabschiedete der Deutsche Bundestag die Novellierung des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes, die weit hinter den Forderungen von Verbänden der Menschen mit Behinderungen zurückbleibt.

Impressum

Herausgeber

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) und Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)

Redaktion

  • für den DVBS: André Badouin, Uwe Boysen, Andrea Katemann und Mirien Carvalho Rodrigues
  • für die blista: Isabella Brawata, Thorsten Büchner, Birthe Klementowski und Dr. Imke Troltenier

Koordination

DVBS-Geschäftsstelle, Frauenbergstraße 8, 35039 Marburg, Tel.: 06421 94888-0, Fax: 06421 94888-10, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Internet: www.dvbs-online.de.

Beiträge und Bildmaterial schicken Sie bitte ausschließlich an die Geschäftsstelle des DVBS, Redaktion. Wenn Ihre Einsendungen bereits in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden oder für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, so geben Sie dies bitte an. Nachdruck ‑ auch auszugsweise ‑ nur mit Genehmigung der Redaktion.

Verantwortlich im Sinne des Presserechts (V. i. S. d. P.)

Uwe Boysen (DVBS) und Dr. Imke Troltenier (blista)

Erscheinungsweise

Der „horus“ erscheint alle drei Monate in Blindenschrift, in Schwarzschrift und auf einer CD-ROM, die die DAISY-Aufsprache, eine HTML-Version und die Braille-, RTF- und PDF-Dateien enthält.

Jahresbezugspreis

  • 22 Euro (zuzüglich Versandkosten) für die Schwarzschriftausgabe,
  • 35 Euro für alle übrigen Ausgaben.

Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende eines Kalenderjahres. Für Mitglieder des DVBS ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

Bankkonten des DVBS

Sparkasse Marburg-Biedenkopf
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BIC: HELADEF1MAR

Postbank Frankfurt
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Verlag

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., Marburg, ISSN 0724-7389

  • Punktschriftdruck: Deutsche Blindenstudienanstalt e. V., Marburg
  • Digitalisierung und Aufsprache: Geschäftsstelle des DVBS, Marburg
  • Schwarzschrift-Druck: Druckerei Schröder, 35081 Wetter/Hessen

Die Herausgabe der Zeitschrift „horus“ wird vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband aus Mitteln der „Glücksspirale“ unterstützt.

horus 3/2016, Jg. 78 der Schwarzschriftausgabe

Titelbild: Punktschriftlernen während der Blindentechnischen Grundrehabilitation. Foto: blista/Bruno Axhausen

Nächste Ausgabe (horus 4/2016)

Schwerpunktthema: „Megatrend Digitalisierung“
Erscheinungstermin: 28. November 2016
Anzeigenannahmeschluss: 28. Oktober 2016
Redaktionsschluss: 4. Oktober 2016